Der Anschlag in Halle – Die Debatte im Transit-Magazin

Zum Auftakt des Prozesses: Ein Rück- und Überblick

von | veröffentlicht am 22.07 2020

Beitragsbild: Transit

Diese Woche startete der Prozess am Oberlandesgericht gegen den mutmaßlichen Attentäter des antisemitischen und rassistischen Anschlags vom 9.Oktober 2019 in Halle. Während wir euch zu den laufenden Ereignissen die Berichterstattung unserer Freund*innen von Radio Corax ans Herz legen wollen, möchten wir dem folgenden Artikel nochmal einen Überblick zur Diskussion um die Folgen des Anschlags geben, die im Transit-Magazin geführt wurde. Versteht diesen Rück- und Überblick auch gerne als Einladung, weitere Texte zum Anschlag zu verfassen - von analytisch bis persönlich ist alles möglich.




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Unter dem Eindruck eines „Spekulationsgewitter im Social Media“ schrieb Tamer Le Gruyere im Artikel „Halle: Was jetzt zählt“ unmittelbar nach dem Anschlag, dass die Solidarität mit den Betroffenen die einzig legitime Reaktion sei.

„Was im Moment zählt, ist nicht die Empörung über den politischen Gegner – dafür wird immer wieder Zeit und Anlass sein – was im Moment zählt, ist die Solidarität mit denjenigen, die potenziell und tatsächlich vom rechten Terror betroffen sind, sowie der Zusammenhalt aller Menschen, die gemeinsam solidarisch leben wollen. Hierauf sollten wir unsere Energie verwenden.“

Simon Manskes Artikel „Nach dem Anschlag“ zeigte sich einerseits berührt von der aufkeimenden Solidarität und kritisierte andererseits insbesondere die Politik, da sie das Problem des rechten Terrors nicht ernst genommen habe.

 

„Da ist die Frustration über politische Amts- und Mandatsträger*innen, die so blind scheinen für die rechten Dynamiken in unserer Gesellschaft, die sich in ihrer angeblichen Überraschung als kurzsichtig, blauäugig, grob fahrlässig oder berechnend entlarven. Von denen einige noch gefühlt gestern die Kürzung von Mitteln im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus und die Untergrabung von einschlägigen etablierten zivilgesellschaftlichen Akteuren auf den Weg gebracht haben.“

 

Am 14. Oktober 2019 erschien Hannah Riefelds Artikel „Traurig solidarisch wütend aktiv sein“ in dem sie – auch mit Blick auf die Debatte in Transit – feststellte, dass es zwei Formen der Reaktionen auf den Anschlag gäbe, die nicht gegeneinander ausgespielt werden dürften: Auf der einen Seite die Aufforderung, inne zu halten und solidarisch mit den Betroffenen zu sein. Auf der anderen, in die antifaschistische Offensive zu gehen. Sie plädierte dafür verschiedene Formen des Umgangs zusammenzudenken.

„Auf den ersten Moment mag diese Wut wie ein Abwenden von den Opfern wirken. Aber Solidarität mit denen, die von antisemitischer und rassistischer Gewalt betroffen sind, kann viele Formen annehmen: vom Zusammenstehen und symbolischen und tatsächlichen Umarmen über finanzielle Unterstützung bis zur Aufklärung der Umstände, die zu dieser Gewalt führen. Jetzt ist die Zeit für all diese Formen.“

Die gesamte Woche nach dem Anschlag war gekennzeichnet von mehreren Gedenkveranstaltungen und -demonstrationen. Über die große Demonstration vom 13. Oktober 2019 berichteten Stefanos Kontovitsis und Julian May-Johann in ihrem Artikel „Zwischen Antifa und Andrea Berg“. Sie zeigten sich zufrieden mit der Form des Umgangs und stellten heraus, dass die Demonstration viele, ganz unterschiedliche Menschen miteinander vereinte. Der Linken attestierten sie, aus der Diskussion um den NSU-Komplex gelernt zu haben.

„Anstatt immer wiederkehrender, oft routiniert wirkender Redebeiträge wie man sie von deutschen Demonstrationen kennt, standen in Halle die Opferperspektive und das Gedenken im Mittelpunkt. Angesichts der Lage, dass Halle kein Alarmzeichen war, sondern vielmehr ein weiteres grausames Zeichen deutscher Normalität im Jahr 2019, kann die Reaktion auf den Terror in Halle als Beispiel für solidarisches Gedenken und die tatsächliche Unteilbarkeit von Menschen dienen. Damit ist der Rechtsruck zwar nicht aufgehalten, dennoch wurde ein angemessener Raum für Trauer und Anteilnahme geschaffen, sowie ein Ort um sich seiner Stärke und gegenseitigen Solidarität bewusst zu werden. Letztlich zeigt sich, dass Initiativen wie das NSU-Tribunal, welches 2017 in Köln erstmals ausgetragen wurde, in der Linken durchaus ihre Spuren hinterlassen haben. Denn nicht zuletzt dort wurde als Reaktion auf die Blindheit der Linken in Bezug auf die Terrorserie des NSU die Forderung nach einer stärkeren Einbeziehung der Opferperspektive formuliert.“

Etwa vier Monate später war es in Halle relativ ruhig geworden um den Anschlag. Daher starteten wir einen Call for papers um die Debatte über die künftige antifaschistische Praxis wieder in Gang zu bringen.

Den (Wieder-)Anfang der Debatte machte am 10. April 2020 das Kollektiv „IfS dichtmachen“ mit einer Betrachtung der Frage welche Rolle das Institut für Staatspolitik für den Anschlag spielte und spielt.

„Letztendlich lässt sich zusammenfassen, dass Semlitsch und die Sezession den Anschlag von Halle als „Einzeltat eines Wahnsinnigen“ auslegen wollen, was er in einer Reihe von rechten Terrorakten keinesfalls ist (siehe Mord Walter Lübcke und Anschlag von Hanau). Zudem wird einmal mehr die AfD in eine Opferrolle gesteckt, obwohl diese Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus befördern und eben doch Mittäter*in ist. Genau wie die Sezession und Semlitsch selbst.“

Adrian Lauchengrund analysierte in seinem „Plädoyer für einen konsequenten Antifaschismus“ vom 29. April 2020 die antisemitischen, antifeministischen und rassistischen Hintergründe rechtsradikalen Denkens und rechter Anschläge. Er kommt zu dem Schluss, dass konsquenter Antifaschismus sein Handlungsfeld auf alle gesellschaftlichen Bedingungen ausweiten muss.

„Ein wirkliches Eintreten gegen Rechts und für eine solidarische Gesellschaft, ein wirksamer Antifaschismus also, kann nicht bei bloßen Appellen stehenbleiben, sondern muss viel weiter gehen. Es würde beinhalten, sich für eine wirkliche Demokratisierung des gesamten sozialen und ökonomischen Lebens einzusetzen und so eine Demokratie zu schaffen, die ihrem Begriff gerecht wäre.“

Tamer Le Gruyere knüpfte wenige Tage später an diese Überlegungen an und illustrierte dies noch einmal an den Erfahrungen der Demonstration vom 13. Oktober 2019, da er hier „Verpasste Chancen eines ungewöhnlichen Bündnisses“ ausmachte. An antifaschistisch Engagierte in Halle richtete er den Vorschlag, die soziale Frage stärker in den Blick zu nehmen um somit Milieus außerhalb der eigenen Blase anzusprechen.

„Antifaschistische Kämpfe müssen zum Ziel haben, die soziale Ungleichheit zu beseitigen und daher an verschiedenen Fronten ansetzen. Das können Proteste gegen Nazihäuser, Arbeitskämpfe, Klimademos, die Verbesserung der gesundheitlichen Versorgung und andere Momente sein.“

Den (vorläufigen) Abschluss der Debatte bildete ein Beitrag vom Friedenskreis Halle e.V., der begründete, warum Politische Bildungsarbeit die strukturellen Ursachen von Antisemitsmus, Rassismus und Rechtsterrorismus in den Blick nehmen muss. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass antifaschistische Bildungsarbeit immer wieder von der Politik herabgewürdigt wird, werde dies zunehmend erschwert.

„Schon länger doch verstärkt seit einigen Monaten erleben wir, dass zivilgesellschaftlichen Initiativen und Vereinen Diffamierungen und Hindernisse entgegengebracht werden. Den einen wird vorgeworfen, ihr politisches Engagement sei antifaschistisch und damit extremistisch. Dieser Vorwurf gründet sich auf dem hartnäckigen Vorbehalt, dass antifaschistisches Engagement als linksextremistisch zu bewerten und folglich als verfassungsfeindlich einzustufen sei. Den anderen wird vorgeworfen, ihr politisches Engagement sei zu groß und damit nicht gemeinnützig. Es schwächt die Zivilgesellschaft, wenn antifaschistisches Engagement politisch negativ bewertet oder politisches Engagement als nicht gemeinnützig abgewertet wird. Denn beide Vorbehalte erschweren und verhindern den politischen Willen der Zivilgesellschaft, ernsthaft an den zu Grunde liegenden Mechanismen von Rassismus und Rechtsextremismus anzusetzen.“