Wird Halle zu einem sicheren Hafen?

Ein Antrag im Stadtrat fordert eine Bereitschaftserklärung zur Aufnahme von Geflüchteten

von | veröffentlicht am 29.10 2018

Beitragsbild: Transit

Durch die Blockade ziviler Seenotrettung steigt die Zahl der Todesopfer im Mittelmeer. Gegen diese menschenverachtende Politik formiert sich zunehmend Protest. Immer mehr Städte schließen sich den Forderungen der “Seebrücke” an und erklären sich bereit, Menschen in Seenot aufzunehmen. Auch in Halle zielt ein fraktionsübergreifender Antrag auf eine solche Bereitschaftserklärung und bezieht damit Position gegen die Abschottungspolitik der EU und Deutschlands




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Bei der Stadtratssitzung am vergangenen Mittwoch haben die Fraktionen Die Linke, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und MitBÜRGER für Halle – Neues Forum einen Antrag gestellt, in dem die Stadt dazu aufgefordert wird, sich bereit zu erklären, aus Seenot gerettete Menschen in Halle aufzunehmen. Darüber hinaus soll sie sich gegenüber der Bundesregierung und dem Innenministerium dafür einsetzen, dass die Aufnahme über das übliche Verfahren hinaus ermöglicht wird. Damit folgt der Antrag dem Vorbild anderer Städte wie z.B. Köln, Bonn, Düsseldorf, Berlin, Potsdam, Rostock und Jena, die bereits eine solche Bereitschaftserklärung formuliert haben.

In ihrer Begründung verweisen die Fraktionen auf die systematische Kriminalisierung von Seenotrettung, durch die weitere Todesopfer im Mittelmeer nicht nur hingenommen werden, sondern die Rettung von Menschenleben aktiv verhindert wird. „Unter dem Vorwand einer möglichen Abschreckung und aus politischem Kalkül heraus wird der Tod von Menschen billigend in Kauf genommen oder ihnen wird humanitäre Hilfe verweigert“, heißt es in der Erklärung. Und „selbst wenn sie gerettet worden sind, müssen sie tagelang auf dem Meer ausharren, da ihnen das Anlegen in einem Hafen nicht gestattet wird.“ Dort, wo die Politik auf europäischer und nationalstaatlicher Ebene Abschottung betreibt, Lebensretter*innen kriminalisiert und das Anlegen der Rettungsschiffe verhindert, sollen nun die Städte einspringen und „ein Zeichen der Humanität“ setzen

Dass die Bereitschaft einer Stadt, Menschen in Seenot aufzunehmen, mehr als ein Lippenbekenntnis sein kann, hat das spanische Valencia im Sommer dieses Jahres gezeigt. Nachdem über 600 Menschen an Bord der „Aquarius“ über Tage hinweg vor der italienischen und maltesischen Küste ausharren mussten, beschloss die Stadt, die in Seenot geratenen Flüchtlinge aufzunehmen. Die eigentlich selbstverständliche und nach internationalem Seerecht gebotene Hilfe hat im Sommer zu Verwerfungen innerhalb der EU geführt. Neben Salvinis allzu offenem Bekenntnis zur rassistischen Grenzpolitik Europas, ging es dabei um die umstrittene „Dublinregel“, nach der Asylverfahren in den jeweiligen Erstankunftsländern durchgeführt werden müssen. Kurz zuvor blockierte die Regierung von Malta die Einfahrt des Rettungsschiffs „Lifeline“. Sie verlangte, dass die 230 Menschen an Bord des Schiffes auf mehrere EU-Länder verteilt werden sollen. In dem Zuge beschloss der Berliner Senat, Menschen auf der „Lifeline“ aufzunehmen, scheiterte aber mit diesem Vorstoß am Veto von Heimatminister Seehofer.

Dass sich mittlerweile zahlreiche Städte in Deutschland der Initiative dieser Städte angeschlossen haben, ist nicht zuletzt einer stärker werdenden Bewegung zu verdanken, die sich gegen das Sterben im Mittelmeer und für sichere Fluchtwege nach Europa einsetzt. Die Festsetzung nahezu aller Rettungsschiffe und die Kriminalisierung der Rettungscrews hat unter denen, die sich trotz rechter Hetze und zunehmender Verrohung des gesellschaftlichen Diskurses einen Rest von Humanität bewahren konnten, für Empörung gesorgt. In vielen Städten haben sich Menschen unter dem Motto „Seebrücke – Schafft sichere Häfen“ zusammengefunden.

Auch in Halle setzten sich Menschen für sichere Fluchtwege, ein Recht auf Asyl und die gleichen Teilhabemöglichkeiten für alle ein. In einer Petition, die am vergangenen Mittwoch von einer Aktivistin der „Seebrücke Halle“ im Stadtrat eingebracht wurde, fordern verschiedene politische und zivilgesellschaftliche Gruppen aus Halle die Schaffung eines „sicheren Hafens“. Die Gruppe macht seit mehreren Wochen mit Kundgebungen und Aktionen auf ihr Anliegen aufmerksam. Darüber hinaus engagieren sich seit einiger Zeit Einzelpersonen und Gruppen in dem Bündnis Solidarity City Halle. Auch ihnen geht es darum, durch ein Bündnis praktischer Solidarität eine Stadt zu schaffen, an der alle Menschen gleichermaßen teilhaben können, „unabhängig von Herkunft, zugeschriebener Nationalität, Aufenthaltsstatus, Sprachkenntnissen, körperlicher/mentaler Verfassung, finanzieller Versorgung, Aussehen, Alter, Religion, Geschlecht, sexueller Identität, etc.“

Es ist kein Zufall, dass es bei der Frage um die Aufnahme von Geflüchteten, wie im Falle des Berliner Senatsbeschlusses, zu einem Konflikt zwischen Bund und Kommunen kommt. Die Idee einer “Solidarischen Stadt” geht auf die Erfahrungen aus US-amerikanischen Städten zurück. Seit Ende der 70er Jahre verweigern sogenannte „Sanctuary Cities“ (Zufluchtsstädte) teilweise ihre Zusammenarbeit mit Bundesbehörden in Sachen Einwanderungspolitik. Zentral geht es darum, dass bei Einwohner*innen, die nach Bundesgesetz von Abschiebung bedroht sind, von einem Identitätsabgleich abgesehen wird. Darüber hinaus setzen sich manche der rund 200 Zufluchtsstädte in den USA für einen gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen unabhängig von Herkunft und Aufenthaltsstatus ein. U.a. in New York City gibt es eine städtische Identitätskarte, die z.B. Menschen ohne Pass die Möglichkeit gibt, sich bei Behördengängen, Arztbesuchen, usw. auszuweisen.

In Europa hat sich neben mehreren Städten in Großbritannien auch Barcelona zur Zufluchtsstadt erklärt. Die Forderung nach einem „Munizipalismus“, in dem Städten eine größere Unabhängigkeit gegenüber der Zentralregierung zukommt, ist in Spanien seit Beginn der Bewegung 15-M immer stärker geworden. Mit der Wahl Ada Colaus zur Bürgermeisterin in Barcelona und der Erklärung der Stadt zur „ciudad refugio“ hat sich die Forderung eines „Munizipalismus“ ansatzweise konkretisiert. Denn darum geht es im Kern der „Solidarischen Städte“: Städtische Zivilgesellschaften bringen kommunale Regierungen dazu, von ihrer relativen Autonomie Gebrauch zu machen, um eine humanere Politik gegen den Willen nationalstaatlicher Akteure durchzusetzen. Sicher gibt es in den USA mehr Spielraum für eine „munizipalistische“ Politik, als das in Deutschland der Fall ist. Die Bereitschaftserklärungen mehrerer Städte in Deutschland zeigt jedoch, dass auch hier die Einforderung kommunaler Selbstbestimmung gegen die restriktiv agierende Bundesregierung möglich ist.

Zurück nach Halle: Wie geht es nach dem fraktionsübergreifenden Antrag im Stadtrat weiter? Gernot Nette (AfD) hält den Antrag für eine „Luftschloss“. Die CDU will sich die menschenverachtende Haltung in der Sache nicht so direkt zu eigen machen, redet zynisch von „Schleppern“ und verweist den Antrag gleich in zwei Ausschüsse. Sollte der Antrag gegen den Widerspruch von rechts in der Stadtratssitzung am 19.12.2018 angenommen werden, wird es weiter um die Frage gehen, inwiefern die Bereitschaft Menschen aufzunehmen, nicht bei einem Lippenbekenntnis bleibt, sondern konkret umgesetzt werden kann.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.