„Stein34 war, ist und wird sein!“

Demonstration gegen Entmietung

von | veröffentlicht am 19.02 2023

Beitragsbild: Dani Luiz

„Die Häuser denen, die drin wohnen“ hallte es durch die Straßen von Halle, als am 18. Februar eine Demonstration gegen Entmietung mit etwa 100 Teilnehmer*innen durch die Stadt zog. Die Gruppe „Stein34 Bleibt“ hatte zum Protest aufgerufen, um gemeinsam auf die Probleme im Wohnungsmarkt aufmerksam zu machen und die Überwindung der Profitorientierung im Wohnungssektor zu fordern.




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Anlass der Demonstration sind verschiedene Entwicklungen der Wohn- und Mietsituation in Halle, die sich seit Jahren weiterentwickelt. Es kommt zu Immobilienspekulationen, Preissteigerungen, Entmietungsmaßnahmen und Zwangsräumungen. So auch in der Steinstraße 34, ein unsanierter Altbau am Steintor, welcher 2021 an den jetzigen Eigentümer Jonas Bien verkauft wurde. Bereits damals signalisierte er, dass er eine Sanierung plant und die damaligen Bewohner*innen dafür ausziehen müssen. Mit verschiedenen Maßnahmen machte Bien den Bewohner*innen das Leben schwer. „Von einem Tag auf den anderen wurde es im Haus laut und staubig“, berichtet Amira Klote im Interview mit der Jungen Welt. Zwischenzeitlich wurde das Wasser abgestellt, die Klingel abgebaut und Schutt und Heizungsteile lagerten teils als großer Haufen auf dem Hof. 

„Keine Rendite mit der Miete“ fordern die Demonstrant*innen (Bild: Dani Luiz)

Um die Mieter*innen bei ihrem Kampf zu unterstützen, gründete sich die Gruppe „Stein34 Bleibt“, die auf die Probleme und teils absurden Maßnahmen des Vermieters aufmerksam machte.
Bereits am 30. April hatten die Aktivist*innen zu einer Demonstration unter dem Motto „Vermieten verbieten – Wohnraum für Alle!“ aufgerufen, an der sich etwa 200 Menschen beteiligten (Das Transit Magazin berichtete). Im Frühjahr 2022 wurde den Gewerbeeinheiten im Erdgeschoss der Steinstraße 34 gekündigt. Außerdem gingen die Bewohner*innen gemeinsam rechtlich unter anderem gegen die nicht ordnungsgemäß angekündigten Baumaßnahmen vor. Seitdem ist viel passiert. 

Dani Luiz

…ist Teil der Transit Redaktion und dokumentiert unter anderem Protestgeschehen in Halle.

Kampf um die „Stein34“ noch nicht vorbei

Die Bewohner*innen bekamen Recht und die Baumaßnahmen mussten zwischenzeitlich gestoppt werden. Trotzdem haben sich die Mitglieder der letzten WG im Haus entschieden auszuziehen, was diese schon als Niederlage ansehen. Ihre Gründe dafür haben sie in einer Pressekonferenz am 20. Oktober ausführlich dargelegt (hier kann sie nachgelesen oder nachgehört werden). Trotzdem seien einige Teilerfolge erzielt worden: „Durch die einstweiligen Verfügungen konnte die Hauptmieterin der WG dem Eigentümer Grenzen aufzeigen. Ihm wurde klar gemacht, dass er nicht einfach mit Mieter*innen umgehen kann, wie er sich das denkt“, so die Pressesprecherin der Gruppe. Sie resümiert außerdem, dass aus ihrer Sicht die Öffentlichkeitsarbeit der Gruppe „Stein34 Bleibt“ erfolgreich war. Die Voraussetzung für ein erfolgreiches Agieren im Mietkampf sei, mutig an die Öffentlichkeit zu gehen. Das sei jedoch auch nicht für alle im gleichen Maße möglich. „Wir sind privilegiert, wir sind jung, wir sind relativ flexibel und trotzdem waren wir gezwungen aufzugeben“, hieß es im Statement der jetzt ehemaligen Bewohner*innen. Es brauche viel mehr Unterstützung für Menschen, die gegen ihre Entmietung kämpfen. Jeder Mietkampf sei ein wichtiges Zeichen, weshalb dieser aktiv unterstützt werden müsse. 

Demonstrant*innen ziehen lautstark durch den Osten von Halle (Bild: Dani Luiz)

Am 2. Januar hat die letzte WG schließlich die Schlüssel ihrer Wohnung an die Hausverwaltung übergeben müssen. Etwa 20 solidarische Menschen hatten sich zeitgleich zum Cornern und gemeinsamen Abschiednehmen vor dem Haus getroffen und begleiteten die Übergabe der Schlüssel. Jetzt verbleiben nur noch zwei weitere Mietparteien in der Steinstraße 34, die seit Jahrzehnten im Haus wohnen und dort auch bleiben wollen. Sie sind jetzt weiter von der Entmietungsstrategie des Eigentümers betroffen, der wie die Hausverwaltung zeitweise kaum zu erreichen ist. Das verdeutlicht, dass es auch weiterhin eine kritische Öffentlichkeit brauche, so die Aktivist*innen auf der Demonstration. Dem Eigentümer müsse klar gemacht werden, dass er nicht im Schatten agieren kann. Darüber hinaus brauche es auch weiterhin konkrete Unterstützung der verbliebenen Mieter*innen. Es zeigt sich: Der Kampf um die „Stein34“ ist noch lange nicht vorbei.

Die Auswüchse des kapitalistischen Mietsystems

Und auch an anderen Stellen zeigen sich in Halle die Auswüchse des kapitalisierten und privatisierten Wohnungsmarktes. Verschiedene Redebeiträge bei der Zwischenkundgebung in der Landsberger Straße wiesen auf die Probleme zum Beispiel in der Reideburger Straße 5 hin. Das von ISIHOME gekaufte Haus wird aktuell nur noch von drei Mietparteien bewohnt. Zwei Bewohner*innen berichteten aus dem Haus heraus in einem Redebeitrag von Entmietungsmaßnahmen.

Aus dem betroffenen Haus halten zwei Bewohner*innen einen Redebeitrag über ihre Wohnsituation (Bild: Dani Luiz)

Die Kommunikation mit vermietenden Wohnungskonzernen stellt sich oft als schwierig heraus. Wie Betroffene in unserem kürzlich veröffentlichten Artikel über einen Mietstreit mit der Halleschen Wohnungsgesellschaft (HWG) berichteten, kommt es immer wieder zu Problemen im Kontakt mit Vermieter*innen. Diese Probleme entstehen häufig auch dann, wenn Konzerne mit Wohnraum Profite erwirtschaften wollen.
Die Wohnungsfrage ist jedoch häufig nicht nur eine Klassenfrage, sondern auch eng mit Rassismus verwoben. Besonders deutlich wird diese Problematik im Südpark in Halle-Neustadt. Der verantwortliche Immobilienkonzern Belvona lässt hier die größtenteils migrantischen Bewohner*innen mit Schimmel, verstopften Abflussrohren, kaputten Heizungen und Wasserschäden alleine. Zwischenzeitlich sorgte die Situation der Bewohner*innen für große Öffentlichkeit in den lokalen Medien. Verschiedene Akteur*innen der linken Szene haben Organizing in den betroffenen Blöcken durchgeführt. Ein Bericht über die Situation und die Erfahrungen der Bewohner*innen wurde am 23. November im Transit Magazin veröffentlicht.
Das sozialpolitische Bündnis „Halle Zusammen“ hatte unter anderem die Enteignung des verantwortlichen Immobilienkonzerns gefordert, der Wohnraum gehöre in öffentliche Hand. Am Beispiel des Südpark zeige sich besonders deutlich die Verwertungslogik im kapitalistischen System, das Wohnraum zur Ware mache und mit wesentlichen Grundrechten spekuliere.

„Vermieten verbieten“ – Die Teilnehmer*innen der Demonstration sehen die Ursache der Probleme im System (Bild: Dani Luiz)

Auch die Gruppe „Stein34 Bleibt“ sieht die Ursache der Probleme im Wohnungsmarkt im Kapitalismus. Man wolle laut und gemeinschaftlich dem Umstand widersprechen, dass Eigentümer von Kapital und Immobilien über die Wohnverhältnisse bestimmen können, erklärte die Pressesprecherin der Organisator*innen gegenüber dem Transit Magazin. Dabei sei das Verhältnis zwischen Mieter*innen und Vermieter*innen kein „Deal zwischen Gleichberechtigten“, wie die Aktivist*innen im Aufruf schreiben. Die Vermieter*innen säßen letztendlich am längeren Hebel: „Wenn saniert werden soll und Mieter*innen dem im Weg stehen, haben Eigentümer*innen zahlreiche Mittel an der Hand, sich den lästigen Bewohner*innen zu entledigen“. Oft führen diese Konflikte im Mietverhältnis zu Entmietungsmaßnahmen oder Zwangsräumungen, teilweise auch illegal, wobei die Mieter*innen häufig nicht die finanziellen und neben Lohnarbeit zeitlichen Mittel zur Verfügung haben, um gegen die illegalen Maßnahmen rechtlich vorzugehen. „Wir haben erfahren, dass so ein Mietkampf, ein Kampf ums eigene Zuhause, zermürbend sein kann“, so die Pressesprecherin, „wir wissen jetzt aber auch, dass man in so einer Situation nicht völlig hilflos ist“. Mietende hätten einige Rechte, diese allerdings auch in Anspruch zu nehmen, koste Zeit und Nerven. Geholfen hätten den Bewohner*innen vor allem Erfahrungen anderer Mietkämpfe in Halle, weshalb es ihnen wichtig sei, mit ihren Erfahrungen Anderen in Konfliktsituationen mit Vermieter*innen zu helfen. Ziel sei es, die Organisierung von Rechtsstreit und praktischer Unterstützung schnell und zuverlässig gewährleisten zu können.
Die Konflikte im Mietverhältnis würden sich an verschiedenen Stellen in Halle zeigen und hätten System. „Im Kapitalismus sind Häuser nicht einfach lebensnotwendige Dächer überm Kopf und bestenfalls ein Zuhause, sondern eben auch Quelle von Profit, Wertanlagen und Spekulationsobjekte“, schreibt die Gruppe „Stein34 Bleibt“ im Aufruf weiter. 

Solidarität und Vernetzung

Sich der Entmietung entgegenzustellen und rechtlich gegen willkürliche, schikanierende Maßnahmen vorzugehen, kostet, wie es die Bewohner*innen der Steinstraße 34 zu spüren bekamen, viel Kraft. Nicht alle Menschen haben die Kapazitäten, solche juristischen Wege zu gehen. Viel hat das mit Privilegien zu tun.
Aus Sicht der Demonstrant*innen und Aktivist*innen brauche es Solidarität, um dem ungerechten Mietsystem etwas entgegensetzen zu können. Die einzige Antwort auf die Wohnungsfragen laute: „Vernetzung und Solidarität“. Bisher ist diese Vernetzung von Mietenden in Halle kaum vorhanden, weshalb sich die Aktivist*innen auch längerfristig für eine Vernetzung und gegenseitige Unterstützung in Halle engagieren wollen. „Ideal wäre ein großer Zusammenhang, der sich kämpferisch mit Mietpolitik auseinandersetzt und die bisher einzelnen Akteure zusammenführt“, erklärte die Pressesprecherin auf Nachfrage.

Der Aufzug führt über die Berliner Brücke (Bild: Dani Luiz)

Eine der bisher existierenden Anlaufstellen ist die seit dem November 2021 neugegründete Initiative „Recht auf Stadt Halle“, die sich mit dem Thema Wohnen auseinandersetzt. Für den 22. Februar lädt die Initiative zum „Mieter*innenstammtisch“ von 19-21 Uhr in die Falle (Martinstraße 13) ein. Dort soll ein offener Raum für Austausch und Vernetzung geschaffen werden, in dem aktuelle Probleme für Mieter*innen thematisiert werden können. Sowohl die Initiative „Recht auf Stadt Halle“ als auch die Gruppe „Stein34 Bleibt“ sind mögliche Kontakte für Menschen, die Problemen in ihrem Mietverhältnis ausgesetzt sind.
Mittels gemeinsamer Organisierung und Vernetzung wollen die Aktivist*innen praktische Solidarität aufbauen und dem kapitalistischen Mietsystem etwas entgegensetzten. Nur wenn die Mietenden untereinander solidarisch sind, könne den Vermieter*innen und Immobilienspektulant*innen entschlossen entgegengetreten werden. 

Polizist*innen stehen vor der Steinstraße 34 (Bild: Dani Luiz)

Lautstark erreichten die Demonstrant*innen das Ende ihres Aufzuges durch die Stadt direkt vor der „Stein34“ und machten noch einmal auf die Situation der verbliebenen Mietparteien aufmerksam.
Eine Aktivistin und ehemalige Bewohnerin der Steinstraße 34 verdeutlichte gegenüber dem Transit Magazin: „Es ist an der Zeit, vermehrt das ungerechte Mietsystem in Halle aufzuzeigen und das kapitalistische System in Frage zu stellen, denn Mietkämpfe sind längst nicht mehr nur ein Problem von Hamburg, Berlin und München. Mietkämpfe müssen überall geführt werden, wo sich Vermietende auf dem Rücken der Mieter*innen bereichern. Die Häuser denen, die drin wohnen“.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.