Genug ist Genug

Demonstrationen gegen die aktuelle Krisenpolitik in Halle

von | veröffentlicht am 25.09 2022

Beitragsbild: Dani Luiz

Am 15. und 17. September fanden zwei Demonstrationen gegen die Krisenpolitik der amtierenden Bundesregierung und für soziale Gerechtigkeit statt. Die zwei neu gegründeten Bündnisse „Halle Zusammen!“ und „Genug ist Genug Halle“ hatten zum Protest aufgerufen.




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Am Abend des 15. Septembers versammelten sich etwa 150 Menschen auf dem Marktplatz. Sie folgten dem Aufruf des Bündnisses „Halle Zusammen!“, das Protestaktionen und selbstorganisierte Hilfemaßnahmen umsetzen will. Es war die erste Demonstration im Kontext der aktuellen sozialen Krise, die von einem linken Bündnis in Halle organisiert wurde.
Die Redner*innen übten scharfe Kritik am aktuellen Kurs der Regierung. Lautstark verliehen die Demonstrant*innen mit zahlreichen Parolen ihren Forderungen Nachdruck. 

Das Bündnis „Halle Zusammen!“ versammelte sich zur Demonstration auf dem Marktplatz (Foto: Dani Luiz)

Im Mittelpunkt der Demonstration stand die Forderung nach besseren Entlastungsmaßnahmen für Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen.
„Die von der Ampel-Koalition geplanten Maßnahmen richten sich nach den Steuerabgaben und sind so gestaffelt, dass hohe Einkommen wesentlich mehr direkte und indirekte Entlastung in Form von Zahlungen und Steuererleichterungen erhalten. Dabei droht besonders Menschen in den unteren Einkommensklassen eine weitere Verarmung“, so Mascha, eine Vertreterin des Bündnisses.
In der Tat ist besonders in Halle Armut ein ernstes Problem, denn die Stadt ist eine der Städte mit dem niedrigsten Pro-Kopf-Einkommen in ganz Deutschland und hat starke Armutsprobleme, die sich durch die aktuelle Situation noch verschlechtern werden. Beispielsweise leben rund ein Drittel der Kinder in Halle in ärmlichen Verhältnissen. Im April schlugen die AWO und die Tafel Alarm, dass der Trend hin zur Armut zunehme und die Organisationen an die Grenzen der Belastbarkeit gerieten.

Etwa 150 Teilnehmer*innen schlossen sich dem Protest an (Foto: Dani Luiz)

Die zweite Kernforderung des Bündnisses ist die Weiterführung des 9-Euro-Tickets, das in der Bevölkerung auf großen Zuspruch traf. Die Idee des 9-Euro-Tickets ist keine neue. Seit Jahren fordern Akteur*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung eine Reform des öffentlichen Personennahverkehrs, die weit über die kurzzeitige Maßnahme des 9-Euro-Tickets hinausgeht.

Die Klimagerechtigkeitsgruppe „Ende Gelände Halle“ weitete die Forderung der Weiterführung des Tickets aus und verlangte in ihrem Redebeitrag einen bundesweit kostenlosen Nahverkehr und einen Investitionsschub in die dafür benötigte Infrastruktur. Ohne die zusätzlichen Investitionen bliebe der kostenlose Nahverkehr zumindest für das Klima nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Nutzen eines kostenfreien Nahverkehrs geht außerdem weit über den Klimaschutz hinaus. Es gäbe keine Probleme mehr mit den unterschiedlichen Tarifzonen und verschiedenen Abonnements. Ende Gelände verdeutlichte dies mit einem lokalen Beispiel: Aktuell führt die HAVAG auf ihrer Internetseite 38 verschiedene Angebote für Fahrtickets, alle gelten zu unterschiedlichen Zeiten, für unterschiedliche Personengruppen, in unterschiedlichen Gebieten und zu unterschiedlichen Zeiten. 

„Kostenloser Nahverkehr aber bietet Menschen Zugang zu Freizeit, Kultur und Bewegung. Zum Wochenmarkt fahren, das nächste Stadtfest besuchen oder einen Ausflug in den Harz unternehmen. Kostenloser Nahverkehr kann Menschen, die sich vorher vielleicht keine Zugfahrt für 180€ pro Person leisten konnten, die Möglichkeit bieten, in den Urlaub zu fahren“, so Ende Gelände weiter.
Dem Staat würde ein kostenloser Nahverkehr jährlich 13 Milliarden Euro kosten, was beispielsweise mit einer Übergewinnsteuer finanziert werden könnte. „Die Koalition konnte 100 Milliarden für die Bundeswehr aus dem Ärmel schütteln. 100 Milliarden. Das sind fast 8 Jahre kostenloser Nahverkehr“, machten die Klimaaktivist*innen zum Abschluss ihrer Rede deutlich.

(Foto: Dani Luiz)

Neben der Weiterführung des 9-Euro-Tickets forderten die Demonstrant*innen das Ende der umstrittenen Gasumlage. „Die Verluste von Energiekonzernen dürfen nicht durch staatlich aufgezwungene Abgaben an die Verbraucher weitergegeben werden“, sagte Mascha. Sie seien nicht verantwortlich für das langjährige Versagen von Politik und Wirtschaft. Anstatt frühzeitig umzudenken hätten die Konzerne auf Risiko gesetzt, um große Gewinne einzufahren. „Wenn jetzt der Chef von Uniper sagt, man müsse jede gute Krise nutzen, wird nur eines klar: es findet erneut eine Umverteilung von unten nach oben statt. Wir fordern weg mit der Gasumlage und einen Ersatz durch eine Übergewinnsteuer, das Geld ist da. Außerdem muss ernsthaft über eine Verstaatlichung von Konzernen wie Uniper nachgedacht werden“, sagte Mascha weiter. Mittlerweile ist die Verstaatlichung von Uniper beschlossen, dazu stellte „Halle Zusammen“ auf Social Media klar:

„Uniper darf erst der Anfang sein. Gas, Wasser, Essen und Transport sollten vergesellschaftet und damit zum bezahlbaren Grundrecht erklärt werden, und zwar für alle!“

In einem Redebeitrag berichtete eine Person von ihren Sorgen um die nächsten Monate: „Ich bin heute hier, weil ich mittlerweile einfach nur noch wütend bin. Es heißt immer, wir sitzen alle im selben Boot und müssten alle jetzt gemeinsam durch eine schwere Zeit. Aber die Krise trifft uns nicht alle gleich. Wir sitzen nicht im selben Boot. Wir saßen auch noch nie im selben Boot.“
Die Wut und die Existenzängste, die die Person mit vielen Menschen in der aktuellen Situation teilt, kamen im Redebeitrag deutlich zum Ausdruck: „Schluss damit, dass die Regierung mit ihrer Klima- und Sozialpolitik das Leben von Millionen Menschen gefährdet. Schluss damit, dass schon wieder wir die Kosten der Krise bezahlen. Die Reichen müssen für diese Krise zahlen. Wir frieren nicht für eure Profite!“

Zusätzlich zu den Kernforderungen von „Halle Zusammen!“ forderte Jan vom ebenfalls neu gegründeten Bündnis „Genug ist Genug Halle“ einen Mietpreisstopp und ein Ende von Zwangsräumungen: „Mieten müssen bezahlbar sein!“. Die beiden Bündnisse unterstützten sich gegenseitig mit Redebeiträgen und gemeinsamer Mobilisierung. Ein Redner von „Halle Zusammen!“ beklagte jedoch am Samstag auf der Demonstration von „Genug ist Genug Halle“, dass nur wenige der Teilnehmer*innen vom Donnerstag gekommen seien.

300 Demonstrant*innen zogen mit dem Bündnis „Genug ist Genug Halle“ durch die Stadt (Foto: Dani Luiz)

Nichtsdestotrotz versammelten sich 300 Menschen auf dem Riebeckplatz, um mit dem Bündnis „Genug ist Genug Halle“ für soziale Gerechtigkeit zu demonstrieren. Zahlreiche Gewerkschafter*innen sowie Mitglieder verschiedener Gruppen, Organisationen und Initiativen fanden sich zusammen. Unter anderem nahmen ver.di, der DGB, die FAU, Die Linke, Fridays for Future Halle, der Walk of Care, die ver.di-Jugend, die IG Metall und das Bündnis „Halle Zusammen!“ am Protest teil. 

Direkt zu Beginn machten die Redner*innen deutlich, dass sich ihr sozialer Protest solidarisch mit den Menschen in der Ukraine zeige. Die Verurteilung des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sei eine notwendige Grundlage für solidarischen Protest.
Außerdem müsse sich dieser deutlich von rechtem Gedankengut, Verschwörungsideologien und Diskriminierung abgrenzen. Ein Redner des Bündnisses „Halle Zusammen!“ machte deutlich, dass unsolidarische Politik ihr Kapital aus der Verelendung schlage. Umso wichtiger sei es, dem gemeinsam einen solidarischen Protest entgegenzusetzen. „Dafür müssen wir mehr werden“, gestand der Redner ein. 

Zahlreiche Organisationen und Gruppen beteiligten sich am Protest (Foto: Dani Luiz)

Unter anderem Fridays for Future und Walk of Care Halle zeigten in ihren Redebeiträgen die Verbindungen von verschiedenen sozialen Themen auf. Klimaschutz müsse Hand in Hand mit sozialer Gerechtigkeit gehen, sonst sei er nutzlos. Auch in der Pflege und im Gesundheitswesen gebe es zahlreiche Parallelen zu anderen sozialen Themen. Seit Jahren werde das Gesundheitswesen zunehmend privatisiert, es komme zu Einsparungen und Pflege wird immer mehr zum Luxus. „Gute Pflege darf kein Luxus werden“, hieß es im Redebeitrag. Einige Male war auch die Parole „Streik in der Klinik, Streik in der Fabrik, das ist unsre Antwort auf eure Politik“ zu hören. 

Mehrere Gewerkschaften, darunter die Freie Arbeiter*innen Union (FAU), ver.di und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), unterstützen die Demonstration (Foto: Dani Luiz)

In ihrem Beitrag, kam die FAU auf das Vorgehen des Kapitals zu sprechen, organisierten Widerstand der Arbeitenden zu unterbinden. Rassismus etwa sei eine Praxis des Kapitals, die Solidarität im Kollegium zu untergraben, nationale Interessen vor die Interessen der Belegschaft zu stellen und letztlich Kolleg*innen gegeneinander auszuspielen. Politische Bündnisse, die sich an nationalen Grenzen orientierten und nicht dezidiert antirassistisch vorgingen, verträten daher letztlich die Interessen des Kapitals, nicht die der Angestellten, so die FAU. Die FAU forderte eine erhöhte Investition des Staates etwa in die Infrastruktur und soziale Bereiche. Gleichzeitig wurden auch die Arbeitenden aufgerufen, sich in ihren Betrieben mit ihren Kolleg*innen zusammenzutun, solidarische Basisgruppen zu bilden und notfalls „sich das Geld von den Chefs zu holen“, anstatt erst auf staatliche Maßnahmen zu warten.
Die Gewerkschaft ver.di betonte ebenfalls die Wichtigkeit gewerkschaftlicher Organisierung, um gemeinsam für die Rechte von Beschäftigten und für soziale Gerechtigkeit einstehen zu können.

Am Rand der Auftaktkundgebung auf dem Riebeckplatz provozierten zwei Neonazis. Sie gingen eine Gruppe Teilnehmer*innen verbal an und sprachen Morddrohungen gegenüber Journalist*innen aus. Nachdem die Demonstration die Leipziger Straße zum Leipziger Turm losgelaufen war, wurden die zwei Neonazis, die Szenecodes der extremen Rechten zur Schau stellten und einen Anstecker der NPD trugen, von der Polizei aufgehalten. Später folgten beide der Demonstration auf Abstand und riefen neonazistische Parolen. Sonst bliebt die Demonstration ruhig.

(Foto: Dani Luiz)

Auch wenn die Beteiligung relativ gering blieb, wurde mit diesen Demonstrationen ein Anfang gemacht. Weitere Proteste sollen folgen, die auch über die eigene Szene hinaus gehen. Für den 8. Oktober ruft das Bündnis „Genug ist Genug Halle“ zur nächsten Demonstration auf. Diese soll erneut um 13 Uhr auf dem Riebeckplatz starten. Außerdem wollen die Aktivist*innen selbst soziale Hilfsmaßnahmen organisieren, um Menschen direkt und solidarisch helfen zu können. 

Dani Luiz

…ist Teil der Transit Redaktion und dokumentiert unter anderem Protestgeschehen in Halle.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.