„Der eine besitzt das, was dem anderen ein Grundbedürfnis ist.“

Bericht über die Demonstration „Vermieten verbieten – Wohnraum für Alle“

von | veröffentlicht am 05.05 2022

Beitragsbild: Dani Luiz

Vergangenen Samstag, den 30.04.2022, fand eine Demonstration mit dem Titel „Vermieten verbieten – Wohnraum für Alle“ statt. Diese war als ein Stadtrundgang konzipiert und stoppte an verschiedenen von Verdrängung und Gentrifizierung betroffenen Orten. Auslöser der Demonstration war vor allem die von Entmietung und Verdrängung betroffene Stein34 , aber auch andere Häuser und Projekte, die sich in ähnlichen Situationen befanden bzw. befinden wurden erwähnt.




diesen Beitrag teilen

Wohnen im Kapitalismus?

In ihrem Aufruf schreiben die Organisator*innen, dass gegen „Mietsteigerung, Entmietung, eine verfehlte Abrisspolitik und Luxussanierungen in Halle und überall“ demonstriert werden würde. Mieter*innen und kulturell genutzte Orte seien „von der Willkür von Eigentümer*innen abhängig“. Gefordert wird neben einem Mietenstopp auch die „Rückführung von privatem in kommunales Wohneigentum und Mitbestimmung durch die Mieter*innen selbst“.

Auf der Veranstaltung waren etwa 200 Menschen anwesend. Der Demonstrationszug wurde von Anfang an durch ein relativ hohes Polizeiaufgebot begleitet. Start war 14 Uhr am August-Bebel-Platz. In der Eröffnungsrede wurde angeführt, dass das Mietsystem von Ungleichheit geprägt wäre. Ziel der Demonstration sei es daher, zum Nachdenken darüber anzuregen, was Wohnen im Kapitalismus bedeute. Wieso gehören die Wohnung nicht den Menschen, die darin wohnen, fragte eine*r der Redner*innen zu Beginn der Kundgebung Auch die Situation des Wohnungsmarktes in Halle wurde kritisiert. Gentrifizierung sowie Mieten würden steigen, wogegen Menschen und Projekte verdrängt werden würden.

Der erste inhaltliche Redebeitrag wurde von der Interventionistischen Linken Halle gehalten. In ihm wurde die Wichtigkeit der Organisierung von Mieter*innen untereinander als politische Lösung für soziale Probleme betont. Eingegangen wurde auch auf die Rolle von halleschen Wohnungsgenossenschaften bei der Mietpreissteigerung in der Stadt. Als Beispiel wurde der Paulus-Wohnpark im Paulusviertel erwähnt, dessen Miteigentümer die HWG, eine städtische Wohnungsgenossenschaft ist. Dort lag der veranschlagte Mietpreis 2015 bei 8,5 €/m2. Zum Vergleich: der durchschnittliche Mietpreis in Halle lag im gleichen Jahr noch bei 5,88€/m². Zudem würde die Stadt gezielt Künstler*innen in ihre Wohnungspolitik einspannen, um Viertel aufzuwerten und Gentrifizierung so voranzutreiben. So sei dies auch in Freiimfelde geschehen (zu den Hintergründen der Freiraumgalerie in Freiimfelde hat Transit bereits diesen Artikel veröffentlicht).

Als zweiter Beitrag folgte eine Rede des Offenen Antifa Plenums Halle (OAP). Gesprochen wurde darin über den August-Bebel-Platz als umkämpften Raum – Verdrängung habe neben Entmietung auch weitere Gesichter. Der Bebel-Platz sei für viele Jugendliche ein wichtiger Treffpunkt in Halle. Doch diese würden u.a. durch häufige Polizeipräsenz verdrängt.

Als letzten Beitrag auf dem Bebel-Platz wurde eine „Küchentischreportage“ vorgespielt. Darin berichtete eine WG, die ehemals in der Ludwig-Wucherer-Straße 69 wohnte, wie sie aus ihrem Zuhause verdrängt wurde. Fälschlicherweise seien ihnen seitens der Vermietung Mietschulden unterstellt wurden, auf die eine fristlose Kündigung erfolgte. Nachdem klar war, dass es keine Mietschulden gegeben habe, wäre ihnen dann ein neues Vertragsangebot seitens der Vermieter*innen zugegangen, jedoch mit einer Kaltmietpreissteigerung von 30%. Später habe die WG dann festgestellt, dass auch noch andere Mieter*innen im Haus betroffen waren. Sie betonten daher die Wichtigkeit gegenseitigen Austausches sowie gemeinsamer Organisierung. Zudem sei es bedeutsam, die eigenen Rechte zu kennen.

 

 

Einige Häuser und Projekte sind betroffen

Über die Ludwig-Wucherer-Straße setzte sich der Demonstrationszug mit Lautsprecherwagen und verschiedenen Transparenten weiter fort. Am Reileck wurde auf Höhe des ehemaligen Gravo-Druck gestoppt. Das Gelände wurde vom bundesweit agierenden Immobilieninvestor uNORSK Deutschland AG erworben. 150 Millionen Euro sollen investiert werden.

Nach einem Redebeitrag der Reideburger Straße 5 und dem Agieren des Immobilienmaklers und -verwalters „Isi Home“, welcher auch am sogenannten Bauprojekt „LuWu FIFTYNINE – Loft-Wohnungen“ in der Ludwig-Wucherer-Straße 59 beteiligt ist, folgte eine Rede der Reilstraße 48. Die Redner*innen berichteten von einer Kündigung mit dem Kündigungsgrund der „wirtschaftlichen Verwertung“. Die Mieter*innen hätten diese jedoch nicht akzeptiert und seien auch nicht ausgezogen, woraufhin schließlich eine Räumungsklage erfolgte. Der aus Baden-Württemberg stammende Eigentümer habe zudem versucht, die Bewohnenden mit einer Entmietungsstrategie aus dem Haus zu drängen: So soll u.a. infolge von Bauarbeiten die Decke über einem Kinderzimmer durchgebrochen und die Gasversorgung abgestellt worden sein. Schließlich sei auch dieser Fall vor Gericht gebracht worden. Dieses urteilte, dass der Mietvertrag nicht einfach so kündbar sei. Der Prozess wurde von den Mieter*innen folglich gewonnen. Verdrängung habe nicht nur zur Folge, dass das eigene Zuhause aufgegeben werde müsse. Auch die Suche nach neuem und bezahlbarem Wohnraumstelle ein Problem insbesondere für Familien dar, so die Redner*innen. Diese gaben zudem eine Reihe von Tipps. Betroffene sollten zuerst dem Mieter*innenbund beitreten, denn eine Rechtsschutzversicherung greife erst nach drei Monaten. Am besten solle man nicht gleich angeben, dass es ein Problem gibt. Zudem sei Austausch mit anderen Betroffenen wichtig. Auch ein Ziel solle man formulieren: will man eine Abfindung erreichen, im Haus wohnen bleiben oder den Fall möglichst öffentlich behandeln? So oder so sei ein Kampf um den eigenen Wohnraum sehr kräftezehrend

 

„Der Kampf geht weiter“

Dies berichteten auch die Redner*innen des nachfolgenden Beitrages über das Schiefe Haus, welches sich in der Breiten Straße 28, dem nächsten Stopp der Demonstration, befindet oder vielmehr befand. Am Tag der Demonstration (30.04.2022) sollten die Bewohner*innen des Schiefen Hauses offiziell ausziehen. Das Schiefe Haus sei ein Ort für Vieles gewesen, so die Redner*innen: Wohnort, aber auch ein Ort für Veranstaltungen, wie Konzerte, Bandproben oder Kunstprojekte. Ende 2018 kam dann jedoch der Eigentümer*innenwechsel. Der neue Eigentümer – Wohnprojekte Herold – habe sich geweigert, die kaputte Heizungsanlage zu reparieren. Dies sei der Ursprung des Konfliktes gewesen, der schließlich in einer Entmietungsstrategie seitens der Vermietung mündete. Wasser sei abgestellt wurden, ebenso wäre der Wechsel von Hauptmieter*innen einfach verweigert und willkürliche Rechnungen gestellt wurden. Auf eine 300%ige Mieterhöhung folgte schließlich die Kündigung wegen Eigenbedarf: die Töchter der Eigentümer*innen sollten angeblich in das Hausziehen wollen. Den ehemaligen Bewohner*innen des Schiefen Hauses sei jedoch inzwischen bekannt, dass mindestens eine der beiden Töchter inzwischen in einer anderen Wohnung wohnen würde. Der Fall ging schließlich vor das Amtsgericht, welches entschied, dass die Eigenbedarfskündigung keinen Bestand hatte. Im Zuge einer Revision vor dem Landgericht wurde zwischen Wohnprojekte Herold und den Mieter*innen des Schiefen Hauses schließlich eine Einigung erzielt: sie sollen nun gegen eine Abfindung ausziehen. Die Redner*innen begründeten ihre Entscheidung mit dem hohen Druck, dem sie sich ausgesetzt sahen. Es habe sich „wie ein nie endender Konflikt“ angefühlt. Weiterhin wurde auf den besonderen Charakter von Mietkonflikten hingewiesen: der Wohnraum sei der Ausgangspunkt, von dem jeglicher Aktivismus ausgehen würde. Wenn die Wohnung bedroht werde, dann fräße sich dies bis in den Alltag und das Zusammenwohnen hinein. Diese ständige Präsenz und der ständige Druck würden Anlass zum Hinterfragen von Mietverhältnissen im Allgemeinen geben: „Der eine besitzt das, was dem anderen ein Grundbedürfnis ist“, so eine*r der Redner*innen. Zwar soll das Mietrecht Willkür verhindern, jedoch seien Prozesse oft auch ein Mittel seitens der Vermieter*innen, die Bewohnenden rauszubekommen, da diese meist langwierig und kostspielig sind. Der juristische Weg habe dennoch etwas Positives: die Problemlage würde dadurch besser wahrgenommen und Erfahrung an andere Betroffene weitergegeben werden. Besonders wichtig sei zudem eine Unterstützung der Betroffenen von außen. Laut den Redner*innen wäre hierfür eine dauerhafte Unterstützungsstruktur am besten. Nach dem Redebeitrag wurde im Zuge einer kurzen Performance das Haus „zu Grabe getragen“: eine Person spielte Klavier, während ein Kranz sowie ein Banner u.a. mit der Aufschrift „Unvergessen, unverzeihlich. Der Kampf geht weiter“ aus einem der Fenster gelassen wurden.

Es folgten eine Rede gegen Eigenbedarfskündigung sowie ein Beitrag zum ehemaligen Kulturprojekt Hasi (Hafenstraße 7). Beide Redebeiträge betonten erneut die Wichtigkeit gemeinsamer Organisierung und die solidarische Unterstützung von Betroffenen. Durch gemeinsame Mieter*innenaktivitäten „kann kollektive Ohnmacht zu einer gemeinsamen Macht werden“, heißt es in dem Beitrag gegen Eigenbedarfskündigungen. Das Haus in der Hafenstraße stand 13 Jahre leer, ehe es besetzt wurde. Nun stehe das Objekt, welches der HWG gehöre, seit dem Auszug aus der Hasi wieder leer und würde weiter verfallen.

 

Situation der Stein34

Von dem Schiefen Haus aus ging es weiter über die Geist- und die Große Steinstraße zur Stein34 – dem Haus, welches aktuell von Entmietung und Kündigungen betroffen ist. Zunächst berichteten Redner*innen der Stein34-bleibt-Soligruppe, dass den Gewerbeeinheiten im Erdgeschoss des Hauses bereits gekündigt wurde. Da privaten Mieter*innen jedoch nicht so einfach gekündigt werden könne, würde der neue Eigentümer der Stein34 eine klassische Entmietungsstrategie fahren: Bauarbeiten hätten ohne Ankündigung begonnen, Schutt würde einfach aus dem Fenster und ohne Absicherung in den Innenhof geschüttet. Die Klingel sei einfach abmontiert und das Wasser ohne Vorankündigung zeitweise abgestellt worden. Laut den Redner*innen sind in Halle gerade einige Häuser von einer ähnlichen Situation betroffen.

Auch der Anwalt der Stein34 kam zu Wort. Die Bauarbeiten seien nicht ordnungsgemäß angekündigt worden, weshalb die Bewohner*innen diese legal aufhalten dürften. Auch hier sei ggf. Unterstützung notwendig.

 

 

Die letzte Station der Demonstration war das Steintor. Hier wurde ein Grußwort der Hermannstraße 48 (H48) vorgespielt, eine Mieter*innengemeinschaft aus Berlin-Neukölln, die aufgrund eines Eigentümerwechsels ebenfalls von Verdrängung bedroht ist.

Als letztes sprach eine Person der neu gegründeten Recht-auf-Stadt-Gruppe. Diese versprach, dass eine solche Veranstaltung nicht zum letzten Mal stattfinden würde. Viele Personen und Häuser seien von Verdrängung betroffen, jedoch organisiere man sich weiter und setze sich zur Wehr.

Am 3. Mai fand zudem um 10:30 eine Gerichtsverhandlung zur Stein34 vor dem Amtsgericht Halle (Thüringer Straße 16) statt. Es wurde zu einer Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude aufgerufen, die laut den Veranstalter*innen gut besucht war.

Die Unterstützer*innengruppe der Stein34 und weitere Aktive sowie von Entmietung betroffene Personen sind unter stein34bleibt@riseup.net erreichbar.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.