All Corners Are Beautiful

Gegen die erhöhte Polizeipräsenz in Halle

von | veröffentlicht am 10.04 2024

Beitragsbild: Ende Gelände Halle

In Halle ist seit gut einem Jahr eine stark erhöhte Polizeipräsenz spürbar. Das hängt vor allem mit dem halleschen Diskurs um Jugendkriminalität zusammen. Dabei müsste eigentlich klar sein: Die Polizei ist nie ein Teil der Lösung, sondern immer ein Teil des Problems. Das gilt für Halle wie auch überall sonst.




diesen Beitrag teilen

Überall Polizei - nirgendwo Gerechtigkeit

Deutschland hat ein Polizeiproblem – das ist soweit nichts Neues. In der gesamten
Organisationsgeschichte der Polizei reiht sich „Einzelfall“ an „Einzelfall“. Kein Jahr vergeht, ohne dass Menschen durch rassistische oder ableistische Polizeigewalt getötet werden. Kein Jahr vergeht, ohne dass neue rechtsextreme Strukturen innerhalb der Polizei aufgedeckt werden. Kein Jahr vergeht, ohne dass es brutale Hausdurchsuchungen, Polizeigewalt und Repressionen gegen linke Menschen & Gruppen gibt.

Parallel dazu erleben wir einen immer stärker werdenden gesellschaftlichen Rechtsruck und die damit verbundene (stille) Akzeptanz und Mehrheitsfähigkeit rechter Positionen. Dies geht mit einer immer stärkeren Eskalation staatlicher Repression einher. Ob die Budapest-Prozesse, Hausdurchsuchungen wegen Demoteilnahmen oder einer absolut aufgebauschten Jagd auf drei
ehemalige RAF-Mitglieder – die Polizei tut alles, um linke Bewegungen einzuschüchtern und mit Repressionen zu überhäufen. Währenddessen werden die deutschlandweit rund 1000 untergetauchten Rechtsextremist*innen vollkommen ignoriert, und falls es doch mal eine Razzia bei Faschos gibt, werden diese natürlich
von ihren Kameraden bei der Polizei gewarnt.
Hier zeigt sich, wen die Polizei schützt und wen nicht. Für BIPoC (Black, Indigenous, People of Colour) fehlt somit nicht nur der Schutz vor Faschos, sondern die Repressionsbehörden selbst werden zur Gefahr für Leib und Leben. Das zeigen Hanau, Dessau, Mannheim und eine nahezu endlose Liste an „Einzelfällen“. Polizeigewalt findet alltäglich statt und bleibt meist folgenlos: So gibt es jährlich mindestens 12.000 mutmaßlich rechtswidrige Übergriffe durch Polizeibeamt*innen – und damit fünfmal mehr als angezeigt.
Dass die Polizei in den letzten Jahren wieder sehr stark aufrüstet, um marginalisierte Gruppen und linke Bewegungen mit Repressionen und Angst zu überhäufen, zeigt sich nicht nur an Projekten wie der Kotti-Wache in Berlin oder der Polizeiwache auf der Eisenbahnstraße in Leipzig. Auch in Halle ist die Polizeipräsenz in dem letzten Jahr massiv erhöht worden. Grund dafür ist der seit Jahren geführte Diskurs um Jugendkriminalität in Halle.

Ende Gelände Halle

…ist eine Klimagerechtigkeitsgruppe aus Halle und arbeitet deshalb nicht primär zu Polizei und stadtpolitischen Diskursen. Dennoch sehen sie die Notwendigkeit, den in der Stadt Halle unhinterfragten Narrativen um die Sinnhaftigkeit einer hohen Polizeipräsenz und den rassistischen Erzählungen um das Thema der Jugendkriminalität zu widersprechen.

Der Artikel schneidet viele Dinge nur oberflächlich an und dient eher als Diskussionsgrundlage. Die Aktivist*innen wollen anregen, linke und emanzipatorische Gegennarrative zu entwickeln und der Polizeihörigkeit in dieser Stadt entgegenzuwirken.

Die rassistischen Diskurse um die hallesche Jugendkriminalität

Seit einigen Jahren herrscht in Halle ein aufgeregter Diskurs um Jugendkriminalität. Dieser Diskurs ist seitens der Stadt und deren Exekutivorgane meist von rassistischen Narrativen geprägt. So wird bei der Berichterstattung rund um Jugendkriminalität stets die Herkunft der Jugendlichen erwähnt, während alle anderen Aspekte nicht ansatzweise erwähnt werden. Das hat wiederum zur Folge, dass besonders rassifizierte Menschen im Fokus der Ermittlungsbehörden stehen.
Auch hier findet eine Kriminalisierung statt, die unter dem Vorwand der öffentlichen Sicherheit nichts anderes ist, als das Verbreiten rassistischer Narrative und dem Ausleben des rechten Weltbilds der Polizeibeamt*innen.

Diese Diskurse stoßen auch in der Halleschen Medienlandschaft auf Resonanz:
So führt beispielsweise die Iokale Nachrichtenplattform „Du bist Halle“ einen eigenen Reiter zum Thema „Jugendkriminalität“ – auf der Startseite mit vorderster Priorität. Dies verdeutlicht das öffentliche Interesse, das unhinterfragt und scheinbar sachorientiert in den Nachrichtenfeeds gefüttert wird.

Repression kann keine Antwort sein

Resultierend daraus hat die Stadt ein „Präventionskonzept“ erarbeitet, welches vor allem aus staatlicher Repression durch die Polizei besteht. Konkret bedeutet das eine massiv erhöhte Polizeipräsenz auf den Straßen von Halle. Im Mittelpunkt dieser „Strategie“ steht die sogenannte Ermittlungsgruppe (EG) Cornern. Die Tätigkeit dieser Ermittlungsgruppe ist genauso absurd, wie es sich anhört. Denn eine der zentralen Aufgabe der EG Cornern ist es, mit „erhöhter Präsenz“ an Jugendtreffpunkten zugegen zu sein. Der Name und die Tätigkeit der EG Cornern zeigen genau eins: Der erklärte Feind ist die Freizeitgestaltung (von vor allem Jugendlichen) im öffentlichen Raum.

Entgegen der oft erzählten Legende von mehr Sicherheit durch die Polizei trägt diese Präsenz allerdings eher zu gegenteiligen Entwicklungen bei. Menschen fühlen sich durch schlechte Erfahrungen und Angst vor dem rassistischen Polizeiapparat oft nur noch mehr verunsichert und werden aus dem öffentlichen Raum verdrängt.

Polizei raus aus den Schulen!

Die massiv gesteigerte Polizeipräsenz in Halle bedeutet nicht „nur“, dass mehr Cops Streife fahren.
Es gehört mittlerweile zum normalen Bild in Halle, dass Polizeiautos vor Schulen stehen und vermehrt Zivilpolizist*innen eingesetzt werden, um „im Ernstfall
vor Ort zu sein“. Zusätzlich „überwachen [sie] Schulwege [und] kontrollieren bekannte Jugendtreffs“. Inwiefern die Einschüchterung von Schüler*innen dabei helfen soll, zur oft beschworenen Sicherheit beizutragen, ist mehr als fraglich. Generell handelt es sich bei der erhöhten Präsenz von Polizei in Halle meistens
keinesfalls um reguläre Streifencops. Vielmehr fahren die Cops aus der 4. und 2.
Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei Streife und gehören fest zum Konzept zur „Bekämpfung der Jugendkriminalität“. Dass Bereitschaftspolizist*innen nicht gerade Profis beim Thema Deeskalation sind, ist wahrscheinlich kein Geheimnis. Das „deeskalative“ Mittel der Wahl ist da meistens Einschüchterung, grobe Gewalt und der Knüppel.

Natürlich hat auch die Stadt Halle erkannt, dass sich Jugendkriminalität nicht nur mit
Einschüchterung durch Cops bekämpfen lässt. Auch die Rolle von Prävention wurde erkannt. Darum gehört zum Plan zur Bekämpfung der Jugendkriminalität auch ein Präventionskonzept. Dieses besteht daraus, dass Schulungen und Ansprechmöglichkeiten an Schulen angeboten werden. Diese Schulungen und die Ansprechmöglichkeiten werden durchgeführt und organisiert durch…die Polizei
und die EG Cornern.
Unter’m Strich setzt die Stadt Halle also vor allem auf eins: Cops, Cops und nochmehr Cops.
Echte Jugendarbeit oder strukturelle Ansätze kommen dabei meistens viel zu kurz,
kritisiert auch Sozialwissenschaftler Goldenbaum. Anstatt strukturelle Probleme
anzugehen wird ein Sicherheitsdiskurs geschürt, der Ausbau des Sicherheitsapparats legitimiert, ohne echte Abhilfe – und nicht nur steigende Fallzahlen und Repressionen – zu schaffen.

"EG Cornern" zerschlagen!

Staatliche Repression und erhöhte Polizeipräsenz lösen kein einziges Problem. Das gilt in Halle und weltweit. Darum gilt es, dem rassistischen Diskurs um Jugendkriminalität und den vermeintlichen Lösungen der Polizei in Halle etwas entgegenzusetzen. Statt hoher Polizeipräsenz und Verdrängung
aus dem öffentlichen Raum brauchen wir echte Lösungen. Das bedeutet, Probleme strukturell zu bekämpfen, anstatt die Auswirkungen mit Repressionen zu unterbinden. Doch stattdessen sorgen soziale Segregation und fehlende Jugendangebote erst für die Ursachen der viel diskutierten Jugendkriminalität. Wenn in Halle-Neustadt 3 von 4 Kindern unterhalb der Armutsgrenze leben, wird
auch noch so viel Polizeipräsenz nichts daran ändern, dass immer mehr Kinder und Jugendliche in die Kriminalität abrutschen. Im Gegenteil wird Kindern und Jugendlichen durch permanente Beobachtung durch die Polizei bereits vermittelt, dass sie als potenziell kriminell gelten.

Halle braucht weder die EG Cornern, noch erhöhte Polizeipräsenz und Polizei an den Schulen. Halle braucht vernünftige Angebote für Jugendliche und eine stärkere soziale Durchmischung. Sicherheit kommt nicht durch die Polizei. Sie kommt durch ein respektvolles Miteinander und durch Orte, an denen sich Menschen wohlfühlen (z.B. durch ausreichende Beleuchtung oder vernünftiger Toiletteninfrastruktur). Darum: EG Cornern zerschlagen!

Abolish the Police - Für eine Welt ohne Polizei

Doch mit einer Auflösung der EG Cornern und einem Rückfahren der Polizeipräsenz ist es nicht getan. Denn ein gutes Leben für alle bedeutet auch, die Polizei gänzlich abzuschaffen und durch andere Formen des kollektiven Miteinanders zu ersetzen. Denn die Organisationsgeschichte der Polizei zeigt vor allem eins: Keine Reform ändert etwas an den bestehenden Problemen.

Die Polizei, wie wir sie kennen, ist eine strukturell rassistische und autoritäre Organisation. Dies ergibt sich aus den historischen Ursprüngen der Polizei sowie deren hierarchischer Organisationsstruktur. Die Vorgänger der modernen Polizei sind die US-amerikanischen „slave patrols“. Diese patroullierenden Weißen hatten die Aufgabe, auf der Flucht befindliche Sklaven einzufangen, zu bestrafen oder zu töten. Daraus ergibt sich die zentrale Aufgabe der Polizei, welche noch heute gilt. Sie ist dem Schutz von Eigentum und Nationalstaat verpflichtet und aus ihrer
Struktur heraus rassistisch organisiert.

Dies kann und konnte keine Reform der Polizei ändern. Daher ist die einzig sinnvolle Forderung die nach einer Abschaffung der Polizei. Diese Forderung und die damit verbundene Bewegung des Abolitionismus gehen aus der US-amerikanischen Black-Power-Bewegung hervor. Im Abolitionismus geht es nicht nur um die Abschaffung von Polizei und Gefängnissen, sondern auch um ein Ausbrechen aus neoliberalen und kapitalistischen Denkmustern und dem Schaffen einer emanzipatorischen Gesellschaft, die in kollektive Aushandlungsprozesse tritt, statt strafende Institutionen und Repressionsorgane aufrechtzuerhalten.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.