Freiraumaktivismus: Reflexion eines ‘trendy Buzzwords’

Interview Teil1: Die kritische Reflektion der praktischen Umsetzung als Ausgangspunkt für die Ausrufung von Freiräumen

von | veröffentlicht am 13.06 2018

Beitragsbild: per.spectre

Im ersten Teil unseres Interviews über Freiräume in Halle spricht David Koch über die Unterschiede zwischen Hasi und Freiraumgalerie und das Fortbestehen von Ausgrenzungsmechanismen in linken Projekten.




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Transit: Wir haben in den vergangenen Monaten „Freiräume“ zu einem Thema im Transit-Magazin gemacht. Es erschien uns wichtig, insbesondere der „Hasi“ viel Aufmerksamkeit zu widmen und aus solidarischer Perspektive über die Vorgänge rund um das Projekt zu berichten. Auch anderen Konzepten wie der „Freiraumgalerie“ haben wir Artikel gewidmet. Gleichzeitig haben wir auch versucht, die Kritik an den Vorstellungen, was denn so ein „Freiraum“ sei, mit einzubeziehen. Welche Rolle spielen deiner Meinung nach  Freiräume“ für ein urbanes selbstbestimmtes Leben?

Koch: Es handelt sich im Kontext von Freiraumgalerie (FRG) und Hasi um zwei unterschiedliche Freiraumbegriffe.

Auf der einen Seite steht der Begriff des Freiraums in der linken Szene, dem die Hasi nahesteht. Linke Projekte, meist Häuser oder Wagenplätze, werden von AktivistInnen damit als lebenswerte Alternativen zu einer als repressiv verstandenen Gesamtgesellschaft gesetzt. Damit ist der Versuch verbunden Räume zu schaffen, in denen Formen sozialer Ungleichheit und Diskriminierung abwesend oder zumindest weniger bedeutsam sind. Man verspricht Raum zu bieten für Menschen und Aktivitäten, die außerhalb solcher Freiräume marginalisiert wären.


Auch wenn im aktivistischen Spektrum häufig suggeriert wird, dass die etablierten Räume offen zugänglich für allerlei soziale Gruppen sind: Linke Freiräume sind von einer Vielzahl an Ausschlüssen gekennzeichnet.


 

Transit: Das ist die Behauptung, aber was ist die Praxis?

Koch: In der Praxis gelingt das nur bedingt und linke Freiräume fügen sich in die (stadt)gesellschaftlichen Verhältnisse insofern harmonisch ein, als auch sie die Interessen bestimmter Gruppierungen bedienen, während sie jene anderer ausschließen. Auch wenn im aktivistischen Spektrum häufig suggeriert wird, dass die etablierten Räume offen zugänglich für allerlei soziale Gruppen sind: Linke Freiräume sind von einer Vielzahl an Ausschlüssen gekennzeichnet, werden von Formen sozialer Ungleichheiten durchdrungen.  Entlang sozialer Strukturkategorien, wie beispielsweise Klasse, Ethnie, Geschlecht, Behinderung, Alter, Nationalität, Religiosität und sexuelle Orientierung, werden auch in linken Freiräumen Menschen strukturell und unmittelbar exkludiert oder benachteiligt.

Zum Interviewpartner

David Koch hat Sozialwissenschaften studiert und arbeitet zu sozialen Ungleichheiten in städtischen Räumen.

Ausschlussmechanismen in Freiräumen

Transit: Das sind ja Probleme, mit denen sich auch viele Leute, die sich in “„Freiräumen“ bewegen, durchaus beschäftigen. Warum bleiben Ausschlussmechanismen trotzdem bestehen?

Koch: Ohne Zweifel sind linke Räume bedeutsame Ressourcen zur Organisation von zivilgesellschaftichem Aktivismus sowie zur Konstitution einer linken Szene und der ihr nahestehenden Jugendkulturen in einer Stadt. Linke Freiräume befördern bestimmte Formen von Kunst, Aktivismus und tragen zur Anregung gesellschaftlicher Debatte bei. Durch ihren jugendkulturellen Fokus scheinen sie gerade unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Auseinandersetzung mit Formen sozialer Ungleichheit zu befördern, und zum Engagement gegen diese Ungleichheiten aufzurufen. Das macht linke Freiräume aber nicht zu Inseln der Egalität in einer von Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten durchzogenen Gesellschaft. Nicht umsonst gibt es heftige innerlinke Diskussionen schon mindestens seit den 1980er Jahren, in denen die Diskrepanz von Utopie und Praxis thematisiert wird.


Linke Freiräume befördern bestimmte Formen von Kunst, Aktivismus und tragen zur Anregung gesellschaftlicher Debatte bei.


Die Fortschreibung sozialer Ungleichheit ergibt sich schon aus dem Umstand, dass linke Freiräume sich nicht außerhalb grundlegender Dynamiken sozialer Organisation bewegen: Eine bestimmte soziale Ordnung, geprägt durch bestimmte Normen, Werte, Überzeugungen, Ästhetiken, Rechtsvorstellungen, Praktiken, Rituale usw., will von einer Gruppe von Personen in einem Raum durchgesetzt werden. Da dieser Raum eine begrenzte Ressource bildet, muss der Zugang zu dieser Ressource reguliert und institutionalisiert werden, um die gewünschte Ordnung zu etablieren und stabilisieren. Linke Freiräume sind so gesehen unausweichlich widersprüchlich, weil Freiräume einerseits frei von Ungleichheiten und konzeptuell offen sein sollen, andererseits aber die Umsetzung des mehr oder weniger normierten Konzepts “Freiraum” über geschlossene Gruppen realisiert wird. Der Zugang zur Raumressource wird über hierarchisierte soziale Netzwerke organisiert, der offensichtlichste Ausdruck dessen ist die Existenz von Organisationseliten in linken Projekten, an denen man nicht vorbeikommt, wenn man etwas umsetzen möchte. Auch in sogenannten Freiräumen formieren sich Prozesse der Machtbildung, wie sie bspw. Heinrich Popitz (1963) beschrieben hat.

Linke Freiräume stehen außerdem nicht ‚außerhalb‘ der Gesellschaft, sondern sind Teil dieser. Für die Mitwirkung und Inanspruchnahme von Ressourcen in linken Räumen werden diverse Ressourcen vorrausgesetzt, die gesamtgesellschaftlich ungleich verteilt sind und dadurch strukturelle Ausschlüsse zur Folge haben, die in gesamtgesellschaftlichen Formen sozialer Ungleichheit begründet sind. Um in linken Freiräumen Mitspracherecht zu erlangen ist bspw. insbesondere Zeit notwendig, die nicht jeder in gleichem Maße zur Verfügung hat.

Sich widerstreitende Freiraumkonzepte (Symbolbild; © Nic Relton/Flickr | CC-BY-NC 2.0).

Der jugendkulturelle Fokus, die symbolischen Abgrenzungen vom Lebensstil privilegierter Klassen sowie die Party-Politik- und Kneipen-Kultur, prägend für viele Projekte der linken Szene, verursachen ebenfalls charakteristische Ausschlüsse von Personengruppen. In Verbindung mit der ‘gepflegten Schmuddeligkeit’ und latenten Chaotik von Szeneräumen wird so zum Beispiel das Fernbleiben von Erwachsenen mit Kindern begünstigt, was implizit den jugendkulturellen Charakter vieler linker Räume aufrechterhält, der schwer mit Elternschaft vereinbar ist. In einem besonderen Maße betrifft dies Frauen, die sich in fortschreibend tradierten Geschlechterverhältnissen in der linken Szene häufiger für reproduktive Tätigkeiten wie Kinderbetreuung in der Verantwortung sehen, und damit tendentiell weniger Freizeit für Aktivismus und Szenepartizipation zur Verfügung haben als in tradierte Rollen sozialisierte Männer. Ohne Zweifel haben sich teilweise in einigen Kontexten egalitärere Geschlechterverhältnisse etabliert und Kindern wird in einigen Projekten aktiv Raum eingeräumt. Insgesamt sind in linken Räumen aber gerade in Hinsicht auf Geschlecht ähnliche Dynamiken sozialer Ungleichheiten zu beobachten, wie in anderen Teilen der Gesellschaft.


In Verbindung mit der ‘gepflegten Schmuddeligkeit’ und latenten Chaotik von Szeneräumen wird so zum Beispiel das Fernbleiben von Erwachsenen mit Kindern begünstigt, was implizit den jugendkulturellen Charakter vieler linker Räume aufrechterhält, der schwer mit Elternschaft vereinbar ist.


 

Transit: Also würdest du sagen, es gibt Freiräume im wortwörtlichen Sinne gar nicht?

Koch: Freiräume existieren nicht im idealtypischen Sinne einer Abwesenheit sozialer Ungleichheiten. In der Praxis sind Freiräume Räume, in denen bestimmte Lebensstile ermöglicht werden, die man im linkspolitischen Spektrum für erstrebenswert hält und die tradiert, in Szenen kristallisiert sind. Linke Freiräume als essentielle Ressourcen zur Reproduktion dieser Lebensstile sind so gesehen normiert und von charakteristischen sozialen Ungleichheiten geprägt, die sich aus dem angestrebten Lebensstil im weiteren gesellschaftlichen Kontext ergeben. Allein aus diesem Grund sind linke Räume in Deutschland städteübergreifend relativ klar identifizierbar, schon auf ästhetischer Ebene, aber auch in dem, was dort typischerweise getan wird und wer sich dort einbringt (und implizit: was dort nicht getan wird und wer dort abwesend ist). Innerhalb linker Freiräumen etablieren sich zudem diverse soziale Netzwerke, Subszenen und Gruppierungen, die wiederrum durch unterschiedliche Interessen, Machtverhältnisse und Ungleichheitsrelationen charakterisiert sind. Linke Freiräume sind oft selbst umkämpfte Räume in denen abweichende Vorstellungen sozialer Ordnung miteinander konkurrieren und manchmal zu Spaltungen führen. Empfehlen kann ich zum Thema linke Freiräume die Dissertation von Tatiana Golova (2011), die dazu in Berlin geforscht hat.

 

Sollte man den Begriff des “Freiraums” überhaupt verwenden?

Koch: Man sollte in seiner Anwendung vorsichtiger sein und ihn nicht instrumentalisieren, um den eigenen Aktivismus zu schmeicheln oder zu überhöhen. Der “Freiraum” scheint in den letzten Jahren zu einem trendy Buzzword aufgestiegen zu sein. Am Ende sollte die kritische Reflektion der praktischen Umsetzung Ausgangspunkt für die Ausrufung von Freiräumen bilden.

Die Unschärfe des Freiraum-Begriffes am Beispiel der Freiraumgalerie

Transit: Kommen wir mal zur Freiraumgalerie. Mit was für einem Freiraumbegriff haben wir es hier zu tun?

Koch: Der “Freiraums” der FRG hat mit dem linken Freiraumbegriff konzeptionell wenig gemein. Stattdessen ist hier der Bezug vermutlich der “Freiraum” aus Landschafts- und Stadtplanung, der einen durch die Öffentlichkeit nutzbaren Raum in einer Stadt bezeichnet, dem durch staatliche/städtische Institutionen keine spezifische Nutzungsabsicht zugesprochen wird. Hier steckt entsprechend kein expliziter Bezug sozialen Ungleichheiten dahinter, außerhalb der vage formulierten Intention, ein Stadtareal mit hohem Immobilienleerstand für Bewohner*innen zugänglich und gestaltbar zu machen. Interessant ist aber, dass die Freiraumgalerie durchaus mit dem Freiraumdiskurs der linken Szene assoziiert wird.

 

Transit: Hälst Du diese Assoziation für irreführend?

Koch: Die Idee der Freiraumgalerie, BewohnerInnen die künstlerische Entfaltung im öffentlichen Raum zu ermöglichen und ästhetisch ansprechendere Stadtlandschaften durch Fassengestaltung zu schaffen, finde ich sehr sympathisch. Allerdings scheint mir in der Umsetzung eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Praxis vorzuliegen. Meines Erachtens wird die FRG dem suggerierten Anspruch, den Stadtraum zum gestalterischen Freiraum für Bewohner*innen zu machen, nur sehr begrenzt gerecht. Die FRG ist ein geplantes Kunstprojekt, bei dem der Großteil der zur Gestaltung freigegebenen Flächen von den Organisator*innen an professionelle Künstler*innen vermittelt wurde. Laien und Bewohner*innen haben nur geringfügig aktiv an der ästhetischen Gestaltung mitwirken können. Nichts bringt dies deutlicher zum Ausdruck, als die gigantischen Werke etablierter Künstler*innen im Verhältnis zu den winzigen Flächen zu betrachten, die für die Öffentlichkeit zur Gestaltung freigegeben wurden.

Ein bisschen Schmuddel ist nicht nur negativ für das Image einer Stadt (© Transit).

Die FRG positioniert sich zudem nicht für eine positive Neubewertung von unreguliertem Graffiti, Street Art und anderen Formen urbaner Kunst, denen ich zusprechen würde, sich potentiell ästhetischen Regimes in kommerzialisierten Stadträumen zu widersetzen und selbstbestimmte gestalterische Freiräume zu eröffnen. Stattdessen etabliert die FRG geplante Kunst, die sich von unregulierten Varianten wilder Graffiti und Street-Art abgrenzt und diese sogar einzudämmen bereit ist. Dies ist vermutlich eine Vorraussetzung dafür, dass Stadtregierung und Immobilienbesitzer*innen überhaupt ihre Zustimmung erteilten, werden unregulierte Graffiti doch ungebrochen mit ökonomischer Wertminderung von Immobilien, infrastrukturellem Verfall und sozialen Problemen assoziiert (“Broken Windows Theory”) .

 

Transit: Was meinst du mit “geplanter Kunst”?

Koch: Die FRG platziert eine ganz bestimmte Ästhetik und Interpretation von Urban Art im öffentlichen Raum, die sich einem gewissen ästhetischen Programm und einer inhaltlichen ‘Harmlosigkeit’ unterordnet, wie man sie auch in anderen Open-Air-Urban-Art-Gallerien beobachten kann. Diese Werke sehen an vielen Orten der Welt ähnlich aus, sie entsprechen einer international etablierten Ästhetik, einem Trend akzeptabler Graffiti und Street-Art, den Künstler*innen wie Banksy und Shepard Fairey bekannt gemacht haben (Schacter 2014). Unbequeme, politische, kontroverse, abstoßend-hässliche und im Allgemeinen ökonomische Werte mindernde Kunst hat dort keinen Platz. Die FRG eröffnet meines Erachtens somit eher keinen neuen Freiraum künstlerischen Ausdrucks in sozialer und ästhetischer Hinsicht.

 

Das Interview wurde im März/ April 2018 geführt. In den kommenden Tagen erscheint der zweite Teil. Unter anderem wird es um Freiräume als Standortfaktor, die Rolle von Beteiligungsverfahren bei der Umstrukturierung von Stadtteilen und emanzipatorische Perspektiven abseits der Verwertungslogik gehen.

 

Quellen:

Golova, Tatiana (2011): Räume kollektiver Identität: Raumproduktion in der ‘linken Szene’ in Berlin, Bielefeld.

Popitz, Heinrich (1963): Prozesse der Machtbildung, Tübingen.

Schacter, Rafael (2014): The ugly truth: Street Art Graffiti and the Creative City, In: Art & The Public Sphere 2/3, 161-176.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.