„Es geht darum, was man überhaupt noch sagen darf“

Vierter Prozesstag und Urteil gegen Björn Höcke vor dem Landgericht Halle

von | veröffentlicht am 15.07 2024

Beitragsbild: Dani Luiz

Am 14.05.2024 begann um 09.00 Uhr der vierte Prozesstag gegen Björn Höcke. Vorgeworfen wird ihm die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen nach §§ 86, 86a StGB. Höcke verwendete die verbotene Losung „Alles für Deutschland“ in einer Wahlkampfrede in Merseburg am 29.05.2021.




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Dieser Artikel ist Teil einer Serie an Berichten über das Verfahren gegen B. Höcke vor dem LG Halle und behandelt den vierten und damit letzten Verhandlungstag. Der erste, zweite und dritte Bericht sind bereits online abrufbar.

Neben den protokollarischen Berichten über den Inhalt der Verhandlung wird nach Abschluss des Verfahrens eine abschließende Analyse folgen.

Am heutigen Tag wurden die offengebliebenen Anträge besprochen, die Verteidigung überraschte mit einem spontanen Zeugen, die Beweisaufnahme wurde geschlossen, die Staatsanwaltschaft und Verteidigung hielten ihre Plädoyers, es folgten die letzten Worte des Angeklagten und schließlich die Urteilsverkündung.

Nächster Videomarathon

Das Gericht hat dem Antrag der Staatsanwaltschaft stattgegeben, dass die Aufnahme der Gera-Rede in Augenschein genommen wird. Hier hatte die Verteidigung einen eklatanten Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot  vorgeworfen. Doch das Gericht folgte der Auffassung, dass unabhängig von einer erneuten Strafbarkeit das gezeigte Verhalten als Indiz für strafverschärfendes Verhalten in Augenschein genommen werden kann.

Andere Anträge der Staatsanwaltschaft, die auf die Gesinnung Höcke hindeuten sollten, wurden allerdings abgelehnt, da hier u.a. aufgrund der großen Zeitspanne von bis zu elf Jahren keine Relevanz für den derzeitigen Gegenstand des Gerichtsverfahrens gesehen wurde. Der Austausch zwischen Höcke und Musk auf „X“ (ehm. Twitter) wurde aber unter der Maßgabe der Einführung im Selbstleseverfahren stattgegeben.

Nach einer Verhandlungsunterbrechung wurde die Gera-Rede und das TV-Duell in Augenschein genommen.

Verzögerungstaktik: Spontanzeuge

Danach wandte die Verteidigung eine weitere Verzögerungstaktik an und stellte einen Beweisantrag, dass ein von ihnen ausgewählte r Sachverständige angehört werden müsste. Dieser würde darlegen, dass es  sich bei der verbotenen Losung gar nicht um eine verbotene Losung handeln würde und sei rein zufällig auch vor Ort.

Auf die Nachfrage des Vorsitzenden Richters, weshalb dieser Beweisantrag jetzt erst angebracht wurde, entgegnete die Verteidigung, Sie seien die ganze Zeit davon ausgegangen, dass das Gericht den objektiven Straftatbestand ebenfalls bezweifeln würde.

Ein kleiner Exkurs: Eine Straftat teilt sich grundsätzlich in objektiven und subjektiven Tatbestand auf. Der relevante objektive Tatbestand der §§ 86, 86a StGB besteht in der Verbreitung und Verwendung von Propagandamittel, die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen. Für die objektive Strafbarkeit ist es dabei irrelevant, ob die Öffentlichkeit die Bedeutung des Propagandamittel geläufig ist. Der subjektive Tatbestand stellt hier den Vorsatz dar, also das wissen und wollen bzgl. der Verbreitung und Verwendung solcher Propagandamittel.

Das OLG Hamm stellte schon 2006 fest, dass die SA-Parole objektiv unter §§ 86, 86a StGB fällt.

Das Gericht gab den Beweisantrag statt, allerdings soll der von der Verteidigung ausgewählte Sachverständige lediglich als (sachverständiger-) Zeuge verhört werden. Der Grund: für einen Sachverständigen bedarf es einer behördlichen Anordnung. Eine solche konnte die Verteidigung nicht vorzeigen.

Der Zeuge begann auf die Fragen nicht zu antworten und schaffte es auch nicht – wie verlangt – frei zu reden, sondern las zunächst von seinem Zettel ab. Er schwadronierte über einen angeblich fehlenden unmittelbaren und bedingungslosen Zusammenhang zwischen der Losung und der NS. Dieser Akt dauerte von 11.50 Uhr bis 14. 30 Uhr. Danach wurde die Beweisaufnahme endlich beendet.

Kein Respekt für die Justiz und keine Aussicht auf Änderung

Nach einer Pause begannen  sodann die Plädoyers. Die Staatsanwaltschaft bejahte die Strafbarkeit und stellte darauf ab, dass es sich entgegen der Beteuerungen der Verteidigung um eine verbotene Losung handeln würde. Dies wurde schon mehrfach gerichtlich festgestellt. Eine mögliche anderweitige Verwendung sei rechtlich irrelevant.

Auch konnte Höcke nicht überzeugend seine Unkenntnis über das Verbot der Losung darlegen. Zur Untermauerung gab die Staatsanwaltschaft weitere Reden von Höcke an, bei denen er rechte Rhetorik verwendete. Höcke verfügt über einen fundierten NS-Wortschatz, was die Staatsanwaltschaft als „Täterwissen“ hervorhob. Auch habe es in der Vergangenheit immer wieder Berichterstattungen über ähnlich gelagerte Fälle mit anderen AfD- Politiker*innen gegeben. Dass Höcke hiervon nichts mitbekommen haben soll, sei mehr als lebensfern. Hier wurde der Fall Oehme nochmals hervorgehoben.

Auch die Nachahmerquote wurde herangezogen. So stiegen die Verfahren bzgl. der verbotenen Losung stetig an, seit  Höcke medienwirksam hierfür vor Gericht steht. Auch wenn die Verteidigung versuchte, hierfür der Presse und der Staatsanwaltschaft die Schuld zu geben, sind sie nicht verantwortlich dafür, dass Höcke sich strafbarer Parolen bedient, sondern es ist deren Aufgabe diese rechtlich und medial aufzuarbeiten.

Seine Rede zeigt entgegen seiner Behauptung, dass er nicht den geringsten Respekt für die Justiz hat und die verbotene Losung weiterhin nutzen will.

Deshalb fordert die StA eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten, zur Vollstreckung über zwei Jahre auf Bewährung ausgesetzt, sowie eine Zahlung von 10.000 Euro an eine gemeinnützige Organisation, beispielhaft eine Holocaust-Gedenkstätte  oder ein Aussteigerprogramm von Rechtsextremismus.

„Es geht darum, was man überhaupt noch sagen darf“

Der erste Verteidiger spielte in seinem Plädoyer die Karte der Meinungsfreiheit aus. Zudem sei Höcke als „Teufel aus einer „Woken“-Ideologie“ vorverurteilt worden. Außerdem sei das Gericht und die Berichterstattung der sogenannten etablierten Medien selbst an der Nachahmerquote schuldig.

Im zweiten Plädoyer wurde die (angebliche) Unbedeutendheit der verbotenen Losung zum Tatzeitpunkt hervorgehoben. Die Verwendung der verbotenen Losung sei auch nicht so gravierend, da Höcke diese bei einer unbedeutenden Rede an einem unbedeutenden Ort ausgeführt habe. Auch in diesem Plädoyer wurde dem Gericht die Schuld für die Nachahmerquote zugeschoben.

Im dritten Plädoyer wurde noch einmal die objektive Strafbarkeit der verbotenen Losung angezweifelt. Das Merkmal der verbotenen Losung sei nur eine „Erfindung des OLG Hamm“. Allgemein müsse man doch die Verfassungsmäßigkeit des § 86a StGB anzweifeln. Zum Schluss wurde auch hier wieder die Meinungsfreiheit herangeführt, wobei eine Bestrafung ein Anzeichen für einen totalitären Staat sei.

Höcke inszenierte sich in seinem letzten Wort als Opfer der Justiz. Er sei vorverurteilt worden und die Medien  hätten  einzig „Höckebashing“ betrieben. Höcke ist dann von der eigentlichen Sache abgewichen und hat die EU-Politik angegriffen, woraufhin der vorsitzende Richter ihn darauf hinwies, dass das hier keine Wahlkampfrede sei.

Zum Schluss beteuerte Höcke nochmals von nichts gewusst zu haben und bat um einen Freispruch.

Keine Freiheitsstrafe, aber auch kein Freispruch

Das Gericht entschied, dass eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen á 130€ zu begleichen sind.
Hierbei hielt das Gericht fest, dass Lehre und Gericht eins gemeinsam haben: die Sprache. Hierfür muss eine entsprechende Verantwortung getragen werden.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.