Freiraumaktivismus: „Man muss sich selbstkritisch fragen: Wer profitiert von der Intervention und wer nicht?“

Über die Problematik fehlender grundlegender emanzipatorischer Elemente in Freiraumprojekten

von | veröffentlicht am 15.06 2018

Beitragsbild: Transit

Im zweiten Teil unseres Interviews über Freiräume in Halle spricht David Koch über Freiräume als Standortfaktoren, die Rolle von Beteiligungsverfahren bei der Umstrukturierung von Stadtteilen und emanzipatorische Perspektiven abseits der Verwertungslogik.




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Transit: Gibt es Unterschiede zwischen verschiedenen Formen von Freiräumen im Hinblick auf ihre Wirkung im sozialen Umfeld der Stadt? Die Freiraumgalerie (FRG) bekommt von der Stadt Halle die Möglichkeit direkt Einfluss auf den Raum zu nehmen, z. B. ein „bürgerschaftliches Quartierskonzept Freiimfelde“ zu erstellen und damit auch lenkend zu wirken. Die Hasi dagegen kämpft ums Überleben. Der Stadtrat konnte sich nicht durchringen, das Projekt bei der Sicherung seiner Zukunft zu unterstützen.

Koch: Hasi und FRG wollen sehr unterschiedliche Projekte etablieren, entsprechend unterschiedlich ist das Verhältnis zur Stadtregierung und -gesellschaft.

Zunächst ist es notwendig, den Kontext zu verstehen, in dem die Förderung von solcherart kulturellen und künstlerischen Projekten für Städte überhaupt attraktiv und denkbar wird. Mit dem Niedergang der industriekapitalistischen Produktion wurden nicht wenige Städte in der westlichen Welt vor die Herausforderung ökonomischer Umstrukturierung gestellt. Im nationalen und globalen kapitalistischen Wettbewerb streben heute viele dieser Städte danach, sich wirtschaftlich neu aufzustellen, um profitabler am Marktgeschehen mitwirken zu können. Dienstleistungs-, Wissens- und sogenannter Kreativsektor sind in diesem Zusammenhang ökonomische Zugpferde, auf die nun vielfach gesetzt wird, und Städte suchen nach effektiven Wegen, um diese wirtschaftlichen Bereiche anzusiedeln.

Ein besonders einflussreiches, eingängiges, populärwissenschaftliches Konzept zur Förderung der sogenannten Kreativwirtschaft hat der US-amerikanische Autor Richard Florida (2002) unter dem Namen “Creative City” bekannt gemacht. Floridas Idee ist: Arbeiter*innen der Kreativindustrie, die laut Florida eine “Creative Class” formieren, pflegten einen bestimmten Lebensstil: flippig, hip, liberal, innovativ, tolerant, weltoffen, umweltbewusst, partyaffin, kosmopolitisch, an (alternativer) Kunst interessiert u.a.. Städte müssten eine Umgebung schaffen, in der sich die “Creative Class” wohlfühlt, und in der Folge würden sich Kreativarbeiter*innen und damit eine Kreativindustrie ansiedeln. Der Weg aus der ökonomischen Misere unter den globalen ökonomischen Bedingungen ist nach diesem Modell also in der soziokulturellen Umgestaltung von Stadtteilen zu sehen, um diese in einem post-industriellen Zusammenhang ökonomisch profitabel verwertbar zu machen. Projekte, die mit alternativer Kultur und Kreativität assoziiert werden, werden im Kontext des “Creative City”-Konzeptes gewissermaßen als Standortfaktoren begriffen. Kunst und Kreativität erhalten eine betont ökonomische Bedeutung, die Relevanz kultureller und künstlerische Projekte für das gesellschaftliche Leben scheint in diesem Diskurs zweitrangig von Bedeutung zu sein.


Der Weg aus der ökonomischen Misere unter den globalen ökonomischen Bedingungen ist nach diesem Modell also in der soziokulturellen Umgestaltung von Stadtteilen zu sehen, um diese in einem post-industriellen Zusammenhang ökonomisch profitabel verwertbar zu machen.


Eine verbreitete Kritik am “Creative City”-Konzept ist, dass eine profitorientierte Stadtpolitik dieser Art dazu tendiert marginalisierte Klassen zu benachteiligen und Gentrifizierungsprozesse zu befördern, weil Produktions- und Konsumtionssphären sowie kulturelle Angebote auf die Interessen privilegierter Klassen ausgerichtet werden (Fraser 2004). Die Utopie der stereotypen ‚Creative City‘ ist eben gerade nicht die einer Arbeiter*Innenstadt, sondern die einer von jungen, ‚kreativen‘, ‚innovativen‘ und produktiven Privilegierten dominierten Stadt, wo Ateliers und Gallerien Autowerkstätten ersetzen, Industriehallen zu Lofts und Imbissbuden zu Bio-Fast-Food-Läden umgewandelt werden, angesagte Bars und Clubs muffige Eckkneipen ablösen, und eben nicht mehr körperlich schwer oder sogar in der Fabrik geackert, sondern in luftigen Co-Workingspaces mit Latte in der Hand und Macbook auf dem Schoß am aktuellen Projekt geschraubt wird. Die Teilhabe marginalisierter Klassen wird in Utopien zur ‚Creative City‘ meist nicht mitgedacht, und zwar weder ökonomisch noch kulturell, und entsprechende Tendenzen zur Verdrängung scheint ihre Schaffung entfalten zu können. Die blumige Fassade von Buzz- und Fuzzwords, mit der die ‚Creative City‘ weltweit von Unterstützer*innen eingekleidet wird, gibt den Blick auf diese ambivalenten Aspekte jedoch nicht leichtfertig frei.

Sharon Zukin (2011) hat sozioökonomischen Dynamiken für sich zu ‘Kreativstadtteilen’ wandelnden Arbeiter*innenstadtteilen bereits seit den 1980er Jahren an Beispielen wie Soho in New York aufgezeigt. Sie argumentiert, dass die profitable Verwertung des Raumes in ‘Kreativstadteilen’ einerseits durch Marketingpraktiken initiiert würde, die dem Raum symbolisch einen höheren Wert vermitteln und ihn attraktiv für Investments machen sollen (insbesondere auf dem Immobilienmarkt), und andererseits durch die Ausrichtung von (demonstrativen) Konsummöglichkeiten auf Lebensstil und Geschmack von Mittelklassen, um diese als Konsument*Innen in die Stadtteile zu führen. Kunst- und Kulturunternehmer*Innen spielten laut Zukin eine zentrale Rolle zur Einleitung dieses Prozesses, weil sie im bourdieuschen Sinne oft zwar wenig ökonomisches Kapital aufweisen, was sie in marginalisierte Stadtteile führt, auf der anderen Seite aber soziales und kulturelles Kapital der Mittelklassen besitzen. Aus dieser ‘Brückenposition’ heraus würden sie marginalisierte Stadtteile für ökonomisch privilegiertere Teile der Bevölkerung zugänglich, attraktiv machen und einen Akkumulationsprozess einleiten, der ökonomisch Marginalisierte und Arbeiter*innen, aber auch prekäre Kunst- und Kulturschaffende langfristig verdrängt. Für von Deindustrialisierung gezeichnete Regionen wäre auf Grundlage dieser These zu diskutieren, inwiefern das “Creative City”-Konzept dazu in der Lage ist, aus Deindustrialisierung resultierende Prekarität zu reduzieren, oder inwiefern soziöokonomische Ungleichheiten vorangetrieben und im Stadtraum polarisiert werden. Provokant würde ich die Frage in den Raum werfen, inwiefern man von provozierter oder sogar geplanter Gentrifizierung über die Förderung von Kultur- und Kreativwirtschaft sprechen kann, wenn sie in marginalisierten Arealen erfolgt.

Zum Interviewpartner

David Koch hat Sozialwissenschaften studiert und arbeitet zu sozialen Ungleichheiten in städtischen Räumen.

Freiräume als Standortfaktoren

Transit: Freiraumgalerie und Hasi können also als wirtschaftliche Standortfaktoren gedacht werden?

Koch: Durchaus, aber Hasi und FRG positionieren sich zur Standortfrage unterschiedlich. Die FRG bedient offensiv das Narrativ der “Creative City” (Busse 2011: 53). Sie fungiert in diesem Sinne insbesondere als Image- oder Brandingkampagne, die dem Stadtteil ein cooles, kreatives, urbanes und innovatives Image verschaffen soll, auch um einen soziokulturellen, ökonomisch profitablen Transformationsprozess vom ‘Problemstadtteil’ zum ‘Kreativstadtteil’ anzustoßen. Dies spiegelt sich deutlich im medialen Diskurs, so spricht die MZ von “Freiimfelde in Halle Ost: Der Traum vom Künstlerviertel”, das unter Studierenden und KünstlerInnen “im Kommen” sei, und verweist im selben Atemzug auf in diesem Bestreben erlangte Millioneninvestitionen (Falgowski 2016).

 

Und die Hasi?

Koch: Auch linke Projekte können sozioökonomische Prozesse dieser Art befördern, obwohl sie sich stadtpolitischen Bestrebungen zur ökonomischen Verwertung von Raum und Gentrifizierungsprozessen eigentlich entgegenstellen wollen. Linke Aktivist*innen geben sich auch mit abbruchreifen Immobilien zufrieden, halten sie instand und organisieren unter minimalstem Einsatz öffentlicher Fördermittel und unter prekären Bedingungen ein kulturelles Programm, das dem ‚hippen, edgy Flavour‘ eines Stadtteils durchaus zuträglich sein kann. Für Städte scheint es unter bestimmten Bedingungen denkbar zu sein, solchen Projekten grünes Licht zu erteilen, weil sie zu einer Atmosphäre beizutragen, von der man sich ein “kreatives Klima” verspricht. Die kritische Distanzierung von staatlichen Institutionen und das Do-It-Yourself-Paradigma der linken Freiraumbewegung können dabei übrigens durchaus mit neoliberalen Ansätzen zur Stadtentwicklung harmonieren, die auf einen schlanken, sparsamen Staat und eine aktive Bürger*innschaft abzielen, die quasi-öffentliche Projekte selbstständig unternehmerisch organisiert.


Linke Aktivist*innen geben sich auch mit abbruchreifen Immobilien zufrieden, halten sie instand und organisieren unter minimalstem Einsatz öffentlicher Fördermittel und unter prekären Bedingungen ein kulturelles Programm, das dem ‚hippen, edgy Flavour‘ eines Stadtteils durchaus zuträglich sein kann.


 

Transit: Ein Image-Gewinn für Städte ist also durch die Duldung linker Freiraumprojekte unter Umständen möglich. Aber könnte man dann nicht sagen: „Ok, das nehmen wir in Kauf. Aber im lokalen Raum wirken wir trotzdem in emanzipatorischer Weise und das ist wichtiger, weil es um konkrete Veränderungen geht?“

Koch: Es läuft vermutlich auf die bekannte Frage hinaus, ob und wie ein richtiges Leben im Falschen möglich ist, und inwieweit ambivalente und unerwünschte Effekte des Aktivismus akzeptabel sind. Nicht in stadtgesellschaftliche Verhältnisse verwickelt zu werden ist unmöglich, diese hinzunehmen fahrlässig. In Hinsicht auf den “Creative City”-Trend sollte die linke Freiraumbewegung durchaus aufpassen, dass sie sich nicht instrumentalisieren lässt.

Obwohl sich linke Aktivist*innen über Selbstinszenierung, Symbole, szenespezifische Praktiken, Thematisierung sozialer Ungleichheiten und Gestaltung der Szeneräume symbolisch in die Nähe ökonomisch Marginalisierter rücken, sind sie zu hohem Anteil Angehörige der Mittelklassen, also Bohemians. Auch der Anteil von MigrantInnen und nicht-weißen Deutschen in linken Freiraumprojekten ist häufig sehr gering, obwohl paradoxerweise eine lautstarke Ausrufung rassismusfreier Räume erfolgt. Linke Räume mit diesen charakteristischen Ausschlüssen in marginalisierten Stadtteilen zu etablieren kann deshalb der Verdrängung marginalisierter Klassen und rassistisch diskriminierter Gruppen zuarbeiten, da deren Interessen selten in linken Projekte bedient werden. Hingegen machen linke Projekte Stadtteile attraktiver für Teile der weißdeutschen Mittelklassen, die sich dort wiederfinden. Als ‚Urbane Pioniere‘ können auch sie den Boden bereiten für fortschreitende Prozesse der Gentrifizierung. Die Eisenbahnstraße in Leipzig ist derzeit vielleicht eines der bekanntesten Beispiele für die Gleichzeitigkeit von ‘Aufwertungsbestrebungen’ von Stadtregierung und wirtschaftlichen Akteuren sowie der Etablierung linker Räume in einem (noch) marginalisierten Stadtteil.

Freiräume können Städte angenehmer machen – auch für Investor_innen.

Transit: Die Hasi scheint nun aber gerade kein Standortfaktor für die Stadt zu sein.

Koch: Die Hasi im Speziellen steht vor einer anderen Herausforderung, denn es handelt sich um ein Grundstück in toller Lage und gerade nicht um ein marginalisiertes Stadtareal. Der alte Hafen und Industriestandort wandelt sich zum privilegierten Wohngebiet. Ein Projekt wie die Hasi ist dort aus Sicht von Investor*innen vermutlich eher wertmindernd, zumindestens störend: In diesem Kontext ist es für die Hasi schwierig, sich als einen ‚positiven Standortfaktor‘ auszugeben. An FRG und Hasi zeigt sich übrigens auch: alternativkulturelle low-budget Projekte sind vorwiegend in marginalisierten Stadtteilen möglich. Sind Gentrifizierungsprozesse bis zu einem gewissen Grad durchlaufen, verschwinden low-budget Projekte und machen Platz für ökonomisch lukrativere Zwecke. Dies bildet einen typischen Ablauf von Gentrifizierung. Wenn ‚Alternative Projekte‘ den Boden für Gentrifizierungsprozesse bereiten, werden sie irgendwann selbst verdrängt, oder fügen sich der fortschreitenden Kommerzialisierung des Stadtraums durch Immobilienkauf oder Wandlung zum Unternehmen.


Alternativkulturelle low-budget Projekte sind vorwiegend in marginalisierten Stadtteilen möglich. Sind Gentrifizierungsprozesse bis zu einem gewissen Grad durchlaufen, verschwinden low-budget Projekte und machen Platz für ökonomisch lukrativere Zwecke.


 

Transit: Siehst du noch andere Gründe warum Hasi und Freiraumgalerie von der Stadt unterschiedlich behandelt werden?

Koch: Schließlich kann eine Hausbesetzung gegenüber der Stadtgesellschaft nur eine sehr wackelige Legitimation geltend machen, was zu entsprechend hitzig geführten Auseinandersetzungen über Recht und Unrecht der Aneignung führt. Die linksalternative Szene bildet ja nicht die einzige Gruppierung in der Stadtgesellschaft, die einen Bedarf an Räumen hat. Die OrganisatorInnen der FRG haben hingegen eine kooperative Beziehung zur Stadt etabliert, was durch den Charakter des Projektes begünstigt wird. Die FRG fordert keine dauerhaften Ressourcen ein, sondern das gesamte Projekt war reversibel, event-orientiert und konnte jederzeit für andere Entwicklungen Platz machen, und im Allgemeinen trägt es sicherlich nicht die aus Perspektive einiger Bevölkerungsgruppen unbequemen Begleiterscheinungen eines Projektes mit Verbindungen zur linken Szene, das sich kritisch-provokant gegenüber Stadtregierung und Stadtgesellschaft positioniert, und die etablierten Spielregeln zur legalen Aneignung von Räumen herausfordert. Die FRG bedient hingegen Motive der Stadt, wie ein Streben nach ökonomischer Profitabilität oder ‚Befriedung‘ von ’sozialen Brennpunkten‘ und ordnet ihren Aktivismus weitestgehend den formalen Anforderungen stadtpolitischer Interventionen unter. Mittlerweile arbeitet die FRG für die Stadt Halle als Planungsbüro in anderen Stadtteilen, wie Halle-Neustadt.

Transit: Du hast das Thema der demokratischen Legitimation angesprochen. Ohne jetzt auf die ganze Debatte einzugehen – da haben wir in der Vergangenheit schon Artikel gehabt – bietet es sich an, auf die Rolle der „bürgerschaftlichen Beteiligung”  einzugehen. Wie schätzt du das ein? Danilo Halle von der Freiraumgalerie sprach im Transit-Interview davon, dass die Inhalte des Quartierskonzeptes von der Bevölkerung in verschiedenen Beteiligungsformaten selbst erstellt worden seien, dass es einen „hohen Grad an Partizipation“ gegeben habe.

Koch: Realisiert wurde die FRG in einem Modus, der etablierten Beteiligungsverfahren für Planungsprozesse nahesteht. Eine von der Stadtregierung legitimierte Gruppe von Professionellen initiiert und leitet den Prozess, dessen Ziel eine irgendwie geartete Veränderung der lokalen (sozialen und materiell-räumlichen) Verhältnisse ist, und Anwohner*innen werden zu vereinzelten Veranstaltungen eingeladen, um sie an Entscheidungen in diesem Prozess zu ‚beteiligen‘. Dort sollen die lokalen Laien, die am Ende von umgesetzten Maßnahmen direkt betroffen sind, Einblick in den weiteren Verlauf bekommen, Ideen einbringen, Anregungen zum Prozess liefern und Kritik üben.

 

Was heisst „Partizipation“ überhaupt in der Stadtentwicklung?

Koch: Das Konzept der Bürgerbeteiligung hat sich seit den 2000er Jahren insbesondere auf Kommunenebene etabliert, mit dem Ziel, eine stärkere Einbindung der Bevölkerung in politische Entscheidungen und eine bessere Legitimation des Regierungshandelns zu erreichen.

In der praktischen Umsetzung werden Beteiligungsverfahren mit komplexen Herausforderungen zur praktischen Einbindung von Laien konfrontiert. Bereits der vage Begriff der ‚Beteiligung‘ macht deutlich, dass es sich nicht um Zusammenarbeit zwischen Gleichberechtigten handelt und handeln kann. Dazu tragen unvermeidbare Hierarchien zwischen Professionellen und Laien in diesem Prozess bei, maßgebliche Arbeiten werden von leitenden Professionellen zudem abseits der Beteiligungs-Events und damit abseits der Öffentlichkeit getätigt. Einflussnahme auf Entscheidungsprozesse ist teilnehmenden Laien daher oft nur in eng gesteckten Grenzen möglich. Im schlechtesten Fall können Laien praktisch keinen Einfluss geltend machen und werden nur informiert. Ein solches Verfahren erlangt seinen Wert vorwiegend aus seinem Legitimationspotential gegenüber der Öffentlichkeit. Im besten Fall werden Interessen von Beteiligten konsequent berücksichtigt und umgesetzt. Zwischen diesen beiden Polen gibt es in der Praxis zahlreiche Zwischenstufen.


Bereits der vage Begriff der ‚Beteiligung‘ macht deutlich, dass es sich nicht um Zusammenarbeit zwischen Gleichberechtigten handelt und handeln kann.


Grundsätzlich stellt sich für Beteiligungsverfahren das Problem, welche Bevölkerungsgruppen in solchen Verfahren mitwirken und welche Interessen damit überhaupt zur Geltung kommen können. Unterschiedliche Bevölkerungsgruppen haben unterschiedliche Interessen, es gibt keine Projekte, die alle Interessen gleichberechtigt bedienen könnten. Dies ist umso mehr zu berücksichtigen, weil die Anzahl der Laien, denen Mitwirkung in Beteiligungsverfahren gestattet wird, oft sehr gering ist, was oftmals auch in Fragen der praktischen Umsetzung begründet ist. Zur ernsthaften Umsetzung aufrichtiger Beteiligungsverfahren sind also komplexe Herausforderungen zu lösen.

 

Transit: Gilt das dann auch für die Freiraumgalerie und Halle-Ost?

Koch: Für die Betrachtung des Beteiligungsverfahrens der FRG kann ich mich nur auf die online veröffentlichten Berichte zum Projektablauf beziehen, an dessen praktischer Umsetzung ich nicht mitgewirkt habe. 2014 wurden im Rahmen der FRG einmalig 20 Personen beteiligt (Busse 2015: 23), im Jahr 2015 für die Erstellung des Quartierskonzeptes im Rahmen von 6 Veranstaltungen 15 bis 35 Besucher*innen (Busse/Halle/Treihse 2017: 23). Nach Angaben der Stadt Halle lebten 2016 etwa 3000 Personen im Stadtteil Freiimfelde/Kanenaer Weg (Stadt Halle (Saale) 2017). Nur ein sehr geringer Anteil der BewohnerInnen des Stadtteils scheint sich also in die Beteiligungsverfahren der FRG eingebracht zu haben. Es bleibt weitestgehend intransparent, aus welchen Bevölkerungsgruppen die Beteiligten sich zusammensetzten, welche Teile der Bewohner*innenschaft möglicherweise unterrepräsentiert, vom Prozess abwesend waren oder sich bewusst gegen Mitwirkung entschieden. Die von der FRG durchgeführten Umfragen, die Meinungen der Bevölkerung zum Projekt evaluieren sollten, können diese Aspekte leider kaum erhellen, da sie fernab wissenschaftlicher Methodenstandards für solche Erhebungen durchgeführt wurden. Die FRG erscheint mir zumindest nicht plausibel als von Lokalen oder ‘der Nachbarschaft’ getragenes Projekt, das durch ein innovatives, umfassendes Beteiligungskonzept geprägt ist. Sondern es zeigen sich auch bei der FRG charakteristische Schwächen etablierter Beteiligungsverfahren.


Die FRG erscheint mir zumindest nicht plausibel als von Lokalen oder ‘der Nachbarschaft’ getragenes Projekt, das durch ein innovatives, umfassendes Beteiligungskonzept geprägt ist. Sondern es zeigen sich auch bei der FRG charakteristische Schwächen etablierter Beteiligungsverfahren.


 

Transit: Du hast zuvor auf das Gentrifizierungspotential von Kreativstadtteilen verwiesen. Spielt das auch in Halle-Ost eine Rolle?

Koch: In Hinsicht auf die FRG ist bereits an anderen Stellen die Kritik vorgebracht worden, dass das Projekt langfristig Gentrifizierungsprozesse provozieren und damit problematische Folgen für die ökonomisch marginalisierten BewohnerInnen haben könnte. Ein sich möglicherweise anbahnender Gentrifizierungsprozess, durch abnehmenden Immobilienleerstand und steigende Mieten nach Start des Kunstprojektes, ist von Mitarbeiter*innen der FRG wiederholt attestiert worden (Peter 2018; Voss 2016). Initiator Hendryk von Busse thematisiert die potentielle Beförderung von Gentrifizierungsprozessen durch die FRG bereits in seiner Diplomarbeit und zeichnet dort zwei aus seiner Sicht denkbare Szenarien für die weitere Entwicklung von Freiimfelde nach Start des Kunstprojektes. Im ersten Szenario hat die Freiraumgalerie keine soziale und ökonomische Transformation des Stadtareals angeregt, sondern allein zur ästhetischen Ausgestaltung des Areals beigetragen (von Busse 2011: 107). Im zweiten Szenario hat die Freiraumgalerie einen Gentrifzierungsprozess initiiert, der eine Dekade nach dem Start bereits so weit fortgeschritten ist, dass die KünstlerInnen und Kreativen verdrängt werden, die den Prozess als ‘urbane Pioniere’ begründet hatten:

„Vor zehn Jahren (2015) noch war das Rotlichmilieu etablierter Teil einer alternativen Unterhaltungsindustrie, die in Halle Ost blühte. Das Urban Art Festival hat dem Gebiet schrittweise zum Ruf eines angesagten Stadtteils verholfen. Das Gebiet ist geprägt von Kreativen (KünstlerInnen, StudentInnen, Intellektuellen) und von Alternativen (Hippies, Linksautonome, Bohemians). […] Das Image des Viertels ist verbessert worden, viele der ursprünglich ersten bemalten Häuser der Landsberger Straße sind inzwischen durchsaniert und zu hohen Mietpreisen vermarktet worden. Andere wurden abgerissen und durch Neubauten ersetzt. […] Die PionierInnen der ersten Entwicklungsphase sind inzwischen weitergewandert, ihre Ateliers wurden aufgekauft und zu Wohnraum umsaniert. Die Club- und Kneipenszene wird zunehmend kleiner oder ersetzt von hochwertigeren Restaurants. Beschwerden der neuen Zuzügler über Lärm und Dreck erhöhen den Druck auf die “Nachtlebenszene“. Freiimfelde hat sich bewegt: Urban Art half als Motor.” (Von Busse 2011: 105ff.)

Im Kurzfilm “Right to Wynwood” wird ein solcher, durch Urban Art ausgelöster Gentrifizierungsprozess im Stadtteil Wynwood (Miami, USA) beinahe idealtypisch nachgezeichnet (Feldman 2011). Die Schaffung von Kreativstadtteilen durch Urban Art ist durchaus ein etabliertes Konzept und geht nicht selten mit Gentrifizierung einher.

 

Transit: Würdest du sagen, dass die Freiraumgalerie sich mit der Kritik, Gentrifizierungsprozesse anzustoßen, ernsthaft auseinandersetzt?

Koch: Wie die nur bedingt miteinander zu vereinbarenden, möglichen Effekte und Ziele des Projektes FRG, Verbesserung der Lebensbedingungen in einem marginalisierten Stadtteil und Gentrifizierung, gleichzeitig eintreten können sollen, hat das FRG-Team wenig plausibel machen können. Danilo Halle schlägt das Erwerben von Immobilien durch “Rechtspersonen oder Privatpersonen mit Geld” vor, um Gentrifizierung zu verhindern (Peter 2018). Es bleibt jedoch unklar, wie so ein Prozess in größerem Umfang Mietsteigerungen verhindern soll. Der Stadtteil weist einen hohen Anteil von Immobilien in Privatbesitz auf. Zudem lenkt ein solcher Ansatz von der Verantwortung der Stadtregierung ab, die Gentrifizierung duldet und zur Verdrängung prekarisierter Bevölkerungsgruppen in periphere Plattenbaugebiete beiträgt (Helbig/Jähnen 2018).

 

Sollte man überhaupt mit den Stadtverwaltungen zusammen arbeiten, Fördergelder annehmen?

Koch: Das Agieren von Stadtregierungen und -verwaltungen beeinflusst die stadtgesellschaftlichen Verhältnisse in hohem Maße. Da sollte man sich einmischen.

 

Was können Projekte wie Hasi, Reil78, VL usw. tun?

Koch: Ich halte eine aufrichtige Debatte über Gründe und Konsequenzen zuvor benannter sozialer Ausschlüsse in linken Bewegungen für zentral, und zwar insbesondere in Hinsicht auf ökonomisch und rassistisch diskriminierte Gruppen, für deren Interessen man sich zu engagieren glaubt, die aber im linksaktivistischen Spektrum selbst oft marginalisiert sind. Die linke Freiraumbewegung scheint mir recht weit entfernt davon zu sein, sich praktisch mit Marginalisierten zu solidarisieren und ein Recht auf Stadt gemeinsam mit den großen Verlierer*Innen fortschreitender Verdrängungs- und Segregationsprozesse einzufordern. Trotz der lautstarken politischen Positionierung für eine gerechtere Gesellschaft werden eher kleine alternativkulturelle Inseln geschaffen, die durch die vorher benannten Ausschlüsse charakterisiert sind und nur geringfügig mit der weiteren Stadtgesellschaft interagieren. In Städten wie Halle macht sich das bspw. auch räumlich bemerkbar: Linke Projekte und Räume wurden im Innenstadtbereich etabliert, dort spielt sich die Szene ab, die marginalisierten und stigmatisierten Plattenbaugebiete an der Peripherie sind kaum von Interesse.


Die linke Freiraumbewegung scheint mir recht weit entfernt davon zu sein, sich praktisch mit Marginalisierten zu solidarisieren und ein Recht auf Stadt gemeinsam mit den großen Verlierer*Innen fortschreitender Verdrängungs- und Segregationsprozesse einzufordern.


 

Wie könnte emanzipatorische Stadtteilarbeit aussehen?

Koch: Generell sind, ich denke das habe ich zuvor sehr deutlich gemacht, Programme fragwürdig, die Positionen und Interessen von Anwohner*innen nicht oder nur selektiv wahrnehmen. Meist werden Projekte, die auf eine irgendwie geartete ‘Verbesserung’ stadtgesellschaftlicher Verhältnisse abzielen, von privilegierten Gruppen in marginalisierten Stadtteilen organisiert und umgesetzt. Den umgekehrten Fall wird man seltenst finden. Für diese Art Interventionen stellen sich offenkundig Fragen, die soziale Ungleichheiten, Macht- und Herrschaftsverhältnisse betreffen. Raum als begrenzte Ressource ist umkämpft, soziale Ungleichheiten formieren sich im Raum und Raum wirkt auf Gesellschaft zurück. Eine wichtige Frage ist hierbei: Wer mit welchen Interessen welche Materialisierungen und Verwendungen von Raum durchsetzt. Und zugleich: Welche Gruppen werden von der Umsetzung ihrer gesellschaftlichen und materiellen Vorstellungen und Interessen im Raum abgehalten, aus welchen Gründen und mit welchen Konsequenzen? Am Ende sollte sich jeder Interventionsversuch in die gesellschaftlichen Verhältnisse selbstkritisch fragen, wer von den Veränderungen langfristig profitiert und wer nicht.

 

Das Interview wurde im März/ April 2018 geführt.

 

Quellen:

Busse, Hendrik (2011): Spiel mit der Leere: Situationistische Stadtvision am Beispiel von Urban Art zur partizipativen Stadtgestaltung: Fallstudie Halle (Saale), Online-Quelle: http://www.freiraumgalerie.com/images/Diplomarbeit_Spiel_mit_der_Leere.pdf.

Busse, Hendrik (2015): Freiraumgalerie: Evaluation 2012 – 2014, Halle, Online-Quelle: http://www.freiraumgalerie.com/images/Freiraumgalerie_Evaluation%202012-2014_web.pdf.

Falgowski, Michael (2016): Freiimfelde in Halle Ost: Der Traum vom Künstlerviertel, Mitteldeutsche Zeitung, Online-Quelle: https://www.mz-web.de/halle-saale/freiimfelde-in-halle-ost-der-traum-vom-kuenstlerviertel-23467644.

Feldman, Marcos (2011): The Role of Neighborhood Organizations in the Production of Gentrifiable Urban Space: The Case of Wynwood, Miami’s Puerto Rican Barrio, Miami.

Florida, Richard (2002): The Rise of the Creative Class, New York.

Stadt Halle (Saale) (2017): Stadt Halle (Saale) in Zahlen 2016, Online-Quelle: http://www.halle.de/VeroeffentlichungenBinaries/727/1064/halle_in_zahlen_2016.pdf.

Helbig, Marcel/Jähnen, Stefanie (2018): Wie brüchig ist die soziale Architektur unserer Städte? Trends und Analysen der Segregation in 74 deutschen Städten, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung Gmbh, Berlin.

Peter, Felix (2018): Vom Kunstprojekt zum Planungsbüro: Interview mit der Freiraumgalerie zum Thema partizipative Stadtentwicklung, Halle, Online- Quelle: https://transit-magazin.de/2018/01/vom-kunstprojekt-zum-planungsbuero/.

Voss, Hanna (2016): Kann man hingehen, In: taz. die tageszeitung, 27.4.2016, Ausgabe 11004, 25.

Zukin, Sharon/Braslow, Laura (2011): The life cycle of New York’s creative districts: Reflections on the unanticipated consequences of unplanned cultural zones, In: City, Culture and Society 2, 131-140.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.

(Letzte Änderung des Artikels: 15.06.19, 14.38 Uhr)