Sommer, Sonne, Szenespaltung

Linke, Linke und dazwischen Polizei

von | veröffentlicht am 16.08 2024

Beitragsbild: Dani Luiz

Am 20. Juli sollte eine kraftvolle, lautstarke Demonstration unter dem Motto „Keine Auslieferung nach Ungarn - Bring back Maja“ auf dem Marktplatz starten. Die Rote Hilfe Ortsgruppe Halle hatte zum Protest aufgerufen. Doch an diesem heißen Sommernachmittag kam alles anders als gedacht.




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Bereits von Weitem bot sich ein seltsamer Anblick auf dem Marktplatz. Einige Dutzend Personen standen ohne Banner in der Sonne. Etwas weiter hinten ein Lautsprecherwagen. Eine Antifa-Fahne wehte neben einer trans-Flagge, dahinter Polizei und dann eine Israelfahne.

Die Demonstration startete auf dem Marktplatz und sollte später zum Steintor ziehen, dazu kam es jedoch nicht (Bild: Dani Luiz)

Eine linke Person, die erst seit kurzem in Halle wohnt und an der Demo teilnehmen wollte, beschreibt die Situation folgendermaßen: „Als es dann losging, war ich super enttäuscht, wie wenig Menschen da waren, was wahrscheinlich auch daran lag, dass sich die restliche Zeit zwei linke Gruppen gegenüberstanden. Ab diesem Zeitpunkt ging es für mich nicht mehr um Maja, auch wenn die Demo Orga versucht hat, so gut es geht mit der Situation umzugehen.“

Keine Außenwirkung für das eigentliche Anliegen, dafür Nahostkonflikt

Für die vorbeiziehenden Passant*innen, von denen viele rätselnd stehen blieben, um das Schauspiel auf dem Markt zu verstehen, wurde nicht deutlich, warum sich hier Menschen zum Protest versammelt hatten.

Polizist*innen trennten zwischenzeitlich die Kundgebung (Bild: Dani Luiz)

Es sollte eigentlich um die zu diesem Zeitpunkt vollzogene Auslieferung von Maja nach Ungarn gehen. Der aktivistischen Person wird die Teilnahme an Angriffen gegen Neonazis in Budapest vorgeworfen. Dabei gab und gibt es zahlreiche gute Gründe gegen eine Auslieferung, etwa die Befürchtung eines juristisch unfairen Prozesses, Berichte über menschenunwürdige Haftbedingungen für politische Gefangene in Ungarn und der Umstand, dass Maja als linke und nichtbinäre Person im rechtsautoritären Ungarn mit zusätzlichen Repressionen und Diskriminierungen rechnen muss. Vor allem sollte auch das Handeln der deutschen Behörden problematisiert werden, die die Auslieferung per Hubschrauber über Nacht trotz eines Eilantrags beim Bundesverfassungsgericht von Majas Anwalt durchgeführt hatten.

Falls sich die Demo-Orga und die Teilnehmenden erhofft hatten, Menschen zu alldem zu informieren und zu politisieren, dann wurde das Ziel an diesem Nachmittag klar verfehlt. Offenbar erkannten sich Aktivist*innen des pro-israelischen und pro-palästinensischen linken Lagers gegenseitig beim Besuch der Kundgebung. Es kam zu lautstarken Diskussionen und Beschimpfungen. Über einen Lautsprecherbeitrag äußerte sich dann die Orga der Demo. So hieß es, der Orga wurde zugetragen, dass Teilnehmende auf antisemitischen Demonstrationen gesehen wurden. Die Demo würde mit diesen Personen nicht loslaufen. Gemeint waren wahrscheinlich Personen, die von ihren pro-israelischen Rivalen dem Umfeld von Students For Palestine und der sozialistischen Gruppe „Solidaritätsnetzwerk Halle“ zugeordnet wurden und deren Aktionen seit jeher von Antisemitismusvorwürfen begleitet werden. Das Solidaritätsnetzwerk positionierte sich später zum Geschehen und verteidigte seine Anwesenheit.

So kam es, dass lediglich eine Kundgebung auf dem Marktplatz stattfand. Mehrfach machten die Organisator*innen der Roten Hilfe deutlich, dass sie gegen Rassismus, Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit und Queerfeindlichkeit einstehen und baten vergeblich darum, dass keine Nationalfahnen auf der Demonstration gezeigt werden sollten.

Kein politischer Nutzen

Der Protest stand damit im starken Kontrast zur vorangegangenen Demonstration am 30. Juni, die zum selben Anlass lautstark durch die Straßen zog und auch beim bundesweiten Solidaritätsbündnis für die Inhaftierten und Verfolgten Antifaschist*innen im Budapest Komplex Erwähnung fand. So gab es nach gefühlten Ewigkeiten mal wieder eine Antifa-Demo in Halle.

An diese erfolgreiche Demonstration konnte scheinbar nicht angeschlossen werden, vielmehr verdeutlichten sich die Gräben, die die linke Szene in Halle trennen. Die tiefsitzenden ideologischen Trennlinien und gegensätzlichen Analysen können aktuell nicht mal mehr für einen gemeinsamen Kampf gegen staatliche Repression und für konsequenten Antifaschismus überwunden werden. Die derzeitige innerlinke Nahostdebatte erscheint vor diesem Hintergrund als politisch nutzlos und nur dem eigenen Kampf um lokale Szene-Hegemonien und Deutungshoheit dienend.

Für Menschen, die neu nach Halle kommen und sich antifaschistisch engagieren wollen, ist dieser Konflikt ein großes Hindernis: „In den nächsten Tagen war ich super frustriert, dass es in Halle nicht möglich ist, linke Politik zu machen. Die ganze Demo hat überhaupt nichts gebracht, außer dass die Cops jetzt sehr viel mehr Fotos von Linken haben. Ich verstehe immer mehr, warum viele Freunde von mir aufgrund der Szene nicht nach Halle ziehen, obwohl sie es sonst gern würden.“

Angesichts des zunehmenden gesellschaftlichen Rechtsrucks und der Tendenz rechter Bewegungen, die Aushandlung ihrer inneren Widersprüche eher auf einen Zeitpunkt nach der Machterlangung zu verschieben, ist das eine erschreckende Entwicklung. Denn bei allem Wert, den offen ausgetragene Diskussionen haben, ist eine vereinte, schlagkräftige linke und antifaschistische Bewegung notwendiger denn je.  

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.