„Ein orchestrierter politischer Angriff auf linksalternative Akteure und Strukturen”

Interview mit Sebastian Striegel zur Zusammenarbeit von CDU und AfD gegen seine Person und das Projekt „Hasi”

von | veröffentlicht am 21.12 2017

Beitragsbild: Nic Relton/Flickr | CC-BY-NC 2.0

Noch vor der gestrigen Entscheidung des Stadtrats Halle (Saale) konnten wir ein Interview mit Sebastian Striegel, MdL (GRÜNE), zu den Angriffen auf seine Person im Landtag und der Stimmungsmache gegen das Projekt „Hasi" führen.




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Transit Magazin Hallo Herr Striegel! In dieser und auch der vergangenen Sitzungswoche des Landtages drehte sich ein ganzer Tagesordnungspunkt nur um Sie. Die AfD beantragte erst Ihre Missbilligung, dann Ihre Abwahl aus der Parlamentarischen Kontrollkommission, da sie eine illegale Hausbesetzung gerechtfertigt hätten. Was war da los?

Sebastian Striegel Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat mit Mehrheit einen Antrag auf Abwahl meiner Person durch die AfD zurückgewiesen. Vor einigen Wochen wurde bereits ein Antrag auf Missbilligung meiner Person mit großer Mehrheit bei zwölf Enthaltungen aus der CDU-Fraktion abgelehnt. Ausgangspunkt für den Antrag der AfD war die bereits im Oktober von mir getätigte Aussage, wonach Legalität und Legitimität im Einzelfall in einem Spannungsverhältnis stehen können. Der Satz fiel in aufgeheizter Atmosphäre im Landtag während einer Debatte um die bereits fast zwei Jahre zurückliegende Besetzung eines Hauses in Halle, in dem heute die Hasi per Nutzungsvereinbarung wirkt. Mein Hinweis, wonach es auch im Rechtsstaat Situationen geben könne, in denen illegales Verhalten dennoch legitim sein könne, hat AfD und CDU, aber auch die SPD aufgebracht. Mir ist es in diesem Kontext nicht gelungen, das Selbstverständnis eines friedlichen, zivilen Ungehorsams im Rechtsstaat zu vermitteln. Meine Äußerungen wurden besonders durch AfD und CDU als Aufruf zum Rechtsbruch missverstanden.


Die Zustimmung einiger CDU-Abgeordneter zu einer AfD-Enquete „Linksextremismus“ vor einigen Wochen wirkt als Belastung für alle Koalitionsfraktionen.


TM Wie ist diese Debatte politisch zu bewerten?

Striegel Die Debatte und das parlamentarische und politische Geschehen um sie herum zeigt in großer Klarheit die Verschiebung der gesellschaftlichen Diskurse nach rechts. Während so genannte Identitäre in Halle ein Hausprojekt aufziehen, aus dem heraus Polizisten angegriffen werden, wird im Landtag von Sachsen-Anhalt zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit Wochen ein orchestrierter politischer Angriff auf linksalternative Akteure und Strukturen gefahren. Dass es die Hasi trifft, ist kein Zufall. Bereits im September-Plenum hatte die AfD einen Antrag auf Einsetzung einer Linksextremismus-Enquete in den Landtag eingebracht. Auch die Hasi soll unter Nutzung dieses politischen Kampfbegriffs diskreditiert und unmöglich gemacht werden.

Die Zustimmung einiger CDU-Abgeordneter zu einer AfD-Enquete „Linksextremismus“ vor einigen Wochen wirkt als Belastung für alle Koalitionsfraktionen. Im Fall des AfD-Missbilligungsantrags und der erfolglos versuchten Abwahl muss man feststellen, dass der Angriff auf einen Koalitionspartner durch die Koalition aus CDU, SPD und GRÜNEN abgewehrt wurde. Allerdings nicht geschlossen.

TM Markus Kurze von Ihrem Koalitionspartner CDU sagte in der Landtagsdebatte vor vier Wochen, sie verhöhnen den Rechtsstaat. Er zog einen Vergleich: Das Hausprojekt „Hasi“ als legitim zu bezeichnen, sei in etwa dasselbe wie einen Wolf zu erschießen, der zuvor ein paar Schafe gerissen hat. Verhöhnen Sie den Rechtsstaat?

Striegel Der Beitrag des Kollegen zeigt zunächst einmal tiefe kulturelle Unterschiede zwischen CDU und GRÜNEN auf. Ein rigoroser Legalismus, wie er hier vertreten wird, greift aus GRÜNER Sicht zu kurz. Natürlich sind Straftaten Straftaten. Sie bleiben auch Straftaten, wenn sie im Rahmen einer Aktion des Zivilen Ungehorsams begangen werden. Möglicherweise können sie durch Notstand gerechtfertigt sein. Gerichte auch in Sachsen-Anhalt haben in den vergangenen Jahren Entscheidungen getroffen, die beispielsweise bei Feldbefreiungen, d.h. der bewussten Zerstörung gentechnisch veränderter Organismen, von Bestrafung abgesehen haben.

Das Beispiel des Kollegen mit einem illegal zu schießenden Wolf geht jedoch vollständig fehl: Ziviler Ungehorsam ist durch zwei zentrale Prinzipien geprägt. Erstens die konsequente Friedlichkeit und zweitens das klaglose Akzeptieren von Sanktionen. Im Fall des zu erschießenden Wolfes muss man feststellen: Um friedliches Agieren geht es dem Herrn mit dem Jagdgewehr im Anschlag offensichtlich nicht. Und zur Frage zu ertragender Sanktionen führte er leider nicht weiter aus.

Ziviler Ungehorsam passiert als bewusste Intervention. Er ist ein immer gewaltfreies Unterfangen. Wer Ungehorsam übt, will das Recht achten und befindet sich im moralischen Konflikt. Er oder sie ist deshalb auch bereit, klaglos die Sanktionen für eine Gesetzesübertretung zu ertragen. Das findet bei GRÜNEN Akzeptanz. Als biografische Erfahrung ist Ziviler Ungehorsam meiner Partei seit ihrer Gründung und auch mir eingeschrieben. Ich bin bereit, den Dialog über Möglichkeiten und Grenzen des zivilen Ungehorsams auch mit Kolleg*innen im Landtag zu führen, die das anders sehen, ja ablehnen. Solche biografischen und politischen Unterschiede muss man in einer Koalition auch aushalten können.


Eine Entschuldigung wird es nicht geben.


TM Im Anschluss forderte er, dass sich der Rechtsausschuss abermals mit ihren Äußerungen zur Hasi beschäftigen solle. Was ist da jetzt zu erwarten? 

Striegel Die CDU-Fraktion hat angekündigt, die Angelegenheit im Rechtsausschuss im Rahmen einer Selbstbefassung aufzurufen. Das ist rechtlich möglich. Ultimativ wurde aus der Fraktion der CDU heraus auch gefordert, ich hätte mich für meine Äußerungen zu entschuldigen – oder jedenfalls müsse die GRÜNE Fraktion dies an meiner Statt tun. Eine solche Entschuldigung wird es nicht geben.

TM Robert Farle von der AfD sagte, Gründe des Gemeinwohls können eine Hausbesetzung rechtfertigen. Die lägen jedoch nicht vor, denn von der „Hasi“ würden nur Krawall und Ruhestörungen ausgehen. Das ist doch auch eine formelle Legitimierung „illegaler“ Aktionen oder? Immerhin bewerten etliche Menschen die Aktivitäten und die Auswirkungen auf die Stadt der „Hasi“ als positiv…

Striegel Herr Farle ist ein politischer Wirrkopf, der als ehemaliger DKPler bei seinem Weg zum Kommunismus inzwischen bei der völkisch-nationalistischen AfD gelandet ist. Seine Vorwürfe gegenüber der Hasi sind falsch. Die Frage der Ruhestörungen betrifft das nachbarschaftliche Miteinander. Hier braucht es ein Aufeinanderzugehen. Dass Anwohner*innen ihr Bedürfnis nach Ruhe zu bestimmten Zeiten artikulieren, ist legitim.

Man muss Farles Einlassungen vielleicht weniger als zur Hasi gehörig denn im Kontext der Äußerungen seines Kollegen Tillschneider sehen, der im Landtag die Angriffe zweier so genannter Identitärer aus der Adam-Kuckhoff-Straße auf die Polizei explizit als Notwehrakt gerechtfertigt hat.

Illegalität ist auch kein Umstand, der einer Mehrheitsbeurteilung zugänglich ist. Die Besetzung eines Hauses bleibt ein illegaler Akt, selbst wenn ein solches Vorgehen von einer Mehrheit befürwortet würde. Tatsächlich gab es auch im Fall der Besetzung der Hasi einen Rechtsbruch, der durch die Akteure wohl bewusst in Kauf genommen wurde. Man wollte auf den von ihnen identifizierten Missstand fehlender Räume bei zeitgleichem Leerstand von Immobilien hinweisen. Mit der Besetzung hat man sich – im Wissen um die dadurch entstandene Situation – um eine kurzfristige rechtskonforme Lösung bemüht und diese auch gefunden. Es gab nach wenigen Tagen keine Räumung, keine Verfahren wegen Hausfriedensbruch sondern eine befristete Nutzungsvereinbarung. Der Eigentümer selbst wirkt an dieser mit.


Die Hasi hat Freiräume erkämpft und füllt sie mit Programm. Dass sich Menschen in einem solchen Projekt orientiert am Gemeinwohl engagieren, nötigt mir erst einmal Respekt ab.


TM Warum haben Sie sich für die „Hasi“ eingesetzt? 

Striegel Eine lebendige Stadt braucht kulturelle und politische Interventionen. Die Hasi hat Freiräume erkämpft und füllt sie mit Programm. Dass sich Menschen in einem solchen Projekt orientiert am Gemeinwohl engagieren, nötigt mir erst einmal Respekt ab. Ich finde im Fall der Hasi vor allem spannend, wie zügig der Bogen zwischen einem soziokulturellen Freiraum-Projekt, hervorgegangen aus einer kurzzeitigen Besetzung, und etablierten Institutionen wie den Frankeschen Stiftungen oder dem Klopstock e.V. im Rahmen der Klopstock Literaturtage gespannt worden ist.

TM Was wäre ein geeigneter Weg, wie die Stadt Halle und das Land sich in Zukunft zur „Hasi“ verhalten könnten?

Striegel Die Hasi ist zunächst einmal eine Angelegenheit der halleschen Stadtgesellschaft. Es gibt keinen Grund, die nach wenigen Tagen im gegenseitigen Einvernehmen verabredete Nutzung der Immobilie eines kommunalen Wohnungsunternehmens zum Gegenstand einer Landtagsbefassung zu machen.

Für eine dauerhafte Lösung müssen unterschiedliche Akteure an einem Strang ziehen. Halle braucht Freiräume, in denen Kunst und (Sozio-)Kultur blühen können. Ob das am aktuellen Standort der Hasi möglich ist, kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. So ist die Frage der Altlasten auf dem Gelände noch ungelöst. Ich habe aber die Erwartung, dass das Wohnungsunternehmen und die Stadt ihrer Verantwortung gerecht werden und gemeinsam mit den Aktiven in der Hasi Ideen entwickeln, die dem Projekt Zukunft geben. Die Hasi aus dem Haus zu drängen wäre ein völlig falsches Signal, zumal eine andere als die kulturelle Nutzung derzeit nicht in Sicht ist.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.

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