„Die Bedrohungen haben auf meinen antifaschistischen Kampf keinen Einfluss“

Igor Matviyets im Interview

von | veröffentlicht am 18.01 2020

Igor Matviyets von der SPD Halle brachte die "Causa Möritz" ins Rollen. Im Interview mit Transit spricht er über die Unglaubwürdigkeit der CDU, die angestrebte Erneuerung der Sozialdemokratie, notwendige Debatten zu gesellschaftlicher Vielfalt und über die Bedrohung von Rechts.




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Transit: Ende letzten Jahres kam die Affäre um Robert Möritz ins Rollen, nachdem du in seinem Twitter-Profil das Logo von Uniter entdeckt hattest. Eigentlich hatte er dich zunächst angepöbelt, weil du einen Beschluss der CDU kritisiert hattest, wonach der Islam nicht zu Deutschland gehören solle. Anschließend standest du bundesweit in der Öffentlichkeit und hast dich in mehreren Tageszeitungen deutlich zum Umgang der CDU mit Möritz und zur Kenia-Koaliton geäußert. Du sagtest z.B. „Wer mit Nazis gut kann, ist selbst ein Nazi“. Schließlich wurde die Affäre durch den Parteiaustritt von Möritz beendet. Wie beurteilst du jetzt – knapp einen Monat später – die Ereignisse im Rückblick? Hat sich an deiner Einschätzung zur CDU etwas geändert?

Igor Matviyets: Am Ende hat Möritz der CDU Sachsen-Anhalt weitere Tage der Demütigung durch seinen eigenen Austritt erspart. Der Eindruck, dass sich die CDU Sachsen-Anhalt tagelang lieber vor einen überzeugten Nazi gestellt hat und damit die Koalition in Gefahr gebracht hat, bleibt erhalten. Alle Beteuerungen, dass Möritz die menschenfeindliche Ideologie „abgelegt“ hat durch Generalsekretär Schulze, Innenminister und Landesvorsitzender Stahlknecht und den CDU-Kreisverband Anhalt-Bitterfeld bleiben damit weiterhin leere Behauptungen. Insgesamt ist die Affäre erschütternd. Wie glaubwürdig sind konservative Politiker*innen in ihren Solidaritätsbekundungen zu jüdischen Menschen und Israel, wenn die Frage ob ein Hakenkreuz-Tattoo in Ordnung geht, tagelang und offen diskutiert wird?

Igor Matviyets

Igor Matvivets kam 1999 mit seinen Eltern als Kontingentflüchtling aus der Ukraine nach Deutschland. Seit 2011 ist er Mitglied der SPD. 2012 ging er zum Studieren nach Halle. Hier engagiert er sich u.a. im Bündnis Halle gegen Rechts und ist Mitglied der jüdischen Gemeinde.

CDU in Sachsen-Anhalt verhält sich absurd

Transit: Du hast auch die Koalition von CDU und SPD kritisiert. Die SPD befindet sich zurzeit in einer schwierigen Lage. Einerseits rufen viele Mitglieder nach einem Ende der GroKo und wählen ein neues Spitzenduo, das mit diesem Schritt sympathisiert, andererseits ist es nach der Wahl von Esken und Walter-Borjans schnell still um den Wunsch nach dem GroKo-Ende geworden. Warum gelingt es der SPD nicht, eindeutig und nachvollziehbar zu agieren?

Igor Matviyets: Großes Thema mit vielen Facetten. Zunächst freue ich mich riesig über die Wahl von Esken und Nowabo. Diesen Mut habe ich der Mehrheit meiner Partei nicht zugetraut. Die Mitgliederbefragungen 2013 und 2017 zur GroKo zeigten durch ihre Zustimmungen ja eher die Mutlosigkeit. Das macht die Legitimierung des Austritts gleichzeitig sehr schwierig, denn die Koalition ist von einer Mehrheit der SPD-Mitglieder gestützt. Ein Beschluss des Parteivorstands und selbst ein Beschluss eines Bundesparteitages sind mit einer Mitgliederbefragung nicht vergleichbar. Ich vertraue Esken und Nowabo, dass in den nächsten Wochen und Monaten der Spalt zwischen Union und SPD größer wird. Dann wird auch eine Trennung vor Ende der Legislatur realistischer. Wir müssen klare Positionen, die vielen Menschen helfen, in den Mittelpunkt stellen und dann sehen, wie die Union darauf reagiert. Bei der Grundrente hat dies gut funktioniert. Wenn bei der Mehrzahl der Themen die Union nicht mitgehen will, ist ein Ende der Koalition für die Öffentlichkeit der einzige logische Schritt und die SPD kann aus einer Position der programmatischen Stärke für neue linke Mehrheiten kämpfen.

Transit: Was sollte die Partei in Sachsen-Anhalt tun, um diese Misere zu beenden?

Igor Matviyets: Den gleichen Mut, wie Esken und Nowabo zeigen. Bei Debatten zu 100% unsere Haltung präsentieren und dann in der Öffentlichkeit die Union vorführen und nicht stattdessen hinter verschlossenen Türen an Kompromissen arbeiten, mit denen alle Seiten leben können, aber niemand glücklich ist. Außerdem ist die Situation in Sachsen-Anhalt durch die sehr rechte CDU anders als auf Bundesebene. Wir müssen als SPD Sachsen-Anhalt höllisch aufpassen, dass wir durch das absurde Verhalten der CDU (Causa Wendt, Möritz etc.) nicht selbst von den Menschen im Land als Teil dieses Chaos angesehen werden. Da dürfen unsere Minister*innen und Mitglieder der Fraktion sich nicht auf guter Sachpolitik ausruhen, sondern müssen tatsächlich schauen, wie die Außenwahrnehmung von der Keniakoalition ist. Mit der Positionierung zum Azubi-Ticket, gegen die Privatisierung von Krankenhäusern und für einen Landesvergabemindestlohn hat die Fraktion aktuell gute Pflöcke geschlagen. Wichtig ist, dass die SPD hier zusammenhält und den Menschen zeigt, dass die Union hier andere Positionen vertritt.

Drohmails nach der "Möritz-Affäre"

Transit: Nachdem du Möritz‘ Verbindungen zu Uniter öffentlich gemacht hast, hast du Drohmails erhalten, von denen du eine über Twitter veröffentlicht hast. Erst diese Woche wurden offenbar Schüsse auf das Bürgerbüro von Dr. Karamba Diaby abgegeben, in dem du ja Mitarbeiter warst. Sind solche Situationen für dich neu oder hast du so etwas zuvor schon einmal erlebt? Wie gehst du damit um?

Igor Matviyets: Nach meiner vierjährigen Mitarbeit im Wahlkreisbüro von Dr. Karamba Diaby waren Drohmails für mich leider nichts Ungewöhnliches. Karamba Diaby erhält bedauerlicherweise sehr viele Drohungen und Beleidigungen. Die Schüsse sind eine neue Eskalationsstufe.
Neu war, dass ich der Adressat bin und für meine Familie und meinen Freundeskreis war das über die Weihnachtsfeiertage natürlich ein belastendes Thema. Praktisch bedeutet für mich die neue Situation einen sehr engen Austausch mit dem Staatsschutz. Da muss ich die Abteilung der Polizei loben. Ich wurde nach der Berichterstattung der Mitteldeutschen Zeitung angerufen und wurde gut informiert. Wahrscheinlich hat es auch etwas mit einer größeren Sensibilität nach den rechtsextremen Morden 2019 zu tun. Jedenfalls haben die Bedrohungen auf meinen antifaschistischen Kampf keinen Einfluss. Als Jude, Migrant, Sozialdemokrat, Gewerkschafts- und AWO-Mitglied ging ich eh davon aus, dass ich für Nazis ein „gutes“ Feindbild abgebe.

Konsequenzen aus dem antisemitischen Terroranschlag

Transit: Seit dem antisemitisch motivierten Terroranschlag in Halle richten sich viele Augen auf die Stadt. Halle wird jetzt in einem Atemzug mit Namen wie Christchurch genannt. Der Ministerpräsident und der Innenminister von Sachsen-Anhalt haben versucht zu versichern, dass jetzt gegen Antisemitismus und rechten Terror gehandelt wird. Du bist nicht nur Politiker und aktiv in der Zivilgesellschaft, sondern auch Mitglied der jüdischen Gemeinde. Hat sich aus deiner Sicht denn wirklich etwas getan oder sind solche Ankündigungen nur heiße Luft?

Igor Matviyets: Erst seit dem Anschlag gibt es einen dauernden Polizeischutz für die jüdischen Einrichtungen im Land. Auch das Vorhaben die muslimischen Einrichtungen zukünftig ebenfalls zu schützen, ist richtig. Da ist Bewegung. Allgemein sind die Veränderungen zu langsam. Wann wird in Sachsen-Anhalt eine Meldestelle für antisemitische Vorfälle nach dem Vorbild der RIAS in Berlin eingerichtet? Wann wird die „Ansprechperson gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben“ zu einer/m Landesbeauftragten aufgewertet und mit Beschluss des Landtages mit finanziellen Mitteln und Personal ausgestattet? Ehrlich gesagt bräuchten wir eine offene Debatte in Sachsen-Anhalt ob im „Wir“ der Mehrheitsgesellschaft Platz für alle Menschen ist. Davon würde der Zusammenhalt hier im Land nachhaltig profitieren. Solange Minderheiten in Sachsen-Anhalt nicht als fester Bestandteil unserer Gesellschaft gesehen werden, verwundert es mich nicht, dass die Polizei in Sachsen-Anhalt den wichtigsten jüdischen Feiertag nicht im Blick hatte.

Transit: Wie könnte so eine Debatte aussehen? Was müssten einzelne Akteur*innen dafür tun?

Igor Matviyets: In unserer Gesellschaft werden immer wieder Menschen dazu gezwungen sich als „anders“ auszuweisen. Beispielsweise beim Essen in der Kantine, wenn es nur Schwein als einziges Fleisch gibt. Dann beschwert man sich als jemand, der eben kein Schweinefleisch ist und muss sich damit als „anders“ zu erkennen geben. Gäbe es von vornerein eine größere Auswahl an Fleisch oder eben nur Rind würde die religiöse Zugehörigkeit kein Thema sein. Das ist ein Beispiel. Es gibt mehr davon. Diese Thematik sprengt definitiv das Interview. Mir geht es zusammengefasst um eine inklusive Gesellschaft, bei der nicht „der gebürtige christliche, weiße, heterosexuelle, körperlich gesunde Deutsche“ das Maß der Dinge ist und alles andere „Abweichungen“ sind, sondern dass wir im Alltag ein Gesellschaftsbild haben, dass Unterschiede nicht zu Barrieren macht, sondern als Bereicherung erkennt.

Transit: Was wäre deiner Meinung nach in den kommenden Monaten und Jahren wichtig – gerade im Hinblick auf linke Politik in Halle und Umgebung?

Haus in der Adam-Kuckhoff-Straße 16 bleibt Thema

Igor Matviyets: Wir müssen einen Weg finden das Kapitel „Adam-Kuckhoff-Straße 16“ zu beenden. Unabhängig davon, ob die Bewohner*innen sich als Mitglieder der sogenannten „Identitären Bewegung“ verstehen oder für die rechte Plattform „Ein Prozent“ arbeiten, bleibt das Haus bisher ein Symbol der Rechten. Das wäre meiner Meinung nach das deutlichste Signal für den Rückzug des Rechtsrucks in Halle. Irgendwie muss die linke Politik das Haus einem anderen Zweck zuführen. Es ist ein heikles Thema, weil niemand es für richtig hält einem rechten Hausbesitzer Geld zu geben und gleichzeitig sollte das Haus auf legalem Wege dem rechten Einfluss entrissen werden, um kein langjähriges Hin und Her zu riskieren. Da muss es eine Debatte geben und ich freue mich über Rückmeldungen, damit das Vorgehen auf einem großen Konsens basiert.

Allgemein finde ich den Zustand der linken Politik in Halle gut und erhaltenswert. Das Bündnis Halle gegen Rechts, insbesondere Valentin Hacken, haben nach dem Anschlag vom 9. Oktober durch die würdige Trauerarbeit (zahlreiche Gedenkveranstaltungen und Demos) gezeigt, dass linke Kräfte in dieser Stadt in der Öffentlichkeit die Deutungshoheit haben. Das ist nichts Selbstverständliches und sollte wertschätzend angesehen werden.

Rot-Rot-Grün hat gemeinsam für den OB-Kandidaten Hendrik Lange gekämpft. Es hat leider nicht gereicht, aber es war ein schönes solidarisches Projekt, das alle drei Parteien näher zusammengebracht hat. Es gilt weiterhin, dass wir bei der Landtagswahl und Bundestagswahl Direktmandate der AfD in Halle verhindern müssen und durch starke Bündnisarbeit auch im Umland von Halle linke Kräfte unterstützen und Gegenproteste gegen rechte Aktivitäten entweder unterstützen oder eigenständig auf die Beine stellen. Sachsen-Anhalt braucht eine linke Mehrheit bei der nächsten Landtagswahl. Das muss das klare Ziel aller Menschen sein, die links stehen.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.