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Interview mit Fridays for Future Halle

von | veröffentlicht am 20.03 2022

Beitragsbild: Dani Luiz

Am 25.3.2022 findet erneut ein globaler Klimastreik statt. Nach der weltweiten Aktion im September letzten Jahres mit insgesamt ca. 600.000 Teilnehmenden steht also wieder eine der größten Protestaktionen der Fridays for Future Bewegung an. Das Thema Klimagerechtigkeit beschäftigt auch und gerade während einer weltweiten Pandemie große Teile der Bevölkerung. Die Transit-Redaktion hat Ende 2021 mit Charlotte und Ole von Fridays for Future Halle gesprochen.




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Transit: Wie lange gibt es die Fridays for Future-Gruppe jetzt schon in Halle?

Ole: Die Gruppe gibt es jetzt seit Anfang 2019, wir haben bereits zwei Wochen nach den ersten bundesweiten Fridays for Future-Aktionen in Halle Aktionen organisiert.

 

Welche Beweggründe hattet ihr beide, euch für Fridays for Future zu engagieren?

Charlotte: Für mich ist es die Dringlichkeit des Themas, und darüber hinaus Präsenz zu zeigen, indem man auf Demos geht. Es braucht engagierte Leute, die das machen und ich fand es immer beeindruckend, dass das Leute machen. Im Zuge der Mobilisierung für die Demo zum 24.9. hatte ich Lust und halte es auch für wichtig, mich so gut wie möglich einzubringen.

Ole: Ich habe, bevor ich aktiv in der Organisationsarbeit war, schon auf Twitter viel über Fridays for Future gelesen, war auch bei den Demos. Ich finde das Format, in dem Fridays for Future agiert, unfassbar gut und wichtig, weil ich das Gefühl habe, dass das Thema in einigen gesellschaftlichen Debatten eine Rolle gespielt hat, aber es immer so war, dass z.B. in Parteien starre Strukturen herrschen und Leute, die verstanden haben, wie wichtig Klimagerechtigkeit ist, gegen Mauern anlaufen. Deswegen halte ich es für sehr wichtig, dass es einen Druck von der Straße, aus der zivilen Bevölkerung, gibt. Daher war es für mich wichtig, mich bei Fridays for Future einzubringen und junge Menschen mitzunehmen.

 

Wie beurteilt ihr die Situation von Klimabewegungen im Allgemeinen und was sind die hauptsächlichen Positionen, die durchgesetzt werden müssen?

Ole: Die Klimabewegungen sind an dem Moment, dass wir seit drei Jahren sehr enormen Druck auf die Politik ausgeübt haben und wir nun die Bundestagswahlen hatten, wo eine neue Regierung ins Amt gekommen ist. Die hat versprochen, Klimaschutz zu betreiben und alles für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens zu tun. Der Koalitionsvertrag geht da noch nicht so in die richtige Richtung, weswegen wir die Aufgabe haben, dass wir den Druck erhöhen müssen. Wir haben schon unfassbar viele Erfolge verzeichnen können, müssen aber neue Wege finden, den Druck weiter erhöhen zu können. Was wir bis jetzt gemacht haben, hat anscheinend noch nicht gereicht. Grundlegende Hauptposition ist die Klimagerechtigkeit, dass man also auf wissenschaftliche Erkenntnisse achtet und sie als Grundlage unseres Handelns nimmt. Das Pariser Klimaabkommen zeigt, was notwendig ist, um die Klimakrise einzudämmen, obwohl sie schon jetzt in vielen Teilen der Welt eskaliert, viele Menschen ihr Zuhause verlieren oder an den Folgen der Klimakrise sterben. Wir fordern, dass dagegen eine Eindämmung stattfindet, die bislang von der Politik viel zu wenig verfolgt wurde. Man kann sagen, dass die Politik auf Menschenleben herumtrampelt.

 

„Die Grünen haben vielleicht ambitioniertere Programme als andere Parteien, sind aber […] noch weit davon entfernt genug zu tun, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten oder für Klimagerechtigkeit zu kämpfen.“

 

Wie beurteilt ihr als eine nichtparlamentarische Bewegung die Rolle der Grünen in Bezug auf Klimagerechtigkeit, was können die machen und wo sind eure Kritikpunkte?

Ole: Sehr viele demokratische Parteien sind bei Fridays for Future vertreten, das sind am Ende Leute, die in ihrer Partei aktiv sind, aber ganz klar sagen: auch das, was meine Partei macht, reicht bei weitem nicht aus, und das kritisiere ich. Oder: in der Partei bekomme ich da oft nicht genug Zuspruch, das heißt ich muss über andere Wege Druck ausüben, um Klimagerechtigkeit zu erkämpfen. Die Grünen haben vielleicht ambitioniertere Programme als andere Parteien, sind aber, und das haben verschiedene Studien gezeigt, noch weit davon entfernt genug zu tun, das Pariser Klimaabkommen einzuhalten oder für Klimagerechtigkeit zu kämpfen, weil sie eben auch weit davon entfernt sind, die Verantwortung zu übernehmen, die Deutschland global hat als wirtschaftsstarkes Land. Wir in Deutschland geben gerade kein gutes Bild ab, wie wir die Klimakrise bekämpfen, im Gegenteil: Wir versagen katastrophal, und da müssen auch die Grünen stark nacharbeiten, egal ob sie mehr als andere machen, weil entscheidend ist, dass es eben nicht reicht, was sie machen. Wir können nur auf Maßnahmen setzen, die reichen, und nicht auf welche, die mehr tun als andere

 

Wo seht ihr insbesondere das Potential von Fridays for Future, konkret Druck auf die Parteien auszuüben?

Charlotte: Der große Gewinn, den Fridays for Future brachte, war, so viele Menschen zu mobilisieren. Das ist auch der Weg, durch den Druck erzeugt werden soll. Wir sehen durch den Diskurs, den Fridays for Future angeregt hat, was es bisher gebracht hat, dass das Thema so viel diskutiert wird und wir sehen, das es insofern Früchte getragen hat, dass auch die Parteien viel bewusster mit der Situation umgehen. Beispielsweise steht das Datum 2030 im neuen Koalitionsvertrag drin, wenn auch leider nur „idealerweise“. Das reicht uns natürlich nicht, aber es zeigt, dass wir auf jeden Fall politisch Druck ausüben können, den wir auch noch erhöhen wollen, indem wir bestenfalls immer mehr Menschen mobilisieren.

Ole: Politiker*innen müssen sich jetzt verantworten für Entscheidungen, die sie treffen, und das war noch nicht immer so im Bereich Klimagerechtigkeit. Wir haben es geschafft, dass Klimaschutz eines der Topthemen bei der Wahlentscheidung vieler Menschen war, was vor drei/vier Jahren nicht so war. Das zeigt, dass der Gesellschaft das Thema wichtig ist. Dass wir das erkämpft haben, zeigt auch, was für einen Druck wir ausüben, wenn einer Gesellschaft ein Thema so wichtig ist wie dieses Jahr bei den Wahlen. Dann ist deutlich, dass die Menschen Veränderungen wollen und jetzt liegt es an der Politik, genau das umzusetzen.

 

Wie hängt der Klimawandel mit sozialen Fragen zusammen? Wie sind Menschen derzeit vom Klimawandel betroffen?

Ole: Grundlegend kann man davon sprechen, dass die Klimakrise auch eine soziale Krise ist, deswegen fordern wir auch nicht Klimaschutzmaßnahmen, sondern Klimagerechtigkeit. Der Begriff beinhaltet, dass man sich genau auch diese sozialen Fragen stellen muss. Betrifft die Maßnahme, die ich gerade zur Eindämmung der Erderwärmung treffe, beispielsweise Menschen mit geringerem Einkommen und werden die davon negativ beeinflusst, ist das keine Option in punkto Klimagerechtigkeit. Genauso spricht Klimagerechtigkeit an, dass wir soziale Aspekte beachten, dass hier historisch gesehen eine größere Verantwortung besteht, die Klimakrise einzudämmen, weil wir viel mehr Emissionen ausgestoßen haben als andere Menschen und genauso spielt dabei rein, dass viele soziale Themen – Rassismus, Diskriminierung von Geschlechtern usw. – keine Optionen sind in einer klimagerechten Welt. Wenn wir klimagerechte Maßnahmen finden, können wir auch soziale Themen viel besser aufgreifen. Deswegen ist es aus unserer Sicht zentral, die Klimakrise auch als soziale Krise zu betrachten. Von den Folgen des Klimawandels werden v.a. die betroffen sein, die z.B. geringere Einkommen haben oder sowieso schon in gesellschaftlichen Strukturen benachteiligt werden. Wir sehen das als einen Kampf.

 

„Im Moment arbeiten deutlich mehr Menschen im Bereich der erneuerbaren Energien, und dort werden auch deutlich mehr neue Arbeitsplätze entstehen, als im Bereich der Kohle“

 

Inwieweit reagiert ihr auf den häufig von konservativen Kreisen erhobenen Vorwurf, Klimagerechtigkeit auf Kosten der sozialen Gerechtigkeit zu betreiben?

Charlotte: Im Moment arbeiten deutlich mehr Menschen im Bereich der erneuerbaren Energien, und dort werden auch deutlich mehr neue Arbeitsplätze entstehen, als im Bereich der Kohle. Wir sehen in diesem Diskurs den Begriff Klimagerechtigkeit sehr verkürzt dargestellt. Es wird behauptet, dass Klimaschutzmaßnahmen dazu führen, dass Menschen ihre Arbeitsplätze verlieren. Aber auf der anderen Seite wird nicht erwähnt, dass Menschen durch die Braunkohleförderung teilweise ihre Wohnorte verlieren, weil Dörfer umgesetzt werden. Klimagerechtigkeit heißt auch historische Verantwortung zu übernehmen. Wir haben als Industrienation bisher schon sehr viel CO2 emittiert, im Gegensatz zu anderen Staaten. Es ist daher ungerecht zu sagen, wir machen einfach weiter und ihr müsst aber jetzt auf dem gleichen Niveau bleiben. Da muss man Wege finden, Gerechtigkeit herzustellen und mit der historischen Verantwortung umzugehen. Der Klimawandel betrifft v.a. ökonomisch schlecht gestellte Menschen und verschlechtert deren Situation. Gerechte Klimaschutzmaßnahmen sind daher notwendig. Uns ist es ein Anliegen darüber aufzuklären, dass von vielen Konservativen der Begriff Klimagerechtigkeit verkürzt dargestellt wird, dass damit eben keine sozialen Nachteile einhergehen, im Gegenteil.

Ole: Klimagerechte Maßnahmen zu verfolgen heißt, dass man sowohl globale Verantwortung als auch Verantwortung hier in Deutschland trägt, dass Klimaschutzmaßnahmen sozial verträglich sind. Dazu gehören nicht nur Menschen mit wenig Einkommen oder diskriminierte Menschen, sondern auch die Menschen, die durch strukturelle Veränderungen, die wir dringend brauchen, neue Arbeitsplätze benötigen, etwa in den Kohlegebieten. Aber, wenn wir ehrlich sind, wirtschaften wir diese Gebiete seit Jahren herunter. Die Attraktivität ist stark gesunken. Das liegt u.a. daran, dass nur auf Kohle gesetzt wird in diesen Regionen. Wenn wir ernsthaft einen Strukturwandel einleiten, den wir dringend benötigen, um eine klimagerechte Zukunft zu haben, dann bieten wir den Gegenden auch mehr Attraktivität, weil wir ihnen ein neues Gesicht geben können. Wir können neue Arbeitsplätze im Bereich erneuerbare Energien schaffen und dabei auch viele Jobs erhalten, weil die Anforderungen sehr ähnlich sind. Damit können wir auch wieder Kultur und Leben in die Regionen bringen, die in den letzten Jahren stark benachteiligt wurden. Das ist auch in Ostdeutschland bzw. Mitteldeutschland wichtig und das tut auch den Menschen vor Ort gut, wenn wir einen erfolgreichen Strukturwandel umsetzen. Es ist eine Ausrede konservativer Parteien, um nicht die entsprechenden Maßnahmen treffen zu müssen, sondern weiter auf fossile Strukturen und ein fossiles Zeitalter setzen zu können.

 

Ist zwischen Klimawandel und dem Erstarken rechter Strukturen in den letzten Jahrzehnten ein Zusammenhang zu sehen?

Charlotte: Wir sehen, dass Parteien wie die AfD in Gebieten stark sind, in denen die Infrastruktur stark ausbaufähig ist und wo Menschen höchstwahrscheinlich Angst haben, dass Klimaschutzmaßnahmen nicht sozial verträglich sind. Dem gegenüber steht eine sehr abstrakte Klimakrise, die schwer zu fassen ist, aber auch konkrete Probleme mit sich bringt, die Menschen sehr wohl sehen. Zum Beispiel, wenn der Sprit teuer wird und die Menschen keine andere Möglichkeit haben, z.B. zur Arbeit zu kommen. Man muss auch sagen, dass es oft auch angenehmer ist, auf abstrakte Probleme zu reagieren, indem man sagt, es ist nicht vorhanden oder nicht so schlimm, daher brauchen wir keine Einschränkungen und wir müssen nichts ändern. Da ist es für uns wichtig aufzuklären, wie notwendig die Maßnahmen sind und welche Vorteile sie bringen. Klimaschutzmaßnahmen können eben auch eine Bereicherung darstellen und wir hoffen auf diesem Weg, mehr Menschen zu erreichen.

 

„Es ist völlig legitim, Mittel zu wählen, die nicht unbedingt den klassischen rechtlichen Regeln entsprechen, um die Klimakrise einzudämmen.“

 

Ist es die Aufgabe von Fridays for Future, ungehorsamer gegenüber der Politik sein, um Klimagerechtigkeit durchzusetzen?

Charlotte: Es gibt ja nicht nur Fridays for Future, es gibt andere Organisationen, wie z.B. Extinction Rebellion, die andere Formen des Protests wählen als Fridays for Future. Prinzipiell ist sich aber ein Großteil der Bewegung einig, dass der Druck auf die Politik erhöht werden muss. Fridays for Future ist es wichtig, Menschen zu mobilisieren, weshalb wir verstärkt auf Demos setzen. Ziviler Ungehorsam ist aber aus unserer Sicht ein legitimes Mittel, wir haben Verständnis dafür und es gibt ja auch verschiedene Formen des zivilen Ungehorsams. Die Critical Mass etwa ist auch eine Form des zivilen Ungehorsams, friedlich Protest und Präsenz zu zeigen.

Ole: Auch Schulstreiks sind Formen zivilen Ungehorsams, das praktizieren wir seit Jahren. Es ist völlig legitim, Mittel zu wählen, die nicht unbedingt den klassischen rechtlichen Regeln entsprechen, um die Klimakrise einzudämmen. Elementar ist, dass keine Personen zu Schaden kommen und man es in einem Rahmen macht, wo es demokratische und grundlegend menschliche Werte hat. Aber: Die Klimakrise bedroht und tötet Menschen schon jetzt und viele Menschen haben Angst vor den Folgen der Klimakrise. Sie möchten, dass mit allem Nachdruck da was passiert, und erleben gleichzeitig massiven Widerstand in der Politik, obwohl es gesellschaftliche Akzeptanz hat, dass es massive Veränderungen geben muss. Das gleiche sagen Expert*innen auf den Gebieten. Blockierende Kraft ist die Politik und damit kann man sagen, sie trägt dafür die Verantwortung, dass Menschen Angst haben, sich bedroht fühlen. Da ist es also vollkommen legitim, neue Aktionsformen zu wählen und sich Gedanken zu machen, die dann ganz verschieden sein können. Ziviler Ungehorsam kann friedliche Aktion sein, es kann aber eben auch sein, dass man Infrastruktur blockiert.

 

Was ist eure Bilanz für 2021 und welche Aktionen plant ihr demnächst?

Charlotte: Was in den letzten Jahren deutlich war, ist, dass die Coronakrise den öffentlichen Diskurs sehr stark prägt und dadurch andere Themen Gefahr laufen, in den Hintergrund zu geraten. Wichtig ist, dass das nicht passiert, und dass wir immer wieder zeigen, dass die Klimakrise weiterhin ein Problem ist, auch wenn es andere Probleme gibt. Ich persönlich habe die Demo am 24.9. als sehr positiv empfunden, bei der ich ja auch bei Fridays for Future angefangen habe. Der Koalitionsvertrag wäre ausbaufähig gewesen.

Ole: 2021 war ein positives Jahr in der Arbeit von Fridays for Future. Wir haben es geschafft, dass zehn Kohlekraftwerke abgeschaltet wurden, wir haben Klima zu einem der wichtigsten Themen bei der Wahl gemacht und am 24.9. haben wir über 600.000 Menschen auf die Straße gebracht, während einer Pandemie und das coronakonform. Das zeigt, wie viel Kraft wir haben, trotz dieser kräftezehrenden Pandemie. Und es zeigt auch, wie groß das Bedürfnis in der Gesellschaft ist, Veränderungen zu erkämpfen. Ich denke, dass wir unfassbar viel Arbeit vor uns haben. Wir machen uns gerade viele Gedanken darüber, wie wir das im kommenden Jahr erkämpfen wollen. Vielleicht gibt es neue Aktionsformen, wir werden neue Wege gehen, um noch mehr Menschen zu gewinnen.

Fridays for Future Halle

ist die Ortsgruppe der globalen Bewegung.

 

 

 

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