Wenn Gesundheitsversorgung nicht genug Profit abwirft

Angestellte des KMG Klinikum Havelberg kämpfen gegen Krankenhausschließungen im ländlichen Raum

von | veröffentlicht am 20.01 2021

Beitragsbild: Sandra Braun

Mitten in der Pandemie wird in Havelberg ein Krankenhaus geschlossen. Im September war Schicht im Schacht in einem der kleinsten Krankenhäuser in Deutschland. Seit mittlerweile fast einem Jahr protestieren die ehemaligen Beschäftigten gegen die Krankenhausschließung. Erst gründeten sie einen Betriebsrat und nach der Schließung den Verein „Pro-Krankenhaus Havelberg“. Unterstützung erfahren sie dabei von den Bewohner*innen der kleinen Hansestadt im Nord-Osten von Sachsen-Anhalt. Havelberg steht exemplarisch für viele ähnliche Konflikte in Deutschland. Wie kann auf dem Land eine gute gesundheitliche Versorgung gewährleistet werden? Und – können eine flächendeckende Gesundheitsversorgung und die Ökonomisierung des Gesundheitssystems überhaupt noch in Einklang gebracht werden?




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Der Sommer neigt sich langsam dem Ende zu. In Deutschland nehmen die Diskussionen um eine mögliche zweite Welle langsam Fahrt auf. Und in Havelberg schließt zum ersten September 2020 ein Krankenhaus. Dabei hatte das Krankenhaus eine neue Intensivstation mit Beatmungsgeräten, wie sie für Corona-Patient*innen gebraucht werden. Es ist das einzige Krankenhaus in einer Umgebung von dreißig Kilometern. Mitten in der Corona-Pandemie stehen die Havelberger*innen plötzlich ohne Krankenhaus da. Und das obwohl die Anbindung der Stadt schon jetzt sehr schlecht ist.

Sandra Braun ist Krankenschwester im Havelberger Krankenhaus. In zwei Jahren hätte sie ihr vierzig-jähriges Dienstjubiläum feiern können. 1983 begann sie als 17-jährige ihre Ausbildung zur Krankenpflegerin. Sie hat erlebt, wie seit der Eingliederung in die BRD das Krankenhaus sukzessiv verkleinert worden ist. „Nach und nach“ seien Stationen geschlossen worden, so Braun. Die KMG – der private Klinikkonzern, der das vormals öffentliche Krankenhaus 2002 kaufte – habe das damit begründet, dass es „keine Patienten mehr“ gäbe.

So wie dem Krankenhaus in Havelberg geht es vielen kleinen Krankenhäusern in Deutschland. Einflussreiche Think-Thanks und Stiftungen wie die Bertelsmann Stiftung fordern seit Jahren, die Schließung von Krankenhäusern mit weniger als 200 Betten. Havelberg hatte am Ende 37 Betten. Die Schließung kleiner Krankenhäuser wird nicht nur gefordert, sondern noch auch mit Prämien begünstigt. Braun kritisiert, dass KMG aufgrund von alten Verträgen mit dem Land Sachsen-Anhalt öffentliche Gelder für das Schließen des Krankenhauses in Havelberg erhalte. Sechs Millionen Euro soll laut dem LINKE-Landtagsabgeordneten Wulf Gallert im Tagesspiegel KMG vom Land für das Schließen des Krankenhauses bekommen. Trotzdem gelang es dem Land nicht, das Krankenhaus zu erhalten. Die Versuche des Kreises Stendal KMG das Krankenhaus abzukaufen scheiterten bisher an den Forderungen des Unternehmens. Nicht nur will das Unternehmen laut Sandra Braun einen „absurd“ hohen Kaufpreis. KMG wolle außerdem diktieren, was in Havelberg zukünftig angeboten werden darf. Verantwortlich dafür macht Sandra Braun den Staat, der die Ökonomisierung des Gesundheitssektors vorangetrieben und so erst die Bedingungen für die Schließung kleinerer Krankenhäuser geschaffen habe.

Zwei Drittel aller Krankenhäuser in Deutschland sollten in Deutschland geschlossen werden. Das fordert eine Studie der Bertelsmann-Stiftung aus dem Juni 2019. Statt ca. 1400 Kliniken wie bisher, sollen knapp 600 Krankenhäuser zukünftig den Bedarf stemmen. Der Vorschlag hat prominente Unterstützer wie beispielsweise SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Doch warum sollen ausgerechnet Krankenhäuser geschlossen werden? Die Idee dahinter ist, dass die Qualität der medizinischen Versorgung in großen Krankenhäusern besser wäre, da dort mehr Spezialist*innen und Fachärzt*innen zur Verfügung stünden. Seltene und sehr komplizierte Behandlungen würden dort öfters und damit besser durchgeführt.

Über den Autor

Luca Schooß Neves beschäftigt sich mit sozialen Themen und ist Journalist auf Probe – dies zur Zeit hauptsächlich bei Radio Corax. Im Transit-Magazin schrieb er zuletzt über einen ominösen Mieterrat.

Profitable und verlustbringende Diagnosen

Im Kern jedoch geht die Zentralisierung mit einer Gewinnmaximierung privater Kliniken einher. Seit Mitte der 1980er wurde erst in Westdeutschland und später dann auch in Ostdeutschland das öffentliche Gesundheitssystem sukzessiv kommerzialisiert. Durften Krankenhäuser bis 1986 gar keine Gewinne machen, müssen sie es jetzt. Höhepunkt hatte diese Entwicklung mit der Einführung der Fallpauschalen – auch DRGs genannt – in den Jahren 2003 /2004. Für jede Behandlung gab es eine festgelegte Pauschale. Egal wie lange der oder die Patient*in auf der Station lag. Von da an gab es profitable und verlustbringende Diagnosen. In ganz Deutschland begannen Konzerne, Krankenhäuser und Kliniken aufzukaufen. Ein Markt wurde geschaffen. So lief es auch in Havelberg. Sandra Braun berichtet, dass Krankenhaus in Havelberg habe „diese ganz leichten Fälle, die in der DRG überhaupt keine Beträge abwerfen, behandelt.“ Braun weiter: „Die guten Sachen hat sich dann die KMG in ihre Spezialkliniken verteilt und für uns blieb dann nichts über. Wir haben nichts verdient. Wir haben die Pflege gemacht und die haben sich die Sahnestücken geholt.“

Die Havelberger Klinik konnte sich auf diese Weise finanziell nicht über Wasser halten und musste geschlossen werden. Damit wollen sich die ehemaligen Beschäftigen abemr nicht zu Frieden geben. Seit mehr als einem Jahr protestieren sie gegen die Schließung. KMG wollte um keinen Preis das Krankenhaus verkaufen. Stattdessen richteten sie einen Bus-Shuttle zum nächsten KMG-Krankenhaus in Kyritz ein. In dem ehemaligen Krankenhaus-Gebäude in Havelberg möchte der Konzern ein Altenheim errichten. Arbeiten sollten dort eigentlich auch die ehemaligen Beschäftigten des Krankenhauses. Das Angebot dort zu arbeiten, verweigerten die ehemaligen Pfleger*innen und Ärzt*innen aber kollektiv. Entweder fanden sie woanders Arbeit in der Pflege oder sie entschieden sich erst einmal für die Arbeitslosigkeit. Zusätzlich suchten sie nach Wegen, den Protest auch ohne Krankenhaus fortzuführen. Im Zuge der Abwicklung der Klinik fiel zwar auch er Betriebsrat weg, jedoch gründeten die Aktiven den Verein Pro-Krankenhaus Havelberg

Verein fordert Rekommunalisierung aller Krankenhäuser


Der Verein fordert die Erhaltung der medizinischen Grundversorgung in Havelberg. Aber nicht nur das, sie haben sich die Rekommunalisierung aller Krankenhäuser in Deutschland auf die Fahne geschrieben. Braun berichtet, dass der Verein ein strukturelles Problem erkannt habe. Ihre Kämpfe wollen die Havelberger*innen daher bundesweit gemeinsam führen. Jetzt wollen sie Verbindungen zu den ehemaligen Belegschaften anderer Einrichtungen aufbauen, denen es ähnlich geht. Sie haben begonnen zu zählen, wie viele Krankenhäuser letztes Jahr in Deutschland – bereits in der Pandemie – schließen mussten. Auf mindestens zwanzig sind sie gekommen. Diese haben sie alle angeschrieben.

Ihr Kampf für eine flächendeckende und unkommerzielle Gesundheitsversorgung soll überregional gesehen und gekämpft werden. Bis dahin protestieren sie in Havelberg weiter. So machen sie jeden Donnerstag eine „aktive Mittagspause“ erzählt Braun. Bereits seit dem letzten Jahr habe man wöchentlich vor dem Krankenhaus gestanden oder sei durch die Stadt gelaufen. Mittlerweile findet die aktive Mittagspause auf dem Domplatz statt. Letzten Donnerstag kamen immerhin fünfzig Havelberger*innen. Morgen, am 21. Januar jährt sich die aktive Mittagspause in Havelberg zum ersten Mal. Dann ist es ein Jahr her, dass die Beschäftigten ihre Proteste gegen die Schließung begangen. Ein Ende ist noch nicht in Sicht.

Bei dem Beitrag handelt es sich um eine redaktionell bearbeitete Version des Beitrags Krankenhausschließungen: „Sie haben uns tot gespart“, der am 18.01.21 von Radio Corax gesendet wurde.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.