„Linke Szene, danke für nichts!“

„Spannervideos“ auf Monis Rache und die Reaktionen von Betroffenen und Festivalorganisator*innen

von | veröffentlicht am 10.02 2020

Beitragsbild: Transit

Die heimlichen Filmaufnahmen auf dem linken Festival Monis Rache verweisen auf gesamtgesellschaftliche Probleme ebenso wie auf gravierende Missstände innerhalb der Linken. Jetzt wollen Betroffene in Leipzig und Berlin auf die Straße gehen.




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Ein männliches Mitglied des Monis Rache-Kollektivs hat in mehreren Jahren heimliche Filmaufnahmen auf Dixi-Klos angefertigt und Videos von weiblich gelesenen Menschen unter dem Usernamen hfraenklin1 auf Pornoseiten geteilt und verkauft – das wurde Anfang des Jahres durch eine investigative Reportage der Journalistin Patrizia Schlosser bekannt. In der vergangenen Woche kam zudem heraus, dass sich eine ähnliche Tat 2019 auf der Fusion ereignet hat. Die beiden Fälle sind Beispiele für nicht-konsensuelle Pornographie, wie sie sich massenhaft im Internet findet und von Millionen angeschaut wird. Die großen Porno-Portale haben damit offenkundig kein Problem. Videos würden zwar entfernt, wenn die darin zu sehenden Menschen erklärten, nicht damit einverstanden zu sein, so xHamster gegenüber Vice. Wie zynisch diese Aussage ist, wird klar, wenn man bedenkt, dass die meisten auf diese Art Gefilmten überhaupt nicht um die Existenz der Videos wissen.

„Betroffen sind einige, gemeint sind wir alle!“

Das zunehmende Bekanntwerden solcher heimlich aufgenommenen Videos zeigt, wie sich die alltägliche sexualisierte Gewalt ins Digitale ausbreitet. FLINT*-Personen (also Frauen, Lesben, inter-, nicht-binäre und trans*-Menschen) sind ohnehin seit frühester Kindheit daran gewöhnt, im öffentlichen Raum belästigt und angegriffen zu werden. Die permanente Gewaltandrohung wirkt als effektiver Kontrollmechanismus. FLINT*s wachsen daher mit vermeintlich gut gemeinten Ratschlägen rund um angemessene Kleidung, Konsumverhalten und im Dunkeln zu meidende Wege auf. Nun kommt das Risiko hinzu, ohne eigenes Wissen oder gar Zustimmung in privaten Situationen gefilmt und im Internet zur Protagonist*in eines Pornos zu werden, der gerade deshalb von Männern konsumiert wird, weil er eine erhebliche Gewaltausübung und Demütigung darstellt. Die Technologie hat sich geändert, der Sexismus ist der alte geblieben. Es geht weiterhin um die wahllose Ausübung von Gewalt auf weiblich gelesene Körper und die Macht, jede noch so banale Alltagssituation einseitig sexualisieren zu können. Eine Gruppe betroffener FLINT*s aus Leipzig schreibt dazu in einem Statement zu den Taten auf Monis Rache:


Und auch, wenn nur einige von uns wirklich auf den Videos zu sehen sind (wie viele, wissen wir nicht), ist dies ein misogyner und cissexistischer Angriff, der sich gegen uns alle richtet. Wir können also (auch hier) feststellen: Betroffen sind einige, gemeint sind wir alle!“


Eine weitere Kontinuität stellt der Männerbund dar, der sich vom Stammtisch oder Fußballverein in Online-Foren verlagert: Wie aus Schlossers Reportage hervorgeht, sind der Austausch von Videos mit anderen Nutzern und die gemeinsame Kommentierung der darin zu sehenden Menschen ein wesentlicher Antrieb für hfraenklin1. Die frauenverachtende Herabwürdigung dient also auch in diesem Fall der gegenseitigen Anerkennung der eigenen (heterosexuellen cis-) Männlichkeit. Die sogenannten „Spanner-Videos“ können daher als weiteres Symptom einer Gesellschaft verstanden werden, die FLINT*s die Rolle eines Objekts zuweist, über das Männer nach Belieben verfügen können.

Komplizenschaft und Täterschutz

Für viele Betroffene der Taten von Monis Rache und der Fusion ist jedoch besonders verletzend, dass sie sich auf Festivals der linken Szene ereignet haben, auf denen sie sich vergleichsweise sicher fühlten und die vordergründig mit Awareness-Strukturen, Oberkörperfrei-Verbot und feministischen Acts Wert auf eine dezidiert antisexistische Außenwirkung legen.

Während das Fusion-Kollektiv unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Videos an die Öffentlichkeit gegangen ist , ist der Umgang der Monis Rache-Struktur erschreckend und wird von vielen Festivalbesucher*innen als Schlag ins Gesicht empfunden:

Im Herbst 2019 hatte ein Teil des Monis Rache-Kollektivs durch Patrizia Schlosser von den im Internet kursierenden Videos erfahren. Diese Kleingruppe entschied eigenmächtig, die Taten vor dem Rest des Kollektivs und den Besucher*innen geheim zu halten. Der eigene Anspruch dieser Gruppe, „Täterarbeit“ betreiben zu wollen, wirkt nicht nur vermessen, sondern verkennt auch die Bedürfnisse aller potentiell Betroffenen. Zudem könnte dieses Vorgehen eine Strafverfolgung erschweren, weil der mutmaßliche Täter mehrere Monate Zeit zur Vernichtung möglicher Beweise hatte. Die Aufarbeitung dieses skandalösen Umgangs zieht weite Kreise in Leipzig, wo hfraenklin1 bisher wohnte: Mitwisser*innen gab es nicht nur im Monis Rache-Kollektiv, sondern auch in einem Hausprojekt und einem linken Sportverein.

Diese Art von Komplizenschaft und Täterschutz innerhalb der Linken hat dazu geführt, dass sich viele Betroffene im Stich gelassen fühlen: „Linke Szene, danke für nichts“ bringen es die Leipziger Aktivist*innen in ihrem Statement auf den Punkt. Schon kurz nach Erscheinen der Reportage haben Betroffene sich daher bundesweit selbst organisiert, um einander emotional zu unterstützen oder auch Informationen um eine mögliche Strafverfolgung sammeln (einen guten Überblick zu diesem Thema bietet der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein).

Kritisiert wird neben den Festival-Organisator*innen auch die Journalistin Schlosser. Nach Ansicht vieler Betroffener hätte sie verhindern können, dass im Jahr 2018 weitere Besucher*innen gefilmt werden. Dazu hätte sie die Festivalcrew auf die ihr bereits bekannten Videos aus dem Jahr 2016 aufmerksam machen müssen. Das sei ihr und ihrem Team damals „sinnlos“ erschienen, antwortete Schlosser auf eine entsprechende Frage eines Twitter-Nutzers . Wer die Reportage anschaut, kann aber leicht den Eindruck gewinnen, dass Schlosser für eine gute Story bereitwillig die Interessen möglicher Betroffener unter den Tisch fallen lässt. Dazu trägt vor allem ihre Selbstinszenierung als Detektivin auf Verbrecherjagd bei.

Demonstrationen in Leipzig und Berlin

In Berlin und Leipzig haben sich Betroffene jetzt zusammengeschlossen, um gemeinsam auf die Straße zu gehen. In Berlin startet am Abend des 14. Februar unter dem Motto „My body is not your porn“ am Hermannplatz eine FLINT*-only-Demo. In Leipzig gibt es ebenfalls am 14. Februar unter demselben Motto eine Kundgebung mit Straßenfest und anschließender Demo durch den Leipziger Osten. Diese Veranstaltung ist für Menschen aller Geschlechter offen. Der Kundgebungsort und die Demonstrationsroute sind bewusst gewählt und führen vorbei an den Orten, an denen hfraenklin1 gewohnt und Zeit verbracht hat. Auch die linke Szene in Halle hat enge Verbindungen zu Monis Rache. 2018 gab es sogar einen eigenen Floor, der von Menschen aus Halle gestaltet wurde. Doch bis auf ein Facebook-Posting der Reil78 ist es außerhalb des Kreises der Betroffenen um das Thema bisher ruhig geblieben..

Derweil hat die Monis Rache-Struktur nach zwei halbgaren Facebook-Posts eine umfassende Stellungnahme auf ihrer Internetseite veröffentlicht. Damit kommt sie, wenn auch verspätet, zumindest der Forderung nach Transparenz nach. In dem Statement werden das Entsetzen der Verfasser*innen über die Taten und zugleich die Überforderung mit der Doppelrolle als Festival-Verantwortliche und Betroffene deutlich. Auch spricht aus dem Text der Wunsch nach Aufarbeitung der von Teilen des Kollektivs begangenen Fehler. Doch die Akte sexualisierter Gewalt und die in jeder Hinsicht schief gelaufene Reaktion darauf lassen sich nicht rückgängig machen. Umso wichtiger sind daher umfassende Reflexions- und Transformationsprozesse – sowohl innerhalb der Linken, als auch gesamtgesellschaftlich. Das Thema der nicht-konsensuellen Pornographie und ihrer Einbettung in gesellschaftliche Zusammenhänge muss stärker ins allgemeine Bewusstsein rücken. Männlich dominierte Strukturen in linken Räumen müssen aufgebrochen werden. Und nicht zuletzt bedarf es kritischer Jungen- und Männerarbeit zur Überwindung gewaltorientierter Männlichkeitsnormen. Das alles braucht viel Zeit. Die anstehenden Demonstrationen können dafür einen Auftakt bilden.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.