Linke Kunst und der KI-Hype

Versuch eines Debattenbeitrags

von | veröffentlicht am 25.03 2024
Das Foto zeigt ausgedruckte Bilder an einer hellen Wand. Die Bilder sind bunt und stellen Drachen und andere Fantasiewesen, zum Teil in Barumgebungen, dar.

Beitragsbild: mf

Die zunehmende Verwendung von KI-generierten Bildern zur Bewerbung von Demoaufrufen und Lesekreisen wirft die Frage auf, ob Linke zu ausgebrannt sind, um sich mit der Kunst und den Kunstschaffenden in ihren eigenen Reihen zu beschäftigen. Ich habe mit Aktivist*innen und Künstler*innen gesprochen und liefere euch hot takes in your area.




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„Klar ist Kunst auch schön, aber Gedichte schreiben verändert nichts.“
(Zitat aus einem Plenum, ca. 2017, nach Gedächtnisprotokoll)

Los ging es mit zwei Beobachtungen im eigenen Bekanntenkreis: Meine kunstschaffenden Friends haben keine Lust mehr, Kunst in linken aktivistischen Zusammenhängen zu machen. Meine aktivistischen Friends wiederrum verwenden seit letztem Jahr zunehmend Material aus generativen Bild-KIs wie DALL-E und Midjourney, um ihre Texte und Veranstaltungsaufrufe zu illustrieren. Ist das eine die Folge vom anderen? Erlebe ich ein Scheitern der Vermittlung zwischen Kunst und Aktivismus? Und vor allem: Wer hat Schuld??? Es besteht die (dem Thema durchaus angemessene) Gefahr, hier unzusammenhängende Dinge zu einem vermeintlichen Muster zusammenzulegen. Dennoch bin ich der Ansicht, dass sich dabei etwas Allgemeines lernen lässt, über Linke und Kunst, über den Sinn und Zweck gestalterischer Arbeit, und über Hypes in der neoliberalen Tech-Bubble und unseren Umgang damit.

Es ist ein sehr kalter Januartag, ich stehe vorm Lila Drache. Man lässt mich rein und wir reden über einen Open Call: Menschen konnten hier Material einsenden, das sie mit Text-zu-Bild-Generatoren erstellt haben, die auf Techniken wie Machine Learning zurückgreifen. Stark vereinfacht läuft es darauf hinaus, dass anhand von Texteingaben (engl. Prompts) Bildmaterial generiert wird, welches auf großen Sammlungen von Bild- und Metadaten beruht, die in diese Modelle eingespeist werden müssen. Anhand des Aufrufs entstanden Darstellungen von Drachen, Bars, Drachen in Bars und vergleichbares in einer Vielzahl von Stilen. Kolja erklärt, dass die einfache Handhabung dieser Generatoren für Nutzer*innen anschlussfähig sei an das eher weite Kunstverständnis im Drachen. „Oft sagen Leute, sie können nicht malen, nicht singen oder sich anderweitig nicht künstlerisch verwirklichen. Da bietet KI-Kunst eine Möglichkeit für jeden, sich mal ranzusetzen, was einzutippen, und zu schauen was passiert.“ Trotz dieser vermeintlichen Niedrigschwelligkeit schien es in den ersten Einsendungen eine männliche Dominanz zu geben. Kolja schildert, dass dem durch einen gezielten zweiten Aufruf an weibliche und genderqueere Personen aktiv entgegengewirkt werden musste.

Das grundlegende Problem des ersten Aufrufs – trotz einer scheinbar neutralen Formulierung entsteht Ungleichheit – findet sich in verdichteter Form auch bei der Nutzung der Bild-KIs. So wurde in den Einreichungen das Barpersonal oft als männlich dargestellt. Dieser ‚Bias‘ musste durch sogenanntes ‚Gegenprompten‘ korrigiert werden, also dem bewussten Formulieren von Texteingaben wie „weibliches Barpersonal“. Spätestens hier stellt sich die Frage, ob sich ein Werkzeug, was derartig von gesellschaftlichen Vormachtstellungen durchsetzt ist, für den Einsatz in linken Zusammenhängen eignet. Kolja ist geteilter Meinung: „Bei Online-Posts für einen kleinen Lesekreis zum Beispiel, wo die Kapazitäten für gestalterische Arbeit sehr begrenzt sind, kann es sinnvoll sein. Bei größeren politischen Kampagnen muss man sich das aber gut überlegen, gerade aufgrund von Biases und möglichen Doppeldeutigkeiten.“

Über die Frage zum linken Umgang mit generativer Bild-KI habe ich auch mit dem Data-Aktivisten Lorenz gesprochen. Für ihn lässt sie sich grundsätzlicher beantworten: „Zunächst ist das keine progressive Technik. Das Tagging der Trainingsdaten ist die eigentliche Arbeit, die sich hinter dem KI-Begriff verbirgt, und die wird in den globalen Süden ausgelagert. Im Grunde wird die Illustrationsarbeit dadurch abstrahiert, outgesourced und bei noch höherer psychischer Belastung schlechter bezahlt.“ Die Kämpfe gegen die Überausbeutung dieser Arbeiter*innen sollten daher zum Fokus linker Auseinandersetzungen mit dem Hype um KI werden. Hinzu kommen Monopolstrukturen: Die Produktionsmittel für generative Bild-KI befinden sich im Besitz weniger kapitalistischer Unternehmen wie Google, Microsoft, Amazon, Baidu und Alibaba. Alle neuen Startups, die ein Geschäft mit der Technik machen wollen, sind von den Ressourcen dieser „Big Player“ abhängig.

Generative Bild-KI erscheint mir mittlerweile als eine Methode zur Illustration, die linken Grundsätzen nicht gerecht wird. Trotzdem sehe ich jede Woche generierte Bilder in meinen Feeds, sie bewerben Vorträge, Demos oder Infoposts. Vielleicht fehlt den Menschen das Wissen um Alternativen? Lorenz schlägt Creative Commons Datenbanken wie Wikimedia oder Unsplash für die schnelle Suche nach verwendbaren Bildquellen vor. Er betont aber auch, dass es okay ist, Menschen um Hilfe zu fragen, die eben gut zeichnen, fotografieren oder anderweitig gestalten können, und ihren Beitrag anzuerkennen und wertzuschätzen. Womit wir beim linken Umgang mit Kunstschaffenden wären.

Ich schreibe mit einer befreundeten Person, die politische Kunst macht, sich aber aus aktivistischen Gruppen zurückgezogen hat. Die Person erzählt: „Als Künstlerin fühle ich mich in linken Gruppen oft als billige und vor allem nicht wertgeschätzte Arbeitskraft. Kunst soll günstig, einfach und schnell verfügbar sein, sonst ist sie elitär. Dabei verbringen die meisten Kunstschaffenden, die Geld haben, gesund sind und so weiter, ihre Zeit ja in prestigeträchtigen Kunstvereinen oder Akademien und nicht bei linken Plena.“ Die Person betrachtet diese Haltung als einen Grund für das linke Interesse an KI-Material und verweist auf einen Essay von Yori Gagarim mit dem Titel „Why I stopped making merch for a revolution that does not happen“.

Gagarim problematisiert darin den Umgang mit politischer Kunst in linken und queeren Kontexten anhand eigener Erfahrungen. Der Text ist eine grundlegende Kritik und Analyse: „Politische Inhalte und ‚Awareness‘ haben sich in vielen queeren Communities sowohl zu einer Werbestrategie als auch zu einer Ware selbst entwickelt“, heißt es dort. Bei all dieser Selbstbezogenheit fehle es jedoch erheblich an einem Bewusstsein für die Produktionsprozesse: „Viele verwechseln Anti-Kapitalismus mit: ‚Ich muss/will nicht bezahlen.‘ Oder mit: Ich habe ein Recht darauf, alles umsonst zu bekommen.‘“ Immer wieder würde ignoriert, dass politische Künstler*innen von ihrer Arbeit leben müssen, oder ihre Position als Mensch mit Erfahrung würde nicht ernst genommen. „Es ist […] nicht romantisch, ein*e arme*r Künstler*in zu sein. Durch eine Romantisierung wird die Ausbeutung und Kontrolle von Kunst beibehalten und Künstler*innen auf ihren Platz verwiesen. Arbeite nicht umsonst. Niemals.“

Ich frage auch im Lila Drache zur Honorierung von Künstler*innen nach. Für Kolja steht dahinter die grundsätzliche Frage, welche Arbeit in linken Kollektiven bezahlt wird und welche nicht. „Künstler*innen haben [bei einer bestimmten Veranstaltungsreihe] Geld bekommen, auch weil es wirklich viele Stunden waren. Gleichzeitig gibt es dort zum Beispiel Leute von der Raumplanung, die den Hintergrund ihrer Tätigkeiten vielleicht nicht studiert haben, und dennoch viel arbeiten. Das wird immer wieder diskutiert.“

Ein Problem ist sicher auch der inhaltliche Anspruch an politische Kunst. Yori Gagarim und die befreundete Künstlerin beklagen jeweils, dass sie oder ihre Kunst als arrogant oder elitär bezeichnet werden, wenn Menschen den Inhalt nicht auf Anhieb verstehen. Die Bildsprache der generierten Inhalte könnte hingegen kaum einfacher sein: Arbeiter*innen und Bäuer*innen mit erhobenen Fäusten, düstere Fabriken, Männer in Anzügen mit prall gefüllten Geldkoffern – nichts davon ist wirklich neuartig, interessant oder subtil, auch nicht, wenn genanntes im Manga-Stil erscheint. Klar, hinter allem steht die Angst, dass unzugängliche Kunst ihr agitatorisches Potential verliert. Doch die Bilder, die hier gepromptet werden, existieren bereits, und es ist kein großer Aufwand, historische linke Propagandakunst zu finden und zu verwenden, oder zu verfremden, wenn man sich darauf beziehen mag.

Die Übernahme des Hypes um generative Bild-KI trotz Alternativen ist bitter, wenn dieselben Menschen die politischen Künstler*innen in ihrem Umfeld so wenig wertschätzen. Auch der Vorwurf, linke aktivistische Kunst sei zu elitär, erscheint einigermaßen absurd, weil sie oft sehr weit von tatsächlich elitärer Galeriekunst entfernt ist. Nicht nur inhaltlich, auch in ihrem Zweck als Ware: Während ein Gerhard-Richter-Gemälde in einer Auktion zum Spekulations- und Investitionsobjekt irgendwelcher Kapitalist*innen wird, lässt sich mit der Kunst der meisten Leute, die damit Aktivismus machen, oft kaum mehr als ein Mittagessen bezahlen.

Dennoch verstehe ich einen Teil der Beweggründe für den Einsatz generativer Bild-KI. Viele Linke sind gewohnt, dass ihre eigene politische Arbeit nicht bezahlt wird (ich schreibe diesen Text umsonst). Viele können oder wollen sich daneben nicht mit Kunst und Künstler*innen beschäftigen. Alle sind ausgebrannt. Der politische Rechtsruck, an dem sich auch die sogenannten demokratischen Parteien beteiligen, wird langfristig zur weiteren Kürzung oder vollständigen Streichung von Förderstrukturen für linke und progressive Projekte führen. Die Finanzierung wird sich noch schwieriger gestalten und Fragen nach Prioritäten aufwerfen. Ein Teil dieser Zerwürfnisse wird sich nicht (mehr) stoppen lassen.

Kapitalistische Zwänge sind ein geeignetes Mittel, um linke Bewegungen zu spalten. Das ist mein Take am Ende dieses Artikels. Ich spüre wiederrum den Zwang, mit Forderungen zu schließen, vielleicht, um mich dem Vorwurf zu entziehen, unkonstruktiv zu sein. Daher gibt es nun eine handvoll Forderungen:

  1. Linke Gruppen können in sich gehen und reflektieren, was sie mit Kunst (erreichen) wollen. Bestenfalls entsteht daraus eine Position zum Umgang mit politischen Künstler*innen.
  2. Die Unterstützung von Arbeitskämpfen in der Tech-Branche, die ihr Geschäft mit generativer KI macht, ist notwendig und stellt keine Entsolidarisierung mit Künstler*innen dar.
  3. Kunst ist tatsächlich oft elitär. Dann dient sie direkt oder indirekt dem Machterhalt der besitzenden Klasse. Das trifft auf die Arbeit der linken Künstler*innen, um die es hier geht, oft nicht zu. Linke Kunstkritik sollte daher die Besitzverhältnisse zum Schwerpunkt ihrer Betrachtung machen.

 

Weiterführende Texte und Links:

Gagarim, Yori. 2017. Why I stopped making merch for a revolution that does not happen – Warum ich aufgehört habe, Merch für eine Revolution zu machen, die nicht stattfindet. 1. Auflage. Münster: edition assemblage. https://www.edition-assemblage.de/buecher/why-i-stopped-making-merch-for-a-revolution-that-does-not-happen/

Grundlegender Vortrag mit linker Kritik an generativer KI von Rainer Mühlhoff: https://media.ccc.de/v/37c3-11937-ki_macht_ungleichheit

Artikel zu Arbeitskämpfen im Zusammenhang mit generativer KI (englisch): https://www.noemamag.com/the-exploited-labor-behind-artificial-intelligence/

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.