Licht ins Dunkel der Wendeschatten

Marginalisierte Perspektiven auf den Systemwechsel

von | veröffentlicht am 07.08 2019

Beitragsbild: Miteinander e.V.

Es sind nur noch wenige Tage bis zur Gedenkveranstaltung für Delfin Guerra und Raúl Garcia Paret in Merseburg. Wir wollen marginalisierte Perspektiven auf DDR- und Wendezeit in den Fokus rücken und bringen dafür erneut einen etwas älteren Beitrag. Dabei handelt es sich um Ausschnitte aus Interviews, die für den Film »›Du weißt schon, wie in Rostock ...‹ – Ein Beitrag gegen das Vergessen rechter und rassistischer Gewalt im Sachsen-Anhalt der 1990er Jahre« vom Verein Miteinander geführt wurden.




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Der Film »›Du weißt schon, wie in Rostock …‹ – Ein Beitrag gegen das Vergessen rechter und rassistischer Gewalt im Sachsen-Anhalt der 1990er Jahre« zeigt Interviews mit Menschen, die die Zeit vor und nach der Wende als gesellschaftliche Außenseiter*innen miterlebt haben. Ihre Perspektiven und Lebensbedingungen waren sehr unterschiedlich. Zwei der Protagonist*innen sind Xavier und Elham. Xavier kam 1988 als sogenannter Vertragsarbeiter aus Mosambik in die DDR. Elham begleitete ihren Mann, der in der DDR eine Ausbildung zum Facharzt absolvierte. Nach einem Regimewechsel im Sudan wurde die Rückkehr jedoch unmöglich und das Paar wurde zu politisch verfolgten Flüchtlingen.

Die Schicksale der Protagonist*innen sind eng verbunden mit den historischen Entwicklungen 1989/90 und in den folgenden Jahren. Im Gespräch fällt auf, dass ihre Erinnerung an die Ereignisse der »Friedlichen Revolution« und an die deutsche Einheit nicht Teil der verbreiteten »Wendeerzählung« ist. Auswirkungen auf und Perspektiven von migrantischen Communities in der damaligen DDR und nach dem 3. Oktober 1990 spielen kaum eine Rolle. Ihre Ausgrenzungs-erfahrungen und das spürbare Wachsen einer feindlichen Stimmung gegen sie, gehören zur Geschichte dazu und müssen erinnert werden. Der Umgang mit »Vertragsarbeiter*innen« in der DDR sowohl durch den Staatsapparat als auch z. T. durch die Bevölkerung zeigt hierbei auch die Kontinuität rassistischer Einstellungen in der DDR-Gesellschaft vor 1989.

Aus Mangel an Arbeitskräften warb die DDR sogenannte Vertragsarbeiter*innen aus sozialistischen Bruderländern wie beispielsweise  aus Vietnam, Mosambik, Angola und Kuba an. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen waren für viele der Arbeiter*innen in der DDR hart und  weit unter dem DDR-Standard. Ein Beispiel: Wurde eine »Vertragsarbeiterin« schwanger, hatte sie zwei Optionen: Abtreibung oder Ausweisung. Die Intention war klar: Man wollte zwar günstige Arbeitskräfte, nicht jedoch eine Migrationsbewegung.

Die Lage verschlechterte sich massiv nach dem Fall der Mauer.  Bis zum Mai 1990 waren etwa 60% der in der DDR lebenden »Vertragsarbeiter*innen« von Kündigungen betroffen. Für die Menschen gab es dann drei Möglichkeiten: Abschiebung in das Herkunftsland, die relativ aussichtslose Beantragung politischen Asyls oder die Illegalität. Die ehemaligen »Vertragsarbeiter*innen« galten als »Ballast«. Die Mehrheit der Migrant*innen, die in die DDR gekommen waren, wurde ausgewiesen, weshalb sich die Position derer, die blieben, noch weiter marginalisierte. Hinzu kam eine ständige Bedrohung durch rechte und rassistische Gewalt. Diese Ausgrenzung betraf nicht nur die in den 1980er Jahren in die DDR gekommenen Arbeiter*innen und Student*innen sondern auch die bald hinzu gekommenen Flüchtlinge. Die beschriebenen Aspekte sind Teil der Erfahrungen der Protagonist*innen des Films. Während im Film nur kurze Ausschnitte der Interviews verwendet wurden, sind im Folgenden längere Passagen dokumentiert. Die Gespräche wurden einzeln geführt. Für den besseren Lesefluss wurden die Antworten allerdings neu zusammengestellt und redaktionell bearbeitet. Die vollständigen Interviews und weitere Artikel können in der Broschüre „Im Schatten der Wende. Rassismus und Neonazismus in Zeiten des Umbruchs“ nachgelesen werden.


„Die ehemaligen »Vertragsarbeiter*innen« galten als »Ballast«. Die Mehrheit der Migrant*innen, die in die DDR gekommen waren, wurde ausgewiesen, weshalb sich die Position derer, die blieben, noch weiter marginalisierte.“


Elham

Mein Mann kam 1989, genau vor der Wende und hat hier ein Jahr alleine gelebt. Er hat als Stipendiat eine Weiterbildung zum Facharzt gemacht. Ein Jahr später sind wir hierher, nach Magdeburg, nachgekommen. Wir haben ihn begleitet, denn er hatte ein Visum. Das war im Mai 1990. Mein Mann hat nur das Stipendium bekommen und dazu auch Hilfe von unserer Regierung. Aber dann gab es die Militärregierung und die hat alles gestoppt. Deshalb haben wir danach nur mit dem Geld vom Stipendium gelebt.

Xavier

Ich habe im Wohnheim gelebt. Also 1988 bis 1991 habe ich im Wohnheim gelebt. Seit 1992 war ich nicht mehr im Wohnheim.

Elham

Wir hatten eine Einzimmerwohnung oder wie sagt man: Appartement. Und  in diesem Zimmer haben wir gelebt, also ich und mein Mann und drei Kinder. Wir haben dieses Zimmer in zwei Teile geteilt. Ich und mein Mann haben in einem Teil geschlafen und meine Kinder im Hochbett und auf der Couch. Nach einigen Monaten haben wir gegenüber ein weiteres Zimmer gemietet und als Wohnzimmer benutzt.  So haben wir bis 1991 gelebt. Wir waren in diesem Gebäude die einzigen Nicht-Deutschen. Am Anfang haben die Leute ordentlicher gelebt. Die waren freundlicher. Wir hatten einige Nachbarn, die waren sehr lieb, waren für uns wie eine Familie. Die haben uns viel geholfen. Unser Nachbar war der Hausmeister und war für uns ein Freund und hat uns viel geholfen. Aber wir merkten, wie sich die Leute langsam verändern. Plötzlich hatten viele keine Arbeit mehr. Mehr Leute wurden Alkoholiker. Viele alte Möbel lagen überall. Keine Ordnung mehr.

Xavier

Also in den 1980er bis 1990er Jahren … Diese Zeit war ein bisschen anders. Das kann man so sagen. Wir, die schon in den 1980er Jahren da waren, haben den Unterschied an den Menschen gesehen. Von 1990 bis 2000 ist viel eskaliert in der ganzen  Bundesrepublik. Gegenüber der DDR hatte sich die Situation verändert. Die weißen Kollegen waren nicht mehr so nett wie früher. Wir waren nicht mehr »Kollegen«,  wir waren die »Bimbos«. Ich vermute, die Nazis hatten die  Propaganda schon »in der Schublade«. In  den 1980er Jahren durfte das aber nicht rauskommen, denk ich. Die zwei Jahre, also eineinhalb Jahre, die ich in der DDR gelebt habe, da gab’s sowas nicht. Und 1990 als die Demokratie in den Osten kam, da zogen sie gleich diese Nazipropaganda aus der Schublade. Da haben sie angefangen: »Ausländer raus!«.


„Gegenüber der DDR hatte sich die Situation verändert. Die weißen Kollegen waren nicht mehr so nett wie früher. Wir waren nicht mehr »Kollegen«,  wir waren die »Bimbos«.“


Elham

Ich persönlich hab nicht viel erlebt vor der Wende. Aber als wir hier her kamen war es nicht so klar, dass die Wende kommt. Die Leute hatten nicht das Gefühl, dass  die DDR vorbei ist. Deshalb waren die vorsichtiger, diese rassistischen Gefühle zu zeigen. Und später hatten sie mehr Mut, das zu zeigen. Aber meiner Meinung nach waren die schon dagewesen. Wir haben natürlich keine sehr klaren Angriffe vor 1991 erlebt, aber man merkt das. Im Geschäft, die Blicke oder das Misstrauen.


„Da gab’s Propaganda: »Ausländer raus! Ausländer raus!« Du weißt schon, wie in Rostock. Was da passiert ist! Dort haben die plötzlich den Wohnblock angezündet.“


Xavier

Es gab Propaganda und so. Ich war noch im Wohnheim in Ammendorf. Da gab’s Propaganda: »Ausländer raus! Ausländer raus!« Du weißt schon, wie in Rostock. Was da passiert ist! Dort haben die plötzlich den Wohnblock angezündet und so. Es wurde vielfach geplant in unserem Wohnheim zu randalieren. Die Betreuer haben uns gesagt, es kann sein, dass Nazis kommen. Das ganze Wohnheim war voll mit Polizei und Zivilschutz. Und dann, was gab es noch alles! Sagen wir so: Bei uns in Halle war es ein bisschen besser als in anderen Städten. Dessau, Dresden, Leipzig, da war manchmal Chaos. Aber Halle ging ja noch. Aber diese Verbreitung von Nazipropaganda. Das ging weiter, immer weiter.

1998 wurde Xavier in Halle-Neustadt angegriffen und schwer verletzt. Die Tat sorgte kurzzeitig  für öffentliches Interesse. Bis heute hat Xavier allerdings mit den Folgen zu kämpfen.

Xavier

Ich weiß nur, dass ich überfallen wurde, von 13 Leuten angeblich. Und dann hat die Polizei gefragt ob ich die mit Phantombildern beschreiben kann. Diese Geschichte nervt mich. Ich sitze in der Bahn. Ich fahre nach Hause. Ich werde verprügelt. Nur weil ich schwarz bin. Was bedeutet das für sie? Das ist genau die Frage, die ich habe: »Warum ich?« Jemand sollte das mal erklären. Und was zweitens nervt ist, dass man immer den Kopf hoch halten muss. Man kann nicht explodieren wie eine Bombe. Das nervt. Als die Leute (Angreifer, Anm. d. Red.) kamen, bin ich zu meiner Wohnung gelaufen. Also wo viele Menschen wohnen. Als ich aus der Bahn gestiegen bin, haben die mich an der Haltestelle getroffen und angefangen zu beleidigen. Ich bin raus gelaufen, Richtung nach Hause. Und dann hab ich um Hilfe gebeten. Das ist möglich in der Gesellschaft, um Hilfe zu bitten?! Ich lief zum Eingang vom Block. Da waren viele Menschen. »Bitte helft mir, die wollen mich verprügeln.« Aber die haben nochmal zugehauen! Was bedeutet sowas für sie?

Auch auf Elham und ihre Familie wurde ein lebensgefährlicher Angriff verübt.

Elham

Ende 1990 hatten wir gegenüber von uns ein anderes Zimmer gemietet und als Wohnzimmer benutzt. Meine beiden kleinen Kinder haben dann in einem Zimmer und ich, mein Mann und mein älterer Sohn in einem anderen Zimmer geschlafen. Eines Abends haben wir plötzlich einen Schrei gehört: »Hilfe!« oder »Feuer!«. Wir sind raus gegangen und haben gesehen, wie die Leute rennen.  Da war ein großes Feuer und es kam von dem Clubraum neben unserem Zimmer. In diesem Clubraum lagen viele alte Möbel. Wir haben das Zimmer mit unseren Kindern geöffnet und das war voll mit Rauch und an der Wand war alles verbrannt.  Die Polizei hat uns schnell aus dem Gebäude rausgebracht. Am Anfang haben wir nicht gedacht, dass das mit Absicht gegen uns gerichtet war. Aber als wir draußen waren, standen die Leute alle auf der Straße und wir haben von ihnen gehört, dass das Feuer gegen uns gerichtet war, als Ausländer. Aus Ausländerfeindlichkeit. Und zwei junge Leute, Mann und Frau, haben unsere Kinder mit in ein anderes Gebäude genommen und ihnen Abendessen gegeben und sie beruhigt. Und sie haben auch erzählt, dass dieses Feuer gegen uns gerichtet war.


„Als wir draußen waren, standen die Leute alle auf der Straße und wir haben von ihnen gehört, dass das Feuer gegen uns gerichtet war, als Ausländer. Aus Ausländerfeindlichkeit.“


Xavier

Der Prozess ist fast zwei Jahre gelaufen. Viele der Täter haben Bewährung bekommen. Das Gericht hat festgestellt, die müssen Schmerzensgeld zahlen. Ein paar  haben schon mal ein bisschen Schmerzensgeld gezahlt. Viel mehr ist nicht passiert. Seit Urzeiten bis jetzt … nichts. Ich war 33. Ich hatte Kinder. Die (Täter, Anm. d. Red.) haben alles versaut. Und meine Kinder mussten mit meinen Schwierigkeiten erzogen werden. Die Frage, wie man jemanden grundlos hassen kann, kann niemand beantworten. Die haben mein Leben  kaputt gemacht, als ich noch jung war. Das ist wie halb tot sein.

Elham

Wir hatten natürlich vorher viel von solchen Angriffen gehört, aber das waren alles Geschichten und Erzählungen. Aber als wir das selber erlebten, hatten wir mehr Angst. Und wir haben überlegt, woanders zu wohnen, denn dieses Gebäude ist einigermaßen offen. Jeder kann kommen und jeder kann gehen, ohne, dass man es merkt. Aber wenn man in einer Wohnung wohnt, gibt das mehr Sicherheit. Deshalb haben wir versucht, eine Wohnung zu bekommen und es war sehr schwer, als Ausländer eine Wohnung zu bekommen. Wir haben viele Wohnungen besichtigt, aber die Vermieter oder die Nachbarn wollten uns nicht. Oder die Wohnungen wurden an Andere vergeben. Das ging nicht sehr lang, aber es war auch nicht einfach, bis wir eine Wohnung gefunden hatten.

Xavier

Ich habe Briefe aus der ganzen Bundesrepublik: Kondolenz, »Tut mir leid.« Stell dir das vor, wenn du krank bist. Diese Kondolenz bedeutet, das ist auch ein Teil der Gesellschaft. Die sind nicht auf der Seite der Rassisten. Als ich in Kröllwitz, in der Augenklinik war, war mein Zimmer total voll mit Blumen und Briefen. Nachdem ich wieder ein bisschen sehen konnte, habe ich gesehen: »Gute Besserung!«  Da hat man gemerkt, dass das auch ein Teil der Gesellschaft ist. Da war viel Mitleid. Aber nur für kurze Zeit. Als es in der Presse vorbei war, war alles vergessen.


„Da war viel Mitleid. Aber nur für kurze Zeit. Als es in der Presse vorbei war, war alles vergessen.“


Elham

Am Anfang hatten wir nicht so große Angst um unsere Kinder, dass die raus gehen oder so, aber nach diesem Unglück, als der junge Mann, der Linker war (Anm. d. Red: Frank Böttcher wurde 1997 von Nazis getötet.), getötet wurde – ich denke das war in Olvenstedt – begann bei uns  eine große Angst um unsere Kinder. Er war zwar Deutscher, aber weil er gegen Nazis war, fand er solch ein Ende. Und wir haben auch viel von Bekannten und Freunden – die Deutsche sind – gehört, dass die jetzt Angst haben spät rauszugehen. Und wir haben überlegt, wenn die Deutschen sowas sagen, ist es für uns noch schlimmer.


„Und wir haben auch viel von Bekannten und Freunden – die Deutsche sind – gehört, dass die jetzt Angst haben spät rauszugehen. Und wir haben überlegt, wenn die Deutschen sowas sagen, ist es für uns noch schlimmer.“


Und deshalb haben wir viel mit unseren Kindern geredet, dass die nicht alleine raus gehen und nicht zu spät kommen. Also wir haben mehr Angst gehabt als früher. Besonders mein jüngster Sohn hat sehr viele Freunde und er fühlt sich wie ein normales deutsches Kind und geht mit raus und so. Aber man merkt, dass er nicht gleich behandelt wird. Entweder von Verkäufern in Geschäften oder von der Polizei und von Behörden. Dieses Misstrauen ist immer da. Obwohl er fließend deutsch spricht und hier geboren ist.

 

 

 

Der Beitrag ist eine redaktionell bearbeitete Version des Artikels „‚Du weißt schon, wie in Rostock…‘ – Die Interviews“ aus der Broschüre „Im Schatten der Wende. Neonazismus und Rassismus in Zeiten des Umbruchs“ mit freundlicher Genehmigung von Miteinander e.V.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.