„Irgendwo müssen wir halt anfangen“

Allein in Sachsen-Anhalt lassen sich sieben Apotheken finden, die das M-Wort in ihrem Namen tragen

von | veröffentlicht am 21.03 2021

Beitragsbild: Bündnis M*Wort-abschaffen

Es gibt hierzulande zahlreiche Referenzen im öffentlichen Raum, die an kolonialrassistische Weltbilder und Klischees anknüpfen. Allein in Sachsen-Anhalt lassen sich sieben Apotheken finden, die das M-Wort als rassistische Fremdbezeichnung Schwarzer Menschen in ihrem Namen tragen. Darüber hinaus nutzen auch andere Einrichtungen solcherlei rassistische Bezeichnungen. Im Jahr 2020 gründetet sich ein Bündnis, das diesem Zustand ein Ende setzen und das Thema in der Breite einbringen möchte. Wir haben mit Noemi und Steffi vom „Bündnis M-Wort abschaffen“ gesprochen.




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Transit: Wie seid Ihr dazu gekommen, Euch für die Abschaffung des M-Wortes in Apothekennamen in Sachsen-Anhalt einzusetzen? [Anm. d Red.: Die >>Petition<< zur Abschaffung des M-Wortes hat bereits über 1000 Unterschrift gesammelt.]

Noemi: Erst einmal ist es mir wichtig zu sagen, dass wir hier zu zweit sind. Wir sprechen von und für das Bündnis, sind aber eine Gruppe von 7 Personen. Wir haben uns gefunden, weil wir alle denken, dass die Thematik wichtig ist. Wir sind allerdings nicht alle aus Sachsen-Anhalt. Meine persönliche Motivation besteht darin, dass wir hier ein Mikroproblem innerhalb eines riesengroßen Komplexes sehen. Wir glauben, dass man lokal sehr viel bewegen kann, damit der rassistische Normalzustand sich ändert. Apotheken sind also nur ein Anfang. Wir konzentrieren uns auf sie, weil sie sehr präsent im öffentlichen Stadtbild sind und gleichzeitig sehr viel Widerstand gegen Umbenennungen existiert.

Steffi: Ich spreche hier als weiße Person mit weißer Perspektive. Das Bündnis besteht jedoch überwiegend aus BIPoC. Ich bin auch Teil von Halle Postkolonial. Im Sommer 2020 gab es dort Kontakt mit anderen Menschen, die sich schon vor Jahren zum Thema engagiert haben. Von da aus wurden dann auch Gespräche mit der Apothekerin der M-Apotheke in Halle geführt. Darüber hinaus verstärkte das die Vernetzung zu Menschen, die sich für Umbenennungen in anderen Städten engagieren.

„Wir können aus den bisherigen Rassismusdebatten für heute lernen.“

Transit: Warum dieser konkrete Bezug auf Apotheken und Sachsen-Anhalt? Es gibt ja viele Orte, die eine kolonialrassistische Prägung in ihrem Namen tragen.

Noemi: Beim ersten Plenum stießen wir schnell auf ein Problem: Es ist viel mehr Bildung notwendig, um Rassismus zu begegnen. Also fragten wir uns: Welche Aktionen lassen sich planen? Rassismus ist ein riesengroßes Thema, deshalb wollten wir irgendwo anfangen, denn viele Menschen sträuben sich gegen diese Auseinandersetzung. Das Bündnis „M-Wort abschaffen“ ist also ganz allgemein und wir fangen bei Apotheken und Sachsen-Anhalt wegen des regionalen Bezugs an. Aber es geht schon weiter in Niedersachsen und weitere Vernetzungen mit Aktivistis ist in Planung.

Steffi: Irgendwo müssen wir halt anfangen. Unsere Ausgangsfrage war: Wieso gibt’s diese Namen immer noch im öffentlichen Raum? Das ist ja kein Problem nur in Halle oder Sachsen-Anhalt. Was ist bspw. mit Apotheken in Köthen oder an Orten, an denen es schwieriger für antirassistische Aktivist*innen ist, sich zu engagieren? Deshalb wollen wir das Anliegen auf politische Ebene bringen und für alle Apotheken in Sachsen-Anhalt und darüber hinaus diskutieren, anstatt sich auf Einzelpersonen fokussieren.

Transit: Warum ist bisher so wenig passiert?

Noemi: Durch #BlackLivesMatter (BLM) wurden mehr jene Stimmen in Deutschland gehört, die sich mit Fragen des (Anti-)Rassismus befassen. Fragen, die ich mir schon mein ganzes Leben stelle, wurden nun auch in der Öffentlichkeit diskutiert. Davor, so beobachte ich es, wurde durch Zugehörigkeitsdebatten gelenkt, wer etwas sagen durfte und wer nicht. Durch BLM etablierte sich mehr der Ansatz: „Jetzt wird mir zugehört“. Wir können nun sagen: Guckt es nach, es hat Geschichte. Das ist in meinen Augen erst seit letztem Jahr so möglich. Als betroffene Person bin ich einerseits sehr dankbar. So können wir aus den bisherigen Rassismusdebatten für heute lernen, dass wir den Fokus neu setzen. Nämlich nicht auf die Apotheker*innen oder die Leute die sich durch unsere Arbeit angegriffen fühlen, sondern auf Menschen, die den Rassismus erleben oder erforschen.

Steffi: Diese Kämpfe werden schon sehr lange geführt. Aktuell ist sicherlich BLM von 2020 ein wichtiger Ausgangspunkt. Die globalen und lokalen Proteste haben eine neue Aufmerksamkeit auf rassistische Sprache und Zustände auch hierzulande gerichtet. Vereinfacht könnte man sagen: Das M-Wort ist einfach nur ein sichtbarer Ausdruck dessen. Rassistische Sprache als Handeln wird häufig so klein geredet. Deshalb fällt die Debatte häufig schnell unter den Tisch. Nach dem Motto: „Wir meinen es ja nicht böse“ und “ Es war ja schon immer so. Es hat halt Tradition.“. Und das stoppt die Diskussion und die Aushandlungsprozesse darüber, wie der rassistische Normalzustand verändert werden kann. Die Umbenennung der Apotheken wäre vor allem erst mal ein Symbol.

Wir wollen nicht debattieren was Rassismus ist“

Transit: Angesichts des Jahrestages von Hanau, meinte Aida Baghernejad im Tagesspiegel: „Rassismus wird in Deutschland gepflegt wie ein lieb gewonnenes Kulturgut“. Das bewies auch zuletzt die CDU in Halle mit einer Beschlussvorlage im Stadtrat von Halle [cn: rassistische Sprache] die überregional für Aufsehen sorgte. Wie wollt Ihr dieses Festhalten an rassistischen Traditionen aufbrechen?

Steffi: Genau das ist die Idee des Bündnisses: Wir wollen das Thema auf die politische Ebene bringen. Es macht wenig Sinn mit Leuten in Kontakt zu kommen, die das Problem nicht sehen. Sondern wir wollen Bündnisse schmieden mit denen, die ein Bewusstsein für rassistische Strukturen haben und mit denen was erreichen. Auf die Stadtratssitzung haben wir bspw. mit einem offenen Brief reagiert. Viele Initiativen haben diesen Brief unterschrieben und haben die Botschaft darin mitgetragen. So gesehen, haben wir dadurch auch eine Sichtbarkeit für das Thema bekommen.

Noemi: Rassismus ist keine Meinung. Den Leuten, die darüber so debattieren wollen, können wir nichts beibringen. Man kann sich das Wissen anlesen. Wir führen eine Debatte mit Menschen, die für das Thema offen sind und machen keine kostenlose Bildungsarbeit für Leute, die das einfach nur abblocken.

Steffi: Wir wollen von bestimmten Grundlagen ausgehen und nicht debattieren, was Rassismus ist und was nicht. Es geht auch nicht darum, das Wort zu verbieten, sondern dass Leute verstehen, was rassistische Sprache ist und dass Sprache Handeln ist und Rassismus sich über Sprache wiederholt und verstärkt. Als weiße Person sehe ich meine Verantwortung auch darin, diskriminierende Sprache bei meinen weißen friends nicht durchgehen zu lassen und immer wieder darauf aufmerksam zu machen. Da hab ich eine andere Verantwortung, was Bildungsarbeit angeht.

Transit: Du sagst, Ihr wollt rassistische Sprache nicht verbieten. Wie stellt Ihr Euch die Abschaffung des M-Wortes denn konkret vor?

Noemi: Hier gibt‘s verschiedene Ansätze: Erst einmal muss das Bewusstsein dafür her. Dann wollen wir nicht, dass rassistische Sprache reproduziert wird. Es gibt sehr kreative Ansätze, wie eine Umbenennung zur Möhrenapotheke, Mohnapotheke oder eben Mauritiusapotheke. Auch denkbar wäre, öffentliche Orte oder Apotheken nach Menschen aus der afrodeutschen Geschichte zu benennen, die wir highlighten wollen. Wie wäre bspw. eine May-Ayim-Apotheke? Aber es so zu belassen und nur ein Schild aufzuhängen reicht nicht, denn es ist ein gewaltvolles Wort. So meinen wir das mit Abschaffen.

Transit: Ihr habt es schon angedeutet, dass die Problematisierung des M-Wortes nur ein Anfang sein kann. Wie könnte Eurer Meinung nach eine weitere Dekolonisierung des Wissens auf lokaler Ebene aussehen?

Steffi: Für mich ist das verbunden mit einer Dekolonisierung des Erinnerns und Gedenkens. Wie nehmen wir die Welt wahr, wie und was erinnern wir? Im Erinnern steckt ja auch ein Potential der Veränderung. Siehe Hanau. Da frage ich mich: Wie wird da erinnert oder was wird den Menschen, die versuchen zu erinnern in den Weg gestellt? Wie wird mit aktuellen rassistischen Anschlägen dann in der Öffentlichkeit umgegangen. Ein anderes Beispiel hier in Halle wäre das Gedenken an Anton Wilhelm Amo.

Noemi: Die Debatte über das M-Wort sollte schnell über die Runden gehen. Aber gleichzeitig auch richtig thematisiert werden. Eine einfache Streichung wäre nicht genug, denn Geschichte dahinter soll sichtbar bleiben, in der Bildung und auch im öffentlichen Raum. Rassismus ist aber überall Thema und muss jedem Menschen bewusster gemacht werden.

Es werden Zusammenhänge konstruiert, um eigene Rassismen nicht zu hinterfragen.“

Transit: Ihr habt im November 2020 eine Petition gestartet. Wie sind bisher die Reaktionen darauf und auf das Bündnis allgemein?

Steffi:Trotz der negativen Bezugnahme ist es toll, dass es Thema im Stadtrat geworden ist. Das hat die Sichtbarkeit unseres Anliegens befördert. Ansonsten ist die Bereitschaft vonseiten der Apotheke in Halle, Veränderungen vorzunehmen, vorhanden. Aber es fehlt an konkreten Schritten den Namen oder das Erscheinungsbild zu ändern. In Magdeburg bspw. ist der Apotheker nicht bereit in Gespräche zu gehen und hat eine eher ablehnende Haltung.

Noemi: Was auffällt ist, dass gerade vonseiten des Stadtrates in Halle viel über uns, aber gar nicht mit uns gesprochen wurde. Daraus lesen wir auch, dass die Bereitschaft nicht so hoch ist, sich mit dem Thema zu befassen. Das ähnelt den Erfahrungen, die an anderen Orten gemacht wird, wie bspw. in Wolfsburg, wo die Apothekerin sich quer stellt und v.a. die Presse einen Unwillen zeigt, in dem sie Leser*innenbriefe abdruckt, in denen ohne Wissen Dinge behauptet werden. Da werden dann Zusammenhänge konstruiert, um eigene Rassismen nicht hinterfragen zu müssen. Es gibt also eine große Abwehr dagegen, und die Presse leistet dazu auch Unterstützung. Auf Angebote selbst in der Presse etwas zu veröffentlichen bekamen wir nicht einmal eine Antwort. Also es gibt da ein hohes Level an Ignoranz, das uns häufiger entgegen kam.

Steffi: Auch in Halle war es ein bisschen ähnlich. Einerseits zeigten sich Journalist*innen solidarisch, schreiben dann aber das M-wort mehrmals im Artikel aus und verbreiten die Bilder des Namens. Es mangelt also doch sehr an Sensibilität, wie mit rassistischer Sprache in der Presse umgegangen werden kann. Und auch welche Stimmen dann gefragt wurden, die eigentlich gar keine Ahnung vom Thema haben und nur interviewt wurden, weil sie einen Professor*innentitel haben.

Transit: Wie geht es weiter mit dem Bündnis und der Petition?

Steffi: Am 24.03. gibt es eine Podiumsdiskussion von Halle Postkolonial. Diese wird online stattfinden und wir laden alle Interessierten ein, daran teilzunehmen. „Umbenennung jetzt! Digitales Podium zur M*Apotheke und kritischer Erinnerungspolitik in Halle“. Ansonsten wollen wir die Petition pushen, mit Politiker*innen in Kontakt gehen, natürlich auch mit der Apothekerin. Ab Sommer wird es sicherlich auch öffentliche Aktionen geben.

Noemi: Eine Ausweitung und Vernetzung unserer Aktivitäten ist geplant.

Transit: Alles Gute dafür und vielen Dank für das Gespräch.

Online-Interview mit Steffi und Noemi

Das Bündnis M-Wort abschaffen

Das Bündnis gründete sich im Jahre 2020, um sich für die Abschaffung rassistischer Fremdbezeichnungen im öffentlichen Raum einzusetzen.

Am 24.03. gibt es zu dem Thema eine Podiumsdiskussion, zu deren Teilnahme das Bündnis herzlich einlädt. Mehr Infos gibt es hier.

Wer das Anliegen des Bündnisses unterstützen möchte, kann folgende Petition unterzeichnen oder den offenen Brief weiterleiten.

Petition

Offener Brief