Gespaltener „Widerstand“

Was läuft bei der Bewegung Halle?

von | veröffentlicht am 31.12 2022

Beitragsbild: Dani Luiz

Seit mittlerweile 3 Jahren findet in Halle jede Woche eine Demonstration der „Bewegung Halle“ statt. Zwischenzeitlich konnte die Gruppe wochenlang mehrere Tausend Menschen auf die Straße bringen und stand zeitweise wöchentlich in der Öffentlichkeit. Diese Präsenz besitzt die „Bewegung Halle“ schon länger nicht mehr. 
Abseits der öffentlichen Aufmerksamkeit entwickelt sich der Protest weiter und Tendenzen, die bereits zu Beginn der Demonstrationen zu beobachten waren, setzen sich weiter fort. 

Eine Bestandsaufnahme der Entwicklung und Veränderung der verschwörungsideologischen Szene angesichts aktueller Krisen.




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Nachdem die Teilnehmer*innenzahlen im Sommer 2022 ein erneutes Hoch erreichten und die „Bewegung Halle“ mehr als 1000 Menschen mobilisieren konnte, ist seit einigen Wochen ein deutlicher Abwärtstrend zu beobachten. An der Demonstration am 27. Dezember, die aufgrund der Feiertage ausnahmsweise an einem Dienstag stattfand, nahmen nur noch etwa 100 Personen teil.
Es hat sich ein Protestkern entwickelt, der beständig jeden Montag auf die Straße geht und laut eigenen Aussagen oft auch nur wegen der Stimmung und des Zusammenhalts dort ist. Ohne die fortwährende Bestätigung durch Mitstreiter*innen lässt sich das Leben in einer Welt voller Verschwörungen wohl nicht aushalten. 

Der Abwärtstrend der Montagsproteste lässt sich nicht nur in Halle beobachten, vielmehr stellt der Trend eine bundesweite Entwicklung dar. Im Gesamtkontext lässt sich erkennen, dass sowohl das mediale Interesse als auch die Teilnahme an den Protesten seit Wochen sinkt. Selbst bei monatelang als „Großdemonstration“ angekündigten Versammlungen bewegten sich nur wenige Tausend Menschen auf die Straße (31. Oktober in Lutherstadt Wittenberg: 2000 Teilnehmer*innen, 12. November in Erfurt: 2000 Teilnehmer*innen, 26. November in Leipzig: knapp 1000 Teilnehmer*innen). 

Dani Luiz

…ist Teil der Transit Redaktion und begleitet regelmäßig Demonstrationen der verschwörungsideologischen Szene in Mitteldeutschland.

Mehr als nur „Coronademonstration“

Die Demonstrationen richteten sich anfangs gegen die Corona-Maßnahmen und verbreiteten darüber hinaus häufig Verschwörungsideologien über eine angebliche „Coronadiktatur“ sowie Falschinformationen über beispielsweise Impfungen oder Masken. Manche der verschwörungsideologischen Akteure stellten zudem die Existenz einer Pandemie an sich oder sogar die Existenz des Virus selbst in Frage. Abgesehen von der Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse und der Verbreitung von Fake News boten die Chatgruppen der „Bewegung Halle“, vor allem auf Telegram, einen Raum für rechtes Gedankengut.
Spätestens seitdem die Corona-Pandemie im öffentlichen Diskurs aufgrund des Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine und die nachfolgenden Preissteigerungen in den Hintergrund rückte und keine allgemeine Corona-Impflicht beschlossen wurde, veränderte sich auch die inhaltliche Ausrichtung der Szene. 

Demonstration der „Bewegung Halle“ am 14. Februar 2022 (Bild: Dani Luiz)

Es wurde und wird versucht, einfache Antworten auf die aktuellen Krisen zu finden. Dabei liegt ein Fokus der Forderungen der „Bewegung Halle“ auf den Russland-Sanktionen, die ein Ende haben müssten. Zudem stellen sich die Teilnehmer*innen gegen Waffenlieferungen für die Ukraine, was auch an skandierten Parolen, wie „Frieden schaffen ohne Waffen“, deutlich wird.
Vor Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine trugen einzelne Teilnehmer*innen in Halle Russland-Fahnen oder Deutsch-Russische-Fahnen. 

Ein Teilnehmer trägt eine Deutsch-Russische Fahne auf Demonstration am 14. Februar (Bild: Dani Luiz)

Auch später wurde von einigen Personen immer wieder „Frieden mit Russland“ gefordert oder russische Fahnen sowohl im Chat, als auch auf den Demonstrationen gezeigt.
Wiederholt wurden Begriffe verwendet, die eine Verharmlosung des russischen Angriffskriegs darstellen. So wurde der Krieg in weitergeleiteten Nachrichten mehrfach als „Sicherheitsoperation“ bezeichnet. Auch das Narrativ Putins von einer angeblichen „Entnazifizierung“ der Ukraine durch die russische Armee wird immer wieder aufgegriffen.
Aufgrund der sonst drohenden medialen Kritik verboten die Organisator*innen der „Bewegung Halle“ jegliche Nationalfahnen, außer der deutschen. Trotz dessen wurden mehrfach Russlandfahnen getragen, was von der Versammlungsleitung jedoch kritisiert wurde.
Die Scheinheiligkeit dieses Verbots offenbart sich in den Social Media Gruppen, in denen ungehindert russische Propagandakanäle, wie „Russia Today Deutsch“ (RT Deutsch wurde als Teil des russischen Staatsfernsehens in der EU verboten) oder „Deutsch-Russische-Freundschaft“ geteilt und häufig der Krieg verharmlost, Kriegsverbrechen geleugnet oder das „Z“-Symbol verbreitet werden. 

Insgesamt wird sich in der thematischen Entwicklung auf die aktuellen Krisen bezogen, indem diese in das bestehende ideologische Weltbild eingefügt werden. Grundsätzliche Bezugspunkte bleiben dabei unverändert.
Die häufig übergeordnete Verschwörungsideologie des „Great Reset“ beschreibt den angeblichen Plan des World Economic Forums, eine „Neue Weltordnung“ (engl. „New World Order“ kurz NWO) zu etablieren. In antisemitischem Narrativ wird dabei einzelnen Personen unterstellt, eine geheime Elite zu bilden, die versucht die Welt zu unterwerfen. 

Teilweise überlappt sich diese Verschwörungserzählung mit anderen Ideologien, wie beispielsweise der QAnon Ideologie (Mehr Infos).
In diese Erzählungen von der „großen Verschwörung“ kann jede Krise beliebig eingegliedert werden. So wurde in der verschwörungsideologischen Szene zeitweise verbreitet, der Krieg in der Ukraine sei nur eine Ablenkung, um in Deutschland Zwangsmaßnahmen, wie die Impfpflicht, durchzusetzen.
Auch an der Energiekrise und den Preissteigerungen sind nach dieser Vorstellung geheime „Eliten“, Klaus Schwab (Gründer und Vorsitzender des Weltwirtschaftsforums), George Soros (US-amerikanischer Investor und Philanthrop) oder die „Hochfinanz“ Schuld.
Anstatt wirkliche Lösungen für gegenwärtige Krisenlagen aufzuzeigen, werden so Feindbilder erzeugt und vermeintlich einfache Lösungen, wie die Öffnung der Erdgas-Pipeline Nordstream 2, gefordert. Verbunden sind diese angeblichen Analysen und daraus abgeleiteten Forderungen mit antisemitischen Denkmustern. 

Durch regelmäßige Repetition der eigenen Erzählung wird innerhalb der Szene ein geschlossenes Weltbild gefestigt, das hinter jeder Krise eine für die Probleme verantwortliche Verschwörung sucht. 

Nationale Lösungen und rechte Diskurse

Parallel zu rechten Diskursen formuliert die BWH („Bewegung Halle“) einen nationalen Bezug, der nicht nur durch das Tragen von Deutschlandfahnen deutlich wird. Ein Teilnehmer, der im Chat der BWH neurechte Gedanken verbreitete, äußerte in einem Video von Sandra Gabriel („Freie Linke Halle“), man müsse das „Eigene“ vor dem „Fremden“ bewahren. Hier wird indirekt gegen Geflüchtete gehetzt, was in den Chats häufiger zu beobachten ist. Die sogenannte „Flüchtlingskrise“ wird als weiteres Beispiel dafür gesehen, wie die Regierung Maßnahmen gegen das „eigene Volk“ durchsetzt. 

Die neurechte Erzählung vom angeblichen „Bevölkerungsaustausch“ taucht in einigen Meinungsäußerungen der Verschwörungsideolog*innen auf. Nicht nur in Bezug auf Migration wird dieses Szenario verbreitet, auch im Kontext der Anti-Corona-Maßnahmen wird ähnlich argumentiert. So wird behauptet, das World Economic Forum versuche mittels verschiedener Krisen oder auch der Impfung, die Bevölkerung zu reduzieren. Der anthroposophische Arzt Dr. Andreas Grüner, der mehrfach bei der BWH Redebeiträge hielt, äußerte auf einer Demonstration, dass die Impfung erst die Bevölkerung selektieren und die Menschen dann zu „halben Tieren“ machen würde, die „dumpf, gewissenlos und auf Knopfdruck steuerbar“ seien, um dann den Kräften zu dienen, die „im Hintergrund die Strippen ziehen“. 

Der anthroposophische Arzt und Heilpraktiker Dr. Andreas Grüner auf einer Demonstration der „Bewegung Halle“ am 6. Dezember 2021 (Bild: Dani Luiz)

Immer wieder zeigen sich die inhaltlichen Parallelen zu (neu)rechten Diskursen: „Gender-Gaga“ und „Klimawahn“ sind zu bekämpfen und werden als Teil der vorherrschenden „Agenda“ des World Economic Forums oder Strategie der angeblich „linksgrünen Regierung“ betrachtet. Hetze insbesondere gegen Klimaaktivist*innen und beispielsweise auch trans* Personen lässt sich somit immer wieder in den Telegramchats finden.

Nach einem Angriff auf den Konferenzort des Europäischen Instituts für Klima und Energie (kurz EIKE, ein pseudowissenschaftliches Institut, das die „wissenschaftlichen“ Grundlagen für die Leugnung des menschengemachten Klimawandels liefert  Reportage von Ben Rode) solidarisierten sich mehrere Akteure der Szene mit dem Institut.
Regelmäßig werden ganz offen rechte Kanäle, Nachrichtenportale oder auch rechte Großevents beworben. Beiträge von den „Freien Sachsen“, „Tichys Einblick“, „Junge Freiheit“ oder dem österreichischen Sender „Auf1“ (mehr Infos zu „Medien gegen den Mainstream“ – Zapp YouTube) sind wiederholt zitierte, beständige Nachrichtenquellen für viele in der Szene.
Beiträge und Inhalte extrem rechter Personen, wie Jürgen Elsässer (Compact Magazin), Martin Sellner (Identitäre Bewegung) oder Michael Brück (ehemals „Die Rechte“, jetzt „Freie Sachsen“), werden geteilt, ohne, dass das auf wirklichen Widerstand oder Widerspruch stoßen würde.
So wirkt der Aufruf zu rechten Demonstrationen, wie der „Deutschland zuerst!“ Demonstration am 12. November in Erfurt (mehr Infos bei LZO Media), als logische Konsequenz.

Zusätzlich zum Teilen rechter Propaganda wird auch offen mit lokalen Neonazis marschiert. Neben mehreren Versuchen von unterschiedlichen Neonazi-Gruppen, die BWH für eigene Zwecke zu instrumentalisieren, nahmen lokale Neonazis aus dem Umfeld von Sven Liebich regelmäßig an den montäglichen Demonstrationen in Halle teil. In der Vergangenheit, auch bei den Versammlungen der BWH, fielen einige dieser Personen durch Angriffe auf Journalist*innen und Pöbeleien auf. Teilweise trugen mehrere Personen verstärke Handschuhe und bedrohten damit anwesende Pressevertreter*innen.
Einige bekannte Rechte nahmen an den Demonstrationen nicht nur teil, sondern führten diese aktiv an. 

Mehrere Personen aus dem Umfeld des Neonazis Sven Liebich laufen an der Spitze einer Demonstration der „Bewegung Halle“ am 21. März 2022 (Bild: Dani Luiz)

So beispielsweise Markus J., der unter anderem am 14. Februar 2022 mit einem Megaphon die Sprechchöre anleitete und gemeinsam mit anderen bekannten Rechten die Spitze des Aufzugs bildete. Er kann dem direkten Umfeld von Sven Liebich zugeordnet werden und muss sich gemeinsam mit diesem aktuell vor Gericht für ein Video, in dem Liebich vor der JVA Chemnitz „Lina E., mögest du im Knast verrecken“ gerufen hatte, wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten und Hausfriedensbruch verantworten (Mehr Infos).

Markus J. mit Megaphon auf einer Demonstration der „Bewegung Halle“ am 14. Februar 2022 (Bild: Dani Luiz)

Besonders deutlich wurden die Verbindungen zur lokalen rechten Szene durch eine Kundgebung der AfD am 24. November auf dem Riebeckplatz. Im Chat der BWH wurde zunächst der Aufruf und im Anschluss mehrere Videos der Versammlung ohne Widerspruch geteilt. Einzelne Chatmitglieder nahmen an der Kundgebung teil. Dies ist nicht verwunderlich, da regelmäßig Inhalte der AfD verbreitet und die AfD von einigen Personen der verschwörungsideologischen Szene als wichtiger Teil des Widerstandes oder als einzige „vernünftige“ Partei angesehen wird.

Spaltung der Szene

Seit einigen Monaten lässt sich eine zunehmende Spaltung in der Halleschen Szene beobachten. Aufgrund persönlicher Differenzen und Unstimmigkeiten sprach die BWH ein „Redeverbot“ für Sandra Gabriel („Freie Linke Halle“) und Toni („Freie Linke Halle“) aus, woraufhin Erstere bundesweit gegen die Organisator*innen der BWH agitierte und aus der Chatgruppe austrat. Günther G. („Freie Linke Halle“, fertigt für einen eigenen Telegramkanal mit dem Namen „Karli Stemmler“ Videos von Demonstrationen an) wurde aus der Organisationsgruppe der BWH ausgeschlossen.

Demonstration der „Freien Linken Halle“ am 15. Januar 2022 (Bild: Dani Luiz)

Das Umfeld von Sandra Gabriel verlagerte den Schwerpunkt nach Leipzig und heizte nun dort die Proteste an, lief teilweise mit Megaphonen in der ersten Reihe und zeigt auch weiterhin bei überregionalen Demonstrationen Präsenz.
Am 8. November wurde ein neuer Telegram Kanal „Halle Saale Aktiv“ verbreitet, der der Bewegung Halle Zensur und Lügen vorwirft. Als Administratoren agieren Günther G., Toni und naheliegender Weise ist auch von der Beteiligung Sandra Gabriels am Kanal auszugehen, obwohl sie nicht offen im Kanal auftritt.
Trotz dessen ist sie eine Schlüsselfigur der Szene und probierte sich zwischenzeitlich als Dauerdemonstrantin mit „Ein-Personen-Kundgebungen“ aus. Sie nimmt an überregionalen Protesten teil und beteiligt sich dort in Form von Redebeiträgen.
In Leipzig, wo Sandra Gabriel zwischenzeitlich ihren Protestschwerpunkt sah, nehmen die Demonstrationen deutlich gewalttätigere Gestalt an. Gruppen bekannter militanter Neonazis, beispielsweise der ehemalige NPD-Stadtrat Enrico Böhm, sind regelmäßige Teilnehmer*innen der Aufzüge um den Innenstadtring und tragen beispielsweise Reichsfahnen mit sich. In Leipzig kam es mehrfach zu Angriffen auf Journalist*innen und Antifaschist*innen. Mehrere teils minderjährige Gegendemonstrant*innen mussten zwischenzeitlich im Krankenhaus behandelt werden.
Für die Halleschen Akteur*innen der verschwörungsideologischen Szene schienen diese Angriffe und dieses gewalttätige Auftreten kein Problem zu sein. 

Der zeitweise als weitere Abspaltung im letzten Jahr aufgetretene „Widerstand Halle Saale“, bestehend aus Personen der „Freien Linken“ und Personen aus dem Umfeld von Neonazi Sven Liebich, ist mittlerweile nicht mehr aktiv. Diese Gruppe hatte unangemeldete Demonstrationen zum Beispiel als Anreise zur montäglichen Demonstration der BWH durchgeführt.
Obwohl dieser „Widerstand Halle Saale“ nicht mehr aktiv ist, sind die entsprechenden Personenkreise weiterhin gut miteinander vernetzt. Ein Beispiel ist Uwe K., der in der Vergangenheit regelmäßig an Kundgebungen des Neonazis Sven Liebich teilnahm und nun häufig mit Sandra Gabriel unterwegs ist. 

Intern sorgte die Teilnahme einzelner Organisator*innen der BWH an einer Informationsveranstaltung von „Halle gegen Rechts“ über aktuelle rechte Bestrebungen in Halle für massive Spaltung.
In einem Redebeitrag bei einer montäglichen Demonstration sprach Anmelder Christian Perz über die Teilnahme einiger Mitglieder der BWH an der Veranstaltung und erwähnte in einem Nebensatz, dass sie dort „wohlwollend aufgenommen wurden“.
Diesen Satz nahm die Abspaltung „Halle Saale Aktiv“ zum Anlass, von einem angeblichen Treffen der Organisationsgruppe mit „Halle gegen Rechts“ zu sprechen und fragte, ob die BWH „demnächst mit PdL [-Partei die Linke, Anm. d. Red.], Grünen, SPD und Hallenser Antifa sowie Amadeu Antonio Stiftung gemeinsame Sache“ mache.
Es folgten allerhand Vorwürfe gegen die Organisator*innen. Einige Chatmitglieder sprachen vom „weichgespülten Christian“, der sein „warmes Plätzchen“ an der Seite von „Halle gegen Rechts“ und Antifa finde. Ein Nutzer äußerte: „Der Widerstand ist nicht mehr! Wir sind der einzige Widerstand“.
„Ich kann schon sehen, wie die Orga der BWH eines Tages dazu aufruft, sich fürs Klima auf die Straße zu kleben“ oder „Wenn das so weitergeht dann sehe ich die Orga der Bewegung Halle als Teil des Problems und als Teil des Staates“ äußerten andere Personen dazu.

Hier lässt sich eine deutliche Spaltung erkennen, die ebenfalls in anderen Städten zu beobachten ist. Während die Demonstrationen immer kleiner und weniger werden, werden die Streitereien mehr und die Spaltungen immer größer.
Die Administratoren von „Halle Saale Aktiv“ haben angekündigt, im Januar eigene Demonstrationen in Halle durchführen zu wollen. Mittlerweile wurde ein Aufruf von Sandra Gabriel zu einer Demonstration am 21. Januar veröffentlicht.
Es ist zu erwarten, dass diese Demonstrationen kaum einen Erfolg haben, aber die Spaltung weiter forcieren werden.

Umsturzpläne der Reichsbürger als „legitimer Widerstand“?

Am 7. Dezember fanden in ganz Deutschland Razzien bei Mitgliedern eines Reichsbürger-Netzwerks statt. 3000 Polizist*innen durchsuchten insgesamt 130 Objekte. Insgesamt werden 52 Personen beschuldigt, Teil des Netzwerks zu sein. 25 von ihnen wurden bei den Durchsuchungen festgenommen.
Die Beschuldigten sind der Ansicht, Deutschland sei kein souveräner Staat, die Verfassung habe keine Gültigkeit. 

Dieses Infragestellen der Souveränität Deutschlands und die damit verbundene Vorstellung, Deutschland sei ein besetztes Land, hält auch Einzug in die oft verharmlosend als „gemäßigt“ bezeichneten Gruppen der verschwörungsideologischen Szene, die genauso einen Raum für die Verbreitung extrem rechter Ideologien bieten.
Neonazis und Reichsbürger*innen können nicht nur ungestört ihre Ideologie in den entsprechenden Telegram-Chats oder auf Kundgebungen verbreiten, ideologische Fragmente werden teils vollständig übernommen.
Diese direkten Verbindungen zwischen Reichsbürgern, ihren Gedankenwelten und den aktuellen Protestbewegungen zeigen sich auch in Halle. 

Organisatorin Helena R. sprach in der Vergangenheit davon, dass Deutschland keine gültige Verfassung habe. Diese Vorstellung, die auch häufig in den Chatgruppen verbreitet wurde, ist eine der Grundüberzeugungen der Reichsbürger-Szene.
Diese Denkmuster und Ansichten werden nicht unbewusst übernommen, vielmehr solidarisieren sich viele Akteur*innen mit den durchsuchten Reichsbürger*innen.
Im Chat der „Bewegung Halle“ und von „Halle Saale Aktiv“ wurden die Festgenommenen unter anderem als „Partisanen“ bezeichnet, sie seien Teil des „Widerstands“. 

Dadurch dass diese Umsturzfantasien in der Bevölkerung häufig verharmlost oder belächelt und somit nicht ernst genommen werden, können sie sich verbreiten und, wie sich zeigt, letztlich bei Einzelnen zur Organisierung bewaffneten Widerstandes führen.

Verharmlosung der Gefahr

Trotz der teils sehr offensichtlichen Problematik wird die Gefahr, die von der verschwörungsideologischen Szene ausgeht in der Gesellschaft, aber auch in der öffentlichen Berichterstattung, häufig verharmlost oder ignoriert.
Die Szene bietet einen Raum für die Verbreitung von Hass, Antisemitismus und rechtem Gedankengut und ermöglicht auch russischer Propaganda eine Ausbreitung im deutschsprachigen Raum. 

Durch den Konsum eigener „alternativer“ Medien, in denen Falschdarstellungen oder rechte Hetze keine Seltenheit sind, wird ein Weltbild, das in sich geschlossen eine vereinfachte Darstellung der Realität propagiert, verbreitet und festigt. Nicht zuletzt führt dies bei einigen Akteur*innen zu einer deutlichen Radikalisierung und Verinnerlichung rechten Gedankenguts, das häufig unterschwellig in die Reden, Texte oder Nachrichten Einzug findet. 

Nicht erst seit dem Bekanntwerden des Reichsbürger-Netzwerks ist die Gefahr der Szene offensichtlich. Wenn diese weiterhin verharmlost wird, führt dies zu einer Normalisierung verschwörungsideologischer Denkweisen, die ungestört in der Gesellschaft fortschreiten kann. Auch wenn aktuell weniger Menschen an den Protesten teilnehmen, bleibt es wichtig, die antidemokratischen und verschwörungsideologischen Tendenzen und Bestrebungen weiter zu beobachten und einzuordnen. 

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.