„Die Klimabewegung muss sich zu einer Klassenbewegung radikalisieren“

Interview mit (Future) Workers for Future

von | veröffentlicht am 21.11 2019

Beitragsbild: Transit

Die (Future) Workers for Future traten in Leipzig das erste mal am 20. September zum großen Klimastreik in Erscheinung, wo sie ein Flugblatt verteilten. Was zunächst anmutet wie eine Aktion unter vielen, liegt ein enormer Anspruch zu Grunde. (Future) Workers for Future geht es nicht darum dem identitätspolitischen Flickenteppich der xy for Future Bewegung eine weitere Gruppe hinzuzufügen. Sie fordern stattdessen einen grundsätzlichen politischen Klärungsprozess der den Fokus der Bewegung auf die Produktionsverhätnisse des Klimawandel verursachenden Kapitalismus lenkt.




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Transit: Auf der großen Demo am 20.September wurde mir euer Flugblatt in die Hände gedrückt. Was ich da gelesen habe, war für mich ein gutes Zeichen. Trotz großer Sympathien für Fridays for Future, sehe ich einiges kritisch, vor allem dass es eine recht bildungsbürgerliche Bewegung ist. Ihr mischt euch aus Perspektive von Arbeiter*innen in die Diskussionen ein. Warum ist findet ihr das notwendig?

FWFF: Das Problem der Umweltzerstörung betrifft ja prinzipiell uns alle, da es um die Naturgrundlagen der menschlichen Existenz geht. Bei näherem Hinsehen sind aber gar nicht alle in gleichem Maße betroffen. Man sieht das ganz gut an den jüngeren Entwicklungen in den USA. Bekanntlich führt der Klimawandel weltweit schon heute zu extremen Naturkatastrophen, auch Hurricanes und Überschwemmungen nehmen ständig zu. 2004 hat Hurricane „Katrina“ in New Orleans gewütet und da hat sich der Klassencharakter der Betroffenheit ganz deutlich gezeigt: Die Wohnviertel der ärmeren Bevölkerungsteile sind aufgrund ihrer Lage häufiger von solchen Katastrophen betroffen, die Bausubstanz ist schlechter, sie können sich weder teure Versicherungen leisten, noch haben sie die Mittel, um ihr Hab und Gut rechtzeitig einzulagern oder ihre Familien in einem sicher gelegenen Hotel einzumieten. Das heißt: arme Menschen sind besonders verletzlich gegenüber den Folgen des Klimawandels.

Das gilt übrigens auch für den Arbeitsprozess selbst. Hitzewellen nehmen zu, das vergehende Jahrzehnt war das heißeste auf der Erde seitdem wir mit den Messungen begonnen haben. Ärzt*innen empfehlen, dass wir uns bei extremer Hitze nicht körperlich anstrengen und uns nur in den Tagesrandstunden draußen aufhalten. Das heißt aber: gerade für Leute, die körperlich arbeiten müssen, bringt der Klimawandel ein enormes Gesundheitsrisiko mit sich. Das gilt besonders für Branchen wie Baugewerbe und Landwirtschaft, aber auch in Fabriken und Büros ist die Belastung häufig unerträglich.

Schließlich geht es auch um unsere Lebensmittel: Zunehmende Stürme, Überschwemmungen und Dürren (wer erinnert sich noch an die verdorrten Landschaften im Sommer 2018?) vernichten große Teile der Ernten. Das führt zu steigenden Lebensmittelpreisen, unter denen zuerst die Proletarisierten mit schmalem Geldbeutel leiden, vor allem im globalen Süden.
Beim Klimawandel geht es also nicht um Moral, sondern gerade für die ärmeren Segmente der Weltbevölkerung ums Überleben. Das wird in der Diskussion leider häufig völlig verdreht, wenn Ökologie pauschal als elitär abgetan wird.

Transit: Welchen Begriff von Arbeiter*innenklasse habt ihr, also wer ist alles gemeint mit „(Future) Workers“?

FWFF: Die ArbeiterInnenklasse umfasst alle Menschen, die direkt oder indirekt davon abhängig sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, also nicht nur die aktiv Beschäftigten, sondern auch die Arbeitslosen, Auszubildenden, die Familienmitglieder, die nicht lohnarbeiten, diejenigen, die sich in Ermangelung von Beschäftigungsmöglichkeiten im informellen Sektor durchschlagen usw. Die meisten SchülerInnen und StudentInnen, die die heutige Bewegung mit großer Entschlossenheit und Durchhaltevermögen anführen, werden später ihr Auskommen als LohnarbeiterInnen fristen müssen. Nur ein paar wenige werden das zweifelhafte Glück genießen, die Menschen- und Naturausbeutung als Führungskräfte oder Politiker zu organisieren oder als Ideologen zu verteidigen.

Am Ende ist es aber gar nicht so entscheidend, genau zu definieren, wer genau und wie zur ArbeiterInnenklasse gehört. Das Label „Workers for future“ bezieht sich nicht einfach auf eine bestimmte soziale Gruppe mit einer besonderen Identität, sondern verweist auf den gesellschaftlichen Gegensatz zwischen verschiedenen Klassen, der für das Verständnis und die praktische Lösung der Klimakrise wichtig ist. Es geht darum, dass für eine Bewältigung der Klimakrise das Klassenverhältnis zwischen Kapital und Lohnarbeit überwunden werden muss. „Workers for future“ meint also: Wir sind für die Zukunft, aber wir können diese Zukunft nur bewahren und erleben, wenn wir uns gegen das Kapital wenden.
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„Es geht darum, dass für eine Bewältigung der Klimakrise das Klassenverhältnis zwischen Kapital und Lohnarbeit überwunden werden muss. „Workers for future“ meint also: Wir sind für die Zukunft, aber wir können diese Zukunft nur bewahren und erleben, wenn wir uns gegen das Kapital wenden.“

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Das hieße wiederum, dass die Lohnabhängigen – seien es nun Autoarbeiter, Pflegerinnen oder Paketzusteller – sich gemeinsam die Produktion aneignen müssen. Denn auf dem Boden der kapitalistischen Gesellschaft wird immer nur nach partiellen Lösungen für die Krise gesucht werden. Wir sehen dies beispielsweise an der Tendenz, den motorisierten Individualverkehr von Diesel und Benzin auf Elektro umzustellen. Selbst wenn dadurch die CO2-Emissionen zurückgehen – was überhaupt nicht garantiert ist, wenn wir die energieintensive Herstellung berücksichtigen – sind die ökologischen und sozialen Folgen der Produktion von E-Autos gravierend. Denn solange der Fortbestand der Gesellschaft von der Verwertung des Kapitals abhängt, muss jede ökologische Maßnahme durch das Nadelöhr des Profits.

Transit: In der Klimabewegung gibt es viele Apelle ans Individuum, sich klimapolitisch korrekt zu verhalten. Aber für Menschen mit weniger Geld in der Tasche ist das gar nicht so einfach. Ich habe den Eindruck, das wird zu wenig wahrgenommen.

FWFF: Auf jeden Fall. In der grünen Mittelschicht findet teilweise eine Individualisierung des Problems statt, wo es darum geht, den grünsten Lifestyle durch die richtigen Konsumentscheidungen zu signalisieren. Das ist auch ein Statuswettbewerb und kann der Abgrenzung nach unten dienen. Wir wollen mit unseren Interventionen den Fokus in der Klimadebatte verschieben und damit Anregungen für die strategische Ausrichtung der Bewegung geben. Wenn es um die Klimakrise geht, reicht es nicht, über den Konsum zu sprechen. Konsumiert wird nur, was davor produziert wurde. Wir müssen also darüber reden, wie in dieser Gesellschaft auf Kosten von Mensch und Umwelt produziert wird, wer darüber entscheidet, wer davon profitiert, warum das so ist und wie wir das ändern können.

Transit: Auch der gegenwärtigen Klimapolitik wird ja häufig vorgeworfen, unsozial zu sein. ist da was dran in euren Augen?

FWFF: Auch die mehr systemischen Steuerungsversuche der Klimakrise von staatlicher Seite sind wirkungslos und unsozial. Die geplanten klimapolitischen Maßnahmen und Veränderungen treffen ArbeiterInnen am meisten. Ganz unmittelbar, wenn Kohlekraftwerke geschlossen werden oder die Automobilindustrie vom Verbrennungsmotor auf E-Mobilität umstellt. Aber auch indirekt, wenn die Lohnabhängigen durch die Besteuerung des Konsums wie durch die sogenannte „CO2-Steuer“ zur Kasse gebeten werden.

Transit: Was fehlt euch in der gegenwärtigen Debatte?

FWFF: Die von der Klimabewegung kritisierten Phänomene wie der Klimawandel oder die Zerstörung von Ökosystemen haben ihren Grund in der Art und Weise, in der die Menschen heute ihr Leben und die dafür notwendigen Güter produzieren. Leider tun sie das unter Bedingungen, die durch das kapitalistische Privateigentum bestimmt werden. Die große Mehrzahl der Menschen verfügt über nichts als ihre Fähigkeit, Arbeit zu verrichten und ist auf Gedeih und Verderb davon abhängig, gegen Lohn für die Besitzer von Produktionsmitteln zu arbeiten. Die Unternehmer können darüber bestimmen, wie diese Arbeit vonstattengehen soll – also wann, wie lange und mit welchen Methoden, Werkzeugen und Rohstoffen produziert wird. Sie entscheiden auch, was hergestellt wird. Der größte Teil der Menschen ist von diesen grundlegenden gesellschaftlichen Entscheidungen ausgeschlossen, weil sie kein Eigentum an den Produktionsmitteln haben. Sie befinden sich damit gegenüber den Eigentümern in einem Unterwerfungsverhältnis.

Was nun produziert wird, entscheidet ein Unternehmer nicht danach, ob es gerade gebraucht wird, oder Bedürfnisse befriedigt, geschweige denn danach, ob es einem nachhaltigen Umgang mit der Natur entspricht. Vielmehr ist es so, dass die Entscheidung über das Was und Wie der Produktion durch das Interesse am Profit bestimmt wird. Was bedeutet das? Die Unternehmen stehen in einem Abhängigkeits- und Konkurrenzverhältnis untereinander. Wenn sie in der Konkurrenz bestehen wollen, unterliegen sie einem objektiven Zwang, ihre Produktion auszuweiten und zu effektivieren. So können sie das Gleiche schneller und billiger produzieren, als die Konkurrenz, die mit veralteter Technologie arbeitet. Das steigert die Arbeitsproduktivität und senkt die Kosten der einzelnen Arbeitsprodukte, führt aber auch zu einem immer höheren Ausstoß an Waren, wozu immer mehr Energie und Ressourcen benötigt werden. Die Konkurrenz schläft natürlich nicht und wird versuchen, nachzuziehen.

Außerdem wollen die Unternehmer nicht nur einmal ihre Waren verkaufen, sondern immer wieder und zwar in möglichst kurzen Abständen. Daher können sie kein Interesse an langlebigen Produkten haben. Insofern ist dem Kapitalismus eine fortwährende, grenzenlose Wachstumsdynamik einschließlich geplantem Verschleiß eingeschrieben. Daraus resultiert ein enormer Verbrauch an Energie und natürlichen Ressourcen. Der Raubbau an Mensch und Natur gehört zum Wesen des Kapitalismus, der davon lebt, die Ausbeutung der ArbeiterInnen und der natürlichen Ressourcen immer weiter zu steigern. Diese grenzenlose Ausbeutung macht aber nur die Kapitalistenklasse immer reicher, sie konnten ihre Vermögen in den letzten Jahrzehnten vervielfachen. Die Lebensqualität und der Wohlstand der Lohnabhängigen in den entwickelten Industrienationen hat sich dagegen in den letzten 40 Jahren nicht verbessert, im Gegenteil.

Transit: Was können Arbeiter*innen dagegen tun?

FWFF: Die ArbeiterInnen müssen diesen Selbstmordtrip des Kapitals aufhalten und die Notbremse ziehen, bevor es zu spät ist. Der kapitalistische Produktionsprozess ist nicht nur die Ursache der Klimakrise, sondern auch strategisch ein zentrales Feld des politischen Kampfes. Fridays For Future haben das ja auch schon intuitiv erkannt und erprobt, indem sie sich in ihren Aktionsformen auf das Kampfmittel des Streiks beziehen. Der Streik wurde in der ArbeiterInnenbewegung als ein Machtmittel der vermeintlich Machtlosen entdeckt. Er ist ein kraftvolles Mittel, um kollektiv bestimmte gesellschaftliche Interessen gegen die Herrschenden durchzusetzen, indem wir die Abläufe der herrschenden Ordnung gemeinsam unterbrechen und sie dadurch praktisch in Frage stellen. Leider haben SchülerInnen, solange sie noch zur Schule gehen, nicht so viele Machtressourcen, weshalb ihre Streiks keinen so großen materiellen Druck auf das Kapital und die Politik aufbauen können. Damit meinen wir, dass eine Verweigerung des Unterrichts zwar für sehr viel Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit gesorgt hat, jedoch keine effektiven Veränderungen erzwungen werden konnten, weil weder RWE, VW & Co, noch dem Staat durch Schulschwänzen Kosten entstehen.

Transit: Seht ihr Ansätze die eurer Meinung nach in die richtige Richtung gehen?

FWFF: Bei Students For Future werden konkrete Kampftaktiken der ArbeiterInnenbewegung aufgegriffen: Sie rufen für die Streikwoche vom 25. Bis 29. November 2019 zur Durchführung von Betriebsversammlungen auf, um dort über die verschiedenen Disziplinen und Funktionen hinweg über die Klimakatastrophe zu diskutieren. Die Dauer von Betriebsversammlungen ist gesetzlich nicht begrenzt, was sich in der Vergangenheit kämpferische Belegschaften etwa bei Opel in Bochum geschickt zunutze machten.

Um mit dem Mittel des Streiks mehr Druck aufbauen zu können, müssen perspektivisch auch Lohnabhängige mit an Bord kommen, die an Hebelstellen sitzen und deren Aktionen daher mehr Druck aufbauen können. Das wird sicher nicht einfach, schon aufgrund der Hürden für sogenannte „politische Streiks“, also der Einschränkungen „rechtmäßiger“ Streikziele durch die deutsche Rechtsprechung. Dennoch: ArbeiterInnen halten unsere gesellschaftliche Produktion am Laufen. Damit sind sie diejenigen, die die gesellschaftliche Macht haben, etwas an der Art, wie aktuell produziert wird zu ändern. Sie sind auch diejenigen, die das Wissen haben, wie dies zu bewerkstelligen wäre. Hier müssen also dringend engere Beziehungen entstehen.

Transit: Statt die Produktionsverhältnisse zu kritisieren, geht es bei Fridays for Future immer wieder um die „99,6%“ der Wissenschaftler*innen, die einen menschengemachten Anteil am Klimawandel feststellen.

FWFF: Die Appelle der Klimabewegung doch endlich „auf die Wissenschaft zu hören“ sind hilflos: Nach 30 Jahren gescheiterten internationalen Klimaverhandlungen fragen sich Manche immer noch, warum Politiker kapitalistischer Nationalstaaten die Warnungen der Naturwissenschaft ignorieren. Wer sich das fragt, sollte sich lieber selbst fragen, warum er oder sie die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Zerstörungsdynamik des Kapitals ignoriert. Es ist genauso gut belegt wie der Klimawandel selbst, dass der Kapitalismus auf den Klimawandel keine Antworten hat. Das Kapital produziert unter Verwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse, diese werden aber dem bornierten Zweck des Profits untergeordnet, und dieser höchste Zweck des Kapitals ist mit dem Erhalt der Menschheit und des Planeten heute nicht mehr vereinbar. Warum wird trotz dieser Erkenntnisse und trotz aller Erfahrungen der letzten Jahrzehnte noch immer hoffnungsvoll an die Verantwortlichen appelliert?
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„Es ist genauso gut belegt wie der Klimawandel selbst, dass der Kapitalismus auf den Klimawandel keine Antworten hat. Das Kapital produziert unter Verwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse, diese werden aber dem bornierten Zweck des Profits untergeordnet, und dieser höchste Zweck des Kapitals ist mit dem Erhalt der Menschheit und des Planeten heute nicht mehr vereinbar.“

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Dieses Hoffen auf einen aufgeklärten Herrscher ist im Resultat tödlich, man muss es leider so drastisch sagen. Wir haben keine Zeit mehr für weitere 30 Jahre wirkungsloser Sonntagsreden. Das wissen aber auch viele, weshalb wir heute eine Radikalisierung der Bewegung erleben: ziviler Ungehorsam, Streiks und Blockaden statt seriöses Klinkenputzen auf Expertenkonferenzen. Das stimmt hoffnungsvoll. Es wird aber alles davon abhängen, ob wir es schaffen, noch einen Schritt weiterzugehen. Nicht nur die zerstörerischen Abläufe des „business as usual“ zu stören, sondern eine nachhaltige Gesellschaft an ihrer Stelle zu errichten. Damit das gelingt und die Menschen die gesellschaftliche Produktion entsprechend der gesellschaftlichen Bedürfnisse und unter Berücksichtigung der natürlichen Umwelt durchführen können, müssen sie die Gesellschaft vom kapitalistischen Diktat zur unendlichen Profitmaximierung befreien. Dann erst haben sie die notwendige Gestaltungsfreiheit, um eine Zivilisation ohne Ausbeutung, ohne Raubbau an Mensch und Natur aufzubauen. Solange das nicht gelingt, droht jede ökologische Maßnahme unzureichend zu bleiben oder auf Kosten der Lohnabhängigen zu gehen. Die Klimabewegung muss sich deshalb zu einer Klassenbewegung radikalisieren, die sowohl die Herrschaft des kapitalistischen Privateigentums in Frage stellt als auch mit allen Illusionen über die Rolle des Staates bricht.

Transit: Wie lassen sich soziale und die ökologische Fragen zusammendenken? Gibt es da gute Beispiele aus der Praxis, vielleicht sogar aus dem Raum Halle/ Leipzig?

FWFF: Prinzipiell hört man von ganz unterschiedlichen ArbeiterInnen immer wieder den Widerspruch zwischen dem Wunsch, sinnvolle Produkte herzustellen bzw. sinnvolle Dienstleistungen zu erbringen und der schnöden Arbeitsrealität, in der ihnen das nicht möglich ist. Dieser Widerspruch lässt sich unter der Vorherrschaft kapitalistischer Produktionsverhältnisse kaum aufheben. Es gibt jedoch einzelne Beispiele, wo ArbeiterInnen versucht haben, mit dem kapitalistischen Privateigentum auch die Form und den Inhalt des Arbeitsprozesses zu verändern. Ein herausragendes Beispiel ist das der Belegschaft des britischen Industriebetriebs Lucas Aerospace. Als die Firma ihre Produktion von Luftwaffen aufgrund von internationaler Konkurrenz 1976 einstellen wollte, forderten die Arbeiter_innen nicht nur, dass sie selbstverwaltet die Produktion weiterführen könnten, sondern auch, dass sie statt Waffen gesellschaftlich nützliche Produkte herstellten – nämlich Turbinen für Windräder. Der als Lucas-Plan bekannt gewordene Vorschlag wurde allerdings vom damals sozialdemokratisch regierten Staat abgelehnt.

Im Raum Leipzig/Halle stechen die Projekte solidarischer Landwirtschaft ins Auge, etwa die Rote Beete oder die neu gegründete KoLa (Kooperative Landwirtschaft). Das sind genossenschaftliche Formen, in denen demokratisch und nach ökologischen Maßgaben die Produktion und Konsumtion von Lebensmitteln betrieben wird. Die Erfahrungen in solchen Kooperativen sind sicherlich wertvoll, allerdings gehen wir nicht davon aus, dass wir auf eine langsame Ausweitung solcher kooperativen Formen hoffen können.

Unter kapitalistischen Bedingungen bleiben solche Experimente notwendig auf Nischen beschränkt oder gehen unter: gegen die Kräfte des Marktes kann sich keine Kooperative durchsetzen. Es bedarf einer grundlegenden Transformation, damit die gesellschaftlichen Individuen in einem wirklich demokratischen Prozess bestimmen, was, wie und wie viel produziert wird.

Transit: Wie sollte eine linke Strategie zum Umgang mit Menschen aussehen, deren Existenzen von der Kohleindustrie abhängen? Könnt ihr verstehen, wenn die die Klimabewegung erstmal als Gegnerin wahrnehmen? Beispiel Lausitz: Die Wahlergebnisse für die AfD sind hier ziemlich hoch. In der Linken wird dann immer heiß debattiert: Wieviel ist das Protestwahl und wieviel ist das eine bewusste Entscheidung für das extrem Rechte Parteiprofil?

FWFF: Dass einige ArbeiterInnen die Klimabewegung als Gegnerin wahrnehmen, ist durchaus verständlich, wenn man sich die historische Situation vergegenwärtigt. In den letzten Jahrzehnten ist es dem Kapital mit Unterstützung einer großen Koalition von den Rechtspopulisten bis zu den Sozialdemokraten und Grünen gelungen, die Arbeits- und Lebensbedingungen der Lohnabhängigen auf ganzer Linie zu verschlechtern. Im Zuge der Deindustrialisierung haben viele ArbeiterInnen ihre vergleichsweise gut bezahlten Jobs gegen prekäre Dienstleistungstätigkeiten eintauschen müssen, sind in Arbeitslosigkeit oder Frühruhestand gerutscht. Denjenigen, die heute mit der Schließung des Tagebaus ihren Job verlieren, befürchten zurecht einen ökonomischen, aber auch kulturellen Abstieg: ihnen droht die Gängelung durch das Arbeitsamt, Umschulungen und dann ein neuer, schlechter bezahlter und dequalifizierter Job, wenn sie überhaupt einen finden. Die einzige Konstante der „Reformpolitik“ ist die der Verschlechterung.

Eine Klimabewegung, die die Ursachen der ökologischen Krise individualisiert, indem sie „die Konsumenten“ verantwortlich macht oder marktkonform auf Lösungen durch „smarte grüne Entrepreneure“ setzt, muss sich nicht wundern, wenn ihr Misstrauen, Verachtung und Ablehnung entgegenschlagen. Auch manche Aktionen von Extinction Rebellion (XR) können hier als Negativbeispiele dienen. Den Tiefpunkt stellt eine Aktion in London dar, bei der zwei XR-Aktivisten in Hemd und Sakko in dem proletarischen Stadtviertel Cannigtown während der Rushhour einen Pendlerzug blockierten, mit dem die Leute zu ihren prekären Jobs fahren müssen. Auf dem Banner, das sie auf dem Wagon ausbreiteten war zu lesen: „Business as usual – Death“. Leider steht es den wenigsten Lohnabhängigen offen, Berufsaktivist zu werden und sie führen auch kein Business, über das sie bestimmen könnten. Solche Aktionen erhöhen nicht den Druck auf den Verantwortlichen, das Kapital, sondern auf diese Lohnabhängigen, die mit den Öffis zur Arbeit fahren und ihren Job verlieren können, wenn sie nicht pünktlich auftauchen. Es ist wenig verwunderlich, dass die PendlerInnen in London ziemlich wütend wurden und die beiden Aktivisten verprügelt haben.

Transit: Das Misstrauen könnte also noch größer werden?

FWFF: Wenn diese Kräfte die Oberhand behalten, dann wird die ökologische Krise so „gelöst“, dass der Staat den grünen Kapitalisten eine ordentliche Starthilfe verabreicht und die Kosten durch Konsumsteuern auf die Lohnabhängigen abwälzt. Von der Finanzierung der „Energiewende“ in der BRD sind viele Unternehmen mit hohem Energieverbrauch befreit, während die Energiekosten für die privaten Haushalte steigen, was natürlich die Ärmsten am härtesten trifft. Ganz ähnlich hat die französische Regierung im letzten Jahr versucht, eine als „Ökosteuer“ deklarierte Abgabe auf Benzin und Treibstoff durchzusetzen, die vor allem die proletarisierte Landbevölkerung getroffen hätte, die in den vom Abbau des staatlichen Schienennetzes betroffenen Regionen auf ihr Auto angewiesen ist und sich zudem den Umstieg auf ein E-Auto nicht leisten kann. Die Gelbwestenbewegung hat diesem schamlosen Versuch eine unmissverständliche Antwort erteilt.

Transit: Zurück zu den Kohlearbeitern. Sind die für linke Politik verloren?

FWFF: Es ist erstmal ziemlich interessant zu sehen, dass verhältnismäßig viel über die Arbeitsplätze in der Braunkohle gesprochen wird auch in den bürgerlichen Medien. Warum ist das so? An der Größenordnung liegt es nicht, es arbeiten zurzeit nur noch knapp 20.000 Menschen in Deutschland in der Braunkohle. Dem stehen über 330.000 Arbeitsplätze in der regenerativen Energie gegenüber. Über die hört man seltsamerweise kaum etwas, sie werden nicht zum Gegenstand öffentlicher Besorgnis. Warum ist das so? Was erfahren wir über diese Arbeiter und welche Funktion haben die Erzählungen über sie?

Dazu gab es vor kurzem einen interessanten Artikel von Sarah Lazare im „express“, einer Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftspolitik (in Ausgabe 7/2019). Lazare hat die Medienberichterstattung über Kohlearbeiter in den bürgerlichen Medien der USA untersucht und dabei ein Schema entdeckt. Große Medienhäuser betreiben eine politische Instrumentalisierung dieser Arbeiter mit dem Ziel, eine wirksame Umweltpolitik zu verhindern. Im Zuge der Kampagne für einen „Green New Deal“ haben sozialdemokratische PolitikerInnen wie Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez sich dafür eingesetzt, dass die Schließung von Kohlegruben mit einer Jobgarantie für die Bergleute, sowie einer Rettung ihre Renten- und Versicherungsansprüche einhergeht. Diese Pläne werden z.B. auch von der Gewerkschaft United Mine Workers of America unterstützt. Die bürgerlichen Medien wie z.B. die New York Times berichten aber fast gar nicht darüber, dass diese sozialen Forderungen auch von Teilen der betroffenen Arbeiter mitgetragen werden. Sie interessieren sich nicht für die Renten der Arbeiter oder die extrem schädlichen Arbeitsbedingungen und die mangelnde Gesundheitsversorgung, obwohl das ein großes Thema für die Arbeiter ist. Dagegen wurde den Bergleuten tendenziell immer dann eine Plattform in den bürgerlichen Medien gegeben, wenn sie sich als konservative Trump-Unterstützer gegen Umweltpolitik äußerten.

Die bürgerlichen Medien verstärken also das populistische Schema „ökologische Elite versus konservative Produktionsarbeiter“. Sie verschweigen die proletarische Unterstützung für sozialökologische Vorschläge genauso wie die sonstigen materiellen Forderungen der ArbeiterInnen. Gleichzeitig spielen sich diese Medien aber als Vertreter der bescheidenen kleinen Leute gegen die abgehobenen Eliten auf. Das ist eine gängige rhetorische Strategie von Populisten, die man auch in Europa beobachten kann.

In dieser Instrumentalisierung dienen die Bergleute dem Kapital als kostbare ideologische Ressource. Wie so oft in der bürgerlichen Ideologie geht es darum, die besonderen Interessen der herrschenden Klasse als allgemeines Interessen der Gesellschaft erscheinen zu lassen. Die Klimakrise stellt für dieses Unterfangen eine enorme Herausforderung dar, da es vielen dämmert, dass insbesondere die Partikularinteressen der fossilen Energiewirtschaft sich auf keine Weise harmonisch mit dem vitalen Menschheitsinteresse des bloßen Überlebens auf diesem Planeten in Deckung bringen lassen, von einem guten Leben ganz zu schweigen. Durch den Verweis auf die Jobs der Bergleute kann das fossile Kapital sein Profitinteresse in ein Allgemeininteresse kleiden und die ganze Debatte in das scheinbare Dilemma „Jobs oder Umwelt“ hineinmanövrieren. Die „Umwelt“ wird dann als ein ganz abstrakter Wert vorgestellt, der nur romantischen Schöngeistern am Herzen liegt, worauf der gesunde Menschenverstand aber nicht zu achten braucht. Im nächsten Schritt wird dann nach dem Motto „das Hemd ist näher als die Hose“ nahegelegt, wir müssten eben diese hochfliegenden Ideale für das praktische Überleben opfern, als uns für die Jobs und gegen die Umwelt entscheiden.

Diese Logik ist geeignet, um die Profitmaximierung durch einige skrupellose fossile Kapitalfraktionen bis zur vollkommenen Verwüstung des Planeten zu rechtfertigen, weil damit ja immer ein paar Jobs einhergehen. Für den einzelnen Bergmann macht diese Logik vielleicht Sinn, obwohl es auch da wie gesagt keineswegs so eindeutig aussieht, wie es gerne dargestellt wird. Als politische Perspektive für die globale Lohnabhängigenklasse, die aus vielen Milliarden Menschen besteht, geht diese scheinbar so realistische Rechnung aber überhaupt nicht auf, denn wie schon eingangs erwähnt wird sie unter dem Klimawandel zu Grunde gehen, ungezählte Menschen sind vom Tod durch verhungern, verdursten, ertrinken und verbrennen bedroht. Aber man muss gar nicht so weit gehen, sondern kann auch die Interessen der Communities rund um die Abbaugebiete miteinbeziehen, um zu einem differenzierteren Bild zu kommen. So organisieren sich in der Kampagne Alle Dörfer Bleiben die BewohnerInnen von Dörfern in Kohlerevieren, die durch die Abbaugelüste des fossilen Kapitals von Zwangsvertreibung bedroht sind. Von Nordamerika bis Nigeria wehren sich sogenannte frontline communities entlang von Erdölpipelines und in Bergbaugebieten gegen die fossile Infrastruktur, die dort zu erheblichen Gesundheitsbelastungen führt.

Transit: Wie könnte dann eine bessere Zusammenarbeit von Klimabewegung und Arbeiter*innenklasse aussehen?

FWFF: Klar ist, dass nur eine Ökobewegung auf Unterstützung durch ArbeiterInnen hoffen kann, die nicht Invenstionsprogramme für grüne Kapitalisten durch Verarmung von Lohnabhängigen finanziert. Klar ist aber umgekehrt auch, dass eine restaurative Industriepolitik wie sie von manchen Gewerkschaften gefahren wird, eine Katastrophe ist. Ein Negativbeispiel ist hier das Verhalten der IG BCE im Hambacher Forst. Hier werden die kurzfristigen Interessen bestimmter Segmente gegen die vitalen Überlebensinteressen der Arbeiterklasse und der Menschheit als ganzer gesetzt. Das entspricht der Funktionsweise von Gewerkschaften, die davon leben, dass sie berufsständische Interessen ihrer zahlenden Mitgliedschaft vertreten. Aber man muss eben sehen, dass das den Interessen der großen Mehrheit der Bevölkerung zuwiderläuft und daher keine allgemeine politische Perspektive für die ArbeiterInnenklasse abgeben kann.
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„Arbeiter einer vor der Schließung bedrohten Werft haben einige Wochen lang ihren Betrieb besetzt, mit der Forderung, das Unternehmen zu verstaatlichen und dort Infrastruktur für die Umstellung auf regenerative Energiequellen zu produzieren.“

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Das Magazin Vice hat vor kurzem von einem interessanten Fall aus Nordirland berichtet, wo Arbeiter einer vor der Schließung bedrohten Werft einige Wochen lang ihren Betrieb besetzt haben, mit der Forderung, das Unternehmen zu verstaatlichen und dort Infrastruktur für die Umstellung auf regenerative Energiequellen zu produzieren. Die Arbeiter wollen natürlich nicht ihr Einkommen verlieren, aber sie sie haben offensichtlich auch ein Verständnis der aktuellen politischen Prozesse, ein Bedürfnis nach sinnvoller Arbeit, ein Selbstbewusstsein bezüglich ihrer eigenen Fähigkeiten, und zwar nicht nur was die technischen Expertisen der Einzelnen angeht, sondern auch darüber, wie sie diese Fähigkeiten so kombinieren können, dass dabei ein komplexes, gesellschaftlich überaus nützliches neues Produkt entstehen könnte. Vielleicht könnte man sich an solchen Modellen auch in Gebieten wie der Lausitz orientieren?

Denn es führt kein Weg daran vorbei, dass wir so schnell wie möglich aus der Kohle aussteigen. Das sollte natürlich nicht auf dem Rücken der Beschäftigten passieren, wie es im Kapitalismus der natürliche Gang der Dinge ist, sondern auf dem Rücken des fossilen Kapitals, das billionenschwere Profite mit der Ausbeutung dieser Ressourcen gemacht hat. Der Prozess der Dekarbonisierung der Ökonomie muss unter sozialen Maßgaben stehen. Es ist eine Frage von Kämpfen, ob das durchzusetzen ist. Diese Perspektive gilt es stark zu machen. Derzeit sieht es leider noch nicht so aus, als würde sich dieser Weg durchsetzen, da weder in der Klimabewegung, noch unter ArbeiterInnen diese Perspektive klar ist. Das Kapital hat auch ein großes Interesse daran, dass es bei dieser Spaltung bleibt. Das kann man besonders gut an den medialen Debatten über die Kohlekumpel nachvollziehen, die du in der Frage angesprochen hast.

(Future) Workers for Future

(Future) Workers for Future haben sich im September zusammengetan und bisher vor allem über die verschiedenen Ziele, Strategien und Vorschläge der Klimabewegung diskutiert. Mit ihrem Flugblatt wollten sie mit Leuten ins Gespräch kommen. Perspektivisch haben sie Lust, sich mit engagierten und interessierten Personen von Fridays for future und students for future auszutauschen, Positionen diskutieren und Veranstaltungen durchzuführen.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.