“Das sind die Stimmen, auf die wir jetzt wirklich hören sollten.“

Die Künstlerin Talya Feldman im Gespräch. Ein Auszug

von | veröffentlicht am 15.10 2021

Beitragsbild: Talya Feldman

Vom 7. bis 21. Oktober ist eine Installation anlässlich des Gedenkens an den zweiten Jahrestag des rechtsterroristischen Anschlags im Künstlerhaus 188 e.V. in Halle zu sehen.




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Anhand von Sprachaufnahmen von Überlebenden, Angehörigen und Initiativen aus 18 Städten beleuchtet Talya Feldman in ihrer audiovisuellen Installation “The violence we have witnessed carries a weight on our hearts” die Kontinuitäten rechten Terrors in Deutschland von 1979 bis heute (Infos). Christina Brinkmann hat in einem Interview für Radio Corax im Mai 2021 mit Talya Feldman über die Installation und ihre Hintergründe gesprochen. Einige Antworten der Künstlerin wurden von ihnen herausgegriffen und ins Deutsche übersetzt:

 

„Viele der Stimmen in der Installation sind Botschaften, die sich Überlebende, Familien von Opfern rechten Terrors und Initiativen, die dagegen kämpfen, im Laufe des letzten Jahres sandten. Die Nachrichten schickten die Personen und Gruppen sich untereinander an Gedenktagen, zu Gerichtsterminen oder anlässlich von Demonstrationen. Das Corona-Virus hat uns voneinander getrennt und uns davon abgehalten, beieinander zu sein. Aber es hat die Menschen nicht davon abgehalten, sich diese Nachrichten zu schicken und ihre Stimmen in Solidarität und Widerstandskraft miteinander zu erheben. Für mich ist die Frage, wie wir die Gewalt stoppen, wie wir uns verteidigen, aber auch wie wir diese Art von Terror bekämpfen können, sehr aktuell: indem wir diesen Stimmen zuhören, indem wir die Art und Weise in Frage stellen, wie das Justizsystem und die Strafverfolgung mit den Stimmen dieser Familien, dieser Überlebenden, dieser Opfer, umgegangen sind. Indem wir das wirklich hinterfragen und ergründen, welchen Platz wir als Gesellschaft darin einnehmen und wie wir uns verändern müssen. Ich habe das Gefühl, dass diese Stimmen uns ermöglichen, die Welt anders zu sehen und zu denken und uns eine Vorstellung davon zu machen, wann diese Gewalt aufhören wird. (…)

Wenn rechte Angriffe geschehen, werden sie oft als Einzelfälle dargestellt, obwohl das eindeutig nicht der Fall ist. Wenn wir diese Taten weiterhin so bezeichnen, welche Hoffnung haben wir dann, sie in Zukunft zu verhindern? (…) In vielerlei Hinsicht ist das ein Teil der Last, die wir tragen, die nicht nur die Betroffenen und Überlebenden, die in der Installation hörbar sind, tragen, sondern auch wir als Gemeinschaft, als Gesellschaft, als Land, als Welt. Ich denke, das spielt eine große Rolle bei dem, was diese Stimmen sagen und wirklich dringend fordern. (…)

Wir hören die Betroffenen, die Familien, die mit den Behörden um das Recht kämpfen müssen, ihrer Angehörigen so zu gedenken, wie es ihnen gebührt. Sie kämpfen mit den Strafverfolgungsbehörden für eine korrekte Untersuchung und Erfassung der Taten; sie kämpfen mit dem Justizsystem, das sich weigert, die rassistischen und antisemitischen Strukturen anzuerkennen, die diese Gewalttaten ermöglicht haben. In diesem Sinne ist, was diese Arbeit sagt, folgendes: Das muss sich ändern! (…)

Diese Menschen sind unglaublich stark. Sie kämpfen gegen all das, was ihnen widerfahren ist, und sie kämpfen weiter. Das ist für mich auch ein großer Teil der Arbeit, all diese vielen verübten Fälle der Gewalt im Laufe der Zeit zu zeigen. Die Menschen von Erlangen und von Merseburg 1979 bis Hanau kämpfen immer noch. Sie haben nicht aufgegeben. (…)

Es ist für mich sehr wichtig, sich mit dieser Geschichte rechter Gewalt und rechten Terrors auseinanderzusetzen, diese Daten zu zeigen, diese Zeitachsen abzubilden. Aber es ist auch wichtig zu sehen, dass hinter diesen Daten Menschen stehen. Bei der Darstellung dieser Informationen verspüre ich eine Dringlichkeit, das negative Narrativ zu verändern. Man könnte sagen, dass es um das Narrativ des Opfers geht, um die Frage, was es bedeutet, Opfer zu sein. İbrahim Arslan hat es sehr gut in seiner Botschaft, die in der Installation zu hören ist, gesagt. İbrahim ist ein Überlebender des Brandanschlags in Mölln 1992, bei dem drei seiner Familienmitglieder getötet wurden. Er sagt, Opfer zu sein bedeutet nicht, dass man passiv oder schwach ist. Wir sind die Hauptzeugen für das, was passiert ist. Wir sind stark und wir sind aktiv. (…) Ich denke, dass die Stimmen in der Installation genau das zeigen. Sie haben mir das gezeigt und sie haben mich gestärkt. Das sind die Stimmen, auf die wir jetzt wirklich hören sollten.“

Das Interview wurde in dieser Form zuerst in Programmzeitung Oktober/November 2021 von Radio Corax veröffentlicht. Es kann hier in voller Länge nachgehört werden.

Über Talya Feldman

Für das multimediale Projekt wurde die in Denver geborene und derzeit in Hamburg lebende Medienkünstlerin mit dem DAGESH-Kunstpreis 2021 ausgezeichnet. Als Überlebende des Anschlags in Halle hat Talya Feldman mehrere Kunstprojekte gegen rechten Terror realisiert, darunter die interaktive Web-Plattform “Global White Supremacist Terror: Halle”

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.