Auf nach Lützerath!

von | veröffentlicht am 23.01 2023

Beitragsbild: Dani Luiz

Am 14. Januar hatten Umweltverbände, Klimagruppen und lokale Initiativen in Lützerath zu einer Großdemonstration aufgerufen, um gegen die geplante Abbaggerung des Dorfes zu protestieren. Ein Erfahrungsbericht.




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Prolog

Das Audimax der Uni wurde besetzt. Aktivist*innen von „End Fossil: Occupy!“ forderten u.a. ein verpflichtendes Modul zu nachhaltiger, sozialgerechter Entwicklung und Klimanotlage in jedem Studiengang, eine kritische Prüfung der Studieninhalte auf Kompatibilität mit Klimagerechtigkeit und die Klimaneutralität der Hochschule. Außerdem solidarisierten sich die Besetzer*innen mit den Bewegungen gegen den Abriss von und dem Abbau der Kohle unter dem Dorf Lützerath in Nordrhein-Westfalen.

Im besetzten Hörsaal finden in dieser Woche Filmvorführungen und Vorträge statt, von denen ich mir einige anhöre. Da am kommenden Wochenende die Großdemonstration in Lützerath stattfinden wird, mobilisieren die Vortragenden dorthin. Spontan entscheiden so viele Menschen mitzufahren, dass neben einem bereits geplanten Bus noch zwei weitere organisiert werden: In einem von ihnen fuhr auch ich mit.

Denn dem Abbau und der Verbrennung von Kohle unter Lützerath, die uns weit entfernt von allen Klimazielen, nicht notwendig für unsere Energieversorgung ist, die Folgen für uns alle hat, aber nicht etwa demokratisch, sondern auf Basis wirtschaftlicher Interessen eines Riesenkonzerns entschieden wird, darf nicht tatenlos zugesehen werden. Lützerath zu besetzen und zur Demonstration zu fahren bedeutet, demokratische Rechte und Mitbestimmung einzufordern. Wir alle müssen in einer Welt leben, die sich durch den Klimawandel drastisch zum Negativen verändert. Folglich sollten Bürger*innen gerade an Entscheidungsprozessen teilhaben dürfen, die solche weitreichenden Konsequenzen haben werden.

 

14.01.23

Der Wecker klingelt um 3:50 Uhr, meine Mitbewohnerin und ich putzen nur noch schnell Zähne, packen die letzte Verpflegung in unsere Rucksäcke und machen uns auf den Weg zur Tram. Dort treffen wir ein weiteres Mitglied unsere Bezugsgruppe, die vierte Person steigt zwei Haltestellen später dazu. Zum Bahnhof von Halle müssen wir durch die halbe Stadt. Es steigen Menschen dazu, die so aussehen wie wir: Rucksack, viele Pullover übereinander gezogen, Wanderschuhe, und die mit uns den Bus nach Lützi nehmen werden. Außerdem mischen sich Nachtschwärmer und Partymäuse unter die Passagiere – nach dem Feiern sind sie auf dem Weg nach Hause. Eine kotzt in die Bahn, der säuerlich-alkoholische Geruch breitet sich im Abteil aus. Wie gut, dass wir noch FFP2-Masken dabei haben. Mir wird trotzdem übel.

Am Busbahnhof stehen die drei Busse stehen bereit, die meine Bezugsgruppe und knapp 200 weitere Leute nach Lützerath bringen werden. Wir verteilen uns schnell und fahren pünktlich los. Unser Busfahrer ist gut aufgelegt, stellt sich und seinen Bus – den Neoplan Skyliner –, nicht ohne Stolz vor, lobt unser Vorhaben und lässt uns dann schlafen. Auf den letzten Kilometern bis zum Treffpunkt stehen wir noch etwa eine Stunde im Stau, so groß ist der Andrang: Vor, hinter, links und rechts von uns rollen weitere Reisebusse voller Demoteilnehmender vorbei. Dann können wir endlich an einer Kreuzung aussteigen. Es nieselt, wir haben die Regenhosen schon an, sammeln unsere Bezugsgruppe und schließen uns dem Pulk an Menschen an, der sich Richtung Keyenberg bewegt. Auch dieses Dorf sollte vor dem „Kompromiss“ mit RWE abgebaggert werden und liegt ca. 3,5 km von Lützerath entfernt.

Wir laufen eine schlammige Straße entlang. Links von uns, hinter einem Wall, liegt der Kohletagebau Garzweiler II. Wir klettern auf den Wall hinauf und werfen einen Blick hinein. Das braune Loch erstreckt sich kilometerweit, am Horizont ein paar Windräder. Um die Abbruchkante herum stehen überall Demonstrierende in leuchtende Regencapes gehüllt. Wir rutschen den Hang wieder runter, laufen an einem kleinen Stand vorbei, der Pizza anbietet, und folgen für kurze Zeit einem Lautsprecherwagen mit Mucke, hinein ins Dorf Keyenberg.

Mit uns demonstrieren Familien mit Kindern, in teure Regenjacken Gekleidete, Vermummte, Ältere und Jüngere, Menschen mit Fahrrädern, Lastenwagen, in Rollstühlen, auf Dreirädern. Der Protest ist bunt, vielfältig, generationenübergreifend und es ist kein Ende oder Anfang des Demozugs in Sicht, der sich durch die eher engen Straßen von Keyenberg schlängelt. Wir hören einen Beitrag der Landwirte und der Letzten Generation. Greta Thunberg spricht auf der Hauptbühne, an der wir aber gar nicht stehen bleiben.

Denn der Strom zieht weiter Richtung Lützerath. Es ist ein monotones Stapfen durch immer tieferen Schlamm. Stehen bleiben bedeutet Einsinken. Der Regen fällt mal mehr, mal weniger stark, dafür ausdauernd und es windet sehr. Es wäre so viel bequemer, unpolitisch zu sein oder zu glauben, den Klimawandel gäbe es nicht oder er würde uns nicht betreffen. Oder warum müssen wir unseren Samstag überhaupt so verbringen in einer Demokratie, in der das Eintreten für Bürger*innerechte und letztendlich eine lebenswerte Welt für alle mit dem Prügel der Staatsdiener enden kann?

Schließlich erreichen wir ein Feld. Auf dem Wall, der dieses vom nächsten trennt, stehen Polizisten dicht an dicht. Es ist bedrohlich, zu beobachten, wie die dunklen Silhouetten mit Schlagstöcken und Pfefferspray wedeln. Wir rücken näher heran, essen eine Kleinigkeit und singen mit Hunderten von Demonstrierenden: „Heho, leistet Widerstand. Keiner braucht die Kohle hier im Land. Auf die Barrikaden, auf die Barrikaden…“ im Kanon. Die Polizei hat das ganze Feld vor Lützerath umstellt und wir beobachten, wie Menschen auf der gegenüberliegenden Seite die Kette durchbrechen. Hier: Jubel. Dann passiert das gleiche auch bei uns. Die Polizisten ziehen sich zurück, der Weg ist frei. Mensch hilft sich gegenseitig über den Wall und wir sehen die letzten Häuser von Lützerath. Drumherum ein Bauzaun, Polizeibeamte, mehrere Wasserwerfer, Polizeiautos. Die Lage ist unübersichtlich, zweimal rennt eine große Gruppe von Menschen aus Panik von weiter vorne auf uns zu. Wir besprechen uns kurz in der Gruppe und nähern uns dann langsam dem vom Abriss betroffenen Dorf. Der Adrenalinpegel steigt. Es folgen immer mehr Menschen, wir stimmen zu Demonstrationsrufen an, treffen Leute aus unserem Bus und beobachten die Lage. Lützerath ist komplett abgeriegelt, die Demonstrierenden stehen in Gruppe zusammen, es passiert nichts.

Schließlich dämmert es und wir machen uns auf den Rückweg nach Keyenberg. Hier passieren wir ein Camp von Aktivist*innen, pausieren zum Essen, finden den Gasthof des Dorfes und wärmen uns ein bisschen auf, wie viele andere Demonstrierende auch. Auf unseren Bus warten wir etwa eine Stunde im strömenden Regen, den der Wind in alle Richtungen dreht. Nach einer Ewigkeit kommt der Bus und sammelt uns klatschnass, voller Schlammspritzer und erschöpft ein.

Nach genau 24 Stunden erreichen wir den Ort, an dem wir gestartet sind. In der Bahn nach Hause, eine Gruppe Jugendlicher, die uns als „Grünenwähler“ betiteln. Nach der Lützerath-Entscheidung mit Sicherheit nicht. Dann ziehen sie die Notbremse und rennen aus der Bahn. Jemand sagt: „Die hätten wir auf der Demo gebraucht. Einfach mal stoppen, den Scheiß.“ Der Tramfahrer kommt genervt und schimpfend aus seiner Kabine, entsperrt, fährt weiter. Dann sind wir endlich zu Hause.

 

Nun sichten wir die Berichterstattung des letzten Tages. Wir waren wohl zwischen 15.000 und 35.000 Demonstrierende. Trotzdem macht sich Frustration breit, weil diese Kohle trotzdem abgebaggert wird, obwohl Menschen ihr Leben dafür auf’s Spiel setzten. Oft wird von Gewalt gegen Polizeibeamte gesprochen, wenig von den Demonstrierenden, die ich in Krankenwagen verschwinden sah. Auf Twitter einige Videos von Polizisten, die teilweise hinterrücks auf Leute einknüppeln. Eine Person wird krankenhausreif geschlagen, die Demosanitäter*innen geben in ihrem Statement an, unerwartet viele Verletzungen an Kopf und Thorax behandelt zu haben. Es erscheint mir absurd, dass Einzelpersonen solch eine Gefahr für eine voll ausgestattete und bewaffnete Truppe von Polizeibeamten sein können, dass ein Gewaltexzess auch nur erklärbar wird. Auf dem Feld vor Lützerath, auf dem wir zuletzt standen, wurden schließlich Wasserwerfer und Pfefferspray eingesetzt. Alles für das Kapital, alles für die Kohle, alles für RWE.

Es gibt ein witziges Video auf Twitter von Polizisten, die im Matsch feststecken und sich beim Versuch zu entkommen, gegenseitig umreißen. Immer schön in Bewegung bleiben, Leute.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.