Zögerliche Solidarität

Kundgebung nach wiederholtem Angriff auf das Islamische Kulturcenter in Halle-Neustadt

von | veröffentlicht am 30.01 2022

Beitragsbild: Transit | CC BY 2.0

Am Freitagmittag versammelten sich rund 200 Personen vor dem Islamischen Kulturcenter zu einer Solidaritätskundgebung. Anlass war der Angriff auf die Moschee in Halle-Neustadt am vergangenen Sonntag, bei dem mehrere Schüsse mit einem Luftgewehr auf das Gebäude und umstehende Personen abgefeuert wurden. Im Unterschied zu vorherigen Angriffen dieser Art, wurde niemand verletzt. Obwohl die Gemeinde von einem wiederholten Anschlag auf Muslim*innen spricht, sieht die Staatsanwaltschaft Halle keinen Handlungsbedarf.




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Während sich die ersten Gemeindemitglieder zum Freitagsgebet in der Moschee am Meeresbrunnen einfinden, wächst allmählich auch die Zahl der Kundgebungsteilnehmer*innen, die sich vor dem Islamischen Kulturcenter versammeln. Aufgerufen hatte das Landesnetzwerk Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt (LAMSA), um „den Mitgliedern der Gemeinde und der Nachbarschaft“ zu zeigen, „dass wir alle miteinander solidarisch zusammenstehen.“ Im Anschluss findet eine weitere Kundgebung statt, zu der die Initiative Rat der Religionen für Halle eingeladen hat.

Mehrere der Teilnehmer*innen der Kundgebung verleihen ihrer Solidarität am offenen Mikrophon Ausdruck. Ismet Tekin, Überlebender des Anschlags vom 9. Oktober 2019, forderte aktive Unterstützung für die Betroffenen des mutmaßlich rassistisch motivierten Angriffs. Er selbst wisse, was es bedeutet, mit der immer wiederkehrenden Angst vor einem Angriff leben zu müssen. Viele Menschen würden sich nicht trauen, alleine das Haus zu verlassen, weil sie befürchten, auf offener Straße beschimpft oder attackiert zu werden. Tekin betont auch, dass es nicht bei einer bloßen Solidaritätsbekundung bleiben kann, sondern der ständigen Bedrohung im Alltag begegnet werden müsse. Auch Max Privorozki, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Halle, zeigt sich solidarisch mit den Betroffenen des Angriffs. Die jüdische Gemeinde war das erste Ziel des rechtsterroristischen Anschlags, allein die massive Eingangstür der halleschen Synagoge und die Sicherheitsmaßnahmen der Gemeindemitglieder konnten Schlimmeres verhindern. „Der gemeinsame Feind heißt Hass“, so Privorozki, und Hass führe zu Gewalt.

Später melden sich u.a. Halles Bürgermeister Egbert Geier und Staatssekretärin Susi Möbbeck (beide SPD) zu Wort. Bei beiden Redebeiträgen machen Kundgebungsteilnehmer*innen mittels Zwischenrufen ihrer Unmut darüber Luft, dass der mutmaßliche Täter weiterhin auf freiem Fuß sei. Tatsächlich wurde gegen den Tatverdächtigen kein Haftbefehl erlassen, obwohl in der Wohnung des Schützen ein Luftgewehr und eine Gasdruckpistole gefunden wurden. Gegenüber dem „MiGAZIN“ bemerkte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Halle, dass es „Mangels Straftat für einen Haftantrag keinen Grund gegeben“ habe. „Wie die Sprecherin weiter erklärte, gebe es vielmehr Zweifel darüber, ob überhaupt auf die Moschee oder auf Menschen geschossen worden sei.“

Djamel Amelal, Vorstand der muslimischen Gemeinde, berichtet hingegen, dass die Projektile auf Kopfhöhe anwesender Gemeindemitglieder eingeschlagen und diese nur knapp verfehlt hätten. „Das war eindeutig ein Anschlag auf Muslime“, so Amelal gegenüber dem „MiGAZIN“. Er verweist auch auf die Einschusslöcher auf der frisch gestrichenen Wand, die nicht zu übersehen seien. Und dennoch sieht die Staatsanwaltschaft keinen Handlungsbedarf. Versuchte Körperverletzung? Sachbeschädigung? Wiederholungsgefahr? Bei der zuständigen Behörde Fehlanzeige.

Dabei wurden die Gemeindemitglieder wiederholt Ziel von Angriffen dieser Art. Im Februar 2018 wurde bereits aus einem benachbarten Wohnhaus in Richtung der Moschee gefeuert und dabei eine Person an der Hand verletzt. Nur wenige Zeit später, im Juni desselben Jahres, wurden zwei Besucher*innen der Moschee mit Projektilen eines Luftgewehrs beschossen, auch hier wurde eine Person leicht verletzt. Neben den körperlichen Verletzungen schaffen diese Angriffe ein ständiges Bedrohungsszenario für potentiell Betroffene.

Erneut zeigt sich der Unwille, von staatlicher Seite zu handeln und Betroffene effektiv zu schützen. Während Ministerpräsident Rainer Haseloff (CDU) als Reaktion auf den Angriff Bildungskonzepte ankündigt, bei denen „Begegnungsmöglichkeiten“ geschaffen werden sollen, reißt die Reihe an rassistischen und antisemitischen Angriffen nicht ab. Die Staatsanwaltschaft Halle spielt wiederholt eine unrühmliche Rolle im Umgang mit rechtsextremer Gewalt (siehe u.a. die Beiträge von Lilli Neuhaus in diesem Magazin). Ein Polizeisprecher wiederum erklärte gegenüber der „taz“, dass sich ein „fremdenfeindliches Motiv“ bisher nicht bestätigt habe. Irritierend sind aber auch die verhaltenen Reaktionen linker Gruppierungen und anderer zivilgesellschaftlicher Akteur*innen in Halle, von denen nur wenig im Nachgang des mutmaßlich rassistisch motivierten Angriffs zu vernehmen war. Dabei wäre es längst überfällig, zu zeigen, dass Solidarität wirklich unteilbar ist und allen Betroffenen rechtsextremer Gewalt gelten muss.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.

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