9-Euro-Ticket verlängern!

von | veröffentlicht am 02.09 2022

Beitragsbild: Transit-Magazin | CC BY 2.0




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Zum 1. September 2022 endete das 9-Euro-Ticket. Seit dem 1. Juni konnten Bürger*innen im ganzen Bundesgebiet für nur 9 Euro im Monat den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) nutzen. Laut Verband Deutscher Verkehrsunternehmen wurde bis bereits einschließlich 8. August das Ticket 38 Mio. mal verkauft, was also knapp die Hälfte der Bevölkerung ausmacht. Allein in Halle wurden 168.000 Tickets umgesetzt, die Fahrgastzahlen stiegen über das Vor-Corona-Niveau. Der MDR sprach in diesem Zusammenhang gar von einem „Riesen-Erfolg“. Und eine Umfrage unter Einwohner*innen Mitteldeutschlands zeigte, dass zwei Drittel der Bevölkerung das Ticket für sinnvoll halten. Weiterhin betonten Teilnehmende der Umfrage, dass sich erhebliche finanzielle Entlastungen besonders für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen wie Azubis, Rentner*innen und Studierende aber auch für Berufspendler*innen eingestellt hätten. Andere Bürger*innen betonten auch Nachteile des Tickets wie überfüllte Züge und das ungenügend ausgebaute Schienennetz, das nicht allen die Möglichkeit gebe, auf Züge umzusteigen.

Schon jetzt rechnen Expert*innen mit einem Anstieg der Preise für den ÖPNV nach dem Auslaufen des 9-Euro-Tickets. Bereits im August, noch unbemerkt durch die massenhafte Nutzung des 9-Euro-Tickets, hatte z.B. der Mitteldeutsche Verkehrsverbund die Ticketpreise um durchschnittlich ca. 2,8 % erhöht. Zudem wird eine Verschlimmerung der derzeitigen Inflation prognostiziert. Mittwoch bildeten sich vor dem Infopoint der Halleschen Verkehrsbetriebe (HAVAG) in der Großen Ulrichstraße lange Schlangen von Menschen, die sich jetzt aus einem Wust von Angeboten wieder das für sie passende heraussuchen müssen. Die HAVAG hat zudem, um den Auswirkungen zuvorzukommen, die Einführung eines sog. „Luftlinientarifs“ angekündigt, bei dem zu einem Basispreis von 1,50 Euro pro Fahrt je Kilometer 15 Cent berechnet werden sollen. Das Unternehmen verspricht sich davon v.a. niedrigere Preise für Kurzstrecken. Nach aktuellem Stand kostet ein Monatsticket der HAVAG derzeit 72,10 Euro. Im Regelsatz für Hartz 4 sind demgegenüber aber nur 40,27 Euro für Verkehr vorgesehen.

Für die Bundesregierung war die Finanzierung ein Schnäppchen. Gerade einmal 2,5 Milliarden Euro hatte die Subventionierung des Tickets für drei Monate gekostet. Zum Vergleich dazu hat die Regierung bekanntlich ohne großes Federlesen 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die militärische Aufrüstung aus dem Hut gezaubert; mit dem Betrag könnte man 10 Jahre lang ein 9-Euro-Ticket finanzieren. Es zeigt sich, dass Geld da ist, aber offensichtlich der politische Wille fehlt, es für sozial und ökologisch nachhaltige Projekte auszugeben. Anstatt etwa eine Politik zu gestalten, mit der Bürger*innen massenwirksam an der Mobilität teilhaben könnten, wird mit ideologischer Verblendung und Sturheit an einer Schuldenbremse festgehalten, die staatliche Ausgaben für dringend benötigte Infrastruktur- und Sozialmaßnahmen verunmöglicht, von der Bildung ganz zu schweigen; einfach mit dem völlig abseitigen Argument, dass man sparen müsse (im Namen einer nebulösen „Generationengerechtigkeit“). Dieses Vorgehen ist nicht nur hochgradig unsozial, sondern auch wirtschaftsschädlich. Wenn besonders Menschen mit niedrigem Einkommen, die sich im Gegensatz zur Bundesregierung sehr genau überlegen müssen, wofür sie ihr Geld ausgeben, im Monat bedeutend weniger finanzielle Mittel für Mobilität brauchen, kann das übrige Geld eben für anderes ausgegeben werden. Die Bäcker, Eisläden, Kneipen, Theater, Klubs und Spielwarengeschäfte Mitteldeutschlands würden sich freuen, gerade in Zeiten steigender Gaspreise.

Dass das 9-Euro-Ticket eine politische Maßnahme mit äußerst positiven sozialen Effekten war, haben Akteur*innen der Zivilgesellschaft mal wieder schneller verstanden als die Bundesregierung. Zum Auslaufen des Tickets formierte sich, u.a. unterstützt vom Verein Sanktionsfrei e.V., ein Fonds, der 9-Euro-Tickets für einkommensschwache Personen durch Spenden finanzieren will. Der Fonds versteht sich aber nicht nur als Sofortmaßnahme zur Weiterführung des Tickets aus Mitteln von Spender*innen, sondern artikuliert auch offen politische Forderungen bezüglich der zukünftig dringend gebotenen Verkehrswende: etwa sofortige Wiedereinführung des staatlich finanzierten 9-Euro-Tickets, „Verdoppelung des Angebots an Bussen und Bahnen bis 2030“, „faire Löhne sowie gute und gesunde Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten“ sowie „100.000 Neueinstellungen für ausscheidendes Personal, dazu zusätzlich 70.000 neue Stellen für Ausbau und Modernisierung“. Die Ausreden der Bundesregierung, dass dafür kein Geld da sei, ist eine Ablenkungsstrategie, hat sie doch abgesehen vom Militärsondervermögen offenbar kein finanzielles Problem, weitere Großprojekte wie die geplante Chip-Fabrik von Intel in Magdeburg milliardenschwer zu subventionieren.

Das 9-Euro-Ticket ist von verschiedener Seite als großer Erfolg bewertet worden. Es könnte der erste Schritt sein für einen kostenlosen und dadurch wirklich inklusiven ÖPNV. Doch der billige ÖPNV reicht nicht aus. Um die Schiene zu einem effektiven Träger der Verkehrswende zu machen, bedarf es Investitionen von staatlicher Seite zum Ausbau des Schienennetzes, für gute Löhne und Arbeitsbedingungen der Angestellten oder für flächendeckende Barrierearmut bei Haltestellen und Zügen. Konservative Ideolog*innen erzählen gern, dass Staatsschulden die kommenden Generationen belasten würden, und man deshalb bei Staatsausgaben sparen müsse. Wenn aber Investitionen in Energie- und Verkehrswende und eine breite Bildungsoffensive verweigert werden, werden sich die kommenden Generationen mit ganz anderen sozialen und ökologischen Problemen herumschlagen müssen. Der erste Schritt muss jetzt getan werden: das 9-Euro-Ticket muss verlängert werden!

Der 9-Euro-Fonds setzt sich für eine Weiterführung des Tickets ein: https://9eurofonds.de