Tendenziöse Berichterstattung in der MZ

Stellungnahme der Gruppe „NSU-Komplex aufloesen Halle“ zur Berichterstattung der Mitteldeutschen Zeitung über die Aktionen im Kontext der Urteilsverkündung im NSU-Prozess

von | veröffentlicht am 16.07 2018

Beitragsbild: https://nsuprozess.net

Wir dokumentieren die Stellungnahme der Gruppe "NSU-Komplex auflösen Halle" zur NSU-Prozess-Berichterstattung in der Mitteldeutschen Zeitung.




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In der zurückliegenden Woche haben sowohl unsere Demo, als auch die Straßenumbenennung durch die Interventionistische Linke Halle (IL) viel Aufmerksamkeit in der Lokalpresse erfahren. Ein Redakteur hat sich dabei mit besonderem Eifer und leider auch besonders eigenwilligen Aussagen hervorgetan. Oliver Müller-Lorey hat scheinbar bewusst die Solidarität, die in dieser Woche aus Halle den Betroffenen des NSU-Terrors gezeigt wurde, diskreditiert. Wir sehen es als Notwendigkeit seine tendenziösen Berichte nicht unwidersprochen zu lassen.

Zu Beginn der Woche verfasste Müller-Lorey einen Artikel, der sich auf unsere Pressemitteilung zu der bevorstehenden Demo am Mittwoch berief. In der ursprünglichen Form des Artikels prangte folgende Zwischenüberschrift „Initiatoren hoffen auf ein schnelles und hartes Urteil“. Im Text des Artikels wurde ein Auszug unserer Pressemitteilung zitiert, der dies belegen sollte. Müller-Lorey hat hier bewusst ein Zitat entkontextualisiert und uns fälschlich die Hoffnung nach einem schnellen und harten Urteil gegen die fünf Angeklagten unterstellt. Nach mehreren Hinweisen ist dies wohl auch anderen Redakteuren bei der MZ aufgefallen und die Passage wurde folgendermaßen korrigiert und ist nun in unserem ursprünglichem Sinn im Artikel zu lesen: „Stattdessen, so der Vorwurf der Initiatoren, wolle das Gericht nur ein schnelles und hartes Urteil fällen, um ein konsequentes Durchgreifen gegen rechte Mörder unter Beweis zu stellen und wieder Ruhe und Frieden einkehren zu lassen.“

Nur einen Tag darauf arbeitete sich Müller-Lorey an der Straßenumbenennung der Interventionistischen Linken Halle ab. Wir schließen uns, in Bezug darauf, der Einschätzung von Bälter Sommer im Transit-Magazin an, und stellen uns die Frage woher Müller-Lorey das Wissen nimmt, welche Art von Gedenken die Hinterbliebenen der Opfer als „würdig“ erachten? Er scheint derart uninformiert über die Bemühungen der Hinterbliebenen, dass wir ihm einige Auszüge aus der Berichterstattung zu diesem Thema nahe legen möchten:

 

Hamburger Abendblatt (27.06.2014): „Der Vater von Süleyman Tasköprü [sic] verfolgte die Reden gefasst. Erst wollte er gar nicht reden, denn es sei alles gesagt. Dann offenbarte er allerdings, dass er sich die Umbenennung der Schützenstraße gewünscht hätte – also jene Straße, in der sein Sohn vor 13 Jahren ermordet wurde.“

 

Tribunal NSU-Komplex aufloesen: „Der Text des Mahnmals, in dem nebulös vom „rechtsextremistischen Terror einer bundesweiten Mordserie“ die Rede ist, wird von den Brüdern Mehmet Turguts, Mustafa und Yunus, kritisiert: „Es wäre besser gewesen, wenn erwähnt wird, dass er von Nazis getötet wurde“, so Mustafa Turgut. Endgültig verweigert hat die Stadt die von Mehmet Turguts Brüdern gewünschte und von der Initiative „Mord verjährt nicht!“ geforderte Umbenennung des Neudierkower Wegs in Mehmet-Turgut-Weg. Diese wurde von Anfang an von den Ortsbeiräten Toitenwinkel und Dierkow blockiert.“

 

Süddeutsche Zeitung (13.03.2014): Ismail Yozgat sagt, seine Familie habe kein Geld vom Staat angenommen aus den Zahlungen für die Opfer. „Wir wollen auch kein Geld. Wir haben einen einzigen Wunsch: die Umbenennung der Holländischen Straße in Halit-Straße.“

Die Aktivist*innen der IL haben aus diesen Wünschen der Angehörigen symbolische Taten geschaffen. Müller-Lorey hingegen sowie auch die Stadt Halle reihen sich nahtlos in jene weiße Riege an Entscheidungsträger*innen ein, die die Wünsche der Angehörigen übergehen.

Müller-Lorey hatte damit bereits genug unter Beweis gestellt, dass aus seiner Sicht eine Beurteilung des NSU-Terrors den Angehörigen und deren Unterstützer*innen nicht zusteht. Daher war es wenig überraschend, dass er auch in ebendieser ignoranten Manier über unsere Demonstration berichtete. Im Folgenden möchten wir zu einigen seiner Aussagen aus seinem Artikel vom 12.07.2018 (450 Menschen auf der Straße. Ein Zwischenfall bei Demo gegen die NSU-Urteile in Halle) direkt Stellung beziehen:

„Für die rechtsextremen Morde erhält sie die in Deutschland höchstmögliche Strafe, ihre Komplizen bekommen teils ebenfalls hohe Haftstrafen. Doch den Demonstranten, die am Mittwochabend durch Halle ziehen, reicht das nicht.“

Die Prozessbeobachter*innen sind sich einig, dass die Strafen von Ralf Wohlleben (zehn statt geforderten zwölf Jahren), Holger Gerlach (drei statt geforderten fünf Jahren) und insbesondere André Eminger (zweieinhalb statt geforderten zwölf Jahren) sehr milde ausgefallen sind. Sie liegen damit deutlich hinter den Forderungen der Bundesanwaltschaft zurück. Was Müller-Lorey genau mit „teils hohen Haftstrafen“ meint, ist unklar. Außerdem unterstellt uns diese Passage erneut, es würde uns um eine harte Bestrafung der Angeklagten gehen. Doch bei aller Kritikwürdigkeit der Urteile, lag der Fokus unserer Prozesskritik nie auf der Höhe des Strafmaß, sondern stets auf der fehlenden Aufklärung im Verlauf des Prozesses.

„Für ihn und die Demonstranten steht fest, dass Zschäpe nur ein Bauernopfer war, also wollen sie gegen einen Schlussstrich und für weitere Aufklärung kämpfen.“

Beate Zschäpe war kein Bauernopfer. Das hat niemand in irgendeiner Form behauptet. Sie ist eine rechte Terroristin und in vollem Umfang für die Taten des NSU mitverantwortlich und schuldig. Müller-Lorey scheint es hier um eine Täter-Opfer-Umkehr zu gehen.

„Zunächst geht es ruhiger zu als bei früheren linken Demonstrationen. Auch der Schwarze Block, der sich hinter Sonnenbrillen und unter Kapuzen versteckt, ist nicht so stark vertreten.“

Wenn der von ihm beschworene schwarze Block nicht stark vertreten ist, weshalb muss er dann trotzdem erwähnt werden? Die Kausalkette dieses Journalisten scheint in etwa so zu funktionieren: Demo gegen NSU-Nazis → linksradikal → Schwarzer Block. Am Ende scheint er sich selbst darüber zu wundern, dass die Rechnung nicht aufgeht. Ganz unabhängig davon, ob und wie viele Menschen schwarz gekleidet sind, erwehren wir uns dem Reflex, eine Demonstration an ihrem Erscheinungsbild statt ihren Inhalten zu bewerten.

„Von dem eigentlichen Hintergrund der Demo, den Opfern der NSU-Morde, darunter auch der erschossenen Polizistin Michèle Kiesewetter zu gedenken und weitere Aufklärung zu fordern, entfernen sich Teilnehmer, die „Fuck the Police“ in Richtung der mitlaufenden Polizisten rufen. Das Bild von Kiesewetter halten sie dabei noch immer hoch.“

Dass Michèle Kiesewetter als Polizistin vom NSU ermordet wurde, darf die Kritik an der Rolle der Polizei im NSU-Komplex nicht verstummen lassen. Das rassistische Agieren der Behörden in ausnahmslos allen neun rassistischen Mordfällen, also der sog. strukturelle Rassismus, muss offengelegt werden. Müller-Lorey scheint lieber die Polizist*innen als Opfer unserer Teilnehmer*innen zu inszenieren, statt über die tatsächlichen Opfer der rassistischen Ermittlungen zu schreiben.

„Während des Aufzuges kam es laut Polizeiangaben zu einer versuchten gefährlichen Körperverletzung. Einzelheiten dazu konnten noch nicht genannt werden. Die Ermittlungen dauern an.“

Dies scheint das zentrale Geschehnis in Müller-Loreys Augen zu sein, schließlich war es ihm die Überschrift des Artikels wert. Da er selbst anwesend war, muss man davon ausgehen, dass er weiß, dass aus einem Fenster im dritten Geschoss heraus ein voller Joghurtbecher auf unsere Teilnehmer*innen geworfen wurde. Es ist pures Glück, dass dabei niemand verletzt wurde. Dennoch benennt er offenbar bewusst nicht die Zielrichtung dieser versuchten schweren Körperverletzung, sondern suggeriert der/dem nicht anwesenden Leser*in, dieser „Zwischenfall“ sei von unseren Teilnehmer*innen ausgegangen.

In der Gesamtbetrachtung der Berichterstattung dieses Journalisten, über die Aktionen im Kontext der NSU-Urteilsverkündung, müssen wir ein bitteres Fazit ziehen: Die Mitteldeutsche Zeitung steht durch ihren Journalisten Oliver Müller-Lorey in der beschämenden Tradition der deutschen Presse über den NSU. Man hat sich dort offenbar in keiner Weise mit den Bedürfnissen und dem Leid der Betroffenen auseinandergesetzt. Dass allein Michèle Kiesewetter namentlich als Opfer des NSU in diesem Artikel Erwähnung findet, zeugt von dem Unwillen, sich mit den Inhalten unserer Demonstration auseinanderzusetzen. Es ist erschütternd, dass Müller-Lorey angesichts der vielen Bemühungen der Betroffenen des NSU um Anerkennung und Gehör, in dieser Art und Weise über die lokale Solidarität in der vergangenen Woche berichtete. Wir fordern die Mitteldeutsche Zeitung auf, die Artikel zu korrigieren und bitten Sie um eine Stellungnahme zu unseren Vorwürfen.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.