Klimaschutz muss kommunale Pflichtaufgabe werden!

Zwei unterschiedliche Perspektiven kommunaler Aktuer*innen im Klimaschutz mit der gleichen Forderung an den Bund

von und | veröffentlicht am 09.03 2022

Beitragsbild: freepik.com

Müsste es nicht eigentlich selbstverständlich sein, dass Klimaschutz als Top 1 auf der Agenda in politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Diskursen steht? Spätestens nach dem Verfassungsschutzurteil vom 29.04.2021, welches besagt, dass Klimaschutz bereits im Grundgesetz verankert ist und heute mehr für den Klimaschutz gemacht werden müsse, um die Freiheitsrechte nachfolgender Generationen nicht zu gefährden, sollten konkrete Schritte in unserem Alltag sichtbar werden. Ob städtische Verwaltung oder selbstorganisierte Klimaschutzbewegung, in Halle (Saale) beschäftigen sich bereits Viele mit der Frage, wie kommunaler Klimaschutz aussehen kann und was auf lokaler Ebene für eine akute Senkung von klimaschädlichen Gasen und den Ausbau von erneuerbaren Energien getan werden kann.




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Das Dienstleistungszentrum für Klimaschutz der Stadt Halle (Saale) und die zivilgesellschaftliche Bewegung Hallezero teilten ihre unterschiedlichen Perspektiven auf die aktuelle Situation zum Klimaschutz in der Stadt. Die beiden Akteur*innen im kommunalen Klimaschutz beantworteten schriftlich die gleichen Fragen. Ihre Ziele liegen nicht weit auseinander, doch einen gemeinsamen Weg zu finden, scheint dennoch schwierig. Beide Akteur*innen zeigen die Notwendigkeit auf, dass der Bund Klimaschutz als kommunale Pflichtaufgabe anerkennen muss, um dadurch finanzielle und personelle Ressourcen für die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen bereitzustellen. Bislang bleibt es jedoch bei guten Ideen auf Verwaltungsebene, die nicht umgesetzt werden können und auch die zivilgesellschaftliche Bewegung kommt an ihre Grenzen, solange es keine konstruktive Zusammenarbeit von allen Akteur*innen gibt. Aktuell wird die Stadtverwaltung den Anforderungen an notwendigen Klimaschutz nicht gerecht, da Synergien von Bewegung und Verwaltung nur schleppend verfolgt werden und gemeinsame Planungsrunden nicht zustande kommen. Es braucht schnellere und effizientere Handlungen. Das geht nur durch unmittelbares gemeinsames Handeln von unterschiedlichen Akteur*innen.

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Was macht ihr so?

DLZ: Das Dienstleistungszentrum (DLZ) Klimaschutz ist zentrale Anlaufstelle für Einwohner*innen, Unternehmen und Institutionen zu den Themen Klima (-Wandel, -Anpassung, -Schutz) und Ressourceneffizienz. Wir arbeiten an der Umsetzung der Maßnahmen des Integrierten kommunalen Klimaschutzkonzeptes, sowie der Ausgestaltung des energie- und klimapolitischen Leitbildes der Stadt Halle (Saale). Außerdem erstellen wir eine CO2-Bilanz der Stadt. Wir sind verantwortlich dafür eine Steuerungsgruppe einzuberufen um Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Ressourceneffizienz in den verschiedenen Handlungsfeldern einer Kommune aktiv zu gestalten und umzusetzen. Weiter ist das DLZ zuständig für die Vernetzung und Vermittlung von Akteur*innen, die sich für Energie und Klima in der Stadt Halle (Saale) engagieren. Letztlich unterstützten und begleiten wir die Durchführung diverser Projekte und Kampagnen zum Klimaschutz.

HalleZero: In erster Linie setzen wir uns dafür ein, dass die Stadt Halle (Saale) möglichst bis 2030 klimaneutral wird. Ganz ursprünglich wollten die Gründungsmitglieder von HalleZero über einen Bürgerentscheid erreichen, dass die Stadt das Ziel der Klimaneutralität bis 2030 festsetzt und ein Planungsbüro damit beauftragt, eine Gesamtstrategie für Halle zu erarbeiten. Dieses Anliegen verfolgen wir nach wie vor mit einer Petition, für die wir mit Hallenser*innen über die Notwendigkeit von engagiertem Klimaschutz sprechen und Unterschriften sammeln.

Daneben haben wir aber auch angefangen, uns über die Petition hinaus in Halle zu engagieren. Wir beobachten und begleiten die Arbeit des Stadtrates und der Stadtverwaltung. Wir stehen in Kontakt mit den Stadtratsfraktionen, teilen Informationen und kommentieren Stadtratsanträge. Wir vernetzen, vermitteln, sammeln und verteilen Wissen und Ideen. Wir organisieren Veranstaltungen und betreiben Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit. Wir sind als Gruppe ein Sammelbecken für verschiedenste Menschen, die sich für den Klimaschutz engagieren wollen – egal welche Fähigkeiten und Interessen sie mitbringen. Mit dieser breiten Aufstellung sind wir in den letzten zwei Jahren zu einem festen Bestandteil der Klimabewegung in Halle geworden – und wir haben, gemeinsam mit unseren Partner*innen, noch vieles vor.

Gibt es bundesweite Auflagen für kommunale Klimaschutzmaßnahmen?

DLZ: Mit seinem wegweisenden Beschluss vom 29.4.2021 stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass Klimaschutz bereits im Grundgesetz verankert ist. Die Aufgabe Klimaschutz hat also Verfassungsrang und darf die Freiheitsrechte nachfolgender Generationen nicht gefährden. Auch im Baugesetzbuch und im Klimaschutzgesetz sind konkrete Regelungen zum kommunalen Klimaschutz enthalten. Ressourcenseitig ausgestattet ist der kommunale Klimaschutz damit allerdings nicht, sodass die Thematik grundsätzlich als kommunale Pflichtaufgabe im Recht weiter qualifiziert werden muss.

HalleZero: Wir sehen es als äußerst problematisch an, dass Klimaschutz bislang keine kommunale Pflichtaufgabe ist. Gerade finanzschwache Kommunen, die wiederholt unter Zwangsverwaltung stehen, können so finanziell kaum die, für eine baldige Dekarbonisierung der Stadt, notwendigen Maßnahmen finanzieren. Hier ist auf Seiten des Bundes ein dringender Handlungsbedarf angezeigt. Klimaschutz muss maßgeblich in den Kommunen umgesetzt werden, dafür müssen die bundespolitischen Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Gibt es Überlegungen oder Maßnahmen bezüglich: eines Verbots fossiler Energie in lokalen Großunternehmen oder städtischen Institutionen; eine autofreie Innenstadt; Ausbau und kostenlose Nutzung des ÖPNV; Subventionen von Park’n’Ride-Angeboten für Pendler*innen in benachbarte Kommunen (Saalekreis, Leipzig, Magdeburg o.ä.)?

DLZ: Diese Überlegungen stehen regelmäßig und anlassbezogen auf dem Prüfstand bzw. werden in den Gremien des Stadtrates diskutiert. Angelehnt an einige dieser Maßnahmen gab es auch bereits Stadtratsbeschlüsse bzw. Vorhaben der Verwaltung (z.B. autoarme Altstadt, Ausbau ÖPNV im Stadtbahnprogramm, Ökostrombezug in kommunalen Immobilien, Nutzung des Car-Sharings in der Kfz-Flotte der Stadtverwaltung…).

HalleZero: Je schneller wir die fossilen Energien ersetzen, desto besser, aber auf diesem Weg gibt es noch eine Menge zu tun und einige Hindernisse, die überwunden werden müssen. Die fossile muss durch erneuerbare Energieerzeugung ersetzt werden, sonst geht, wenn wir fossile Energie verbieten, ja einfach das Licht aus. Das will keine*r. Wir brauchen also einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energien, auch auf kommunaler Ebene. Wir können in Halle vor allem Solaranlagen bauen, und im Umland der Stadt (d. h. im Saalekreis) kann zusätzlich Energie aus Windkraft erzeugt werden.

Beim Ausbau der Solarenergie müssen auch noch viele Partner*innen (Vermieter*innen, Eigenheimbesitzer*innen) gewonnen werden, weil der städtische Energiedienstleister EVH das nicht ganz alleine stemmen kann. Durch die Initiative unseres Vereins nimmt Halle am sogenannten Wattbewerb statt, der in unserer Partnerstadt Karlsruhe gestartet wurde und bei dem inzwischen 151 Kommunen um den schnellsten Photovoltaik-Ausbau wetteifern. Wir planen außerdem am 21.05.2021 einen ‚Solartag‘ auf dem Marktplatz, der Menschen für das Thema Solarenergie bei Musik und Kultur für das Thema begeistern soll.

Die autoarme Innenstadt bleibt ein wichtiges Ziel, aber es braucht wohl noch etwas Zeit, bis es dafür eine demokratische Mehrheit gibt. Ablehnung fand dieses Konzept ja vor allem in den äußeren Randbezirken von Halle und es waren eine Menge falscher Informationen im Umlauf, als der Bürgerentscheid zur autoarmen Altstadt stattgefunden hat. Zudem wurde – wie so oft – im Vorfeld viel zu wenig mit der Stadtgesellschaft über die Pläne gesprochen.

Der ÖPNV in Halle ist schon recht gut ausgebaut. Die Anbindung ins Umland ist zuweilen schwierig. Außerdem sind es die Menschen einfach gewohnt, sich mit dem Auto zu bewegen. Es ist eine große Umstellung, Mobilität anders zu denken, vielfältiger und digitaler. Dafür gibt es eine Menge interessanter Ideen, vom quartiersbezogenen Carsharing-Angebot über autonom fahrende E-Shuttles bis hin zu umfassenden digitalen Mobilitätssystemen, die den nahtlosen Übergang zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln ermöglichen. Die HAVAG nimmt derzeit an dem Modellprojekt StadtLand+ teil, bei dem es um genau diese Weiterentwicklung der Mobilität geht. Das ist ein spannendes Projekt.

Wie sieht die Zusammenarbeit der Stadtverwaltung mit lokalen Klimaaktivist*innen aus?

DLZ: Es gibt Treffen mit diesen Gruppen vor allem zum Informationsaustausch. Eine feste Zusammenarbeit wird im Rahmen eines größeren Vernetzungstreffens im 1. Quartal 2022 miteinander besprochen bzw. ausgelotet.

HalleZero: Es gab bisher zwei Treffen des Klimabündnisses mit der Stadtverwaltung, um die Möglichkeit eines Klimaschutzrates auszuloten. Ansonsten findet de facto keinerlei Zusammenarbeit oder Austausch statt. Wir hoffen aber darauf, dass sich das in Zukunft ändert, gerade weil das DLZ Klimaschutz (bzw. die Verwaltung insgesamt) eigentlich Dienstleister der Bürger*innenschaft ist. In dieser Hinsicht verhält sich die Verwaltung allerdings eher wie ein unzuverlässiger Handwerker, der schlecht gelaunt und wortkarg wochenlang an der Waschmaschine herumarbeitet, während sich im Haus die dreckige Wäsche stapelt.
Es soll ein Klimaschutzrat gegründet werden, in dem Menschen aus allen Bereichen der Wirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung zusammenarbeiten. Das DLZ Klimaschutz gibt sich schon Mühe, zwischen den unterschiedlichen Akteuren zu koordinieren. Doch es reicht nicht, wenn alle in ihren Bereichen etwas machen, sondern es braucht die Zusammenarbeit. Angebote von zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich zur Unterstützung in Klimaschutzfragen an die Stadtverwaltung wenden, werden mit Skepsis betrachtet. Doch eigentlich braucht die Verwaltung genau diese Unterstützung, weil sie eben nicht die notwendigen eigenen Ressourcen hat.

Kann die Stadt Halle Forderungen aufstellen oder den Druck auf übergeordnete Strukturen (Land, Bund u.a.) ausüben, um den Klimaschutz voranzutreiben?

DLZ: Die Stadtverwaltung ist Dienstleisterin bzw. Aufgabenträgerin für die Einwohner*innen und kann daher lediglich Hinweise und Vorschläge an die Landes- oder Bundesverwaltung geben. Sie war bisher in mehrere konzeptionelle oder programmatische Strategien der höheren Verwaltungsebenen eingebunden und hat in diesem Zusammenhang auf Problemlagen im kommunalen Klimaschutz aufmerksam gemacht.

HalleZero: Das kann das DLZ besser beantworten. Insgesamt aber eher wenig. Die Stadt hat lediglich die Möglichkeit, über den Städte- und Gemeindebund Einfluss zu nehmen. Ansonsten muss der Druck im Wesentlichen aus der Bürger*innenschaft, der Wirtschaft, der Wissenschaft und von Organisationen und Verbänden kommen. Wir als HalleZero können z. B. mit den örtlichen Bundestagsabgeordneten sprechen und sie auf Notwendigkeiten und Probleme aufmerksam machen. Hier sind wir mit den MdB Karamba Diaby (SPD) und Petra Sitte (die Linke) im Gespräch. Beide haben bereits das GermanZero Klimaversprechen unterzeichnet.

Was könnte die Stadt Halle über die aktuellen Aktivitäten hinaus für den Klimaschutz beitragen? – Was fehlt um diese umzusetzen?

DLZ: Die Stadt Halle (Saale) könnte z.B. mit Kampagnen die Endverbraucher*innen stärker für die Klimathematik sensibilisieren und in verschiedener Weise Aktivitäten und Projekte fördern. Es fehlt an räumlichen, personellen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen, da der kommunale Klimaschutz von Land und Bund bisher nicht als Pflichtaufgabe eingestuft wird.

HalleZero: Die Stadtverwaltung könnte viel stärker mit zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammenarbeiten, Aufgaben auf mehr Schultern verteilen und sich auf den Gedanken einlassen, dass wir als zivilgesellschaftliche Gruppen keine ‚Feinde‘ der Stadtverwaltung sind, die nur kritisieren und fordern, sondern dass wir aktiv etwas zur Transformation beitragen wollen und können. Natürlich brauchen wir sehr viel Geld, das nicht da ist, aber nicht nur. Es braucht auch mehr Kontakt und Austausch der verschiedenen städtischen Akteur*innen miteinander und mehr Diskussionen darüber, wo wir hinwollen und wie wir dorthin kommen. Es braucht, neben den vielen kleinen und großen Maßnahmen des Klimaschutzes, eine neue Form des Miteinanders und Zusammenarbeitens in der ganzen Stadtgesellschaft, um diese Krise zu bewältigen. Wenn wir alle etwas beitragen, dann haben wir auch Ressourcen.

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Vielen Dank an die Ausführungen der Interviewpartner*innen.

Das Dienstleistungszentrum (DLZ) Klimaschutz

ist die zentrale Anlaufstelle der Stadt Halle (Saale) für Bürger*innen, Unternehmen und Institutionen zu den Themen Klima (-Wandel, -Anpassung, -Schutz) und Energie in Halle Saale.

Hallezero

träumt von einem Leben in Halle, in dem die Menschen glücklich und zufrieden miteinander leben und gemeinsam die Stadt nach ihren Bedürfnissen gestalten, um ein Wohlfühlklima zu erzeugen. Die Bewegung kämpft für eine Stadt mit sauberer Luft, autarker Stromproduktion in enger Zusammenarbeit mit dem Umland und einem bereichernden nachbarschaftlichen Zusammenleben.

Magdalena Gatz

sorgt sich um die Zukunft in Anbetracht einer akuten Klimakrise und fragt sich warum Klimaschutz auf kommunaler Ebene nicht konsequent umgesetzt wird. Warum dieser noch nicht überall im Alltag Standard ist?

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.