Die Ideologie hinter dem Anschlag von Halle

"Sprengende Wirkung" zwischen White Supremacy und defätistischer Dystopie

von | veröffentlicht am 25.03 2021

Beitragsbild: Kollektiv "IfS Dichtmachen"

Am 21. Dezember 2020 erging nach 25 Prozesstagen das mündliche Urteil im Verfahren gegen den rechtsterroristischen Attentäter von Halle vor dem OLG Naumburg. Die noch anhängigen Revisionsanträge offenbaren, dass mit dem Prozess die gesellschaftliche Auseinandersetzung nicht abgeschlossen sein kann. Zudem forderten Betroffene, Zeug:innen und Nebenkläger:innen die Mehrheitsgesellschaft dazu auf, sich mit Antisemitismus, Rassismus und Antifeminismus auseinanderzusetzen. Mit diesem Text wollen wir am Beispiel des derzeitigen Agierens des in Schnellroda ansäßigen "Instituts für Staatspolitik" (IfS) der Aufforderung nachkommen.




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Am 21. Dezember 2020 erging nach 25 Prozesstagen das mündliche Urteil im Verfahren gegen den rechtsterroristischen Attentäter von Halle vor dem OLG Naumburg. Aufgrund der größeren räumlichen Kapazitäten wie auch der Nähe zur JVA Burg, wo der Attentäter nach einem Ausbruchsversuch aus dem Roten Ochsen in Halle untergebracht ist, fand die Verhandlung im Landgericht Magdeburg statt. Auch wenn die juristische Aufarbeitung damit nicht abgeschlossen ist, noch sind Revisisonsanträge der Verteidiger:innen von Adiraxmaan Aftax Ibrahim und İsmet Tekin anhängig, wird sich an dem Strafmaß, lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung, nichts mehr ändern.
Die noch anhängigen Revisionsanträge offenbaren jedoch, dass mit dem Prozess die gesellschaftliche Auseinandersetzung nicht abgeschlossen sein kann. Bei Aftax Ibrahim und İsmet Tekin geht es darum, dass diese als potentielle Tötungsopfer des Attentäters anerkannt werden, was erneut den Blick auch auf die gesellschaftliche Dimension und den ideologischen Hintergründen des Anschlags eröffnet.

Den Betroffenen, Zeug:innen aber auch den Nebenkläger:innen gelang es in der Verhandlung nicht nur die konkreten Auswirkungen der Tat eindrucksvoll aufzuzeigen. Immer wieder wiesen sie auch auf die Ideologie des Attentäters und die gesellschaftlichen Kontinuitäten extrem rechter Gewalt hin. Zudem forderten sie auch die Mehrheitsgesellschaft dazu auf, sich mit Antisemitismus, Rassismus und Antifeminismus auseinanderzusetzen. Mit diesem Text wollen wir am Beispiel des derzeitigen Agierens des in Schnellroda ansäßigen „Instituts für Staatspolitik“ (IfS) der Aufforderung nachkommen.

White Supremacy made in Schnellroda

Der Attentäter vertritt die Ideologie der sog. white supremacy, eine extrem rechte Weltanschauung bei der Antisemitismus, Rassismus und Antifeminismus miteinander verschränkt sind. Ein wichtiger Bezugspunkt der extremen Rechten im deutschsprachigen Raum ist nun zweifelsfrei das sog. „Institut für Staatspolitik“ in Schnellroda, eine Ortschaft, die wie auch der Wohnort des Attentäters im ländlichen Raum Sachsen-Anhalts situiert ist. Auf die ideologische Einbindung Schnellrodas auch in den globalen Terrorismus der white supremacy-Ideologie haben wir bereits nach dem Attentat von Christchurch und dem Mord an Walter Lübcke aufmerksam gemacht.

Spätestens seit dem letzten Frühjahr scheint man sich in Schnellroda in einer ideologischen Krise und taktischen Sackgasse zu wähnen. Hierfür können mehrere Gründe namhaft gemacht werden. Zunächst die Beobachtung durch das Bundesamt des Verfassungsschutz, welche man als persönliche Kränkung empfand. Eng damit verbunden war die Auflösung des „Flügels“ als parteiinterne Strömung innerhalb der „Alternative für Deutschland“ (AfD) im vergangenen Frühjahr – bezeichnenderweise nach einer Veranstaltung in Schnellroda. Auch wenn die Auflösung eher als Mimikry aufgrund der Verfassungsschutzbeobachtung aufzufassen ist, scheint man in Schnellroda einen schwindenden Einfluss auf Debatten innerhalb der AfD zu haben. Hinzu kam, dass die „Neue Rechte“ angesichts der Corona-Pandemie im letzten Frühjahr zunächst wie paralysiert wirkte, fand sie doch keinen Zugang zu einer Krisensituation, die die extreme Rechte lange herbeigesehnt hatte. Erst spät versuchte das IfS sich der Querdenkerbewegung anzuschließen, wie die Ankündigung Kubitscheks zeigte, an der Demonstration Ende August in Berlin teilzunehmen. Eine tatsächliche Beeinflussung dieser dürfte jedoch höchstens in den neuen Bundesländern zu erwarten sein, wo auch der ehemalige „Flügel“ der AfD die Anti-Coronademonstrationen prägt.

„sprengende Funktion“ als Aufgabe des rechten Milieus

Vor diesem Hintergrund wollen wir Aussagen von Götz Kubitschek, dem wohl prominentesten Vertreter des IfS, aus jüngeren Artikeln betrachten. Das Editorial der letzten Ausgabe schloss er mit folgendem Zitat des Faschisten Armin Mohler:

„»Die Rechte kann heute keine rein konservierende Funktion haben – ihre Funktion muß vielmehr auf weite Strecken eine sprengende sein«, schrieb Armin Mohler einmal. Sie müsse »eine sichere Witterung dafür besitzen, wie viel sie sprengen darf, ohne die Substanz zu verletzen.« Dies ist heute mehr denn je unsere Aufgabe. Wir müssen über den Staat anders nachdenken.“

Legt er hier zunächst den Wunsch nach der sprengenden Funktion der eigenen Ideologie Mohler in den Mund, verpflichtet er sich und sein ideologisches Umfeld im Folgenden dazu diesen Gedanken weiterzuführen. Die darin angelegte defätistische Dystopie, also der von Hoffnungslosigkeit geprägte Blick in die Zukunft, mag zum einen von der eigenen Unfähigkeit des Umgangs mit der skizzierten ideologischen Sackgasse motiviert sein, man darf die destruktive Gewaltandrohung, die mit der sprengenden Funktion formuliert ist, jedoch nicht unterschätzen. In einem weiteren Artikel schreibt Kubitschek in Auseinandersetzung mit dem Konzept des Kollektivs bei dem Antisemiten Martin Heidegger:

„Man wird sich, auf diese Weise beauftragt, nicht mit einem Abarbeiten abgeben, nicht mit einer Einordnung der Lebensleistung in einen Staat. Man wird vielmehr in der Überzeugung leben und ans Werk gehen, daß es einen an der Zeit, an den Umständen ablesbaren Auftrag gebe, den zu begreifen und zu schultern die epochale Aufgabe der jeweiligen Generation sei und den an sich selbst exemplarisch zu erproben und als Auftrag zu formulieren die wesentliche Aufgabe der wachsten (und damit wichtigsten) Köpfe der Zeit sein müsse – zu denen man zweifellos gehöre.“

Neben der Selbstüberhöhung der eigenen Rolle formuliert Kubitschek erneut einen Auftrag für das übergeordnete Kollektiv dem „Ende der Geschichte“ zu entkommen. Für Heidegger konstatiert er schließlich ein Scheitern einen Ausweg aus dem „Ende der Geschichte“ zu finden. Heidegger hatte diesen im Nationalsozialismus gesehen, was Kubitschek nun zu einer Verkennung des Nationalsozialismus umdeutet. Bezeichnenderweise charakterisiert Kubitschek die sich hieraus ergebenen Konsequenzen als: „Den weiteren Verlauf kennen wir, und wir haben uns dabei das Rückgrat gebrochen.“ Das Ende des Nationalsozialismus und die damit einhergehende Befreiung der Vernichtungslager wird somit als „kollektiver Bruch des Rückgrates“, also als kollektives Trauma, negativ besetzt.

Aufschlussreich ist erneut auch der Schluss des Artikels:

„Ein bißchen Konsensstörung, ein bißchen innerer Aufstand, ein bißchen Provokationsprofil – mehr soll und darf nicht mehr gewollt werden, denn alles, was darüber hinaus reicht und zu Kollektivaufladungen führt, die das Ende der Geschichte vertagen wollen, wäre verantwortungslos. – Die Frage, die sich daraus ergibt, ist wie ein schriller Ton.“

Wiederum klingt durch, was Kubitschek unter der „sprengenden Funktion“ versteht, die er seinem Milieu zur Aufgabe gemacht hat: Es drängt ihn über das, was bisher innerhalb der Neuen Rechten versucht wurde, um gesellschaftlichen Einfluss auszuüben, hinaus, da dies schlussendlich in der derzeitigen Sackgasse mündete.

Die Ideologie des Attentäters von Halle beruhte auf der Vorstellung der white supremacy, in der antisemitische, rassistische und antifeministische Vorstellungen die Überlegenheit des „weißen Mannes“ konstruieren. Gleichzeitig ist die Ideologie von einer Untergangsphantasie geprägt, die geleitet von der Verschwörungsideologie des Großen Austauschs, gleichzeitig das Ende des „weißen Mannes“ befürchtet. Der Attentäter von Halle sah den Ausweg schließlich nur, indem er die vermeintlichen Verursacher:innen töten wollte.

Dass der Gedanke des „Großen Austauschs“ eine wesentliche ideologische Grundlage auch der sogenannten Neuen Rechten und explizit auch des IfS ist, wurde häufig thematisiert, nicht zuletzt wurde auch das gleichnamige Buch des französischen Faschisten Renaud Camus bei Antaios übersetzt.

Radikalisiertes Bürgertum agiert auf Grundlage antisemitischer Verschwörungserzählungen

Wenn wir von der gesellschaftlichen Dimension des Anschlages schreiben, ist unser Ziel auch die dafür zugrunde liegende Ideologie zu benennen und aufzuzeigen, wo diese gesellschaftliche Wirkmacht entfaltet oder entfalten kann. Dies zeigt sich aktuell etwa in den Anti-Coronademonstrationen, wo ein radikalisiertes Bürgertum auf Grundlage einer letztlich antisemitischen Verschwörungserzählung gemeinsam Neonazis aber auch Akteur*innen der „Neuen Rechten“ agiert.

Auch wenn sich das IfS derzeit in einer ideologischen Krise befindet, bedeutet dies nicht, dass die Auseinandersetzung mit der dort formulierten Ideologie nicht mehr erforderlich ist. Der defätistische Zugang Kubitscheks im Umgang mit der Situation, die darauf abzielt der eigenen Funktion eine „sprengende Wirkung“ zu verleihen, zeigt welche potentielle Gefahr in der Ideologie der extremen Rechten angelegt ist und macht deutlich, dass es für Faschist*innen immer mindestens zwei Möglichkeiten gibt: Entweder die eigens beanspruchte “metapolitische” Durchsetzung der völkischen Gesellschaft oder aber der Terror, um die Ideologie selbstständig in die Tat umzusetzen oder zumindest als ihr Märtyrer zu gelten. Beispiele dafür liefern der Mörder von Walter Lübcke, aber auch frühere Rechtsterroristen wie Ernst von Salomon, der von Kubitschek vor wenigen Wochen würdigend behandelt wurde. Ein weiteres Beispiel liefert Dominique Venner, der aus vermeintlichen “Protest” gegen den “Großen Austausch” 2013 Selbstmord begangen hat und Idol der “Neuen Rechten” bleibt. Das IfS feiert (im Falle Ernst von Salomons) die Terroristen der Vergangenheit und gibt damit dem gegenwärtigen Terror seine Stichworte.

Das haben insbesondere nach den Anschlägen von Halle, Hanau und Kassel auch einige Akteur*innen erkannt, weshalb beim IfS ja auch die erwähnte strategische Krise offenbar wird. Nichtsdestotrotz befürchten wir aus Erfahrung, dass die einzelnen Maßnahmen (z.B. VS-Beobachtung, Gemeinnützigkeitsstreit, weniger Einladungen) in der sogenannten “bürgerlichen Mitte” nur eine mehr als kurze Halbwertszeit haben oder gleich nutzlos sind. Immer wieder haben Aktivist:innen darauf hingewiesen, dass man der “Neuen Rechten”, für die die Frage des Terrors vor allem eine strategische ist, keine Türen öffnen darf. Und in der Vergangenheit wurde dieser Rat bzw. diese Forderung immer wieder ignoriert. Nach einem kurzen Aufschrei konnte man auf die nächste zu kritisierende Einladung bzw. Hofierung warten: Menschen wie eine Stipendiat*innen-Gruppe bei der “Studienstiftung des deutschen Volkes” oder der ehemalige Landesinnenminister Sachsen-Anhalts wollten nicht auf ihr vermeintliches Recht verzichten, die “sprengende” Form der Faschist*innen aus der Nähe zu bewundern.

Das hat mit einer größeren Problematisierung des IfS abgenommen, aber auch hier steht die Annäherung wieder vor der Tür: Zuletzt sichtbar in einer Twitter-Diskussion über den FAZ-Redakteur Patrick Bahners, der eine Rezension der IfS-Ideologin Ellen Kositza lobend retweetet hat und dies wohl weiterhin als richtige Aktion proklamiert. Im Feuilleton einer großen deutschen Tageszeitung bleibt es dabei, dass die so leidenschaftlich auf die “sprengende” Wirkung ihrer Tätigkeiten hoffenden Verleger*innen von Leuten wie Pirinçci, R. Camus, Von Salomon oder Fjordman zu einer zünftigen Diskussion dazugehören. In eine ähnliche Richtung gehen die Diskussionen über #CancelCulture, die auf diesen Fall umgehend angewandt wurden – natürlich vollkommen unabhängig davon, ob es irgendeine Übereinstimmung mit anderen Fällen gegeben hätte, die in dieser Richtung bereits diskutiert wurden. Diese rechte Verschwörungstheorie soll gerade der Erkenntnis entgegen wirken, dass Ideologien und Schlagwörter, die man am Ende in den vermeintlichen “Manifesten” der Mörder findet, eine Bedingung für den Terror sind. Das Schlagwort der #CancelCulture soll von rechts keine “Freiheiten”, wie es z.B. ein reaktionäres “Netzwerk Wissenschaftsfreiheit” mit Mitglieder mit Verbindungen in die „Neue Rechte“ seit kurzem behauptet, verteidigen, sondern letztendlich dafür sorgen, dass jede Verbindung zwischen Tat und Ideologie verwischt wird. So rechtfertigt das IfS im Übrigen auch seine eigenen Aussagen, die zum bedingungslosen Kampf gegen das System aufrufen, was von begeisterten Journalist:innen lange Zeit aufgenommen wurde: Es seien alles romantische Träumereien. Wem könnte ein staubiges Buch über deutsche Geschichte schon schaden?

Dieser rhetorische Trick, der gut mit der Vorstellung des deutschen Bürgertums über “weltfremde Intellektuelle” korrespondiert, sorgt für die angesprochene Halbwertszeit und trägt dazu bei, dass nicht nur auf der Ebene der Sicherheitsbehörden im Kampf gegen rechten Terror immer wieder versagt wird. Es gilt dagegen deutlich zu machen, dass die Attentäter von Halle, Kassel, Hanau, Christchurch oder Utoya zwar allein morden, aber eben nicht nur für sich: Sie folgen der apokalyptischen Vision des “Großen Austausch” und der Vorstellung, dass z.B. “kulturmarxistische” System mit Terror zum Zerfall zu zwingen. Defätismus und Hochstimmung im vermeintlich heroischen Kampf gehören dabei zusammen. Mit Bezug auf das IfS bedeutet das für Antifaschist:innen, dass es weiterhin auf die Konsequenzen und die Gefährlichkeit von faschistischer Aktion und Ideologieproduktion hingewiesen werden muss.

Das Kollektiv "IfS dichtmachen"

Schnellroda ist einer der entscheidenden Vernetzungspunkte der „Neuen Rechten“ und als solcher zu wichtig, als dass man ihn ignorieren kann. Aus diesem Grund entstand mit dem Kollektiv „IfS dichtmachen“ aus einem eher losen Bündnis eine feste Gruppe, um regelmäßig in dem Ort präsent zu sein und Gegenangebote zu der menschenverachtenden Hetze der „Neuen Rechten“ bieten zu können.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.

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