Es geht ums Fliegen

Achtung dies ist ein moralischer Text

von | veröffentlicht am 19.02 2024

Beitragsbild: Magdalena Gatz

„Mein Fußabdruck ist zu groß, für das, was unsere Erde, gemessen an der Weltbevölkerung, verkraften kann. Ich lebe über meine Verhältnisse.“




diesen Beitrag teilen

Ich bin schon viel zu oft geflogen.
Das erste Mal bin ich geflogen, da war ich 14 Jahre alt. Eigentlich waren Flugreisen für meine Familie zu teuer. Doch dank einer Billigfluggesellschaft konnten wir, als fünfköpfige Familie, mit einem 50 Cent-Flug nach Südfrankreich fliegen. Damals fanden wir das alle ziemlich gut.

Ich bin noch einmal in die Türkei, zu meinem Parktikum geflogen und einmal nach Portugal.
Im Rahmen einer Austellung habe ich meinen ökologischen Fußabdruck berechnet. Meine vegane Ernährung und mein, an vielen Stellen ressourcenbedachter Lebensstil, konnten diese Flugreisen auch nicht kompensieren. Mein Fußabdruck ist zu groß, für das, was unsere Erde, gemessen an der Weltbevölkerung, verkraften kann. Ich lebe über meine Verhältnisse.

Als ich meinen letzten Flug nach Portugal buchen wollte, trieb mich ein großes Unbehagen um. Eine innere Zerrissenheit ließ mich die Website der Fluggesellschaft über eine Woche immer wieder öffnen und schließen, ohne, dass ich eine Entscheidung ‚Für‘ oder ‚Gegen‘ den Flug traf. Ich konnte nicht genau sagen, was mich hadern ließ. Ich buchte den Flug, doch es überkam mich keine Erleichterung, so wie ich es von anderen schwierigen Entscheidungen gewohnt war, wenn sie dann endlich getroffen waren. Ich verbrachte eine sonnige Woche am Meer, surfen, Yoga, alles schön, leicht und unbeschwert. Rückblickend würde ich sagen, dass ich beim Buchen des Flugs einen moralischen Kampf geführt habe. Das ist jetzt sechs Jahre her.

Ich kann mich nicht mehr genau an den Moment erinnern, wann ich für mich entschieden habe, dass ich nicht mehr fliegen werde. Vielleicht war es nach der ernüchternden Bilanz meines ökologischen Fußabdrucks, vielleicht war es nach einem Vortrag von ‚Stay Grounded‚ oder nach einer 20:00-Tagesschau mit einem weiteren Bericht über ein Starkwetterereignis, welches unmittelbar mit den Folgen der Klimakratastrophe in Zusammenhang gebracht werden kann. Vielleicht mag meine Entscheidung zu naiv und radikal wirken. Die Gruppe ‚Stay Grounded‘ hat die Bewertung von Flugreisen etwas differenziert. Indem sie so genannte ‚Bullshitflüge‘ deklariert haben. Damit sind gemeint: Wochenendtrips, Kurzstreckenflüge, Überschallflüge, Ultra-Billig-Flüge, Abschiebeflüge, Flüge in der Business Class, Militärflüge und Nachtflüge (mehr Informationen). Demzufolge gäbe es auch legitime Flugreisen, wie Besuche von nahen Familienangehörigen, Katastrophenhilfe, Auslandsaufenthalte für länger als drei Monate, sichere Fluchtrouten, internationale Zusammenkünfte – die Solidarität, Beziehungsaufbau und das Überwinden von Schlüsselproblemen fokussieren – Familienurlaube einmal im Jahr und Geschäftsreisen.

Was mich veranlasste diesen Text zu schreiben? In den letzten Wochen und Monaten habe ich einige Gespräche mitbekommen, in denen sich Menschen in meinem Alter über ihre anstehenden Flugreisen unterhielten. Ich verstehe das Bedürfnis ‚etwas von der Welt sehen zu wollen‘. Ich habe als Person mit deutschem Pass das Privileg fast uneingerschränkter Reisefreiheit. Ich merke, dass ich von Menschen in meinem Alter erwarte, dass sie im Angesicht der Klimakatastrophe verantwortungsvoll mit diesem Privileg umgehen. Ich hörte einer Gruppe von Boulder*innen zu, die ihr Wiedersehen in Marakesh planten, wo sie sich nach unterschiedlichen Reiserouten gemeinsam treffen wollten. Länger als zwei Wochen hatten sie für die Reise keine Zeit. Mehrere Freund*innen und Bekannte erzählten mir, dass sie sich für ihre Reisen von ein bis drei Wochen ebenfalls für das Flugzeug entschieden hatten. Manchmal traute ich mich etwas zu sagen. In vielen Situationen schaute ich betreten zu Boden. Ich wollte ihnen kein schlechtes Gefühl geben, nicht moralisch sein. Ich habe mich dabei nicht gut gefühlt.

Mir ist bewusst, dass es für die große Wirkung in Bezug auf den Flugverkehr und seine schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt politische Entscheidungen braucht. Solange es keine gesetzlichen Regelungen gegen ‚Geisterflüge‘ gibt, bei denen Airlines Flugzeuge leer fliegen lassen müssen, nur damit sie ihre Start- und Landerechte behalten (mehr Informationen).  Oder solange es keine Regelungen zur Nutzung von Privatsjets gibt, welche ebenfalls zahlreiche Leerflüge verursachen, wenn die Flugzeuge ihre Passgiere abgesetzt haben und leer wieder zurückfliegen oder andersherum.
Solange wird es sich vielleicht sinnlos anfühlen als Einzelperson auf Flugreisen zu verzichten. Es wird sich unbequem anfühlen, Freund*innen oder Arbeitskolleg*innen anzusprechen und nachzufragen, warum sie sich für eine Flugreise entschieden haben. Doch das ‚wir‘ besteht aus dem ‚ich‘ und ‚du‘. Das ‚wir‘, dass die Veränderung unserer Gesellschaft beeinflussen kann. Jede Person, die nicht-fliegt, kann widerrum für andere ein Vorbild sein.
Es ist ‚Ok‘ andere zu nerven und mit ihnen über das Nicht-Fliegen zu sprechen und dadurch das Problembewusstsein der Gesellschaft zu stärken. Flugreisen dürfen nicht die erste Wahl sein, nur weil sie günstig und schnell sind. Ich denke, es ist in etwa so wie beim Fleischkonsum. Jede einzelne Person, die für sich entscheidet, kein Fleisch zu konsumieren, wirkt auf den Markt ein. Die Fleischunternehmen müssen sich Alternativen einfallen lassen. Vegan ist Trend. Fliegen ist Oldscool.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.