DOK Leipzig 2018 – Tagebuch vom Festival

Teil 2: Are the kids alright?

von | veröffentlicht am 01.11 2018

Die 61. Ausgabe des DOK Leipzig Festivals findet in diesem Jahr unter dem Motto „Demand the Impossible“ statt. Über 300 Dokumentarfilme sind in sieben Tagen zu sehen. Unser Redakteur Tamer Le Gruyere hat daraus eine Auswahl getroffen und berichtet von seinen persönlichen Eindrücken während der Woche. Am Mittwoch gab es viel Aufregung um den Film „Lord of the Toys“. Dabei hätte „Elections“ eigentlich mehr Aufmerksamkeit verdient. Eine Spoilerwarnung ist hiermit ausgesprochen




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„Lord of the Toys“ - Muss man das wirklich sehen?

Soviele Filme, soviele Veranstaltungen und so wenig Zeit. Ich skippe das gesamte Morgenprogramm, komme zu spät zur Retrospektive 68 und sitze danach im Foyer um mir Gedanken über das heutige Hauptereignis zu machen. Damit ist übrigens nicht die Tatsache gemeint, dass der Launch vom Transit-Magazin heute genau ein Jahr her ist. Unser Geburtstag wird von anderen Ereignissen überschattet – und wir haben ihn selbst auch irgendwie verpennt.

Das Netzwerk Leipzig nimmt Platz hat zu Protesten gegen die Premiere des Films „Lord of the Toys“ aufgerufen. Grund hierfür ist – so die Gruppe – die unkritische, kontextlose Darstellung des Hauptprotagonisten, einem erfolgreiche Dresdner YouTuber, der Verbindungen in die extrem rechte Szene hat und einen menschenverachtende Humor pflegt, Holocaust-Witze inklusive. Das Festival wird ebenfalls kritisiert, da es die Bühne für den Film stellt. Parallelen zu „Montags in Dresden“, der im letzten Jahr gezeigt wurde und ebenfalls wegen seiner distanzlosen Haltung zu seinen rechten Protagonist_innen kritisiert wurde, werden gezogen. 

Als ich mir vor ein paar Tagen den Trailer des Films angeschaut hab, hatte ich – ohne bereits von den Hintergründen zu wissen – entschieden, dass ich kein weiteres Interesse daran habe. Nun habe ich keine Karte. Das Phänomen „YouTube-Star“ – also dass es möglich ist, Berühmtheit zu erlangen, indem man seinen Alltag filmt – finde ich zwar spannend. Die Vorschau macht jedoch den Eindruck, als würden ein paar Mittzwanziger Filmstudenten ein paar Anfangzwanziger Vorstadtjungs und ihre Dummheiten abfeiern

Elections

Stattdessen schaue ich mir Elections von Alice Riff an. Ich kann mich nicht erinnern, in der letzten Zeit mal etwas gesehen zu haben, was derartig Lust auf demokratische Beteiligung gemacht hat. Der Film verfolgt den Wahlkampf von vier Teams die antreten um in die Schüler_innenvertretung einer Highschool in Sao Paolo gewählt zu werden.

Das Beste daran: Der Film verzichtet auf einen erhobenen Zeigefinger und die landeszentralfürpolitischebildungmäßige Erklärung warum Demokratie wichtig ist. Stattdessen diskutieren die Protagonist_innen der Teams untereinander und in diversen Konstellationen mit anderen Schüler_innen oder Lehrer_innen, was ihnen wichtig ist. Sie erklären ihre Anliegen nicht den Zuschauer_innen im Kinosessel, sondern den Menschen in ihrem Umfeld.

Die sich entwickelnden Debatten verlaufen oft chaotisch, aber genau das ist wichtig für den Film. Der Streit, der Witz, die Emotionen zeigen, dass die Jugendlichen sich für ihr soziales Umfeld interessieren und dass sich daraus eine Dynamik entwickeln kann, in der Wahlen den Protagonist_innen nicht als bürokratische Notwendigkeit gegenübertreten, sondern als Mittel zur Artikulation ihrer Interessen. Alles was es braucht ist eine authentische und selbstbestimmte Formsprache. Dazu passt auch, dass zwei Schülerinnen den Wahlkampf medial mit ihrem eigenen Vlog begleiten

Das DOK Festival verpasst die Chance der Auseinandersetzung

Nach Elections gehe ich zum Cinestar 4, wo ich die restlichen zehn Minuten von Lord of the Toys sehen will und gespannt bin auf die Diskussion. Der Saal ist rammelvoll und die Luft stickig. Zu sehen sind Szenen einer Party. Alle sind betrunken und tanzen. Dann gibt es ein bisschen Suffkuscheln und schließlich knutschen zwei Jungs. Nach dem Film gibt es großen Applaus und einige Laute, die wohl irgendwie zu den Running Gags der YouTuber gehören. Bemerkenswert: Das Publikum unterscheidet sich optisch zu einem großen Teil vom typischen DOK Leipzig Publikum. Hier sind viele Fans erschienen. Nicht zuletzt sicherlich weil die Filmemacher auch versucht haben in der Fangemeinde für ihren Film zu werben.

Eine Diskussion kommt aus Zeitgründen nicht wirklich zustande. Das ist schlecht organisiert vom Festival. Wäre es zu umständlich gewesen auf die Entwicklungen im Vorfeld zu reagieren und kurzfristig einen Raum für eine Debatte zu improvisieren?

Auf die Kritik, der Film gebe Rassismus, Sexismus und Antisemitismus eine Bühne, antwortet Filmemacher Pablo Ben Yakov: „Wir fangen hier nicht an was abzufeiern und verschweigen auch nicht die Schattenseiten.“ Inwiefern ihm das gelungen ist, kann ich nicht sagen. Was ich gesehen habe, spricht eher für das Gegenteil: Die perfekte Kameraführung nimmt einen sofort mit in den Rausch der Party und ist Teil davon. Tobias Prüwer kritisiert im Kreuzer: „Hier wollte jemand auf Grundlage einer hunderttausendfachen Fanbase ein Erfolgsfilmchen stricken.“ 

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.