Dieser Markt bleibt grausam – der Gaspreisdeckel hält daran fest

Warum eine gerechte Krisenpolitik noch erkämpft werden muss

von | veröffentlicht am 12.11 2022

Beitragsbild: Dani Luiz

In ihrem entsprechenden Artikel im Transit-Magazin erklären Helene Weidner und Kilian de Ridder insgesamt sehr verständlich, wie der Gaspreisdeckel funktionieren soll. Ihrer Bewertung des Vorhabens als Idee, die die verfehlte Krisenpolitik der Bundesregierung auf eine radikale Ebene holen würde, ist aber zu widersprechen. Dabei ist es absolut richtig, dass auch Dogmatismus und Sexismus bisher dazu geführt haben, dass der Gaspreisdeckel, der schon früh von der Wissenschaftlerin Isabella Weber empfohlen wurde, erst jetzt angegangen werden soll. Trotzdem wird der „Deckel“ umgesetzt, weil er sich bestens in die neoliberale Logik des Krisenmarktes einfügen lässt.
Ein Debattenbeitrag.




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Mit dem Titel „Die Gaspreisbremse – ein missverstandener Geniestreich“ erschien am 01. November ein Artikel im Transit-Magazin. Darin wird verständlich die Funktionsweise des Gaspreisdeckels erklärt, jedoch ist der „Deckel“ alles andere als radikal. Vielmehr reiht er sich als Krisenmaßnahme in die neoliberale Logik des Marktes ein.
Wie fest diese Logik in Deutschland im Sattel sitzt und welche fröhlichen Umstände sie in der Ampel-Koalition feiert, sieht man auch an dem von den Autor*innen selbst genannten Beispiel: So gibt es ernsthaft Leute, die sich angesichts eines nicht einmal das Vorkrisenniveau wiederherstellenden Deckels, davon reden, dass der Sparanreiz nicht gegeben sei. Im vorherigen Artikel wird überzeugend dagegen argumentiert. Allerdings geht es diesen Kritiker*innen wohl kaum um die real verfügbare Gasmenge. Generell wird in Deutschland wenig darüber diskutiert, wie der zukünftige Energiebedarf gedeckt werden soll. Vielmehr trifft hier panischer Aktivismus auf Verzichtsrhetorik. So wird einerseits der Waschlappen empfohlen, die Gasumlage erfunden und wieder verworfen und andererseits im Schnellverfahren dafür gesorgt, dass neue Lieferverträge mit Autokratien genauso schnell beschlossen werden wie die Baugenehmigungen für LNG-Terminals im Norden. Auch der Ausbau erneuerbarer Energien soll nun den berüchtigten „Turbo“ erhalten, das Bundeskabinett weist online aber nur auf kommende Änderungen im Städtebaurecht hin. Es findet kaum eine transparente Diskussion über die Frage statt, wie viel eigentlich gespart werden müsste – und bei wem und wie lange.

Das liegt auch daran, dass der Zusammenhang zwischen Reichtum und Energieverbrauch seit Jahren belegt ist. Und dabei geht es nicht um die Frage der Produktion und der damit gemachten Profite, sondern ebenso um den Privatverbrauch. Das durchaus sympathische Wettern gegen Swimmingpool und Privatjet verdeckt fast den Blick darauf, dass der ganz alltägliche Verbrauch von denjenigen höher ist, die sich viel davon leisten können. So haben Nichtregierungsorganisationen schon vor der Energiekrise festgestellt, dass Superreiche einen fast unvorstellbaren ökologischen Fußabdruck haben. Aktuelle Recherchen belegen für Deutschland, wie viel Potential durch das ständige Schonen der Superreichen, Reichen und sehr Wohlhabenden in der Energiekrise verschwendet wird. Der Gaspreisdeckel setzt hier nicht an, sondern soll nur verhindern, dass die soziale Krise zur Dysfunktionalität führt, also arme Menschen schlicht keinerlei Zugriff auf Energie mehr haben.

Den oben erwähnten Kritiker*innen geht selbst das zu weit, was viel über eine herrschende Ideologie aussagt, die den Gaspreisdeckel im Umkehrschluss als radikal erscheinen lässt. Vergleichen lässt sich das mit dem Mindestlohn: Wer Eingriffe in die Lohnbildung nach neoliberaler Ideologie für Teufelszeug erklärt, arbeitet gleichzeitig daran, dass ein flächendeckender Mindeststandard objektiv ein Fortschritt ist, selbst wenn die Reallöhne immer wieder sinken. So ist es auch beim „Bürgergeld“, gegen das eine von Rechtskonservativen und Neoliberalen losgetretene Kampagne läuft, obwohl es mit den niedrigen Regelsätzen weder etwas am Hartz-IV-Grundsatz „Armut per Gesetz“ noch an der Überwachung und Sanktionierung von Betroffenen ändern soll. Prinzipiell ist die deutsche Politik hier eingespielt: Die Regierungen sind mit einer Krise konfrontiert und präsentieren eine halbe Lösung, die durch die Dämonisierung der anderen Seite am Ende wenigstens das kleinere Übel ist – oder gar das einzig Mögliche.

Der Gaspreisdeckel reiht sich hier ein, vor allem mit Bezug auf die vermeintlich fehlenden Sparanreize. Und diejenigen, die sparen können, haben den in der Tat: So bedeutet der gedeckelte Preis eine Verdoppelung des Preises, während die Begrenzung des Deckels auf die 80 Prozent jedes Halten des Vorjahresverbrauchs quasi unter finanzielle Strafe stellt. Trotzdem gibt es Politiker*innen und Wissenschaftler*innen, die wahrheitswidrig behaupten, so eine Deckelung verhindere jede Sparanstrengung im kommenden Winter und führe uns in den Blackout. Das glauben sie aber nicht nur, weil der Deckel nicht verstanden wurde. Das Weltbild dahinter geht davon aus, dass das Verhalten der Bürger*innen nur über den Markt sinnvoll gesteuert werden kann. Nur eine freie Markt- und Preisentwicklung gestatte die friedliche Kooperation von Menschen – oder eben einen vermeintlich freiwilligen Verzicht auf Energieverbrauch. Was Diktatorenfreund Milton Friedman am Beispiel eines Bleistiftes, dessen unterschiedlichste Produzent*innen nur vom Kapitalismus zusammengeführt werden könnten, einem Millionenpublikum schmackhaft machen wollte, dient auch heute noch dazu, eingeübte Reflexe abzurufen. Wenn man es genau betrachtet, bricht der Gaspreisdeckel ebenfalls nicht mit dieser Logik. Denn das Setzen von Sparanreizen über den Preis bleibt auch hier der Superlativ, an dem sich die Durchführbarkeit eines wirtschaftspolitischen Eingriffes messen lassen muss. Man könnte also durchaus sagen, dass der Staat hier keinen Eingriff in die Preisbildung, sondern schlicht eine Subvention unter vielen vornimmt, die den Marktpreis weitestgehend unangetastet lässt und den Bürger*innen einen Teil des alten Verbrauchs großmütig ermöglicht.

Dagegen sollten wir deutlich machen, dass dieses Konzept an sich zu der neoliberalen Radikalisierung kapitalistischer Gesellschaftsordnungen passt. Denn auch, wenn es bestritten wird: Die Erfüllung von Grundbedürfnissen durch planmäßige Politik ist möglich. Es ist möglich, die Grundversorgung dem Markt zu entziehen. Und es ist möglich, für alle das Recht auf Wohnraum, Energie und Lebensmittel zu verwirklichen – ohne, dass sie daran Abstriche machen müssen, was auch jetzt mindestens der Fall ist. Denn seien wir ehrlich: Nicht nur können die tausenden Hallenser*innen, die in irgendeiner Form eine vermeintliche Grundsicherung beziehen, nirgendwo sparen, auch die weiteren tausenden Niedrigverdiener*innen, etliche Rentner*innen und Studierende können das nicht. Durch die Krise ist die Statistik der sozialen Schieflage, die mit „Jede*r Dritte“ beginnt, um einen Eintrag reicher: Nicht nur lebt (in Halle) jedes dritte Kind und jede*r dritte Rentner*in in Armut, auch bundesweit hat über ein Drittel der Menschen keine Ersparnisse. Da ihre Arbeitskraft auf dem Markt keinen ausreichenden Wert erzielt oder sie dort nicht partizipieren können, gibt es standardisierte Sparanreize, die schlicht bedeuten, dass man sich Notwendiges nicht leisten kann. Und auch wenn man nicht in Armut lebt und das Durchschnittseinkommen in Sachsen-Anhalt zu Grunde legt, wird deutlich, dass hier nicht gespart werden kann. Eine massive Energieknappheit wird nicht dadurch besiegt, dass Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen mehr mit der Straßenbahn fahren oder die Heizung nur auf die zweite Stufe stellen, denn das tun viele ohnehin. 

Letztlich ist der Gaspreisdeckel also nicht radikal, sondern entspricht einer notwendigen Anpassung im Krisenmanagement, gegen die sich die Politik natürlich trotzdem lange gewehrt hat. Es ist definitiv ein Verdienst der Wissenschaftler*innen, dass hier überhaupt etwas passiert und die Autor*innen machen zurecht deutlich, dass die Politik für die Bevorzugung hoher Vermögen und die Ignoranz gegenüber niedrigen Einkommen verantwortlich ist. Wir müssen uns aber vor Augen halten, dass hier ganz konkret diejenigen der bestehenden Marktlogik geopfert werden, die eben nichts zu sparen haben. Sollten wir davon jemals loskommen, dann ist der Gaspreisdeckel nur ein Schritt dahin. Ein Schritt, der deutlich gemacht hat, dass die soziale Krise ein aktives staatliches Eingreifen erfordert, welches dann kommen wird, wenn es sich nicht mehr vermeiden lässt. Jetzt muss es darum gehen, dass die Krise weit mehr als das erfordert – sie erfordert ein Ende dieses grausamen Marktes an sich.

Lukas Wanke

…studiert Geschichte an der Martin-Luther-Universität und ist hochschulpolitisch als Sprecher des Fachschaftsrates der Philosphischen Fakultät I aktiv.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.