Belehrend und unsolidarisch

Über das queerfeindliche und antifeministische Verhalten im StuRa

von und | veröffentlicht am 01.06 2021

Beitragsbild: Hedwig Wagner

Ein Gespräch mit Vertreter*innen der Orgacrew8M21 über das queerfeindliche und antifeministische Verhalten während einer StuRa-Sitzung.

Die Orgacrew8M21 plante zum feministischen Kampftag am 8. März 2021 eine Fahrraddemo mit Kundgebungen und Kulturbeiträgen. Für die Umsetzung dieser Veranstaltungen benötigten sie finanzielle Mittel. Diese fragten sie unter anderem beim Studierendenrat (StuRa) der Martin-Luther-Universität Halle (Saale) an. Was bei der Sitzung, bei der über den Antrag auf Förderung entschieden wurde, passierte und warum dies aus feministischer Sicht inakzeptabel ist, soll im folgenden Gespräch deutlich werden.




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H.W.: Ihr habt für den feministischen Kampftag, den ihr dankenswerter Weise organisiert habt, beim StuRa der MLU für finanzielle Unterstützung angefragt. Was beinhaltete eure Anfrage genau und was ist dann bei der Sitzung passiert?

Orgacrew8M21: Es handelte sich um einen Standardantrag, in dem wir 800 Euro für eine coronakonforme Diskussionsveranstaltung zum feministischen Kampftag am 08.03.2021 mit Fahrraddemo und stationären Kundgebungen angefragt haben. Mit dem Geld sollte Kundgebungsmaterial, die Miete für das Begleitfahrzeug, Technikausleihe, Honorare für Kunstschaffende (Musiker*innen, DJanes), lila Tücher & Masken, Plakate und Sticker finanziert werden. Der Antrag wurde fristgerecht und mit entsprechendem Finanzplan eingereicht und sollte bei der Sitzung mit allen Teilnehmenden des StuRa entschieden werden. Wir nahmen zu dritt an der digitalen Sitzung teil, weil wir vorher schon den Hinweis bekommen hatten, dass einzelne Personen des StuRa sich mit der Bewilligung mit anderen Anfragen zu queerfeministischen Themen bereits schwergetan hatten. Deswegen waren wir auch etwas nervös zu Beginn der Sitzung.
Als wir dann anfingen unser Anliegen vorzutragen, meldete sich eine Person über den Chat zu Wort mit der Frage, warum denn der feministische Kampftag eigentlich diesen Namen trage. Eine weitere Person fühlte sich bestärkt durch die erste Frage und kommentierte im Chat (dieser ist eigentlich ausdrücklich nur für Meldungen und Abstimmungen vorgesehen), warum denn der Frauentag nicht einfach mal nur für Frauen veranstaltet werden könne. Wir erwiderten, dass unserer Haltung entsprechend der feministische Kampftag für die Sichtbarwerdung der Kämpfe von allen Menschen, die vom Patriarchat unterdrückt werden genutzt werden soll – d.h. von FLINTA* Frauen, Lesben, Inter*, Nicht-Binär, Trans* und A_gender -. An diesem Punkt ließen wir uns also noch auf Rechtfertigungsversuche ein, doch es folgten weitere Fragen: Was hat Feminismus mit Kapitalismus zu tun? Könnt ihr bitte mal ‚Patriarchat‘ definieren?
Bevor wir überhaupt inhaltlich unser Anliegen vorbringen konnten, befanden wir uns in einer unfreiwilligen Prüfungssituation. Die vorrangig als weiße(1) cis Männer gelesenen Personen hatten offensichtlich kein Interesse an den Inhalten der Veranstaltung oder wofür das angefragte Geld verwendet werden sollte. Es ist nicht so, dass der StuRa nur aus weißen cis Männern besteht, dennoch füllten deren Redeanteile überwiegend den digitalen Raum der Sitzung. Wir reagierten mit Unbehagen auf einige der Fragen, auch weil unsere Aussagen im Nachhinein teilweise fälschlich und verdreht dargestellt wurden.
Dass wir in einer Sitzung von Studierenden den Begriff ‚Patriarchat‘ definieren sollten, machte uns zunächst perplex. Das wiederum wurde von Personen des StuRa so interpretiert, dass wir nicht genug Expertise für dieses Thema hätten. Richtig absurd wurde es, als eine Person des StuRa einwandte, dass ihre Googlerecherche gerade ergeben hätte, dass das Patriarchat übrigens nicht mehr existiere, da es ja eine legale Gleichstellung von Mann und Frau gäbe. Am Ende gab es noch die Aussage, wenn unser Feminismus nicht nur cis Frauen, sondern alle FLINTA* meinen würde, sei er so verwässert und am Ende niemand mehr gemeint.
Wir wollen nicht vergessen zu erwähnen, dass es auch Stimmen im StuRa gab, die sich mit uns solidarisiert haben und sich gegen den Widerstand positionierten, den unsere Anfrage erhielt. Das war empowernd. Am Ende stimmte die Mehrheit auch für unseren Antrag. Es wäre aber schön gewesen, wenn mehr von diesen unterstützenden Stimmen laut gewesen wären.

Warum sind die Äußerungen und die Art und Weise, mit der euch bei der Sitzung begegnet wurde, aus feministischer Sicht schwierig?

Was wir bei der Sitzung erlebt haben, war ein perfektes Abbild alltäglicher Diskriminierung. Wir mussten uns dafür rechtfertigen, dass wir für unsere eigenen Rechte einstehen. Wir sollten erklären, warum wir diskriminiert seien, damit dann Andere entscheiden, ob wir berechtigt seien, dagegen zu kämpfen. Die lauten Stimmen des StuRa kamen sowohl aus konservativer als auch aus linker Richtung und gerade letzteres ist sehr traurig. Auch wenn es nicht unerwartet kam – Trans*feindlichkeit ebenso in linken Kreisen ist leider nichts Neues.
Auch Bildungsarbeit ist Carearbeit!(2) Ein Großteil der cis Männer erwarten nach wie vor, dass sie von FLINTA* Personen über die diskriminierenden Strukturen des Patriarchats aufgeklärt werden. Aufgrund ihre privilegierte Situation teilen viele die Auffassung, dass es für sie nicht notwendig sei, sich selbstkritisch mit ungerechten Machtverhältnissen auseinanderzusetzen und sich mit feministischen Themen zu beschäftigen. Sollten nicht gerade Hochschulen dazu befähigen, selbständig zu denken und zu recherchieren? Schade, dass das in diesem Fall offensichtlich nicht passiert. Die seltsame Forderung, wir sollten doch mal den Begriff ‚Patriarchat‘ definieren, ist sehr anmaßend. Von jemanden zu erwarten, etwas auf Anhieb definieren zu können als Voraussetzung dafür, feministische Kämpfe zu führen, ist eine Form der Machtausübung. Menschen können unabhängig ihres akademischen Levels feministisch aktiv sein! Es ist wichtig, dass es kein Kampf von ausschließlich weißen akademischen Menschen Mitte zwanzig ist.
Die Frage, warum es am 8. März nicht nur um Frauen gehen könne ist schwierig, weil sie ausschließend ist. Diese Menschen meinen dann nämlich in der Regel nicht alle Frauen – cis und trans*, sondern ausschließlich cis Frauen. Darin steckt die Implikation, trans* Frauen wären keine Frauen. Zudem werden am 8. März schon lange Themen behandelt, die nicht nur für cis Frauen wichtig sind. Menstruationsarmut betrifft alle menstruierenden Menschen und eben nicht nur cis Frauen. Genauso ist es mit dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Die Kämpfe von trans*, inter*, a_gender und nicht-binären Personen mit zu führen, war und ist für uns selbstverständlich. Wir leiden alle unter dem Patriarchat – warum sollten wir nicht solidarisch gemeinsam kämpfen?

Habt ihr ausschließlich Hochschulräte für die Finanzierung des 8M21 angefragt?

Ja, zumindest in diesem Jahr. In vorangegangenen Jahren hatten wir uns auch erfolgreich um eine Förderung durch die Hallianz bemüht. Doch gerade studentische Vertreter*innen eines StuRas sollten repräsentativ für alle Menschen sein, die für Gleichberechtigung und Unterstützung von marginalisierten Personen kämpfen.

Was hättet ihr im Nachhinein in der Sitzung eigentlich sagen wollen und warum war es in der Situation nicht möglich?

Gleich im Anschluss an die Sitzung stellten wir uns die Frage, ob wir uns hätten besser vorbereiten sollen, um mehr Zahlen und Fakten liefern zu können. Doch das ist nicht richtig. Denn wir waren bei der Sitzung, um über unseren Antrag für eine feministische Aktion zu sprechen, nicht um eine Art soziologische Abhandlung zu halten. Warum haben sich die Teilnehmenden der StuRa-Sitzung mit den vielen Nachfragen nicht vorher schon selber informiert? Der Antrag lag schon einige Tage vorher vor. Wir hätten in der Sitzungssituation frühzeitiger darauf bestehen sollen, dass wir in dem Rahmen der Sitzung keine inhaltliche Rechtfertigung oder Aufklärung liefern. Wir hätten unsere Grenzen klarer ziehen sollen. Die fragestellenden Personen hätten wir zu unserem feministischen Lesekreis einladen können.
Es wäre schön gewesen, den Mut gehabt zu hätten zu benennen, dass die lauten Personen nicht merken, wie krass sie gerade selber die patriarchalen Strukturen reproduzieren, von denen sie behauptet haben, dass sie nicht mehr existieren.
Wir hätten gern unsere Empörung zum Ausdruck gebracht.

Warum habt ihr euch trotz allem entschieden, das Geld anzunehmen und zu verwenden?

Wir haben tatsächlich überlegt, dass Geld nicht anzunehmen. Doch das beantragte Geld wurde für die Aktion benötigt, denn der selbstorganisierte Kampf braucht finanzielle Mittel. Letztlich gab es ja eine Mehrheit im StuRa für unseren Antrag, was die mehrheitliche Haltung klarmacht. Wir wollten eben diese Strukturen nutzen, um inhaltlich die Ungerechtigkeit, die uns und anderen FLINTA*s tagtäglich widerfährt, so laut wie möglich auf die Straße zu bringen. Dennoch haben wir uns dafür entschieden, unsere Plakate und Sticker nicht wie ursprünglich vorgesehen aus Mitteln des StuRa drucken zu lassen. In diesem Fall hätten wir nämlich das StuRa-Logo gut sichtbar auf die Plakate und Sticker drucken müssen. Nach den Erlebnissen in der Sitzung wollten wir nicht unreflektiert mit dem StuRa zusammen in der Öffentlichkeit auftreten.

Was nehmt ihr für euch aus dieser Erfahrung für die Planung des nächsten feministischen Kampftags mit?

Wir nehmen einmal mehr die Erfahrung mit, was es für ein erniedrigendes Gefühl ist, wenn Entscheidungen zu Geldvergaben von persönlichen Befindlichkeiten abhängen getroffen werden und dadurch Macht ausgeübt wird. Einzelne cis Männer fühlten sich augenscheinlich bedroht, dass mit dem Geld, das sie verwalten, feministische Aktionen durchgeführt werden sollen, die ihre Privilegien in Frage stellen. Das Geld, welches dem StuRa zur Verfügung steht, kann gut genutzt werden, wenn es mit Reflexion der eigenen Machtposition verwaltet wird. Diese Erfahrung zeigt auf, warum feministische Anträge in cis männlich geprägten institutionellen Vergabeverfahren noch so häufig scheitern. Gleichzeitig motiviert sie uns, den feministischen Kampftag erneut zu organisieren, da das Patriarchat offensichtlich noch nicht überwunden ist. Danke für dieses Paradebeispiel!
Durch diese Situation ist uns noch wichtiger geworden, in solchen Settings wie der StuRa-Sitzung nicht alleine auftreten zu müssen. Beim nächsten Mal wollen wir schneller unsere Grenzen aufzeigen und uns nicht anbiedern, inhaltliche Debatten zu führen, in denen die Machtverhältnisse ungleich sind. Auch wenn das die Konsequenz haben sollte, dass wir das Geld nicht verwenden dürfen. Wir wollen uns und andere bestärken, den alten weißen Männern von morgen nicht die Entscheidungsgewalt zu überlassen. Wenn wir uns in Situationen wiederfinden, in denen andere solidarische Unterstützung brauchen, werden wir laut sein! Denn auch, wenn wir Fürsprecher*innen unter den StuRa-Teilnehmenden hatten, so waren diese nicht in ihrer Vielzahl zu hören.
Die Abstimmung über unseren Antrag hat gezeigt, dass der StuRa eine feministische Ausrichtung haben will. Ziel muss es jedoch sein, dass dies zukünftig zum Selbstverständnis des gesamten StuRa gehört. Obwohl einige Teilnehmende des StuRa sich auf ihrem Privileg ausruhen, sich nicht mit Feminismus auseinander setzen zu müssen, können wir sagen, dass der 08.März gezeigt hat, dass die feministischen Kämpfe viele Menschen bewegen und wir uns nicht unterkriegen lassen.
Smash the Patriarchy!

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(1): Weiß bezeichnet keine biologische Eigenschaft und keine reelle Hautfarbe, sondern eine politische und soziale Konstruktion. Mit Weißsein ist die dominante und privilegierte Position innerhalb des Machtverhältnisses Rassismus gemeint, die sonst zumeist unausgesprochen und unbenannt bleibt.
(2): Carearbeit meint hier u.a. Haushalt machen, pflegebedürftige Personen versorgen, Kinder betreuen, emotionale Arbeit für andere Personen leisten.

Wenn hier von der Orgacrew8M21 gesprochen wird, dann ist damit eine Gruppe von Vertretenden gemeint, die bei der StuRa-Sitzung anwesend waren, dennoch steht die Gruppe hinter den Sprechenden und den Aussagen dieses Artikels.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.