Sozialistisches Clusterfuck gegen die kapitalistische Mentalität

Wie die »Neue Rechte« die soziale Frage diskutiert

von | veröffentlicht am 04.11 2017

Beitragsbild: per.spectre

Marx vom Marxismus befreien - dieses Postulat veröffentlichte Ende 2004 die Zeitschrift Elements, das publizistische Flaggschiff der französischen »Nouvelle Droite« rund um deren Vordenker Alain de Benoist. So sollte ausgelotet werden, welche theoretischen Versatzstücke von Karl Marx für die Ideologieproduktion der Neuen Rechten nützlich gemacht werden könnten. Der Sozialwissenschaftler Alfred Schobert, der diese Entwicklungen beobachtete, beschrieb diese Taktik einst als »Diskurspiraterie«.




diesen Beitrag teilen

Pro und Contra Umverteilung

In der Tradition der Diskurspiraterie steht auch Benedikt Kaiser. Er arbeitet für die neurechte Zeitschrift Sezession und gilt in diesen Kreisen als Verfechter der sozialen Frage. Die Onlineausgabe der Zeitschrift veröffentlichte Anfang des Jahres einen Artikel Kaisers, in dem er die Rechte – nicht zum ersten Mal – aufforderte, endlich neben der nationalen auch die soziale Frage zu stellen. Dies tat er nicht zuletzt mit Blick auf die AfD.

Die soziale Frage sei zwar viel zu lange vernachlässigt worden, biete aber aufgrund des desaströsen Zustands der Linken nun die Chance, rechte Deutungsangebote in breiteren Schichten des Volkes zu verankern. Neben kulturellen und ethnischen Konflikten lasse sich eine zunehmende soziale Ungleichheit feststellen. Der ärmere Teil des deutschen Volkes sei daher doppelt betroffen: durch ethnische Verdrängung sowie durch Konkurrenz mit »dynamischen Zuwanderercliquen« um knappe Ressourcen. Hingegen seien es gerade die wirtschaftlichen und politischen Eliten, die mehr Zuwanderung forderten und dafür Beifall von links erhielten. Kaiser antwortet auf diese soziale Frage mit einem Vorschlag des linken Soziologen Michael Hartmann, die Vermögenssteuer wieder einzuführen und Steuerflucht dadurch zu verhindern, dass Personen nach Staatsbürgerschaft statt nach Wohnort besteuert werden.


Dieser Ruf nach Umverteilung sorgte – neben Beifall – für gehöriges Poltern in der Kommentarspalte: Von einem »sozialistischen Clusterfuck« war die Rede, ebenso davon, dass es in Deutschland keine Armut sondern lediglich »Luxusgüterrückstand« gebe.


Dieser Ruf nach Umverteilung sorgte – neben Beifall – für gehöriges Poltern in der Kommentarspalte: Von einem »sozialistischen Clusterfuck« war die Rede, ebenso davon, dass es in Deutschland keine Armut sondern lediglich »Luxusgüterrückstand« gebe. Hartz IV wurde als »bedingungsloses Grundeinkommen« bezeichnet und Kaiser wurde attestiert, ein »gestörtes Verhältnis zu fundamentalen Prinzipien des Rechtsstaates, den privaten Eigentumsrechten« zu haben. Der Autor des Textes hatte offenbar bei vielen Leser_innen einen wunden Punkt getroffen.

Im Ton sachlicher kritisierte Felix Menzel, ebenfalls Publizist des neurechten Milieus, »das Unwesen der Umverteilung«. Ihm zufolge weise die »Versorgung der Massen« auf das eigentliche soziale Problem der Gegenwart hin: Dem Verlust der »geschichtsgestaltenden Kraft des Staates« als Folge eines menschenrechtlichen Universalismus. Bürger seien gezwungen Geld abzugeben, damit Regierungen sich ihre Machtposition quasi erkaufen könnten. Stattdessen solle der Staat sich lediglich um die Bereiche Sicherheit und Bildung kümmern, letzteres insbesondere, da Disziplin und Gemeinschaftswerte dazu führen würden, dass Unternehmer ihre Angestellten besser behandeln. Diese Position – von Beobachtern wie Helmut Kellershohn als »autoritärer Liberalismus« bezeichnet – ist in der Neuen Rechten von AfD über Junge Freiheit bis hin zum Institut für Staatspolitik hegemonial. Der rechte Staatsrechtler Carl Schmitt forderte unter dem Motto »Starker Staat und gesunde Wirtschaft«, dass der Staat autoritär sein, sich aber aus Sozialpolitik und Wirtschaft heraushalten sollte. Der schwache Staat dagegen gebe jedem nach, insbesondere den Parteien und den organisierten Interessen.

Linke Strategien für Rechte

Kaisers Position unterscheidet sich nicht nur durch ihre zarten Forderungen nach Umverteilung von der Position Menzels. Mit seinem Versuch, linke Ideen und linke Strategien für die Rechte nutzbar zu machen, reiht sich Kaiser in die Querfrontüberlegungen ein. Diesen Anspruch unterstrich er in seiner Publikation »Querfront«. Das Gerüst seiner Überlegungen bildet eine völkisch grundierte Europa-Konzeption im Anschluss an den Vichy-Kollaborateur Pierre Drieu la Rochelle sowie Ausführungen Alain de Benoists zu Flüchtlingen als »Reservearmee des Kapitals«. Benoist argumentiert, dass eine globale wirtschaftliche und politische Elite gezielt einheimische Arbeiter_innen durch Initiierung und Förderung von Migrationsbewegungen unter Konkurrenzdruck setzt. In diesem theoretisch-ideologischen Rahmen sucht Kaiser Schnittmengen mit Versatzstücken linker Publizistik von Werner Pirker über Chantal Mouffe bis hin zu Slavoj Zizek. Insbesondere wenn Linke den Antinationalismus oder eine positive Haltung zu Flüchtlingen kritisieren, entdeckt Kaiser Anschlussfähigkeit zu rechten Diskursen.

Dagegen bleiben seine Ausführungen zum Kapitalismus widersprüchlich. Mal fordert er die »revolutionäre Überwindung der kapitalistischen Marktwirtschaft«, um an anderer Stelle wiederrum die Marktwirtschaft vom Kapitalismus zugunsten der ersteren zu unterscheiden. Dann schreibt er, dass diese auf »auf Wettbewerb und offenen Markt nicht verzichten« dürfe. Andere Schlüsselelemente linker Kapitalismusanalyse wie das Privateigentum an den Produktionsmitteln oder die Frage der Aneignung des Mehrwerts betrachtet er gar nicht, während er dem Staat eher eine antikapitalistische Rolle statt die des ideellen Gesamtkapitalisten zuschreibt.


Grundsätzlich gehen völkische Rechte davon aus, dass ethnisch bestimmte Völker eine ihnen wesenseigene Art des Wirtschaftens notwendig hervorbringen.


Mag dies zunächst diffus erscheinen, so gibt die Definition des Historikers Zeev Sternhells entscheidende Hinweise. Demnach sei der Faschismus eine Synthese aus radikalem Nationalismus und einer antimaterialistischen Revision des Marxismus. »Klassenkampf« – so wie er von rechts verstanden wird – dient nicht dazu, Eigentumsverhältnisse in Frage zu stellen, sondern soll das nationale Proletariat im heroischen Kampf gegen den dekadenten Liberalismus formieren.

In diesem Antiliberalismus treffen sich die verschiedenen Flügel der völkischen Rechten. Grundsätzlich gehen völkische Rechte davon aus, dass ethnisch bestimmte Völker eine ihnen wesenseigene Art des Wirtschaftens notwendig hervorbringen. Felix Menzel zitiert in seinem Aufsatz »Preußentum und Kapitalismus« Oswald Spengler, um dies zu untermauern: »Jede Kultur und jedes einzelne Volk einer Kultur führt seine Geschäfte und erfüllt sein Schicksal in Formen, die ihm geboren und die dem Wesen nach unveränderlich sind.« Menzel zufolge habe der Liberalismus jedoch die Eliten der Deutschen korrumpiert, sodass diese »zugunsten einer globalen Orientierung aufgehört haben, preußisch zu sein«. Wirtschaftlicher Erfolg sei nur noch durch gute Beziehungen nach Berlin möglich, während Wettbewerb und Leistung nichts mehr gelten würden. So verkümmere der »preußische Instinkt« des deutschen Volkes. Die Analyse der Neuen Rechten geht also davon aus, dass – um es in ihren eigenen Worten zu formulieren – »der Kapitalismus nicht so sehr eine Wirtschaftsordnung als vielmehr das Ergebnis einer Mentalität sei«. So schrieb es der rechte Vordenker Karl-Heinz Weißmann im Jahr 2012, als er noch für die Sezession schrieb.

Rechte lehnen Eingriffe in die Wirtschaft oder direkte Mitbestimmung durch die Arbeiter meist ab. Der Staat solle den Rahmen für den Wettbewerb setzen, indem er die negativen Effekte der Globalisierung draußen hält und für die richtige Gesinnung sorgt. Kaisers Rhetorik mag zunächst radikal daherkommen, sein Eurofaschismus ist jedoch lediglich eine Variante des nationalen Wettbewerbsstaats mit staatssozialistischen Elementen.

Doch welche Auswirkungen hat dieser Diskurs auf die AfD, als parteipolitischer Arm der Neuen Rechten? Trotz insgesamt neoliberaler Ausrichtung gelingt es der Partei, wirtschaftspolitisch auf mehreren Klaviaturen zu spielen. Insbesondere die Inszenierung als »Anwalt der kleinen Leute« hat in der Vergangenheit zu Verwirrung bei einigen Beobachter_innen geführt. Dass es mit einer »Alternative für Antikapitalisten« (FAZ, 23.3.2016) nicht weit her sein kann, zeigt schon der erfolglose Versuch Benedikt Kaisers, die Vermögenssteuer ins Spiel zu bringen. »Antikapitalismus von rechts« hat in der Partei keine relevante Repräsentanz. Selbst Björn Höcke, der als »Landolf Ladig« schon mal den »zinsbasierten Kapitalismus« gegeißelt haben soll und dem dafür vom Soziologen Andreas Kemper attestiert wird, Anhänger einer »völkischen Postwachstumsideologie« zu sein, gab in der Vergangenheit mehrfach zum besten, dass die »neue deutsche soziale Frage« nicht die Frage der Verteilung des Reichtums von oben nach unten, sondern »von innen nach außen« sei.

Der Beitrag erschien zuerst am 17.10.2017 in der Ausgabe 631 der Zeitung „analyse & kritik“.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.