Rot-Rot-Grün in Halle: sozial-ökologischer Fortschritt auf der Kippe

Nach Wahlniederlage im Stadtrat wollen die Grünen das junge Bündnis wieder beenden

von | veröffentlicht am 11.06 2018

Beitragsbild: Transit

Wenige Monate nach dessen überraschender Ausrufung steht die rot-rot-grüne Allianz für die Oberbürgermeisterwahl in Halle schon wieder vor dem Aus. Nachdem die halleschen Grünen bei einer Beigeordnetenwahl im Stadtrat für ihren Kandidaten keine Mehrheit bekommen hatten, wollen sie das Bündnis mit SPD und DIE LINKE verlassen. Ein Kommentar.




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Halle im Frühjahr 2020. Wundenlecken. Im Vorjahr hatte sich der CDU/FDP-Kandidat für das Amt des Stadtoberhauptes in der Stichwahl gegen den AfD-Kandidaten durchgesetzt. Bernd Wiegand abgewählt, Hendrik Lange keine Chance, die Kandidatin der Grünen weit abgeschlagen. Im Stadtrat gibt es eine starke AfD-Fraktion. Die anderen Fraktionen hatten bei der Kommunalwahl teils starke Verluste zu verzeichnen. Der Ton in Halle ist rauer geworden. Aus dem neuen Stadtrat heraus wird gegen Minderheiten gehetzt. Die bisher unaufgeregte Asylpolitik wird lautstark infrage gestellt. Kultur, die allzu politisch ist, und sozialen Projekten, die sich um Minderheiten kümmern, droht die Förderung gekürzt zu werden. Streichungen im Nahverkehr, im Umweltbereich und beim Radwegebau stehen ins Haus zugunsten einer „grünen Welle“ für den Autoverkehr. Die kommunalen Wohnungsgesellschaften werden stärker an der Haushaltskonsolidierung beteiligt, während kommunales Eigentum im großen Stil an Privatinvestoren veräußert wird.

So oder so ähnlich könnte ein Worst-Case-Szenario lauten für die Zeit nach der Kommunalwahl 2019. Nicht nur das Stadtoberhaupt, sondern auch der Stadtrat wird neu gewählt. Die Mehrheits- und Machtverhältnisse könnten sich dramatisch wandeln – von einer rot-rot-grün-bürgerlichen Gestaltungsmehrheit hin zu einem rechts-konservativen Law-and-Order-Block mit direktem Zugang zur Rathausspitze. Demgegenüber war vor wenigen Wochen noch denkbar, dass es bei einer progressiveren Gestaltungsmehrheit bleibt und ein rot-rot-grünes Bündnis sich sogar gute Chancen ausrechnen konnte, mit Hendrik Lange den künftigen Oberbürgermeister zu stellen.

Die entscheidenden Weichen für eines der beiden Szenarien werden vielleicht schon in den nächsten Tagen gestellt. Und hiermit ist nicht gemeint, dass die örtliche CDU, die in den letzten Jahren die meisten Wahlen in Halle gewonnen hatte, offiziell ihren Kandidaten ausruft. Gemeint ist das rot-rot-grüne Bündnis, das, gerade erst formiert, nun schon wieder zu zerbrechen droht. Ausgangspunkt war die verlorene Wahl um den Beigeordneten für Stadtentwicklung und Umwelt. Die Grünen hatten einen ihrer Stadträte ins Rennen geschickt. DIE LINKE und die SPD-Fraktion hatten dem Vernehmen nach Zustimmung signalisiert. Die gemeinsamen Stimmen hätten locker gereicht. Doch daraus wurde nichts. Bei der entscheidenden Abstimmung gab es eine überraschende Niederlage.

Die Schuldigen waren schnell ausgemacht: Wieder habe sich die SPD-Fraktion nicht an Absprachen gehalten. Und es wäre gar nicht einmal weit hergeholt: Bei der entscheidenden Abstimmung um die langfristige Sicherung des soziokulturellen Zentrums „Hasi“ fehlten die Stimmen der SPD. Ein Fraktionsmitglied habe laut Presseberichten vor er Wahl bereits erklärt, den grünen Kandidaten nicht zu unterstützen. Und die Vorbehalte in der SPD-Fraktion in Halle gegen die wenig beliebten Grünen und die Intimfeinde aus der früheren PDS sind stadtbekannt. Eine Liebesheirat dürfte das Oberbürgermeisterwahlbündnis also nie gewesen sein, ohnehin von den örtlichen Parteivorsitzenden ohne große Beteiligung der Basis eingefädelt. Ein Zweckbündnis angesichts der bitteren Niederlage der drei Parteien zur letzten Wahl 2012, bei der es von ihnen niemand in die Stichwahl geschafft hatte. Immerhin hätte es damals im ersten Wahlgang gemeinsam mit knapp 38 Prozent sogar für den ersten Platz gereicht. Eine realistische Einschätzung demzufolge, dass es mit diesem Wähler_innenpotential diesmal mindestens für die Stichwahl reichen könnte.

Angesichts ihrer Wahlniederlage drohen die Grünen nun aber offen damit, das Bündnis aufzubrechen. Sowohl die Stadt- als auch die Fraktionsvorsitzende wollen ihren Mitgliedern auf einer Versammlung am Mittwoch empfehlen, die Zusammenarbeit nicht fortzusetzen. An der SPD würde eine solche Entscheidung nicht spurlos vorbei gehen. Schließlich dürfte es dort einige geben, die für ein Mitglied der Partei DIE LINKE beim Wahlkampf keinen Finger krumm machen würden. Auf dem Nominierungsparteitag der Sozialdemokrat_innen gab es schließlich auch das mit Abstand schlechteste Ergebnis für Hendrik Lange.

Es sieht also gar nicht gut aus und den CDU-Verantwortlichen dürfte dieser Tage die Häme kaum mehr aus dem Gesicht zu wischen sein. Machen die Grünen ihre Drohung wahr, könnte der erste Absatz dieses Beitrages wahrscheinlicher werden: erschwinglicher Nahverkehr, verantwortungsbewusste Umweltpolitik, Priorisierung der Lösung sozialer Probleme, eine menschenfreundliche Asylpolitik, eine Stadt für Menschen statt für Autos? Solche und andere Ziele wären dann nur noch schwer und mit vielen Zugeständnissen umzusetzen. Das sieht auch die grüne Parteijugend so und appelliert nach ausführlicher interner Debatte in einer aktuellen Pressemitteilung nun sogar öffentlich an den eigenen Stadtverband: „Nur gemeinsam und nur mit einer progressiven OB-Alternative kann es die sozialen und ökologischen Fortschritte in der Stadt geben, die es dringend benötigt. Wir rufen die Grünen deshalb dazu auf, die Unterstützung für Hendrik Lange als gemeinsamen OB-Kandidaten intensiv fortzuführen und im rot‑rot‑grünen Projekt auf eine verlässlichere Zusammenarbeit im neu zu wählenden Stadtrat hinzuwirken.”

Ein politischer Bruch steht der Stadt bevor. In dieser Woche könnte der entscheidende Riss entstehen. Es sei denn die Grünen besinnen sich zugunsten ihrer Inhalte noch einmal und stecken die berechtigte Enttäuschung zurück. Es wäre eine verantwortungsbewusste Entscheidung in politisch unsicheren Zeiten.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.

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