Halle – Eine Stadt für Menschen
Interview mit dem rot-rot-grünen Oberbürgermeisterkandidaten Hendrik Lange
In Halle tritt 2019 zur kommenden Oberbürgermeister*innenwahl erstmals ein Bündnis aus DIE LINKE, SPD und Bündnis ’90/Die Grünen an. Auf deren Parteitagen wurde Hendrik Lange (DIE LINKE), der derzeitige Stadtratsvorsitzende und Abgeordnete im Landtag von Sachsen-Anhalt, zum Kandidaten gekürt. Er wird Bernd Wiegand (parteilos) herausfordern, der bei der letzten Wahl mit vielen Stimmen aus demselben Lager rechnen konnte. Wie das gelingen soll und welche Themen es dabei zu besetzen gilt, das haben wir Hendrik Lange gefragt.
Transit: Es ist vielleicht nicht ganz fair ein solches Gespräch damit zu beginnen, über die Konkurrenz zu sprechen. Wir machen es trotzdem mal. Du bist der Herausforderer von Bernd Wiegand. Wenn man sich aus einer links-progressiven Perspektive die letzten Jahre mit dem amtierenden Oberbürgermeister anschaut, könnte man doch bspw. mit Blick auf den Umgang mit der Zuwanderung oder mit der Hasi noch ganz froh sein. Er hat zur letzten Wahl viele Stimmen aus dem rot-rot-grünen Lager gezogen und konnte in der Stichwahl so am favorisierten CDU-Kandidaten vorbeiziehen. Warum sollte man bei der nächsten Wahl nun Hendrik Lange wählen?
Lange: Er wurde ja auch aus dem rot-grünen Lager heraus empfohlen. Und die Parteien haben mittlerweile gemerkt, dass es tatsächlich einen anderen Weg braucht, insbesondere in Bezug auf Transparenz, das politische Miteinander, auf die Möglichkeiten, gemeinsam zu gestalten – da gibt es Luft nach oben. Es wäre Unsinn abzustreiten, dass es auch positive Entwicklungen gibt, insbesondere im Bereich des Umgangs mit Rassismus, der Integration von ausländischen Mitbürgern, oder eben seine Haltung zur Hasi. Das ein oder andere kann besser laufen. Vor allem der faire Umgang miteinander ist ausbaufähig.
Transit: Glaubst Du, dass das die Leute so mitbekommen? Vieles spielt sich doch im Stadtrat ab und solche Fragen der Kommunikation erreichen außerhalb womöglich nicht besonders viele. Bernd Wiegand kann sich ja auch ganz gut nach außen präsentieren. Glaubst Du, die Stilfrage reicht, um Wähler*innen von ihm zu lösen?
Lange: Nein. Auf keinen Fall. Man muss schon ein anderes Politikangebot machen. Dazu gehören Transparenz, ein anderer Umgang mit und das Einbeziehen von Menschen und Gruppen zu Fragen der Gestaltung von Stadt. Da bin ich der Auffassung, dass es nicht nur einen problematischen Umgang zwischen Stadtrat und Verwaltung gibt, sondern es ist auch eine Frage des Umgangs der Verwaltung mit kritischen Positionen gegenüber ihren Projekten. Wo Verwaltung eigentlich moderieren müsste. Da haben wir schon viel erlebt, insbesondere beim Schulbau, wo uns Beteiligungsverfahren versprochen worden. Und dann kommen im Anschluss die Leute zu uns und sagen, wir haben zwar mal irgendwann etwas davon gehört, doch das, was wir dazu geäußert hatten, wird nicht berücksichtigt.
Ein neues politisches Bündnis in Halle
Transit: Das rot-rot-grüne Bündnis, das dich ins Rennen schickt, ist ein Novum für Halle. Damit sind bestimmte Erwartungen verbunden, bspw. dass es künftig im Stadtrat ein zuverlässiges Bündnis mit einer gemeinsamen Politik gibt. In Halle wurde sich gegen solche „Koalitionen“ bislang immer gewehrt. Vor allem die SPD unter ihrem Fraktionsvorsitzenden Johannes Krause war ein Fan von wechselnden Mehrheiten. Bei der Stadtratsentscheidung zur Hasi haben wir das alle eindrucksvoll erleben dürfen. Was bringt da jetzt die Zukunft konkret in Sachen Kooperation?
Lange: Das wird man jetzt noch nicht in der Klarheit sagen können. Es wäre schön, wenn sich ein solches verlässliches Bündnis entwickeln würde. Es gibt die ein oder andere Unwägbarkeit. Zunächst müssen wir abwarten, was die Stadtratswahl bringt. Da gibt es die ein oder andere Befürchtung, dass ein solches Bündnis nicht die notwendige Mehrheit bekäme und damit müsste man noch weitere Partner mit ins Boot holen. Und wenn wir gemeinsam mehrheitsfähig sind, brauchen wir tatsächlich verlässliche, gemeinsame Verabredungen. Andererseits glaube ich auch, dass der Oberbürgermeister immer die Verantwortung hat, sich Mehrheiten im Rat zu suchen und für Mehrheiten für bestimmte Projekte zu werben – auch jenseits von festen Bündnissen. Ein Bündnis würde es leichter machen. Da sind dann allerdings auch Kompromisse notwendig.
Transit: Wie ist es denn dazu gekommen, dass sich SPD, Grüne und Linke auf einen gemeinsamen Kandidaten geeinigt haben? War das ein sehr langwieriger Prozess mit langen Verhandlungen?
Lange: Es gab sehr lange Gespräche, zunächst zwischen SPD und Linken. Später kamen Bündnis ‘90/Die Grünen dazu. Da haben die Stadtvorsitzenden miteinander gesprochen. Es gab auch Analysen, wie es mit verschiedenen Mehrheiten und Chancen aussieht. Beim letzten Mal ist ja kein Kandidat von den drei Parteien in die Stichwahl gekommen. Aus diesen Analysen heraus gab es dann die Überlegung, gemeinsam ins Rennen zu starten. Und irgendwann wurde ich dann gefragt, weil man mir zutraut, so ein Bündnis auch moderierend mitgestalten zu können.
Transit: Bündnis heißt Kompromisse zu machen, das hast du gerade angeschnitten. Wenn wir jetzt zurückschauen, dann gab es politische Entscheidungen, die man aus einer linken Perspektive kritisieren kann, die die SPD mit zu verantworten hat – zum Beispiel, dass der Hufeisensee an einen Golfplatz-Investor geradezu verschachert oder die Hasi mehr oder weniger in die Illegalität getrieben wurde. Kann eine Fraktion, die eine solche Politik verantwortet, eine verlässliche Partnerin für eine Partei wie DIE LINKE sein?
Lange: *atmet tief ein* Die Frage ist: Geht es ohne die SPD? Bekommt man im linken Lager wirklich Mehrheiten für Projekte hin ohne SPD. Und das geht nicht. Nicht nur rein rechnerisch. Eigentlich ist die Schwäche der SPD ja bundesweit ein Problem für das gesamte linke Lager, weil diese dauerhafte Bindung an die konservative, mittlerweile bis ins rechte Spektrum rückende CDU gesellschaftspolitische Themen ganz anders angeht, als wir sie beantworten möchten. Die Zusammenarbeit mit der SPD bietet nun die Möglichkeit, sie vor Ort wieder mit einzubinden. Es lockt vielleicht auch den ein oder anderen, wieder mehr Politik zu machen, die eher progressiv, links-ökologisch orientiert ist.
Allerdings haben wir auch gesagt, dass die Erkennbarkeit der Parteien weiter gewährleistet sein soll. Es wäre Käse, da irgendwie zu sagen, „ihr müsst jetzt alle so…“. Das wird nicht funktionieren. Die Streitfragen werden bleiben. Zum Beispiel gingen die Meinungen zum vierspurigen Ausbau der Merseburger Straße auseinander. Das Ergebnis wird nicht nur zu Baumfällungen führen, sondern ist auch negativ für das Leben in der gesamten Merseburger Straße. Es war aber eine Mehrheitsentscheidung.
Platz für links-progressive Politik in Halle
Transit: Was wären jenseits des Bündnisses deine persönlichen inhaltlichen Schwerpunkte für den Wahlkampf? Auch mit Blick auf eine Bevölkerung, die in letzter Zeit im Ergebnis eher mitte-rechts gewählt hat.
Lange: Mit diesem Blick wäre ich erstmal vorsichtig. Wir haben in Halle eine ganz unterschiedliche Klientel. Ich bin in Halle durchaus hoffnungsfroh, dass es für links-progressive Politik viele Menschen gibt, die das mittragen. Wenn man sich die Wahlergebnisse anschaut: Die Grünen haben ihre Hochburgen, die SPD hat ihr Klientel, das sie mobilisiert bekommt, und wir haben auch Bindungswirkung. Das würde ich mal nicht so eben verloren geben.
Ich möchte keinen Wahlkampf machen, der nur „gegen Bernd Wiegand“ ist. Das wäre Quatsch. Wir müssen uns inhaltlich entsprechend aufstellen. Ein Thema habe ich bereits benannt: Transparenz und Beteiligung. Ich könnte mir zum Beispiel ein Transparenzgesetz für die Verwaltung vorstellen – dass Verwaltung von Anfang an transparent ihre Projekte darstellt. Ich möchte, dass es ein vernünftiges Miteinander gibt, dass man Prozesse aushandelt und mit Betroffenen von Anfang an spricht.
Dann ist mir wichtig, und da sind wir uns einig, dass wir uns auf die Gegenden in der Stadt konzentrieren müssen, wo die meisten Problemlagen sind. Also dort, wo viele Menschen von „Hartz IV“ und Armut betroffen sind, oder Gegenden, wo verstärkt Integrationsleistungen erbracht werden. Da müssen wir uns als Stadt anders aufstellen und die Unterstützungssysteme anders aufziehen. Das ist eine Frage von Schulen, von Sozialarbeit, von Unterstützungsleistungen direkt vor Ort.
Und ich glaube, dass wir Stadtentwicklung anders begreifen müssen. Es gibt sehr ernstzunehmende Stimmen, die sagen, dass die Zeiten, in denen jeder ein oder zwei PKW hat, vorbei sind. Das wird sich massiv wandeln. Nicht nur durch selbstfahrende Mobilität, sondern durch Car-Sharing und ähnliches. Man darf Stadtentwicklung nicht nur aus der Sicht „Autostadt“ betrachten, sondern muss Mobilität insgesamt in den Blick nehmen.
Jan Gehl hat das mit dem Konzept „Städte für Menschen“ benannt. Eine Stadtentwicklung, die am menschlichen Maß orientiert ist und daran, dass eine Stadt nicht die Menschen nach Hause schickt, sondern dass man sich draußen bewegt und gerne im öffentlichen Raum lebt.
Transit: Jenseits von Auto sind viele mit dem Fahrrad oder mit dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) unterwegs. Für Fahrradfahrer*innen ist das mitunter lebensgefährlich angesichts eines katastrophalen Radwegenetzes. Und für viele Einwohner*innen, vor allem in der Peripherie der Stadt, ist das Nahverkehrsticket einfach nicht mehr zu bezahlen. Was lässt sich da tun?
Lange: Das wird tatsächlich ein wesentliches Thema bleiben. Mittlerweile unterstützt ja auch die SPD einen Antrag, der fordert, dass wenigstens so viele Mittel für den Rad- und Fußwegebau zur Verfügung stehen, wie für den Straßenbau. Man wird einiges umsteuern müssen, damit Radfahrer tatsächlich sicher sind auf den Radwegen und Straßen.
Und ja, es gibt Menschen, die können sich bestimmte Tickets nicht mehr leisten. Das ist ein riesiges Problem. Und trotz vieler Initiativen hat ein Sozialticket bislang noch nicht seinen Weg nach Halle gefunden. Das wäre ein erster Weg. Dass wir als LINKE durchaus Freunde eines umlagefinanzierten Nahverkehrs sind, der ticketfrei läuft, das ist nicht neu. Allerdings ginge das tatsächlich nur, wenn es dafür eine Mehrheit in der Bevölkerung gibt, die das mitträgt. Dann bräuchte es auch eine entsprechende Gesetzgebung, die das überhaupt ermöglicht. Und es braucht ein kluges Konzept, das Einkommensschwache nicht überfordert.
Wenn man das anschiebt, dann muss man mittel- bis langfristig denken. Denn das würde bedeuten, dass Nahverkehr sprunghaft mehr nachgefragt ist. Und dafür müsste man die Fahrzeuge anschaffen, das Netz überprüfen. Dazu gibt es auch schon Gespräche. Allerdings gibt es auch einen großen Block von Problemen, die man nur langfristig angehen kann. Deshalb stelle ich mir das Sozialticket als eine erste Lösung vor.
Transit: Die Mehrheit der Bevölkerung müsste dahinterstehen. Das bedeutet Bürgerentscheid?
Lange: Ja, das müsste es geben. Das birgt die Chance, tatsächlich eine große Diskussion mit einem breiten Beteiligungsverfahren zu starten, mit einer intensiven Beschäftigung mit dem Thema und einem Abwägen des Für und Wider. Und er hätte einen ganz wichtigen Legitimationsaspekt. An der Uni hatten wir etwas Ähnliches mit dem solidarisch finanzierten Semesterticket. Die Studierendenschaft hatte sich damals dafür entschieden, weil sie ganz klar die Vorteile gesehen hat.
Transit: Dir schwebt da eine Abgabe vor, die einkommensabhängig ist?
Lange: Wenn man es einkommensunabhängig machen würde, würde man eine bestimmte Gruppe von Menschen wesentlich stärker belasten, als das überhaupt für sie tragbar wäre. Man muss Familien, Kinder, Jugendliche mitdenken, sodass man eine Staffelung machen müsste. Und man müsste auch diejenigen mit ins Boot holen, die vom ÖPNV profitieren. Das sind auch ansässige Unternehmen. Und wie gesagt: Das muss man gut durchrechnen und langfristig planen, denn was nützt mir der tolle kostenfreie ÖPNV, wenn ich dann trotzdem 20 Minuten an der Haltestelle stehe und kein Fahrzeug benutzen kann, weil alle überfüllt sind.
Der „grüne“ Anteil
Transit: Verkehrspolitik ist auch Umweltpolitik. Über den Ausbau der Merseburger Straße hatten wir bereits kurz gesprochen. Die LINKE hat da eine andere Position…
Lange: Und die hat auch einen Grund, weil die Zahlen beim Autoverkehr nach Fertigstellung der Osttangente bis zur B100 unserer Ansicht nach radikal runtergehen werden. Wenn dann tatsächlich noch der Autobahn-Ringschluss zur A143 kommt, werden wir die derzeitige Form des Durchgangsverkehrs durch Halle eher weniger erleben. Und dann können wir uns überlegen, wie wir Lebensqualität auch an der Merseburger Straße schaffen. Wie kann man eine solche große Hauptstraße so gestalten, dass es sich da nicht ständig staut und dass gleichzeitig alle Verkehrsformen angemessen berücksichtigt sind und auch Lebensqualität möglich ist? Das ist mit dem Charakter einer durchgehenden Vierspurigkeit eben nicht möglich. Wir haben deshalb überbreite Fahrspuren vorgeschlagen. Das war nicht unbegründet – und auch nicht ideologiegetrieben. Ideologiegetrieben ist, was an Old-School-Verkehrskonzepten dagegengesetzt wird.
Transit: Was kann denn Stadtpolitik sonst noch umweltpolitisch betreiben, auch mit Blick auf die laufenden und anstehenden klimatischen Veränderungen? Wie wird Halle ökologischer?
Lange: Natürlich spielen unsere kommunalen Unternehmen, die Verkehrsunternehmen, Energieversorgung, Stadtwirtschaft und auch die Wohnungsunternehmen eine große Rolle. Ich denke aber, dass sich Stadtpolitik auch insgesamt stärker damit auseinandersetzen muss. Das fängt zum Beispiel damit an, wie wir die Dölauer Heide umbauen können. Wir haben mittlerweile dort Baumbestände, die ein Alter erreicht haben, in dem sie nicht mehr groß wachsen und damit auch kein Kohlendioxid mehr akkumulieren. Das heißt, dort brauchen wir eine Verjüngung. Man muss den Waldumbau so gestalten, dass der Wald, der dann neu aufwächst, den kommenden Klimabedingungen gewachsen ist, und dass gleichzeitig die grüne Oase dort erhalten bleibt.
Wir haben in der Stadt durch die Saale ein gutes Stadt- und Mikroklima. Wir haben aber auch in der Stadt sogenannte Hitzeinseln, wo die Frischluftzufuhr nicht besonders gut läuft. Dort muss man mit Begrünung und anderen Stadtentwicklungsmaßnahmen, bspw. Fassadenbegrünung, etwas tun, damit sich auch dort das Stadtklima verbessert. Über Verkehrsreduzierung haben wir ja bereits gesprochen. Auch das wird mit den neuen Wegeverbindungen besser werden. Die Paracelsusstraße wird wahrscheinlich nicht das grüne Mekka der Stadt werden. An solchen Straßen müssen wir verstärkt schauen, was wir da noch für die Menschen leisten können.
Wenn ich an das große Projekt Riebeckplatz denke – übrigens auch eine Frage von Transparenz, was da gerade stattfindet: Man darf die für das Stadtklima dort vorhandenen Frischluftschneisen nicht unterschätzen, die dann eventuell zugebaut werden. Da brauchen wir auch eine kluge Stadtentwicklung, die nicht nur auf schnelles Verkaufen und „Hauptsache, da wird was gebaut“ hinausläuft, sondern die auch die klimatischen Bedingungen in der Stadt bis hin zu Wegebeziehungen berücksichtigt.
Das Zentrum von Neustadt als Innenstadt
Transit: Was Frischluftzufuhr angeht ist die Neustadt ganz gut aufgestellt. Verkehrstechnisch ist der Stadtteil prima angebunden. Mit Heide und Saaleaue sind Naherholungsgebiete ebenfalls schnell erreichbar. Der Sanierungsgrad ist mittlerweile relativ hoch. Und trotzdem zieht es die Menschen, die sich das leisten können, in die immer enger werdende Innenstadt zwischen Lutherplatz und Zoo, Saale und Eisenbahntrasse. Es wird nachverdichtet und durch die anziehenden Mieten oder die Umwidmung zu Eigentumswohnungen werden altansässige Menschen an die Ränder verdrängt. Kommt da ein Oberbürgermeister Hendrik Lange zu spät, um in diesen Prozess noch einzugreifen, oder lässt sich da noch etwas machen?
Lange: Wir haben dazu mal einen Antrag mit Grünen und SPD und Mitbürgern gemacht. Wir haben unsere Erwartung an die Wohnungsunternehmen formuliert, dass sie die Durchmischung der Bevölkerung in der Stadt weiterhin aufrechterhalten. Das hat allerdings ein paar Voraussetzungen. Zum Beispiel sollten die Wohnungsunternehmen nicht permanent finanziell ausgesaugt, also zur Cash Cow gemacht werden. Gewinne sollten verwendet werden um sozialen Wohnraum anzubieten. Das heißt auch, dass man nicht um jeden Preis bestimmte Gebäude verkaufen muss, die dann durch andere zu einem Renditeobjekt durchsaniert werden. Man kann auch maßvoll sanieren und die Menschen nicht übermäßig mit wesentlich höheren Mietpreisen belasten. Von daher haben die Wohnungsunternehmen bei der Stadtentwicklung und Gentrifizierung eine ganz wesentliche Rolle. Zudem sind die Genossenschaften und Unternehmen im Netzwerk Stadtentwicklung wichtige Partner, die auch über das neue wohnungspolitische Konzept einbezogen werden.
Ich bin mir auch nicht sicher, ob der Trend nur so läuft. Wenn man sich Heide-Süd anschaut, das Waldstraßenviertel oder Büschdorf, dann findet man auch Menschen, die dort in Einfamilien- oder Mehrfamilienhäuser ein- und aus der Kernstadt herausziehen. Und es gibt in dem Projekt „halle.neu.stadt – Zukunftsstadt“ durchaus kluge Überlegungen, wie man auf den Flächen, die in Neustadt zurückgebaut wurden, wieder Wohnraum schafft für Menschen, die nicht im typischen Plattenbau wohnen wollen. Die Großraumsiedlungen würde ich deshalb nicht so einfach als zukünftige Ghettos abstempeln wollen, für Leute, die sich die Innenstadt nicht mehr leisten können. Sondern diese Stadtteile haben durchaus an Image gewonnen, insbesondere die Neustadt.
Ich bin übrigens auch als Student in die Neustadt gegangen und dortgeblieben, weil sie eben ihre Vorteile hat, und weil man auch dort Wohnungen finden kann, die sehr schön sind. Natürlich muss man dann dort auch Freizeitangebote haben, die es den Leuten ermöglichen, dass sie auch gerne dort sind. Das fängt bei der Kultur an und hört beim Sport noch lange nicht auf.
Transit: Also das Zentrum von Neustadt auch als Innenstadt begreifen? Vielleicht auch für diejenigen, die in Heide-Süd wohnen?
Lange: Das wäre sehr schön. Und die Idee von Halle-Neustadt als Zukunftsstadt ist ja genau die, den Weinbergcampus mit der Neustadt zu verbinden. Und der nächste Schritt wäre, Heide-Süd so stark mit der Neustadt zu verbinden, dass es da erstens zu einer sozialen Begegnung kommt und zweitens tatsächlich das Zentrum der Neustadt als Begegnungs- und Innenstadtzentrum für die Menschen in Heide-Süd begriffen wird. Wenn man den Park sieht, der dazwischen ist, die Weinbergwiesen, dann sieht man, wie viele Menschen sich dort bereits aufhalten. Wir haben da auch eine große Sportachse. In Neustadt gibt es viele attraktive Sportstätten, die auch von Menschen genutzt werden, die aus anderen Stadtteilen kommen: Skaterbahn, Handball, Fußball… Das ist ein großes Entwicklungspotential.
Transit: Kultur, Sport und Wohnen sind Indikatoren für Teilhabemöglichkeiten. Im bundesweiten Vergleich steht Halle bei der Armut, insbesondere der Kinderarmut, sehr schlecht da. Armut hat dabei insbesondere mit fehlenden Teilhabemöglichkeiten zu tun. Teilhabe kostet meistens Geld. Halle tut da schon einiges, Teilhabe für ärmere Menschen besser zu ermöglichen. Was wäre noch zu tun und machbar, um Familien, denen das nötige Geld fehlt, zu unterstützen?
Lange: Jetzt kommen wir an den Punkt, wo wir am Anfang waren: Was geht tatsächlich mit der SPD? Und mit der SPD und den Grünen geht an dieser Stelle sehr viel. Es wird eventuell noch in dieser Legislatur eine Initiative in Richtung kostenloses Mittagessen für Kinder aus Familien, die Arbeitslosengeld II beziehen, geben. Dass der eine Euro, der jetzt noch bezahlt werden muss, auch noch wegfallen kann. Da kann eine Kommune viel machen. Wir können auch unterstützen, wenn es um gesundes Frühstück geht, wo bspw. Landesprogramme abgerufen werden können.
Man wird als Kommune die individuelle Armut immer nur sehr bedingt bekämpfen können. Wir können aus dem kommunalen Haushalt ja nichts zuschießen. Wir brauchen also Unterstützungssysteme, die insbesondere von den Familien genutzt werden, die auch wirklich Unterstützung brauchen. Wenn ich mir den ein oder anderen Jugendclub in Halle-Neustadt anschaue, dann kann man da durchaus helfen, Menschen stärker betreuen und auffangen, die es wirklich schwer haben. Es war auch ein großer Fehler, den Jugendclub in Heide-Nord zu schließen. Dort würde ich mir wieder eine entsprechende städtische Freizeiteinrichtung wünschen. Wir werden auf jeden Fall überprüfen, was es an Möglichkeiten gibt. Gleiches gilt für Angebote in der Silberhöhe.
Wir müssen uns auf die Gebiete konzentrieren, wo wir tatsächlich eine große soziale Integrationsleistung vollbringen müssen und wo verstärkt Menschen leben, die Schwierigkeiten haben. Es ist die Kunst, die anderen dabei nicht abzuhängen. Es muss eine integrierte Entwicklung geben. Gleichwohl wird es, wenn es um Unterstützungssysteme geht, immer darauf ankommen, dass man sich auf bestimmte Bereiche konzentriert.
Transit: Du sprachst davon, die finanziellen Mittel und Ressourcen zu konzentrieren. Die sind bekanntermaßen knapp. Bernd Wiegand versucht sich als großer Wirtschaftslenker zu profilieren. Allerdings werden derzeit vor allem Jobs im Niedriglohnbereich, bei der Logistik geschaffen. Wie bewertest du diese Entwicklung?
Lange: Man muss bei der derzeitigen wirtschaftlichen Entwicklung unterscheiden: Was ist spezifisch hallesche Entwicklung und was ist eigentlich die makroökonomische Entwicklung? Wir haben einen Aufschwung in Deutschland, von dem Sachsen-Anhalt und Halle insgesamt unterdurchschnittlich profitieren. In Halle haben wir ein großes Potential nach oben. Ansiedeln um jeden Preis, verkaufen um jeden Preis – Hauptsache Halle in Bewegung, das ist ja jetzt das neue Motto – das funktioniert so nicht. Wir müssen mit einer vernünftigen Strategie herangehen und auch schauen, dass es Jobs gibt, die in den nächsten zehn Jahren noch existieren. Gerade in der Logistik wird noch viel passieren in den nächsten Jahren mit Automatisierung und Co.
Natürlich ist es gut, dass es weiter Arbeit für geringer qualifizierte Menschen gibt, für die wirtschaftliche Gesamtentwicklung brauchen wir aber dringend auch produzierendes Gewerbe in Halle. Dazu gehört auch die Belebung von Gewerbeflächen im städtischen Kern. Das ist ein schweres Geschäft, das darf man nicht unterschätzen. Und die Frage, wie attraktiv Halle nach außen ist, spielt da eine große Rolle. Und wir brauchen eine Orientierung auf die Stärken der Region in Kooperation mit dem Umland und mit den wissenschaftlichen Einrichtungen in der Stadt sowie der Kreativwirtschaft.
Transit: Im städtischen Kern hat sich die Identitäre Bewegung voraussichtlich dauerhaft eingerichtet mit dem Haus am Steintor-Campus. Die AfD dürfte bei der Kommunalwahl auch deutlich besser abschneiden als bei der letzten Stadtratswahl. Was kann man diesem Trend entgegensetzen?
Lange: Auf der einen Seite müssen wir den menschenverachtenden, rassistischen Ideologien ganz klar widersprechen. Und auf der anderen Seite jene gesellschaftlichen Strukturen stärken, die ein menschenfreundliches Klima in der Stadt gestalten. Eine Fachstelle Rechtsextremismus wurde durch unseren Antrag gemeinsam mit den Grünen zumindest im Haushalt verankert. Und jetzt müsste die Implementierung so schnell wie möglich geschehen. Das sollte dann auch so in die Stadtverwaltung integriert werden, dass da eine Person arbeiten kann, die dieses Aufgabenspektrum angemessen bewältigen kann und dafür auch eine passende Ausstattung hat, die Zivilgesellschaft an der Stelle mit zu unterstützen. Das ist auch eine Frage von Haltung, die Verwaltung an bestimmter Stelle zeigen muss – auch wenn es um Law-and-Order-Forderungen aus bestimmten Richtungen geht.
Transit: Stichwort Law-and-Order-Forderungen. Erwartest Du noch irgendeinen Kandidaten von der CDU oder machen das Wiegand und Lange unter sich aus?
Lange: *lacht* Nö. Ich erwarte, dass nach den großen Tönen, die der örtliche CDU-Kreisvorsitzende gespuckt hat, natürlich auch jemand von der CDU zur Oberbürgermeisterwahl aufgestellt wird. Davon gehe ich ganz klar aus. Aber das muss halt die CDU entscheiden. Das wäre schon erstaunlich, schließlich hat Herr Tullner der SPD ein Armutszeugnis ausgestellt, dass sie keinen eigenen Kandidaten aufstellen. Das kann man dann ja nur zurückgeben, wenn die CDU da nicht weiterkommt. Ich halte diese Verabredung auf ein rot-rot-grünes Bündnis übrigens nicht für ein Armutszeugnis, sondern es ist die Einsicht, dass man tatsächlich gemeinsam besser Politik betreiben kann.