„Raise your Voice against TERFs“

Demonstration gegen Trans*feindlichkeit in der linken Szene in Halle

von | veröffentlicht am 20.04 2022

Beitragsbild: Dani Luiz

Am 14. April zog eine feministische Demonstration gegen Trans*feindlichkeit in der linken Szene durch Halle, zu der das „Radikale FLINTA+ Kollektiv Ost“ aufgerufen hatte.




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Insgesamt schlossen sich laut Organisator*innen 150 Menschen der Demonstration an. Unterstützung bekamen die Aktivist*innen aus Halle vom Feministischen Kollektiv Gera, das gemeinsam aus Thüringen anreiste.

Die Aktivist*innen des neu gegründeten “Radikalen FLINTA+ Kollektivs Ost” schreiben im Aufruf, dass es in letzter Zeit in der linken Szene in Halle vermehrt zu diskriminierenden Äußerungen und Aktionen gekommen sei. Statt sich solidarisch mit marginalisierten Gruppen zu zeigen, würden Teile der linken Szene in Halle Menschen, die sowieso schon von beispielsweise Trans*feindlichkeit betroffen sind, zusätzlich das Leben schwer machen. Auch nicht-binäre, und A_gender Personen, Menschen muslimischen Glaubens oder kultureller Prägung, wie auch Sexarbeiter*innen, sowie Linke, die sich queerfeministisch engagieren und organisieren, seien Ziel dieser Anfeindungen aus sich als links verstehenden Gruppen gewesen, so der Aufruf des Kollektivs.
Als Beispiels dafür ist auch die Debatte um den studentischen Arbeitskreis Antifa (AK Antifa) zu nennen. (Einen ausführlichen Beitrag gab es hierzu im Transit Magazin).

Content Note

In diesem Text wird Trans*feindlichkeit, sexuelle und sexualisierte Gewalt und Täterschutz thematisiert.

Schweigeminute für trans*Mädchen gestört

Noch bevor die Demonstration startete, wurden von mehreren Personen Flyer der „AG No Tears for Krauts“ und der „Gruppe Artemis“ verteilt. Später entrollten diese ein Transparent mit der Aufschrift „Für den Feminismus, gegen den linken Totalitarismus“ und stellten sich erst neben und später in die Demonstration, offensichtlich um die restlichen Teilnehmer*innen zu provozieren.
Verschiedene Personen aus der Demo stellten sich vor die Gruppe, um das Banner zu verdecken. Immer wieder wurde versucht das Banner an anderen Stellen zu zeigen, dabei kam es mehrfach zu kleinen Auseinandersetzungen. Eine Situation führte dazu, dass die Polizei am Rand mehrere Personen befragte.

Am Anfang der Demonstration wurde eine Schweigeminute für das kürzlich lebensgefährlich verletzte 15-jährige trans* Mädchen Jess abgehalten.

Auch an dieser Stelle wurde die Kundgebung gestört, indem mehrere Personen während der Schweigeminute Musik über eine Bluetooth-Box abspielten. Auch ein Redebeitrag von Betroffenen sexualisierter Gewalt wurde mit lautem Lachen einzelner Personen gestört. Einige Teilnehmer*innen berichteten daneben von persönlichen Anfeindungen und einer übergriffigen Situation durch Teile der Gruppe um die oben erwähnten Störenden.

Als sich die Demonstration in Bewegung setzte, rannten die Personen mit dem Banner der „AG No Tears for Krauts“ an die Spitze des Aufzugs und versuchten diese anzuführen. Eine Strecke die Ludwig-Wucherer-Straße entlang nahmen die Personen weiterhin an der Demonstration teil und verteilten Flyer an Passant*innen. Später entfernten sich die störenden Personen und der Aufzug ging weiter zum August-Bebel-Platz, wo eine kurze Zwischenkundgebung stattfand. Anschließend zogen die Demonstrant*innen über die August-Bebel-Straße und den Joliot-Curie-Platz zum Universitätsring, wo am Campus die Abschlusskundgebung stattfand.

„Wir alle kennen Betroffene, aber niemand kennt Täter“

In einem Redebeitrag von Minzgespinst wurden die zahlreichen Diskriminierungen, die trans* Personen beispielsweise aktuell in den USA erleben, thematisiert. Neue Gesetzgebungen in mehreren Bundesstaaten sollen das Betreuen und Beraten von trans* Jugendlichen unter Strafe stellen und die Rechte von trans* und queeren Personen massiv einschränken [Q].

Doch nicht nur in den Vereinigten Staaten, auch in Deutschland gebe es an zahlreichen Stellen entwürdigende Maßnahmen. In Berlin müssten trans* Personen in der Charité üblicherweise einen Pädophilietest im Rahmen ihrer Zwangstherapie zur Transition machen. Während trans* Personen auch hier in Deutschland massive Diskriminierung erfahren, würde sich in Halle eine Gruppe gründen, die trans* Frauen aus ihrer Definition von Frau explizit ausschließe.
Dazu hieß es in der Rede:

Willkommen in der Stadt, in der über trans Personen und Toiletten diskutiert wird, als gäbe es keine wichtigeren Themen. Ich habe keine Angst vor einer trans Frau in einer Toilette. Nein, ich habe Angst vor einer Szene, in der Menschen vergewaltigt werden können und es niemanden interessiert“.

Von Teilen der Szene werde Transgeschlechtlichkeit als psychische Erkrankung geframed. „Auch so ist eine Pathologisierung, verbunden mit der Stigmatisierung psychischer Erkrankungen, nichts anderes als eine Dämonisierung von trans Personen“, heißt es im Redebeitrag weiter. Feminismus müsse Betroffene schützen, „anstatt trans Personen und vor allem trans Frauen als einen Feind darzustellen“. Im Jahr 2014 habe es auf einer linken Veranstaltung einen Fall von sexualisierter Gewalt gegeben, woraufhin einige Personen im im linken Hausprojekt VL Sätze geäußert hätten, wie z.B. “so, wie die herumgelaufen ist, wollte die das doch“. In der Reil78 hätte die Person um Hilfe gebeten, wurde aber stattdessen mit dem Problem alleine gelassen.
Während über trans* Personen und Toiletten diskutiert werde, wurde sexualisierte Gewalt in den eigenen Strukturen übersehen. Zusätzlich dazu erlebte Minzgespinst selbst trans*feindliche Äußerungen und zog letztendlich aus Halle weg. Trans*feindliche Strukturen, wie sie in Halle existieren, seien in letzter Konsequenz antifeministisch, hieß es in der Rede.

Intersektionalität

Der Redebeitrag von der Gruppe „Migrant Voices Halle“ handelte von Intersektionalität. Diese sei mittlerweile in der linken Szene ein beliebtes Schlagwort, werde aber oft nicht richtig verstanden. So hieß es im Redebeitrag: „Viele verstehen (…) nicht wirklich, was es heißt, in einer gewaltvollen Gesellschaft von mehreren Diskriminierungsformen betroffen zu sein.“ Y., die Person welche den Redebeitrag gehalten hat, ist trans* und of Color, das bedeute ein zweifaches Leid. Diese Mehrfachmarginalisierung bedeute jedoch auch eine Entscheidung zwischen wichtigen Kämpfen. Auf der einen Seite sehe Y. trans* Personen, die nicht aus der Ukraine flüchten können, sowie die entwürdigenden Gesetze und Entwicklungen in den USA. Auf der anderen Seite würden BIPoC auf der Flucht sterben und der rassistische Normalzustand herrsche weiter vor: „Intersektionalität heißt für mich auch doppelte Ohnmacht und doppelter Hass“. Y. erlebe sowohl Trans*feindlichkeit als auch Rassismus. Auch die linke Szene habe Probleme mit Trans*feindlichkeit und Rassismus.

„Sie verteufeln unsere Kämpfe als Identitätspolitik, die im Gegensatz zum eigentlich wichtigen Klassenkampf stehen. Dabei verkennen sie in ihrer Analyse, die seit Marx häufig nicht weitergeführt wurde, die engen Zusammenhänge zwischen der Produktions- und Lebensweise des Kapitalismus und den hegemonialen Verhältnissen wie Rassismus, Kolonialismus, Sexismus, Heteronormativität und Cisnormativität“.

Aufgrund dieser Zusammenhänge müsse sich eine antikapitalistische Haltung immer gegen jede Art von Diskriminierung und Ausgrenzung wenden. „Wenn z.B. eine Gruppe noch so tolle antirassistische Arbeit macht, aber sich transfeindlich positioniert, dann scheiße ich auf diese Menschen, denn ich brauche sie nicht und will sie nicht auf meiner politischen Seite wissen“. Solche Menschen hätten den Kern linkspolitischer Arbeit nicht begriffen. Es sei schon immer und werde auch immer um Emanzipation und Gleichberechtigung gehen.

In einem weiteren Redebeitrag wurde betont, dass Feminismus die Befreiung aus kapitalistischen Zwängen bedeuten müsse. Patriarchale Strukturen und unsere Wirtschaftsweise seien eng verwoben und würden zahlreiche Unterdrückungsverhältnisse erschaffen, die nur gemeinsam überwunden werden könnten.

Täterschutz

Eine Rednerin thematisierte Täterschutz in der linken Szene und die eigenen sowie die Erfahrungen der Schwester mit sexualisierter und sexueller Gewalt. Der Redebeitrag wurde bereits am 8.März auf der Demonstration „Feminismus ist für alle gut“ des „Feministischen Bündnisses 8.März Halle“ gehalten. Das Gefühl, nicht allein zu sein und wirklich verstanden zu werden, habe den beiden geholfen, weshalb es wichtig sei, anderen Betroffenen zu zeigen, dass sie nicht alleine stehen. „Wir sind keine Opfer! Wir können handlungsfähig sein oder werden. Gleichzeitig finden wir es wichtig, all den Menschen, die nicht betroffen sind aufzuzeigen, was ihr Handeln für Konsequenzen hat. Sowohl im positiven als auch im negativen Sinne.Alle Menschen sollten sich hinterfragen und das eigene Handeln reflektieren. Linke sollten aufhören, nicht wahrhaben zu wollen, dass sie in einem System sozialisiert wurden, dass patriarchal, sexistisch und gewaltvoll sei. Aufgrund einer linken Haltung würde eine Person nicht automatisch weniger patriarchale, sexistische oder gewaltvolle Verhaltensweisen reproduzieren.

Wir streiken heute und auch jeden weiteren Tag in wütender, emotionaler und verstehender Solidarität zu allen Betroffenen sexueller und sexualisierter Gewalt!“

Am Schluss bedankten sich die Organisator*innen für die Unterstützung und die erfolgreiche Aktion, die auch gezeigt habe, weshalb weiter gegen Trans*feindlichkeit in der linken Szene gekämpft werden müsse. Die Polizei schien teilweise stark überfordert mit einem stark aufgeheizten innerlinken Konflikt. Auch nach außen zeichnete sich teilweise ein skurriles Gesamtbild. Eine Demonstration, die die linke Szene kritisierte wurde selbst Ausdruck dafür, weshalb die Aktivist*innen auf die Straße gingen.

Trans*feindlichkeit

Auf den Flyern der „AG No Tears for Krauts“ (AG NTFK) mit dem Titel „Die verfolgende Unschuld“ werden die Organisator*innen und Teilnehmer*innen der Demonstration als „örtliche Butler-Jugend“ verunglimpft, mit dessen „Umtrieben“ man sich bisher nicht beschäftigen wollte. Die „AG NTFK“ wolle „nichts mit den Kinderkreuzzügen verwöhnter Mittelstandkids zu tun haben, die auf dem Rücken des tatsächlich oft großen Leidensdrucks und der Diskriminierung von Transpersonen ihren Narzissmus ausleben“. Die „woke Queerszene“ sei frauenfeindlich und wolle die Erfolge der Frauenbewegung rückgängig machen. Nicht nur das, die „Transszene“ sei eine Männerrechtsbewegung. In trans*feindlicher Manier wird hier behauptet, trans* Frauen würden cis Frauen ihre Listenplätze, Preise, Stipendien und Schutzräume nehmen. Weiter sei das „woke Transgedöns“ ein Projekt der alten weißen Männer von Morgen, „die sich ihre Privilegien über den Umweg der Queerszene zurückerobern wollen“.

Der Queerfeminismus betreibe einen neuen Totalitarismus, denn er würde zu Denk- und Sprechverboten tendieren. Auch auf dem Banner der AG wurde dieses Narrativ aufgegriffen. Hier lautete die Losung „Für den Feminismus, gegen den linken Totalitarismus“. Am Ende des Textes steht: „Gegen die Instrumentalisierung von Transpersonen durch das woke Milieu! Gegen die woke Anti-Antifa!“. Wie bereits mehrfach während der Debatte um die Auflösung des Arbeitskreis Antifa des Studierendenrats der Universität wird hier Queerfeminist*innen und Kritiker*innen der Trans*feindlichkeit „Anti-Antifa“ Arbeit vorgeworfen.

Mit den Formulierungen, die sich teils solidarisch mit den „echten“ trans* Personen zeigen, versuchen die Mitglieder der „AG NTFK“ von ihrer Trans*feindlichkeit abzulenken. Wenn man vermeintlich solidarisch mit trans* Personen sei, könne man nicht trans*feindlich sein.

In einem Rückblick der „AG NTFK“ auf die Demonstration wird eine trans* Person bewusst mit Deadname genannt. [1]

Die „Gruppe Artemis“ spricht in ihrem Flyer von der „Transphobie-Keule“ und dem „Genderhype“ und übernimmt damit einen Begriff, der sonst eher bei Konservativen und Rechten Verwendung findet. Besonders der Flyer der „AG NTFK“ zeigt deutlich, dass das durch die Organisator*innen angesprochene Problem real und Trans*feindlichkeit in der linken Szene verbreitet ist, besonders in Halle zeige sich das Problem deutlich. Bilke Schnibbe schreibt dazu in der Analyse&Kritik:

Transgeschlechtliche Menschen sind eine relativ kleine gesellschaftliche Gruppe, die auf die Unterstützung und Solidarität von Verbündeten gegen den massiven Gegenwind angewiesen sind. Das ist umso wichtiger, weil die antifeministischen und transfeindlichen Erzählungen auch in linken Kontexten als »normale Kritik« präsentiert und folgend nicht als ideologisch rechts erkannt werden.

Anstatt trans* Personen zu stigmatisieren, müssten Feminist*innen sich für die Betroffenen einsetzen und sich solidarisch zeigen, statt sie aus ihren Kämpfen auszuschließen.

[1]: Hierbei ist anzumerken, dass „[d]as sogenannte Deadnaming […] eine weit verbreitete Praxis [ist], kritische Stimmen in einer Debatte gewaltsam zu unterdrücken“ (siehe: https://transit-magazin.de/2022/03/studentische-cancel-culture/).

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.

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