Klimapolitik in der aktuellen Krisendynamik

Die Klimakatastrophe scheint angesichts der aktuellen Krisendynamik in den Hintergrund zu treten, doch der Schein trügt.

von | veröffentlicht am 24.03 2022

Beitragsbild: Dani Luiz

Am Freitag, 25.03.2022 ist globaler Klimastreik. Das nimmt Fridays For Future Halle zum Anlass, über die Fehler und Gefahren der aktuellen Klimapolitik zu schreiben. In Halle ruft ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis am Freitag zur Demonstration um 14:00 Uhr auf dem Markt auf.




diesen Beitrag teilen

Die Klimakatastrophe scheint angesichts der aktuellen Krisendynamik in den Hintergrund zu treten, doch der Schein trügt. Für die Permafrostböden unserer Erde wird es ab 2040 schlicht zu warm, zu diesem Schluss kommt eine Studie, die Richard Fewster und sein Team von der University of Leeds veröffentlichten.[1] Eine andere Forschergruppe um Poul Christoffersen von der englischen University of Cambridge fand kürzlich heraus, dass Grönlands Gletscher mit einer Schmelzrate von 14 Millimeter Eis pro Tag im Spätsommer und Herbst 2014 100-mal schneller schmolzen als in Schätzungen angenommen.[2]

Wer den Wind sät...

Doch auch in Deutschland sind heute die Folgen des rücksichtslosen Verhaltens vieler großer Konzerne und Aktionäre zu sehen. Extremwetterereignisse mit Todesfolge wie die Flutnacht im Ahrtal 2021 nehmen rapide zu. Das hat uns auch der vergangene Winter 2021/22 mit seiner Sturmserie aus „Ylenia“, „Zeynep“ und „Antonia“ gezeigt. Der Versicherungsmakler Aon rechnet mit versicherten Schäden von rund 1,6 Milliarden Euro allein für diese drei Stürme.[3] Jeder Euro der in Klimaschutz gesteckt wird, also in die ökologische Transformation hin zu einer CO2-neutralen Gesellschaft, mildert die Folgekosten der Klimakatastrophe für unsere Gesellschaft um ein Vielfaches [Q].

Kein neues Geld für den Klimaschutz

Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat jüngst 200 Mrd. Euro für eine solche Transformation bis 2026 angekündigt. Das klingt erst mal wie ein Befreiungsschlag, entpuppt sich aber bei genauerer Betrachtung als Luftnummer. Denn 110 Mrd. Euro kommen aus einem Klimafonds der alten Regierung aus CDU und SPD, welcher sich aus Rücklagen, Zuweisungen aus dem regulären Haushalt und Einnahmen aus dem Emissionshandel speist. So stehen bis 2025 ca. 20,7 bis 30,4 Mrd. Euro jährlich zur Verfügung. Weitere 60mrd kommen aus dem Nachtragshaushalt für 2021, den die neue Regierung aus SPD, Grünen und FDP im Januar dieses Jahres beschlossen hatte. Sind wir also bei 170 Mrd. Nur die übrigen 30 Mrd. Euro sind tatsächlich neu. Allerdings geht die aktuelle Rechnung der Regierung auch ein Jahr länger, daher scheint dieses „neue“ Geld einfach nur eine Weiterführung des alten Klimafonds um ein Jahr zu sein.[4]

Die Gesellschaft trägt die Kosten versäumter Politik

Aktuell sorgen sich viele über die hohen Energiepreise. Vor allem die Preise an den Tankstellen für Benzin und Diesel lassen vielen Autofahrer*innen die Haare zu Berge stehen. Dabei ist die aktuelle Miesere nur ein Beispiel für die oben genannte Thematik. Jetzt müssen alle den tiefgreifenden Umbau unserer Gesellschaft bezahlen, tragen die Kosten der hohen Energiepreise und der galoppierenden Inflation und zusätzlich baut Deutschland neue Flüssiggasterminals. Hätte die Bundesregierung die letzten 16 Jahre beim Ausbau der erneuerbaren Energien nicht auf die Bremse gedrückt, hätten wir nur den Umbau bezahlen müssen und wären günstiger weggekommen. Doch sind für die aktuellen Probleme nicht nur die vier Merkelregierungen und die Koalitionspartner anzuprangern, sondern auch die Grünen. Sie waren von 1998 bis 2005 an der Regierung beteiligt und stellten nur bedingt die Weichen für eine zukunftsorientierte Klimapolitik.

Die Kosten erneuerbarer und fossiler Energien

Dabei sind die erneuerbaren Energien sowohl im Preis pro Kilowattstunde als auch bei den CO2-Emissionen günstiger als alle anderen Energiequellen [Q]. Rechnen wir die Investitionsausgaben, jährliche Gesamtkosten, die wirtschaftliche Nutzungsdauer und die Umweltkosten mit ein, dann kostet uns die Kilowattstunde bei Braun- und Steinkohle zwischen 25 und 28,98 Cent. Weitere Kosten fallen für Bergschäden und Wasserhaltung an. Für diese Ewigkeitskosten bei Steinkohle veranschlagt die RAG-Stiftung allein in NRW 280 Millionen Euro jährlich. Das Umweltbundesamt rechnet bei Braunkohle übrigens ohne Ewigkeitskosten, allerdings hat die RWE Power AG 2017 die Rückstellungen für die Renaturierung von Braunkohlebergbaufolgelandschaften auf 2,174 Milliarden Euro beziffert. Bei Gaskraftwerken liegt der Preis bei 7,78 bis 21,94 Cent plus Umweltkosten von rund 8,60 Cent pro Kilowattstunde. Überraschenderweise gibt es keine aktuellen Daten zu den Kosten der Atomenergie. Sie belaufen sich jedoch nach dem Frauenhofer Institut auf ca. 13 Cent und laut Greenpeace (2017) zwischen 6,2 und 15,2 Cent. Zudem empfiehlt das Umweltbundesamt sich bei den Folgekosten an den Umweltkosten von Braunkohle, also 21 Cent pro Kilowattstunde zu orientieren. Fakt ist, dass für die Lagerung und aller damit verbundener Probleme, der Bund und damit der Steuerzahler aufkommen muss. Die Betreiber haben dafür 24,1 Milliarden Euro in einen Fond(s) der Bundesregierung für die Zwischen- und Endlagerung eingezahlt. Sollten in Zukunft höhere Kosten entstehen, müssen diese vom Steuerzahler beglichen werden. Weitere Kosten fallen für den Rückbau der Kraftwerke an.
Die erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne schneiden deutlich besser ab. Offshore Windanlagen liegen bei 8,07 bis 10,23 Cent und Windanlagen auf dem Land bei bis zu 14,07 Cent je Kilowattstunde inklusive Umweltkosten wie Herstellung, Aufstellung, Wartung und Recycling. Je nach Anlagentyp und Einstrahlung kostet die Stromherstellung in PV-Anlagen zwischen 3,71 und 11,54 plus 1,64 Cent pro Kilowattstunde Umweltkosten. Davon entfallen 1,2 Cent auf den CO2-Ausstoß bei der Herstellung.[5]
Ähnlich wie bei den Kosten sieht es beim CO2-Ausstoß über den gesamten Lebenszyklus aus. Braunkohle emittiert 1034 Gramm Kohlenstoffdioxid je Kilowattstunde, Steinkohle 864, Erdgas 442 und Atomkraft 117. Besser schlagen sich die Erneuerbaren; Photovoltaik 33, Windkraft an Land 9, Offshore 7 und Wasserkraft stößt nur 4 Gramm CO2 pro Kilowattstunde aus.[6] Allerdings greift Wasserkraft auch am meisten in die Umwelt ein und zerstört Laichplätze für Fische, da die Dämme ein unüberwindbares Hindernis darstellen. Zudem stören die riesigen Bauwerke den Sedimentfluss.[7]

Profite über Alles

Bei diesen Fakten drängt sich die Frage auf, warum so lange an den herkömmlichen Methoden zur Stromerzeugung festgehalten wurde? Die Regierung stellte offensichtlich die Profite der Energiekonzerne über die Interessen der Menschen. Anders ist es nicht zu erklären, dass mit den Abstandsregeln für Windkraftanlagen der Ausbau dieser nahezu zum Erliegen gebracht wurde. Kritikpunkte, die oft gegen die Windenergie hervorgebracht werden, entpuppen sich bei näherer Betrachtung außerdem oft als kaum relevant oder sogar falsch. So ist der Infraschall von Windrädern schwächer als behauptet. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe musste eine Studie zum Thema wegen Rechenfehlern zurückziehen.[8] Und gehen Schätzungen zwar davon aus, dass jährlich circa 100.000 Vögel durch Windkraftanlagen umkommen, stellen Glasscheiben mit circa 18 Millionen toten Vögeln und Katzen mit noch höheren Zahlen eine weitaus größere Bedrohung dar.[9]

Der Fall Kohle

Die Energiekonzerne wurden für die Abschaltung ihrer fossilen Kraftwerke reichlich beschenkt. Für die bei steigenden CO2-Preisen immer weniger rentabel werdenden alten Kohlekraftwerke gab es eine Abwrackprämie von 4,35 Milliarden Euro.[10] RWE bekommt 2,6 Milliarden Euro: Das ist auch kein Wunder, hat die Politik doch schon öfter gezeigt auf welcher Seite sie im Rheinland steht. 2018 wurde die Polizei kurzerhand zum Erfüllungsgehilfen des Konzerns und räumte illegaler Weise Baumhäuser im Hambacher Wald.[11] Auch die LEAG im Osten Deutschlands bekommt 1,75 Milliarden Euro an Steuergeld. Der Konzern stand zuletzt in der Kritik, weil er seit 2017 etwa 240 Millionen Kubikmeter mehr Grundwasser aus dem Tagebau Jänschwalde gepumpt hatte als erlaubt. Das Cottbuser Verwaltungsgericht gab am 18.03.2022 einem Eilantrag der Deutschen Umwelthilfe statt und stoppte den Weiterbetrieb des Tagebaus zum 15. Mai 2022 [Q] Nach Angaben des Rundfunks Berlin Brandenburg  vom 14.03.2022 bekam der Lausitzer Energieriese zusätzlich einen Kredit in Höhe von 5,5 Milliarden Euro von der Kreditanstalt für Wiederaufbau, kurz KfW.[12] Dabei warnten Recherchen von Correctiv und dem SPIEGEL schon 2021 davor, dass der neue Besitzer der LEAG und Mibrag, Daniel Křetínský und seine Energetický a Průmyslový Holding, die versprochene Renaturierung nicht bezahlen kann. Laut eines geheimen Sonderberichts zu den Risiken der Braunkohle des Sächsischen Rechnungshofes von 2017 sei das Ausfallrisiko mit der Übernahme von Leag und Mibrag durch EPH extrem gestiegen.[13] Auch die E.on-Abspaltung Uniper, die bis Oktober 2021 noch eine Mehrheitsbeteiligung von 58% am Kraftwerk Schkopau besaß, erhielt einen Kredit über 2 Milliarden Euro von der KfW.

Und täglich grüßt das Murmeltier – Atomkraft ade?

Für den Atomausstieg 2022 ließen sich die Kapitaleigner von Vattenfall, RWE, E.on und EnBW nochmals 2,4 Milliarden Euro auszahlen. Aktuell wird wieder über eine Verlängerung der letzten Atomkraftwerke Deutschlands debattiert, auf FFF Demos, wo mal wieder Nukleria e.V. ankommt oder in der presse: [hier + hier + hier + hier]. Dabei wird oft außer Acht gelassen, dass das Uran dafür überwiegend aus Russland und Kasachstan kam. Die Herstellung neuer Brennelemente zum Beispiel mit Uran aus Kanada würde rund 1,5 Jahre brauchen und daher unsere aktuelle Energiekrise nicht lösen. Zudem wurde den Betreibern die letzte umfangreiche Atomkraftwerkssicherheitsüberprüfung, welche turnusmäßig 2019 anstand, mit Blick auf die Abschaltung 2022 erlassen. Diese müsste bei einem Weiterbetrieb dringend nachgeholt werden. Für eine Reaktivierung schon stillgelegter Reaktorblöcke bräuchte es eine neue Betriebsgenehmigung, die nur bei Erfüllung der aktuellen Sicherheitsstandards erteilt werden kann.
Bleibt noch der Neubau von Atomkraftwerken. Diese wären Reaktoren der so genannten dritten und vierten Generation. Mit der Entwicklung des europäischen Druckwasserreaktor EPR aus Frankreich wurde 1989 begonnen. Dieser ist ein Reaktor der Generation III+, bis heute gibt es nur zwei laufende Kraftwerke dieses Typs, im chinesischen Taishan und im finnischen Olkiluoto. Beide Projekte überschritten die geplante Bauzeit und Kosten deutlich. Das britische Atomkraftwerksprojekt in Hinkley Point kann sich ohne weiteres mit dem Berliner Flughafen BER messen lassen. In Frankreich haben am Standort Flamanville 2007 die Bauarbeiten begonnen, geplante Bauzeit 5 Jahre, bis heute ist keine einzige Kilowattstunde Strom erzeugt worden, allerdings haben sich die Kosten von 3,3 auf 19,7 Milliarden Euro erhöht.[14]
Bleiben noch Reaktoren der vierten Generation. Darunter fallen insgesamt sechs verschiedene Reaktortypen, wobei vier aktuell näher erforscht werden. Auch Deutschland beteiligt sich trotz Atomausstieg an der Entwicklung. In China steht vermutlich der erste experimentelle Flüssigsalzreaktor der Welt. In Hamm-Uentrop betrieb Deutschland bereits Ende der 80er einen schnellen, gasgekühlten Reaktor. Der THTR-300 lief nur 426 Tage unter Volllast, es kam zu einem Störfall, bei dem eine Wolke radioaktiver Aerosole aus dem Kamin in die Luft geblasen wurde. Das Projekt kostete 5 Milliarden Mark, dreiviertel davon zahlte das Land und der Bund. Jährlich kommen 6,5 Millionen Euro für die Zwischenlagerung der Brennelemente in Ahaus und die Überwachung des Reaktors hinzu.[15] In der Ukraine zeigt sich zudem, dass das Betreiben von Atomkraftwerken im Kriegsfall keine gute Idee ist. Das Feuer in einem Zwischenlager für leichtradioaktiven Abfall, der Beschuss eines Atomkraftwerks und die Trennung der Atomruine in Tschernobyl vom Stromnetz sollten uns Warnung genug sein.
Doch solange sich mit dem Bau, Betrieb und der Stilllegung solcher Anlagen Geld verdienen lässt, wird es immer Stimmen geben, die den Bau neuer Anlagen oder den Weiterbetrieb alter Anlagen fordern. Denn auch mit dem Abbau von Uran, der Herstellung von Brennelementen und späteren Aufbereitung und Lagerung werden Profite erwirtschaftet. Das zeigt sich auch bei der Sperrung des EU-Luftraumes für russische Airlines; ausgenommen sind humanitäre Flüge und Brennelemente.
Es gibt also einen Unterschied zwischen den Bedürfnissen des eigenen Lebens und den Bedürfnissen des Kapitals, dies ist ein grundlegender Widerspruch im Kapitalismus. Die Regierungen stellen die wirtschaftlichen Interessen über das Leben der Menschen, bei der Coronapandemie, der Klimakatastrophe oder im Krieg, egal aus welchen Farben sie besteht.

Gegen diese Politik, ein Ende der fossilen Energien und für eine sozial-ökologische Transformation gehen am Freitag, den 25.3. weltweit Schüler:innen, Auszubildende, Studierende und Arbeiter:innen unter dem Slogan „People not Profit“ auf die Straße. In Halle hat sich ein zivilgesellschaftliches Bündnis von Gewerkschaften, Umweltverbänden, Bildungsinitiativen und Menschenrechtsorganisationen zusammengefunden und ruft gemeinsam am Freitag zur Demonstration um 14:00 Uhr auf dem Markt auf.

Quellen

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.