Kein Geld und keinen deutschen Pass = Kein Kind

Eine Reportage über die Hindernisse und Schwierigkeiten von einem Paar mit Kinderwunsch – aber ohne deutschen Pass.

von und | veröffentlicht am 26.01 2022

Beitragsbild: Magdalena Gatz

Warum haben im Adoptionsverfahren ein deutscher Pass und das Beherrschen der deutschen Sprache mehr Bedeutung, als die Bereitschaft, Verantwortung für ein Kind zu übernehmen?




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Es ist Herbst, die Kälte wird langsam unangenehm und nur die aktuelle Pandemie lässt Menschen auf die Idee kommen, sich für ein Gespräch draußen zu treffen. Das Paar hat sich auf ein Interview mit der Autorin in einem Gemeinschaftsgarten eingelassen. Sie kennen sich von der gemeinsamen Gartenarbeit. Rahman [1] trägt eine schwarze Brille mit dickem Rand, er hat schon einige graue Haare, die in einem Seitenscheitel nach rechts gegelt sind. Soraya trägt eine grüne Mütze mit grauem Bommel, ihre Jacke ist lila, im Gesicht trägt sie eine weiße Coronaschutzmaske. Beide tragen dicke Jacken, als sie in den Gemeinschaftsgarten zwischen den Plattenbauten kommen.

‚Das war sehr traurig, als ich es erfahren habe und ich habe viel geweint – warum kann ich kein Kind bekommen? Ich verstehe es nicht. Ich bin alleine hier, mein Mann geht arbeiten und ich bin traurig und weine viel.‘ Soraya und Rahman kennen keine anderen Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie sie. Sie sind ratlos und wissen nicht, was sie machen können. Deswegen haben sie sich auch für ein Gespräch bereiterklärt. Sie wollen nun öffentlich über ihre Situation sprechen. Dadurch erhoffen sie sich, so möglicherweise Unterstützung zu bekommen oder mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen, die in einer vergleichbaren Situation sind. Sie wünschen sich, ein eigenes Kind zu bekommen oder ein Kind zu adoptieren. ‚Es ist egal‘, sagt Rahman. Für ihn sei es egal, dass seine Frau kein Kind bekommen kann. Er möchte ein Kind mit ihr ‚akzeptieren, äh adoptieren‘ korrigiert er sich, egal aus welchem Land oder mit welcher Hautfarbe. ‚Wir wollen nicht alleine leben‘, sagt er.

‚Wir wollen auch nicht mehr abhängig vom Jobcenter sein. Ich will auch arbeiten gehen, damit ich dann ein Kind adoptieren kann‘, spricht Soraya mit Überzeugung. Das Bundesamt für Familie, Senioren, Frauen und Kinder setzt für eine Adoption voraus, dass das Kind in wirtschaftlich stabilen Verhältnissen aufwächst. Deshalb müssen die aufnehmenden Personen ihre finanzielle Lage offenlegen. Noch während des Interviews wählt sie mit ihrem pinken Telefon die Nummer eines Bäckereigeschäfts, von dem sie gehört hat, dass Personen zum Verpacken der Ware gesucht werden. Sie beißt sich auf die Unterlippe und lauscht mit gespanntem Blick dem Tuten im Telefon, während im Hintergrund ein paar Vögel zwitschern und laute Kinderstimmen vom Schulhof in der Nähe herüberschallen. Während sie telefoniert steht Rahman auf, stemmt die Hände in den Hüften und schaut mit festem Blick in die Ferne des Gartens. Das Telefonat bleibt zu dem Zeitpunkt unbeantwortet. Am Tag nach dem Interview schickt Soraya ihre Bewerbungsunterlagen zu der Bäckerei. Eine positive Rückmeldung blieb bisher leider aus.

2017 war Soraya das erste Mal bei einer Ärztin wegen ihres Kinderwunschs, damals war sie 33 Jahre alt. Die Ärztin erklärte ihr, dass sie keine Kinder bekommen könne, denn sie habe keine Eierstöcke mehr. Für Soraya war das in dem Moment eine neue Information. Sie kann sich nicht erinnern, was passiert sein soll. Auch die Ärztin hat keine Erklärung. Nur an eine Sache könne sich Soraya erinnern. Einmal habe sie sehr große Angst gehabt. Als sie zehn oder elf Jahre alt war gab es Krieg in der afghanischen Stadt, in der sie lebte. An dem Tag kamen Menschen mit Waffen in ihr Haus und sagten, dass alle Männer jetzt mitkommen müssen in den Krieg. ‚Ich hatte sehr große Angst‘, flüstert Soraya. ‚Vielleicht ist es deswegen, dass ich keine Kinder bekommen kann. Sie hielten mir die Waffe an den Kopf und zwangen mich so das Essen vorzubereiten.‘

‚Ich will ein Kind haben‘, sagt Soraya und ihre Augen füllen sich mit Tränen. In ihrem Satz schwingen zugleich Überzeugung und Hoffnungslosigkeit mit. Rahman wendet den Blick ab. In Deutschland ist jede:r Zehnte im Alter zwischen 20 und 50 Jahren ungewollt kinderlos. 2020 standen für eine Adoption 883 Kinder frei.

Die Ärztin sagte zu Soraya, sie können ihr nicht helfen. Das Paar könne die Situation nur akzeptieren oder ein Kind adoptieren. Sie könnten auch nach Polen oder Tschechien gehen, um eine Leihmutter zu finden. In Deutschland ist Leihmutterschaft nach dem Embryonenschutzgesetz (EschG) verboten. In einigen europäischen Ländern ist Leihmutterschaft aber erlaubt. Neben Polen beispielsweise auch in Belgien, den Niederladen, Dänemark oder Griechenland. Die Kosten für eine Leihmutterschaft liegen zwischen 50.000 – 180.000 Euro. Soraya könne sich vorstellen irgendwie das Geld aufzutreiben und ins Ausland zu gehen um eine Leihmutter zu finden, doch sie spreche dafür nicht gut genug Englisch. Auch wegen der Coronapandemie sei es gerade schwierig ins Ausland zu gehen. ‚Die Zeit steht nicht still‘, sagt Soraya. Mit ihren mittlerweile 37 Jahren sorgt sie sich, welche Möglichkeiten ihr noch offen stehen ein eigenes Kind zu begleiten.
Doch auch wenn eine Leihmutterschaft theoretisch in Frage käme, muss auf diese auch eine Adoption durch Soraya folgen. Der Vater ist als Samenspender zwar gesetzlicher Elternteil, doch dann muss immer noch eine Adoption des Kindes durch die Mutter stattfinden. Aus diesen Gründen kommt für das Paar keine Leihmutterschaft in Frage.

Rahman sagt, er habe von einem Freund gehört, dass er zunächst die deutsche Niederlassung, also die deutsche Staatsbürger:innenschaft erhalten muss, um ein Kind zu adoptieren. Für die Anerkennung der deutschen Staatsbürger:innenschaft müsse er ein B1-Sprachniveau vorweisen können und einen Integrationskurs gemacht haben. Ob sie das schon getan haben, beantworten beide mit bejahendem Kopfnicken. Wer sonst in Deutschland muss einen Orientierungskurs machen und ein bestimmtes Sprachniveau vorweisen, um ein Kind zu bekommen?
Rahman sagt: ‚Jetzt muss ich fünf Jahre arbeiten und mich gut organisieren, orientieren und dann kann ich die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen‘. Soraya ergänzt: ‚Vielleicht ist es am Ende unwichtig, ob wir ein Kind adoptieren oder ein eigenes Kind bekommen. Wir wollen Mutter und Vater sein‘.

Wenn eine Frau in Deutschland keine Kinder bekommen kann, ist die einzige Option eine Adoption oder Pflegschaft [2]. Beides unterliegt einem intensiven Prüfverfahren. Dabei werden die Personen, die ein Kind aufnehmen möchten, in Bezug auf ihre Persönlichkeit, die Stabilität ihrer Partner:innenschaft, wirtschaftliche Verhältnisse, ihre Vorstellung von Erziehung, Gesundheit und ihre Wohnsituation geprüft. Wenn ein Mann keine Kinder zeugen kann, gibt es verschiedene legale Reproduktionstechniken, wie die künstliche Befruchtung oder die Insemination von Spendersamen. Diese Behandlungen werden teilweise sogar finanziell unterstützt, allerdings nur für heterosexuelle Paare. Warum gibt es keine finanziellen und beraterischen Unterstützungsstrukturen für Menschen, die sich entscheiden, ihre Kraft in die Begleitung von Kindern zu setzen, die zur Adoption freigegeben wurden?

Eine Woche nach dem Interview treffen sich Soraya und die Autorin wieder. Vor Soraya liegt ein Block auf dem Tisch, auf dem sie wörtlich notiert hat, was sie die Person bei der Adoptionsvermittlungsstelle fragen will. Aus dem Lautsprecher des Telefons ertönt eine Stimme: ‚Ja, was wollen Sie denn?‘. Soraya erklärt in gebrochenem, aber verständlichem Deutsch, dass sie gern einen Termin vereinbaren möchte, da ihr Mann und sie ein Kind adoptieren möchten. Die Frau am anderen Ende des Telefons atmet einmal tief auf und fragt zögerlich, ob es sich um eine Adoptionsvermittlung oder um eine Adoptionsfreigabe handele. Soraya betont, dass sie gerne ein Kind adoptieren möchte. ‚Haben sie denn eine deutsche Staatsbürgerschaft?‘ – am Ende des Satzes wird sie leiser und offensichtlich unsicher. Sie scheint selber nicht zu wissen, ob diese überhaupt relevant sei. ‚Noch habe ich diese nicht‘, antwortet Soraya, sie komme aus Afghanistan. Selbst durchs Telefon ist zu hören, dass sich die Frau am Telefon eine Notiz macht und sagt, dass sie prüfen müsse, ‚ob das überhaupt möglich sei, ohne deutsche Staatsbürgerschaft‘. Wer, wenn nicht sie, müsste diese Frage beantworten können? Es ist sehr schwierig Informationen zu dieser Frage zu bekommen. Auf diversen Internetseiten zum Thema Adoption wird sie einfach nicht gestellt. Ist es wirklich das erste Mal, dass die Person der Vermittlungsstelle mit einem Menschen zu tun hat, der keine deutsche Staatsbürger:innenschaft hat? Am Ende des Telefonats hat Soraya mit Rahman einen Termin in drei Wochen bei der Adoptionsvermittlungsstelle.

Wie es für die Familiengründung der beiden weiter geht, ist zu diesem Zeitpunkt noch offen aber das Paar geht ihren Weg weiter und hält sich an der Hoffnung fest, irgendwann mit einem Kind zusammen zu leben.


[1] Die Namen der Personen wurden auf ihren Wunsch geändert.

[2] Der Unterschied zwischen einer Pflegschaft und einer Adoption ist, dass bei einer Pflegschaft die Möglichkeit für das Kind offen bleibt zu einen späterem Zeitpunkt zu den leiblichen Eltern zurückkehren. Bis dahin bleibt auch das Sorgerecht entweder bei den leiblichen Eltern oder beim Jugendamt. Bei einer Adoption werden die adoptierenden Eltern zu rechtlichen Eltern und tragen gesetzlich Sorge für das Kind.

Über die Autorin

Magdalena Gatz interessiert sich dafür soziale Ungerechtigkeiten sichtbar zu machen.

Diese Reportage entstand im Rahmen der Schreibwerkstatt, die im Winter 2021 stattfand.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.