Gesetzesverschärfung mit (un)absehbarer Tragweite

Wie das neue Versammlungsgesetz Willkür ermöglicht

von und | veröffentlicht am 23.12 2020

Beitragsbild: Transit | CC BY 2.0

Die Regierungskoalition versucht ein Gesetz durchzudrücken, das in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 GG eingreift. Dabei ignoriert sie bewusst oder unbewusst, dass die Notwendigkeit eines Eingriffs aktuell nur in Einzelfällen besteht. Doch ein Gesetz hat immer weitreichendere Folgen, als auf das Einzelphänomen beschränkt zu sein, und kann zum politischen Instrument werden.




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Es ist Montag in Halle. Auf dem Markt steht ein Mann auf einem weißen Van. Er spricht darüber, dass Deutschland eine Diktatur sei, erspinnt Verschwörungstheorien, äußert sich rassistisch und lässt sich dabei von einer kleinen Menge beklatschen. Der Mann ist der “Nazi-Schreihals” Sven Liebich, wie ihn der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Rüdiger Erben betitelte. Bereits seit 20 Jahren tritt Liebich besonders in Halle im rechtsextremen Spektrum auf, hetzt gegen Geflüchtete, die Presse oder Politiker*innen. Erst vor Kurzem wurde er wegen Volksverhetzung vom Amtsgericht Halle zu einer elfmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Des Weiteren nahm Sven Lieblich in den letzten Monaten an mehreren verschwörungsideologischen Demonstrationen der Gruppe Querdenken teil oder führte diese wöchentlich selbst durch, um seine Hetze und Verschwörungstheorien zu verbreiten. Bei dem Aufmarsch der Querdenker*innen in Leipzig am 07. November war Liebich maßgeblich an einem Angriff auf Pressevertreter*innen beteiligt. Als am 18. November erneut eine derartige Großdemonstration in Berlin stattfand, forderte er die Polizei hysterisch dazu auf, doch auf die Menschen in der ersten Reihe zu schießen.

Selbst der Verfassungsschutz des Landes Sachsen-Anhalt führt Sven Liebich jährlich namentlich auf und ordnet ihn ganz klar eine schwerwiegende Rolle in der rechtsextremistischen Szene zu. Und trotzdem ist es dem Faschisten möglich, immer wieder auf dem Marktplatz zu demonstrieren, während die Stadt weitestgehend zuschaut und nicht sanktioniert. Weder, dass er seine Versammlungen bis ins Jahr 2065 anmelden möchte, noch, dass auf den Demonstrationen regelmäßig, durch “Judensterne” mit der Aufschrift “ungeimpft”, der Shoah verharmlost wird. Mario Schwan, Leiter der Polizeiinspektion Halle, die gleichzeitig die Versammlungsbehörde inne hat, sieht in Bezug auf Liebich keine Handlungsmöglichkeiten. In einem Interview mit der Mitteldeutschen Zeitung vom 25. September erklärte er, dass keine Anhaltspunkte vorliegen, die eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstellen würden. Bei wiederholten strafrechtlich relevanten Äußerungen und Übergriffen aus dem Umfeld der wöchentlichen Kundgebungen drängt sich die Frage auf: Warum eigentlich nicht, Herr Schwan?

Gesetzesverschärfung: Deutungshoheit über Ausübung des Grundrechts soll bei Versammlungsbehörde liegen

Nicht nur die Stadt Halle, sondern auch der Landtag sehen darin ein Problem – und das zu Recht. Wie kann es sein, dass es scheinbar keine Handhabe gegen Hass, Hetze und faschistische Weltbilder auf Kundgebungen gibt, in einem Bundesland, das sich gemäß des Artikels 37a seiner eigenen Landesverfassung als antifaschistisch definiert?

Die CDU sowie die anderen beiden Regierungsparteien SPD und Grüne glauben nun, eine Lösung gefunden zu habe. Es sei Zeit für ein neues, strikteres Versammlungsgesetz. Es steht außer Frage, dass eine politische Reaktion überfällig ist. Doch eine autoritäre Gesetzesverschärfung der Regierungsparteien kann – besonders im Hinblick auf die Versammlungsfreiheit – kein Akt des Antifaschismus sein.

Doch blicken wir zunächst darauf, was sich mit der Verschärfung des Versammlungsgesetzes tatsächlich ändern soll.

Eine für Halle wichtige Änderung ist, dass zukünftig nicht mehr die Polizei die Aufgaben der Versammlungsbehörde übernehmen soll. Die Anmeldung von Versammlungen und die Erteilung von Auflagen wird in Zukunft die Stadt selbst übernehmen. Versammlungsbehörde wird damit die Stadtverwaltung und das Ordnungsamt in Halle. Dies war ein expliziter Wunsch von Oberbürgermeister Bernd Wiegand und die Stadt soll für die Übernahme der Aufgaben eine finanzielle Unterstützung aus der Landeskasse erhalten.
Die Polizei wird natürlich weiterhin die Aufgabe haben, größere Veranstaltungen und Versammlungen zu begleiten und abzusichern. Daran wird sich nichts ändern. Es bleibt aber abzuwarten, ob das Rechtsamt der Stadt zukünftig anders mit Anmeldungen umgehen wird und ob Auflagen endlich gerichtsfest festgelegt werden und einer Prüfung des Verwaltungsgerichts standhalten.

Insbesondere in Bezug auf die zweite große Veränderung wird dies interessant. Mit der Veränderung des Versammlungsgesetzes sollen Einschränkungen und Verbote zukünftig nicht nur bei einer zu erwartenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, sondern auch bei einer Gefahr für die öffentliche Ordnung ermöglicht werden. Diese schwerwiegende Veränderung steht im Zentrum der Kritik von Gegner*innen der Gesetzesverschärfung. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit ist ein rechtlich klar definierter Begriff und er lässt vergleichsweise wenig Spielraum für Interpretationen. Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit liegt zumindest dann vor, wenn im Rahmen der Versammlung mit Rechtsverstößen bzw. Straftaten unmittelbar zu rechnen ist.
Der Begriff der öffentlichen Ordnung ist da schon schwieriger zu definieren: Öffentliche Ordnung – das ist die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird.

Soweit so unklar.

Und gerade diese unklaren und schwammigen allgemeinen Grundsätze des Zusammenlebens öffnen Tür und Tor, wenn es um Willkür von Seiten der Staatsmacht geht. Es wird einfacher, Versammlungen und Kundgebungen zu verbieten oder aufzulösen, wenn sie den Regierenden und Behörden nicht in den Kram passen, weil zum Beispiel kritische und unliebsame Botschaften propagiert werden.

Das Polizeiproblem in Sachsen-Anhalt wird immer offensichtlicher

Die Bezugnahme auf Art 37a der Landesverfassung im Wortlaut des neuen Gesetzestextes erscheint eher wie ein Feigenblatt, wenn man die Historie der Polizeiskandale betrachtet. Immer wieder kommen neue Rassismus- und Antisemitismusvorwürfe ans Licht. Im November sorgte ein anonymer Brief einer mutmaßlichen Polizistin für Aufsehen, die das „Macho-Klima“ innerhalb der Polizei anprangerte sowie fremdenfeindliche Äußerungen, die keine Einzelfälle, sondern an der Tagesordnung seien. Im Oktober wurden Vorwürfe gegenüber der Magdeburger Bereitschaftspolizei laut. Die dortigen Polizisten hätten den Kantinenbetreiber jahrelang antisemitisch beleidigt.

Und dann wäre da noch der nicht aufgeklärte Tod Oury Jallohs in einer Gewahrsamszelle im Polizeirevier Dessau, sowie das fragwürdige Verhalten der Behörden während des Anschlags am 9. Oktober 2019 in Halle sowie in den nachfolgenden Ermittlungen.

Tür und Tor für Willkür

Bei jeder Gesetzesverschärfung sollte auch bedacht werden, wie eine antidemokratische Partei diese Gesetze anwenden wird, wenn sie Regierungsmacht hat. 2021 ist Wahljahr in Sachsen-Anhalt und wie die Machtverhältnisse im Landtag dann verteilt sein könnten, lässt sich angesichts der Geschehnisse der letzten Monate düster erahnen. Ob dies den Koalitionsparteien SPD und Grüne bewusst ist oder ob sie es vielleicht sogar billigend in Kauf nehmen bleibt unbeantwortet.

Ein Blick nach Dresden zeigt, was ein strafferes Versammlungsgesetz in Verbindung mit politisch agierenden Behörden in der Konsequenz bedeutet. Dort wurde PEGIDA in den letzten Monaten und Jahren regelmäßig in Auflagen bevorteilt und der Gegenprotest kriminalisiert. Die Ordnungsbehörden handeln nahezu antidemokratisch. Bei PEGIDA schaut man weg, den Gegenprotest begleiten Repressionen. Das sind nicht ausschließlich sächsische Verhältnisse.

Die Regierungskoalition versucht ein Gesetz durchzudrücken, das in das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gem. Art. 8 GG eingreift. Dabei ignoriert sie bewusst oder unbewusst, dass die Notwendigkeit eines Eingriffs aktuell nur in Einzelfällen besteht. Denkt man sich die Geschehnisse rund um das Netzwerk Sven Liebich weg, fehlt jeder Anlass für eine Verschärfung des Versammlungsrechts. Ein Gesetz hat immer weitreichendere Folgen, als auf das Einzelphänomen beschränkt zu sein, und kann politisches Instrument werden.

Die dritte Verschärfung ist die Erweiterung des sogenannten Militanzverbotes. Bisher war es verboten im Rahmen einer Versammlung „uniformähnliche Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen, sofern davon eine einschüchternde Wirkung ausgeht“. Uniformähnlich meint damit tatsächlich eine Ähnlichkeit zu militärischen Kleidungsstücken. Diese Vorschrift wird nun umformuliert und zukünftig soll jede gleichartige Kleidung verboten sein, sofern diese einschüchternd wirkt.
Das Innenministerium begründet dies reichlich ungelenk mit dem Auftreten der sogenannten „Scharia-Polizei“ in anderen Bundesländern. Diese hätten ähnliche Kleidungsstücke getragen, die Warnwesten seien allerdings nicht uniformähnlich und damit nicht verboten.
Auf welche Gruppierungen hier tatsächlich abgezielt wird, überrascht wenig. Bayern und Niedersachsen waren weniger zurückhaltend in ihren Gesetzesbegründungen, als das Militanzverbot dort in die Versammlungsgesetze aufgenommen wurde. Dieses richte sich auch gegen „linksextremistische Versammlungen, bei denen sich regelmäßig militante Autonome zu so genannten ,Schwarzen Blöcken‘ zusammenschließen“ (Gesetzesentwurf zur Neuregelung des Versammlungsrechtes; Hannover; 12.01.2010; S.25).

Die Verschärfung des Militanzverbotes liefert den Sicherheitsbehörden in erster Linie mehr Möglichkeiten, linken Protest zu kriminalisieren und zu verunmöglichen.
Die Illusion, dass rechte Aufmärsche damit erschwert werden, scheitert an der Realität der deutschen Sicherheitsbehörden – wie ein Blick nach Sachsen zeigt. Das Tragen gleichartiger Kleidung auf Versammlungen ist dort bereits im Versammlungsgesetz untersagt. Das hielt die Plauener Versammlungsbehörde 2019 aber nicht davon ab, die Neonazis vom III. Weg in uniformähnlicher Kleidung, mit Fackeln, Fahnen und Trommeln aufmarschieren zu lassen.
Der Entwurf zum neuen Versammlungsrecht in Sachsen-Anhalt räumt den Sicherheitsbehörden also umfassende neue Eingriffsmöglichkeiten ein, um Versammlungen zu erschweren oder ganz zu verbieten. Liebich und dessen unerträgliche Dauerveranstaltungen auf dem Markt dienen der Regierungskoalition in erster Linie als Vorwand um die Verschärfungen in der Öffentlichkeit als zwingend notwendig erscheinen zu lassen. Noch im Juli ließ Rüdiger Erben verlauten, Sachsen-Anhalt habe bereits seit über zehn Jahren ein Versammlungsgesetz, dass klare Kante gegen Nazis zeigt. Es müsse nur angewendet werden. Und damit hatte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD auch recht.
Bereits jetzt, mit dem liberaleren Versammlungsgesetz, wäre es möglich dieses Schauspiel zu unterbinden. Was es bräuchte, wäre eine Polizei, die strafrechtlich relevante Äußerungen von Liebich dokumentiert und verfolgt. Gleiches gilt für verbale und körperliche Übergriffe der immer gleichen Personen aus seinem engen Umfeld. Diese stellen allein schon eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar.
Mit diesen Vorfällen kann man rechnen und entsprechende Auflagen verhängen, die Kundgebungen gänzlich verbieten oder sofort auflösen.
Nicht mehr Befugnisse sind notwendig, sondern eine konsequente Anwendung der bestehenden Rechtslage.
Henriette Quade (DIE LINKE) brachte es in Ihrer Rede im Landtag in Bezug auf die Gesetzesänderung auf den Punkt: „Bevor wir als Gesetzgeber den Schritt zurückmachen, müssen wir schauen, ob es tatsächlich ein Defizit im Recht oder nicht vielmehr ein Defizit in der Durchsetzung des Rechtes gibt.“

Mit dem neuen Gesetzesvorhaben wird Anonymität erschwert, Willkür befördert und die Kontrolle darüber an Behörden abgegeben, die im Kampf gegen Faschismus, sogar in ihren eigenen Reihen, regelmäßig versagen.

Es ist illusorisch zu glauben, dass die aktuelle Politik den Kampf gegen Rechte alleine führen wird. An einigen Stellen wird dieser Kampf auch ganz bewusst nicht gewollt. Was bedeutet das aber im Umkehrschluss? Wenn die Regierenden nicht angemessen reagieren können und sich im Dilemma zwischen Freiheit und Sicherheit, konsequent für die auf Autorität basierende Sicherheit entscheidet? Was muss eine Zivilgesellschaft leisten? Bereits im November gab es einen Aktionstag von verschiedensten Gruppen, beispielsweise der Interventionistischen Linken, Ende Gelände, Fridays For Future, dem Aktionskreis Kritischer Jurist*innen, der Roten Hilfe, den Falken und weiteren organisierten Gruppen und Initiativen, die sich gemeinsam gegen den Beschluss des Gesetzes stark machen.
Gesellschaftliche Veränderungen lassen sich nicht einfach durch Gesetzesverschärfungen herbeizuführen. Es ist viel mehr der Auftrag und das Interesse einer breit organisierten Zivilgesellschaft. Man darf Rechten, Querdenker*innen und anderen reaktionären Gruppen nicht die Straße überlassen. Genauso wenig darf man autoritäre Einschnitte in Grundfreiheiten ignorieren. Im Gegenteil: es gilt verstärkt (Gegen-)Konzepte zu entwickeln, wie eine Krise bekämpft werden kann, ohne Menschen abzuhängen, zu verhindern, dass sie sich von demokratischen Grundideen entfernen und sie in progressive Prozesse einzubinden. Besonders während einer Pandemie! Diese öffnet doch Tür und Tor für politische Alleingänge, fernab einer sozial-gerechten Realität. Es ist von Anfang an notwendig, diese Konzepte in alle Ebenen hineinzutragen.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.