Die Linkssozialistin Anna Geyer und ihr Kampf für eine gerechte Gesellschaft

Eine Biographie der Journalistin und Politikerin, die sich besonders für feministische Anliegen einsetzte

von | veröffentlicht am 14.01 2020

Beitragsbild: Radio Corax

Anna Geyer lebte in einer Zeit gesellschaftlicher Erschütterungen. Spielräume von Frauen in der Gesellschaft nahmen deutlich zu; zudem schien das Ziel, eine gerechte sozialistische Gesellschaft schaffen zu können, im Rahmen des Möglichen zu liegen. Anna Geyer setzte ihr Leben und ihre Energie ein, um bei beiden Anliegen weiter voranzukommen.




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Am 13. März 1893 als Tochter des Bildhauers Hans Elbert, eines angesehenen Sozialdemokraten, geboren, besuchte sie nach Mittel- und Handelsschule als Gast die Universität Frankfurt a.M. Anschließend war sie als Sekretärin bei der Frankfurter Ortskrankenkasse tätig. Als entschiedene Kriegsgegnerin sympathisierte sie früh mit oppositionellen Kräften in der SPD und trat 1917 der USPD bei. Frisch vermählt mit dem Redakteur der Leipziger Volkszeitung Curt Geyer ließen sie sich 1917 in Leipzig nieder. In der Leipziger USPD-Parteihierarchie war Geyer zwar Außenseiterin, verfügte jedoch durch ihren Schwiegervater und ihren Mann, die zu den führenden linken Sozialdemokraten in Leipzig zählten, über wichtige Kontakte. Dadurch wurde sie im Jahr 1919 zur wohl exponiertesten Politikerin der USPD in Leipzig und Sachsen. Sie gehörte dem Leipziger Stadtverordnetenkollegium als auch der sächsischen Volkskammer an. In die Sächsische Volkskammer zog sie als einzige Frau des Leipziger Landtagswahlkreises ein. Sie wurde in den Beschwerde- und Petitionsausschuss der Volkskammer gewählt. In der Landtagsfraktion der USPD übernahm sie die Funktion der Kassiererin.

Anna Geyers Engagement galt frauenpolitischen Fragen. In ihrer Rede auf der Frauenversammlung im Leipziger Volkshaus anlässlich des Internationalen Frauentags 1919 betonte sie, dass Frauen trotz der Durchsetzung des Frauenwahlrechtes weiterhin Staatsbürgerinnen „zweiten Ranges“ wären; sie wies insbesondere auf die eklatante Ungleichheit im Privatrecht, v.a. im Familienrecht hin und forderte, die dafür verantwortlichen Gesetze möglichst rasch zu ändern. Allerdings war auch die Gleichberechtigung innerhalb der USPD ein Stück weit Lippenbekenntnis. In der Sächsischen Volkskammer sprach Anna Geyer nur zwei Mal. Die Redezeit dort beanspruchten vor allem ihre männlichen Fraktionsmitglieder.

Während der Sommerpause des Parlaments ging sie als Redakteurin zum „Volksblatt“ nach Halle. Aber schon im Oktober 1919 folgte sie ihrem Mann, der Abgeordneter der Nationalversammlung war, nach Berlin und nahm dort den Posten der Generalsekretärin der Reichszentrale der Betriebsräte Deutschlands an. Ihr Stadtverordneten- und ihr Volkskammermandat gab sie auf. Sie erlebte die gefährlichen Monate 1920 mit, flüchtete nach dem Blutbad vor dem Reichstag am 13. Januar 1920 und den darauf einsetzenden Verhaftungen von USPD-Führern mit ihrem Mann nach Frankfurt a.M.Anna Geyer gehörte wie ihr Ehemann und ihr Schwiegervater Friedrich Geyer zum linken USPD-Flügel und warb mit ihrem Mann seit dem Sommer 1920 für den Anschluss der USPD an die Kommunistische Internationale. Im Dezember 1920 machte sie den Zusammenschluss des linken USPD-Flügels mit der KPD zur VKPD mit und leitete seit Dezember 1920 deren Pressedienst.

Im Rahmen der parteiinternen Auseinandersetzungen 1921 um die Märzaktion unterstützte sie Paul Levi und dessen Kritik am putschistischen Kurs der Zentrale. Sie wurde im Frühjahr 1921 gemeinsam mit ihrem Mann aus der VKPD ausgeschlossen. Über die Kommunistischen Arbeitsgemeinschaft und die USPD kam sie im September 1922 wieder zur SPD zurück. Dort war sie weiter zu frauenpolitischen Fragen aktiv, arbeitete beim „Vorwärts“, dem Zentralorgan der SPD, und veröffentlichte zwei Schriften zur Frauenarbeit in Deutschland. Darin trat sie insbesondere für die Beseitigung aller Hemmnisse ein, die der Erwerbstätigkeit von Frauen im Wege standen.

Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten verließ Anna Geyer Deutschland, emigrierte 1933 zunächst in die Tschechoslowakei, 1937 nach Paris. Nach der französischen Niederlage und dem deutschen Einmarsch in Frankreich im Jahr 1940 floh sie mit ihrer Tochter über Portugal in die USA. , wo sie im Exekutiv-Komitee des 1941 gegründeten German-American Council for the Liberation of Germany from Nazism um Albert Grzesinski aktiv war.

Am 2. März 1973 starb sie in Detroit.

 


 

Thomas Höpel, geb. 1968, ist Historiker und Romanist. Er lehrt als außerplanmäßiger Professor am Institut für Kulturwissenschaften der  Universität Leipzig und forscht zur vergleichenden europäischen und deutsch-französischen Geschichte.

Literatur:

– Wolfgang Benz/ Hermann Graml (Hrsg.), Die revolutionäre Illusion. Zur Geschichte des linken Flügels der USPD. Erinnerungen von Curt Geyer, München 1976.

– Thomas Höpel, „Die Frauen an die Front!“ Frauenwahlrecht und Demokratisierung in der Stadt. Leipzig 1900-1933, Leipzig erscheint Anfang 2020.

 

Zum Weiterhören

Etwa eine Generation vor Anna Geyer kämpfte Paula Thiede (1870-1919) für eine Verbesserung der Situation von Arbeiterinnen. Sie war die erste hauptamtliche Gewerkschafterin innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung. Uwe Fuhrmann im Gespräch über Paula Thiede:

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.

Der Beitrag erschien erstmalig in der Radio Corax Programmzeitung Ausgabe Dezember 2019/ Januar 2020.