„Am Ende will niemand AfD-Sympathisant sein.“

Rechte Gesinnung als Tatmotiv?

von | veröffentlicht am 05.08 2021

Beitragsbild: Transit

Im Mai 2019 wird ein 36-Jähriger in Halle (Saale) nachts an einer Tankstelle zusammengeschlagen. Der Täter ist AfD-Anhänger, der Betroffene hatte sich zuvor gegen rechts positioniert. Zwei Jahre danach wird der Fall am Amtsgericht Halle verhandelt. Angeklagt ist der Angreifer wegen gefährlicher Körperverletzung. Im Verlauf des Prozesses bestreitet er jedoch einen politischen Hintergrund für seine Tat.




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Es ist das Wochenende der Europawahl 2019. An einem sommerlichen Nachmittag Ende Mai lernen sich zwei Männer in einem Park in Halle (Saale) beim Feiern kennen. Im Laufe das Abends verlieren sich die beiden aus den Augen. Gegen 4 Uhr nachts treffen sie zufällig wieder aufeinander, auf dem Nachhauseweg an einer Tankstelle in Halle-Neustadt. Eigentlich wollen sie nur ein letztes Bier zusammen trinken. Doch der eine Mann (zum Tatzeitpunkt 38) bezieht sich wiederholt positiv auf die AfD. Dem anderen (damals 36) werden die rechten Äußerungen seines Gegenübers zu viel und er widerspricht. Daraufhin greift der AfD-Anhänger ihn körperlich an. Es kommt zu einem Gerangel, der Betroffene versucht zu de-eskalieren und hält den Angreifer im Schwitzkasten. Der beißt ihm in den Daumen und bringt ihn mit einem Schlag zu Boden. Auch als sein Gegenüber bewusstlos am Boden liegt, schlägt und tritt er weiter auf ihn ein. Eine Tankstellenmitarbeiterin beobachtet die Szene und ruft dem Angreifer über die Nachtsprechanlage zu, dass er aufhören soll. Doch der tritt weiter auf den am Boden Liegenden ein, auch gegen den Kopf. Schließlich kommt erst die Polizei, dann ein Krankenwagen. Die Beamten finden den Betroffenen blutüberströmt auf einem Bordstein sitzend. Er hat eine Platzwunde, eine gebrochene Nase, mehrere geprellte Rippen, Hämatome am Oberkörper und eine Bisswunde am Finger.

 

Zwei Jahre später kommt es zum Prozess

 

Zwei Jahre nach dem Angriff an der Tankstelle wird der Vorfall am Amtsgericht Halle verhandelt. Angeklagt ist der Angreifer wegen gefährlicher Körperverletzung. Der Betroffene tritt als Nebenkläger auf. Vor Gericht sagt dieser aus, dass ihn der Vorfall bis heute verfolge, die Verhandlung sei für ihn eine Herausforderung, er empfinde sie als sehr aufwühlend. Während er aussagt, drückt er einen Stressball in seiner linken Hand, man merkt ihm an, wie der Angriff ihm immer noch zusetzt.

Vor der Aussage des Angeklagten verlässt der Betroffene und Nebenkläger den Saal. Der 40-jährige Angeklagte wird von einem Pflichtverteidiger vertreten. Schnell wird die Strategie der Verteidigung deutlich: diese erklärt, der Angriff sei aus Notwehr geschehen. Der Angeklagte bestätigt die Ausführungen seines Verteidigers. Er wirkt beflissen, tritt sehr bemüht auf, ist ordentlich gekleidet. Bei seinen Schilderungen der Geschehnisse verzettelt er sich aber immer wieder. Wiederholt betont er, dass er sich den Grund der Auseinandersetzung nicht erklären könne, mit Politik habe er nichts am Hut, er sei weder links noch rechts, sondern wähle die FDP.

 

Weder links noch rechts?

 

Aus Sicht der Verteidigung liegt es auf der Hand, die politische Motivation des Angriffs zu leugnen. Sowohl Nebenklage, als auch Staatsanwaltschaft und Gericht versuchen nun an den beiden Prozesstagen herauszufinden, welche Rolle politische Überzeugungen bei dem Angriff gespielt haben.

Der Betroffene und Nebenkläger hat eine klare Antwort darauf: er berichtet, wie sich der Angeklagte schon am Vorabend der Auseinandersetzung als bekennender Nazi bezeichnet und später an der Tankstelle AfD-Positionen vertreten habe. Ihm selbst sei das zu viel geworden, er habe geäußert, „keinen Bock auf so Nazi Kram“ zu haben und sei daraufhin angegriffen worden. Auch auf Nachfrage kann er das Tatgeschehen aufeinander aufbauend beschreiben, seine Schilderungen scheinen plausibel.

Der Angeklagte bleibt indessen bei seiner Strategie und bestreitet weiter vehement, dass es um Politik gegangen sei. Mit der AfD will er nichts zu tun haben, der Auslöser des Streits sei ihm nicht ersichtlich.

Nebenklagevertreterin Doreen Blasig-Vonderlin überrascht das nicht. Ihrer Erfahrung nach, zeigen sich Angeklagte in Prozessen über mutmaßlich rechtsmotivierte Gewalt oft „auf einmal reumütig und bekehrt, wollen von rechtsextremem Gedankengut nichts wissen oder haben sich kurz vor der Hauptverhandlung davon losgesagt“.

Um die Selbstdarstellung des Angeklagten zu entlarven, bringt die Nebenklage sein Facebook-Profil als Beweisstück in den Prozess ein. Darin zu sehen ist ein Like für die AfD, das erst einige Monate alt ist. Außerdem gefallen dem Angeklagten die Seiten des Motorradclubs „Underdogs MC Halle“ und „Underdogs MC Saalekreis“, die laut Medienberichten mehrfach wegen ihrer Nähe zur organisierten Neonaziszene aufgefallen seien. So sollen Mitglieder der Underdogs 2016 am Angriff auf den Stadtteil Connewitz in Leipzig beteiligt gewesen sein. Die Underdogs MC Ortsgruppe Halle hat nach Medienberichten 2014 Rechtsrockkonzerte in ihren Räumen veranstaltet.

Der Angeklagte äußert auf Nachfrage, er sei wohl mal auf einer Underdogs MC Veranstaltung feiern gewesen. Schwieriger zu relativieren ist jedoch sein Like für eine Seite mit dem Titel „Tierschutz im III. Reich“.

Trotz dieser eindeutigen Hinweise auf die politisch rechte Einstellung des Angeklagten, behauptet dessen Verteidiger, sein Mandant werde im Prozess „in eine rechte Ecke gedrängt“. Dieser Einwand erscheint besonders haltlos, als die Vorstrafen des Angeklagten im Prozess verlesen werden. Darunter sind drei Verurteilungen wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen aus den späten 1990er Jahren bis Mitte 2000. Eine Bewährungsstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung erhielt der Angeklagte 2005 wegen einer Straftat, die er ein Jahr zuvor an einem 20. April begangen hat, dem Geburtstag von Adolf Hitler.

 

Das Urteil

 

Im Schlussplädoyer macht die Nebenklagevertreterin daher deutlich, wie sie den Angriff einordnet: der Angeklagte habe den Nebenkläger als politischen Gegner erkannt und deshalb angegriffen. Es sei hier versucht worden, einen politischer Gegner mit Tritten gegen den Kopf mundtot zu machen.

Auch Staatsanwaltschaft und Gericht erkennen die Rolle der politischen Überzeugungen bei der Auseinandersetzung an, jedoch eher am Rande. Das mag daran liegen, dass es juristisch gesehen schwer zu beweisen ist, dass allein die politische Motivation Auslöser des Angriffs war. Das Gericht befindet am Ende, dass „der Streit sich sehr wahrscheinlich an einer politischen Diskussion entzündet haben könnte“, die politische Haltung jedoch irrelevant für die Strafe sei.

Nichtsdestotrotz geht der vorsitzende Richter schließlich mit seinem Urteil über das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß von 8 Monaten zur Bewährung hinaus und verurteilt den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einem Jahr Freiheitsstrafe, auf vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt.

Der Betroffene und Nebenkläger scheint nach der Urteilsverkündung sichtlich erleichtert über den Ausgang der Verhandlung. Auch die Nebenklagevertreterin zeigt sich mit dem Urteil zufrieden.

Es ist ihr dennoch wichtig, auf die politisch rechte Motivation des Angriffs hinzuweisen. Dass jemand, der AfD Positionen vertritt, eine Person, die ihm widerspricht, derart schwer verletzt, findet die Rechtsanwältin „bezeichnend“. Für sie ist der Fall in die aktuelle politische Situation in Sachsen-Anhalt einzuordnen.Der Prozess geht nur wenige Wochen nach der Landtagswahl zu Ende, die AfD ist trotz Verlusten mit 20,4% zweitstärkste Kraft geworden. „Am Ende will niemand AfD-Sympathisant sein und dann kriegt sie trotzdem 20% bei der Wahl“, kommentierte Blasig-Vonderlin.

Danach gefragt, ob der Betroffene und Nebenkläger in so einer Situation wieder so handeln und rechter Ideologie widersprechen würde, antwortet er: „Natürlich. Ich werde immer meine Meinung sagen. Unterstütze immer die Schwachen. Das werde ich auch immer machen.“

Lilli Neuhaus

studiert Soziologie in Halle und ist aktiv bei Radio
Corax.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.