15 Minuten Lützerath

…oder wie es sich anfühlt zwischen Anarchie und Kapitalismus zu stehen

von | veröffentlicht am 15.03 2023

Beitragsbild: Tabea




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Ich sehe nach rechts: Polizisten schlagen Menschen mitten ins Gesicht.
Ich schaue nach links und sehe dasselbe.
Und während ich mich im Bruchteil einer scheiß Sekunde entscheiden muss, ob ich renne oder diese bröckelnde Blockade verteidige, stürmen zwei bewaffnete Männer mit schwarzen Helmen auf mich zu.

Doch ich beginne meine Geschichte am Anfang, wo der letzte Rest meiner Naivität noch gemütlich mit dem Glauben an Gerechtigkeit im warmen Bett kuschelt und mein größtes Problem ist, welches neue Projekt ich für mich finden kann. Bitte Irgendeins, welches mir nicht vollkommen sinnentleert erscheint. Frisch selbstständig kann ich mir diesen moralischen Luxus eigentlich nicht leisten.
Wie bestellt kommt eine Freundin auf mich zu und erzählt mir, sie überlegt nach Lützerath zu fahren. Hat schon ´nen Infocall an der Uni gemacht. Lützerath… hab ich die letzten Wochen nur beiläufig verfolgt, aber es rührt mich. Ein aufgekauftes Dörfchen, darunter Millionen Tonnen von Kohle.
Ich fühle etwas Symbolisches. Spüre ein Drängen.
Plötzlich ist Sonntagmorgen und ich erwache 5 Minuten, bevor ich eigentlich das Haus verlassen will. Stress pur. Als verdammter Generalphobiker habe ich in der Woche, seit ich diese halbe Entscheidung getroffen hab natürlich so herrlich geschlafen, als hätte ich mein Zelt neben ´ner Autobahn aufgeschlagen. Mein Start in diese, in unsere Geschichte ist also bereits richtig spaßig.
Vollgepackt mit meinem Kameraequipment und Zeug, welches auf der Packliste im Internet steht, hetze ich zum Bahnhof und erwische knapp den Zug, der mich zum Solibus bringt. Die ersten Menschen trudeln ein und schnell wird die Information laut, dass Polizisten unter akribischer Personalienfeststellung seit 3 Stunden den Bus aus Hamburg filzen. Kletterausrüstungen werden eingezogen. Auf der Fahrt werden Personaldokumente einiger Mitreisender im Bus verbaut. Die Ersten verglitzern ihre Fingerkuppen. EA-Nummern werden ausgetauscht, falls man direkt „einkassiert“ wird.
Ganz langsam wird mir bewusst, auf was ich mich hier einlasse, …
…wie ahnungslos ich noch bin…

Nach über 8 Stunden Fahrt und mit ein paar neuen Bekanntschaften im Gepäck kommen ich und meine Begleitung, „Eddie“, so ihr Aktionsname, im UAC an, „Unser aller Camp“. Fix Haustürschlüssel und Personaldokumente mit Passphrase wegschließen lassen. Dringende Empfehlung!

© Tabea

Minute 1 in Lützerath:

In scheiß düsterer Nacht marschieren wir zu zweit Richtung Dunkel. Neben uns Felder, riesige Windräder und in nicht allzu weiter Ferne, ein dystopisch großer Bagger, umringt von Flutlichtern.
Irgendwann erreichen wir das Dorf und werden direkt angesprochen, ob wir gerade angekommen sind, ob wir Hilfe brauchen? Ein fremder Jemand zeigt uns einen Platz, wo wir die Nacht verbringen können, eine alte landwirtschaftliche Halle. Manche schlafen im Zelt, andere ohne. Einfach auf abgeteilten Strohfeldern. Vorn das klappernde Geschirr der Küfa. Küche für Alle.
Kostenfreies Essen für Alle.

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Minute 2 in Lützerath:

Halbwegs ruhiger Tag. Viel Polizei. Viel Presse.
Ich: Immer noch Ahnungslos. Beobachtermode.
Mache ein paar Fotos, lerne Menschen kennen, sehe mich um, lasse auf mich wirken. Stehe an diesem gewaltigen Krater, rede über Politik, Geschichte und Emotionen. So viele Eindrücke.
Wir ziehen um, in ein Haus mit vielen anderen Menschen.
Geil, ein richtiges Klo – Nach den Trennklos der pure Luxus für mich.
Rüsten uns mit Vorräten für die Räumung aus. Bilde eine Bezugsgruppe.
Sehe, dass direkte Anarchie und Solidarität – eine reale gemeinwohlorientierte Gemeinschaft – in größeren Gruppen existieren kann. Menschen üben Verzicht dafür.
Bin sprachlos.

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Minute 3 in Lützi:

Ein Ort, wo ein „Wie geht´s dir gerade?“ nicht nur eine Floskel ist. Wo geteilt wird und man sich gegenseitig hilft, einfach so. Weil man´s kann. Weil man sieht, dass gerade Jemand etwas braucht. Fremde Menschen, die im Vorbeigehen ein Bedürfnis von dir vernehmen und es dir freiwillig erfüllen, so ganz ohne Hintergedanken.
Ein Ort, wo man glaubt, dass Menschen wichtiger sind als Profite von Multimilliarden-Dollar-Konzernen und wo man gegen seine eigene Regierung rebelliert, um sie an ihre Verantwortung zu erinnern.
Ich spüre wieder dieses Drängen in mir. Ein Drängen, das zu verteidigen, was hier entstanden ist. Die Werte, die hier gelebt werden und den Idealismus, der mir plötzlich gar nicht mehr so utopisch erscheint.

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Minute 4 – Mahnwache:

Eine ältere Frau zeichnet mich, während ich den Gesprächen am Tisch lausche. Geführt von Menschen, die teilweise seit über 50 Jahren in der Gegend leben und von Gehirnwäsche sprechen. Haben sie doch vor 30 Jahren schon beinahe dasselbe erlebt. Sie beschreiben das Leben hier und warum sie trotz allem nicht gehen wollen.
Sie fragen sich, ob einfach der Bagger über ihre Sachen fährt, wenn sie jetzt, mit Ablauf der offiziellen Frist, nicht verschwinden. Seit über 2 Jahren halten sie hier Wache.
Sie sehen müde aus.
Ich fühle mich berührt.

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Minute 5:

Schlafe mit gut 10 fremden Menschen in einem Zimmer.
Es ist so kalt, dass ich meinen verflixten Atem sehen kann. Mein Schlafsack, für plus 5 Grad ausgelegt, fühlt sich wie Zeitungspapier an und bringt mir, wie die 3 Paar Socken an meinen Füßen, gar nichts. Ich bin von mir selbst überrascht, in dieser Situation überhaupt ein Auge zuzubekommen.

 

Minute 6:

Könnten wir über Nacht geräumt werden?

 

Mittlerer Alarm in Minute 7:

Der atemberaubende Sonnenaufgang, nach den grau-verregneten Vortagen, lässt die riesige Ansammlung von Polizisten und Polizeiautos nur noch absurder erscheinen. Heute nicht nur weiße Helme, sehe schwarze mit grüner und roter Schrift. Wesentlich aggressiver. Bagger. Ein Kran. Noch mehr Presse.

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Minute 8:

Vermummt, aber mit blondem Zopf. Kamera. Ich stehe da, wo Presse steht. Hab keine auffällige Weste und kein Zettelchen um meinen Hals.
Beobachtermodus auf Hochtouren.
Während andere AktivistI weggeschleppt werden, fotografiere ich. Ein Polizist bleibt stehen und wartet, damit ich filmen kann.
Alles Absolut Surreal.

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Minute 9:

Sitze in einer friedlichen Blockade und sehe, was mir gleich bevorsteht. Mein blonder Zopf ist weg und meine Kamera auch.
Nächste Stufe: Mittendrin.
Die Menge skandiert: „Wir sind friedlich, was seid ihr?“ Gerade noch hat ihn der Polizist aggressiv beschimpft und jetzt starre ich gefesselt in sein schmerzverzerrtes Gesicht. Atmen! Durchhalten! Den Job des Polizisten ein bisschen unangenehmer machen, in der Hoffnung, er denkt vielleicht doch nochmal nach, was er hier durchsetzt.
Ich bin zutiefst beeindruckt.
Auf der anderen Seite eine Frau aus der Mahnwache, um die 60, die vom Widerstand gegen die Braunkohle im Land singt und die Polizisten vor ihr freundlich-bestimmend auffordert, sie respektvoll zu behandeln, wenn sie an der Reihe ist.
„Ich könnte deine Mutter sein“, sagt sie ruhig und provozierend zugleich.
Jetzt bin ich bin dran. Der Mensch mit Schlagstock und Pistole fragt mich, ob ich freiwillig aufgebe oder ob ich ihn zwinge unmittelbaren Zwang gegen mich anzuwenden.
Beobachtermodus aus.
Ab hier hab ich ´ne Ahnung: Schmerzgriffe heißen nicht umsonst so.

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Minute 10:

Fuck! Der Cop hat ihm einfach ins Gesicht geschlagen!!

Eine Person wirft einen Stein in Richtung Polizei.
Die Menge ruft: „Stopp! Keine Gewalt!“

 

Minute 11:

Wunden lecken und Afterlife-Romantik mit fremden Leuten. Ein in Zusammenarbeit reaktivierter Kamin und die Känguru-Chroniken. Geschichten von anderen Protesten und Erfahrungen mit Polizei und Rechtssystem. Natürlich alles so anonym wie möglich. Austausch über die aktuelle Berichterstattung. Viel Unmut. Traurigkeit.
Als misanthropischer Philanthrop mag ich Menschen meistens nur, wenn ich sie nicht um mich herum habe, aber wie nah man sich hier in so kurzer Zeit kommt, verblüfft mich völlig.
Und alle so verdammt freundlich.

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Minute Was?

Großer Alarm! Anziehen, Klo, Schuhe an. LOS!

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Minute 13 im Symbol eines Landes:

Das Dorf wird mit Hundertschaften überrannt. So verdammt viele Cops.
Aktivistenmode an.
So viel Gewalt, die Bullen haben richtig Bock. Es werden immer mehr Helme.
Fuck! Wo kommen die ganzen Cops her? Ich kann nicht mehr ins Haus und werde schon wieder rumgezerrt. Ich gegen 26 Cops. Wo kann ich hin?
Lande in einer der letzten Bodenblockaden. Neben mir eine Person mit ausgeprägter Behinderung, deren Assistenz sie nach dem Toilettengang einfach rausgeschleppt haben und sich jetzt weigern, Auskunft darüber einzuholen.
„Freiwilliges Verlassen“ nennen sie das. Wie bitte?

Einatmen… nimm das Feindbild nicht ….Ausatmen.

Alles was ich jetzt noch besitze, sind die Klamotten an mir dran, mein Telefon und die Speicherkarte in meinem Stiefel.
Ich atme gegen die Angst.

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Meine letzte Minute in Lützi:

Zwei Marionetten in Uniform zerren mich durch den Schlamm.
Aua.
Ich bitte darum, mir nicht meinen Arm zu brechen. Auf dem Weg plaudern wir kurz über unsere unterschiedlichen Standpunkte. Sie lassen mich hinter dem Doppelzaun fallen und wünschen lächelnd einen schönen Tag. HÄH?!
Während ich auf einem Matschberg hocke, erzählt ein Reporter der Taz, wie ein Polizist ihm angeboten hat, seinen Finger zu brechen. Nur Augenblicke später fährt der Gesa-Transporter mit fettem RWE-Emblem an mir vorbei, während weitere Aktivisti bedroht, weggeschleppt, verprügelt, beleidigt und anschließend ausgelacht werden, weil sie sich dafür einsetzen, dass Deutschland seinen Vertrag mit dem Rest der Welt einhält und sich nicht verkauft.

 

Minute 14 1/2 – halb in Lützi

Bin zurück – nicht wirklich. Fühle mich jetzt zwischen Menschen wieder wie damals in der Schule, wo Schüler und Lehrer:innen mit den Augen rollen, während ich schon wieder von dieser gerechteren Welt spreche. Bin nicht lustig genug für deine Partyrunden, um beim nächsten Mal wieder eingeladen zu werden. Man kann ja nicht immer alles so ernst sehen, nicht wahr?! Fühle mich noch einsamer als vorher.
Bin von den Stellvertretern des Volkes angewidert.
Die Medien machen mich fertig.

Hasse alles, alles hier fühlt sich falsch an.

„Die sinnloseste Protestaktion in Deutschland“.

„Das falsche Symbol.“

Klimaextremisten, Ökoterroristen, Verbrecher.

Weltfremde Linksradikale.

Eine Partei, die Klimaschutz verspricht, und dann Kapitalismus als alternativlos verkauft.

Massive Gewalt gegen Polizisten? … Klar, 350 Aktivisten gegen fünftausend Polizisten. Maleranzug gegen Pfefferspray, Wasserwerfer und Doppelvisier.
Fliegender Schlamm, ein Mönchskostüm und ein paar Lacher über fallende Menschen in Uniform gegen Kopfverletzungen, die der Heli transportieren muss.

Alles Steineschmeißer.

Störer.

Eine Gefahr für die scheiß „öffentliche Ordnung“.

Blaue Augen, gebrochene Arme, Rippen und Nasen. Blutverschmierte Gesichter und ein geprügeltes Inneres. Aber nur für die verkackten Gutmenschen, Weltverbesserer… für die angeblich bevorzugte Minderheit.

Abgeschaffte Kennzeichnungspflicht für Polizei.

Haft für Aktivisti.

Eine Demokratie, die sich selbst als Lügner enttarnt.

 

Ich frage mich: Warum das Alles, für Geld und Macht? Das kann ich nicht akzeptieren.

Und deshalb sitzt du  jetzt in Minute 15 hier und liest diesen Text, weil ich einfach nicht weiß, was ich sonst tun soll, ich mich hilflos fühle und man mir mal sagte, dass ich manchmal gut mit Worten kann. Ich hoffe darauf, unter euch wenigstens einen zu rühren, der vielleicht annähernd so wütend wird und flammend in seinem Kreis davon berichtet und dass da auch wieder ein Mensch ist, der Interesse zeigt, nachdenkt, Austausch sucht und es weiter trägt.

Und deshalb schreibe ich jetzt hier und ziehe blank: vor dir, dir und dir und bitte dich, nimm dir was mit. Es ist meine letzte Hoffnung auf eine friedliche Revolution. Es ist mein Glaube daran, dass es ein freundlicheres Zusammenleben geben kann. Ich hab dort vieles verloren, aber eine Aufgabe gefunden. Denn Veränderung beginnt immer in mir und dir und wächst, indem wir es weitertragen. Und deshalb bitte ich, nein, ich flehe dich an:

Trag es weiter!

 

 

Späterer Kommentar: Auch wenn mein Erlebnis in Lützerath schon eine Weile her ist und der Text nicht mehr ganz frisch, so ist es das Gefühl immer noch.

Ich bin sehr froh zu sehen, dass das Interesse an Lützerath in den letzten Wochen doch enorm gewesen ist und die Berichterstattung nicht komplett einseitig vorgenommen wurde. Ich kann nur jedem Einzelnen empfehlen sich damit fundiert auseinanderzusetzen und sich eine Meinung zu bilden. Wir werden alle die Konsequenzen für die Entscheidungen tragen, die unsere Regierung dort getroffen hat und meiner Meinung nach, kann sich niemand mehr leisten, eine politisch neutrale Haltung einzunehmen.

Danke an alle, die mich die letzten Wochen dazu gelöchert und sich meine Geschichten/Meinungen dazu angehört haben.

Tabea ist auch auf Instagram (@stadtfvchs).

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.