Weiße Erinnerungspolitik – umkämpfte Geschichte

Eine kritische Auseinandersetzung mit Halles Idolen.

von | veröffentlicht am 19.01 2020

Am 14.01.2019 sind im Innenstadtbereich von Halle Plakate aufgetaucht, die sich mit den drei großen Idolen Halles auseinandersetzen: Francke, Händel und Luther. Wir als Aktionsbündnis Anton Wilhelm Amo Halle wollen in der Diskussion, die gerade in den sozialen Medien und darüber hinaus zu der Aktion läuft, Position beziehen. Nicht zuletzt, weil auch Anton Wilhelm Amos Name auf den Plakaten auftaucht.




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Die Fakten der Plakate sind einfach und klar: Luther propagierte Sexismus und Antisemitismus, Händel erzielte Profite am Handel mit versklavten Menschen und Francke setzte um, dass Gewalt an Kindern zum pädagogischen Mittel wurde. Soweit zu den historischen Fakten.

Wie wir an den anhaltenden Debatten erkennen, stoßen die Plakate jedoch auf Widerstand und sorgen für Irritation. Denn während wir in den Morgenstunden noch Menschen beobachten, die vor den Plakaten stehen bleiben, um zu lesen, werden über den Tag viele Plakate abgerissen. In den sozialen Medien wird kontrovers diskutiert. Es gibt einerseits viele solidarische und befürwortende, andererseits auch ablehnende bis wütende Kommentierungen der Aktion.

Sicherlich lassen sich einige Dinge an den Plakaten kritisieren. So erscheinen die Zitate aus ihren Kontexten gerissen und es gibt keine weiteren Informationen zu den provokanten Botschaften. Der wesentliche Kern bleibt für uns dennoch relevant: Halles Helden glänzen nicht. Eine kurze Recherche reicht, um zu erkennen, dass sie mindestens eine rassistische, antisemitische oder sexistische Seite haben. Dass diese zugunsten ihres prominenten Glanzes ausgeblendet wird, ist Ausdruck einer rassistischen, antisemitischen und sexistischen Erinnerungspolitik, mit dem Ziel, Deutschland als weißes Land zu erfinden. Die Franckeschen Stiftungen, das Händelhaus, die Universität und das Stadtmuseum zeigen einmal mehr: Die ausschließliche Fokussierung auf weiße cis Männer bei gleichzeitiger Ausblendung anderer Identitäten ist nicht zu übersehen.

Doch gehen die Plakate mit Händel, Luther und Francke zu hart ins Gericht? Waren sie vielleicht nur „Kinder ihrer Zeit“? Auch im damaligen Kontext gab es Menschen, die sich gegen die Menschenverachtung der drei eingesetzt haben, dagegen angekämpft und darunter gelitten haben. Doch im Gegensatz zu diesen drei Herren kennen wir die meisten von ihnen nicht. Sie sind nicht sichtbar, sie haben in der Erinnerungspolitik keinen Raum. Einer von ihnen ist Anton Wilhelm Amo, frühaufklärerischer Philosoph und der erste Schwarze Dozent in Deutschland. Er studierte ab 1727 in Halle Rechtswissenschaften und Philosophie. Seine Doktorarbeit beschäftigte sich mit dem sogenannten Körper-Geist Dualismus. Die Idee der Trennung von Körper und Geist war in der Aufklärung ein zentrales Problem. In diesen Debatten vertrat er eine Position, die antirassistische Konsequenzen hat: Körper und Geist seien voneinander streng getrennt – so hätten dementsprechend beispielsweise race, Geschlecht, be_Hinderung oder überhaupt Körper keinen Einfluss auf die geistigen Fähigkeiten der Person. Also wie war das nochmal mit den „Kindern ihrer Zeit“?

Dieses „Land“ hat jedoch eine jahrhundertalte Schwarze Geschichte, eine jahrhundertalte jüdische Geschichte, eine jahrhundertalte Geschichte von Sinti*zze und Rom*nja. Jahrhundertalte Geschichten von Widerstand, an die wir erinnern müssen. Gegen das Vergessen in einer weißen, christlichen Dominanzgesellschaft. Wie wir an den vielen unverständlichen Reaktionen zahlreicher Beteiligter sehen, ist Geschichte nichts abgeschlossenes: An wen erinnert wird, wer für relevant in der Geschichtsschreibung gehalten wird und welche Perspektiven immer wieder in Lehre und Forschung nachgezeichnet werden, ist eben doch extrem relevant für heute und für die Zukunft. So ist damals wie heute ein rassistischer, antisemitischer und sexistischer Normalzustand in großen Teilen der Gesellschaft Konsens. Und dieser schlägt sich in den Reaktionen auf die Plakataktion nieder.

Doch überall werden zahlreiche solidarische Kämpfe geführt. Sei es gegen Faschist*innen, Antisemit*innen und Sexist*innen, für Klimagerechtigkeit oder für das Recht auf Bewegungsfreiheit. Die Kämpfe um Erinnerungspolitiken sind dabei ein wichtiger Bestandteil, z.B. wie das Projekt „Homestory Deutschland„, das Schwarze Biografien in den Mittelpunkt rückt, oder RomArchive, das wissenschaftliche, künstlerische und aktivistische Beitrage von Rom*nja und Sinti*zze sammelt, oder jüdische Festivals wie der Desintegrationskongress oder der Yiddish Summer Weimar, die sich einer weißen deutschen Aneignung jüdischer Geschichte und Gegenwart verweigern. Umso mehr freuen wir uns über diese Aktion und die Verweise auf Dorothea Erxleben, Betty Heimann und Anton Wilhelm Amo.

Als Aktionsbündnis bedanken wir uns bei den Aktivist*innen und ihren Anstoß für die Debatte. Wir werden uns weiter für ein würdiges Gedenken an Anton Wilhelm Amo und seine Werke einsetzen.

Das Anton-Wilhem-Amo-Bündnis Halle hat sich im Frühjahr 2019 gegründet und kritisiert die gegenwärtige Erinnerungspraxis an den ersten Schwarzen Dozenten Deutschlands. Die Aktivist*innen suchen nach neuen Möglichkeiten der Erinnerung und Würdigung, beispielsweise durch Bildungsangebote und bundesweiter Vernetzung mit anderen erinnerungskritischen Initiativen und der Errichtung eines neuen Denkmals. Das Bündnis ist erreichbar unter aktionsbuendnisamo@riseup.net.

 

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.