Verwirrt im Maritim

eine Nachbetrachtung des Films "Kommen und Gehen" von Uwe Mann.

von | veröffentlicht am 07.04 2018

Beitragsbild: Transit

Ein glitzerndes blaues M über den Dächern von Halle, ein alter Mann beim Frühstück im leeren Speisesaal. Kinder, die sich auf Familienportraits drängen. Ein wütender Schwabe, der immer wieder die sich schließende Aufzugtür mit dem Arm aufhalten muss. „Kommen und Gehen“ ist ein wildes Potpourri von Bildern, die allesamt in den letzten zwei Wochen des Hotels Maritim am Riebeckplatz aufgenommen wurden.




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Am 11.09.2015 titelt die Mitteldeutsche Zeitung (MZ): „Vertrag unterzeichnet: Maritim Hotel Halle wird Interimsunterkunft für 740 Flüchtlinge. Die Hotelkette Maritim nutzte die historische Chance, ihren Standort in Halle aufzugeben und für zunächst drei Jahre an das Land Sachsen-Anhalt zu vermieten.

Am 16.09.2015 bezieht Kameramann und Filmemacher Uwe Mann ein Zimmer im Maritim. Zwei Wochen lang, bis zum Ende des Hotelbetriebs, wohnt er im Hotel. Zunächst wollte er sich alles nur anschauen und fotografieren, vielleicht ein Fotobuch machen, so Mann in einem Corax-Interview zum Film. Da er mit einer digitalen Spiegelreflex-Kamera arbeitet, war es ein leichter Weg vom Foto zum Video, und so beginnt Mann, im Hotel auch Gespräche aufzuzeichnen.

Es könnte ein spannender Film sein. Das Hotel hat seinen Betrieb noch nicht eingestellt, aber das Ende steht direkt bevor. Die ca. 80 Mitarbeiter*innen haben ihre Kündigungen bereits erhalten. Es ist klar, dass das Gebäude vorübergehend als Sammelunterkunft für geflüchtete Menschen umgenutzt werden wird und Gäste keine Zimmer mehr buchen können. Eine klassische Transit-Situation. Eine Phase des Umbruchs, der Erneuerung und Umdeutung. Eine unglaublich spannende Phase. Doch was Uwe Mann daraus gemacht hat, lässt einen leider nur mit einem Gefühl der Verwirrtheit zurück.

Die Menschen, mit denen er überwiegend spricht, sind zwei der letzten regulären Gäste.

Herbert Gerhard ist 86 und lebt zu dem Zeitpunkt seit drei Jahren im Maritim. Für ihn ist das Hotel Zuhause geworden und eine gute Alternative zum Leben im Altersheim. Er kennt die Mitarbeiter*innen des Maritims und hat Verständnis für ihre schwierige Situation nach der bevorstehenden Entlassung. Er sagt dazu Sätze wie „man hat ja nach der Wende nicht in der BRD gelebt, man hat ja immer noch in Halle gelebt. Man ist immer noch dort, wo man vorher war.“ Es sind schöne Sätze, es sind auch oft schlaue Sätze. Doch wenn der alte Mann immer wieder eingeschnitten wird und durch verschiedene Gedankenwelten mäandert und zum Ende das Gespräch sich auf einmal um die Fragen eines „guten Gottes“ dreht, weiß man einfach nicht, was das noch mit dem Hotel zu tun hat.

Das Gleiche gilt für den zweiten Protagonisten, der mit einer langen Rede über seinen Namen eingeführt wird, der zu kompliziert für die Deutschen sei, weswegen er von den Deutschen Müller genannt werde und von den Türken Cem („wie das englische Wort Jam“). Uwe Mann nennt ihn fortan Cem und leider ist die Passage so lange, dass auch der Autor*in dieses Artikels nur der Name Cem hängen geblieben ist. Cem ist 34 und sollte für ein paar Monate im Maritim leben, während er eine Fortbildung in Halle macht. Er spricht schwäbisch und hat eine tragische Geschichte, die Uwe Mann ihn immer wieder anreißen lässt, nie richtig auflöst. Wenn Cem anfängt darüber oder über seine Situation als Arbeitender im Niedriglohnsektor zu sprechen, spürt man die Wut und Aggression, die in diesem Mann steckt. Es ist rätselhaft, warum seine Geschichte nur angerissen bzw. warum sie überhaupt erzählt wird. Denn mit dem Hotel hat sie nichts zu tun.

Man hat das Gefühl, es geht Uwe Mann zuweilen um die ganz großen Themen, die er in Andeutungen bei seinen beiden Hauptprotagonisten findet. Er lässt Herbert Gerhard über die Theodizee sprechen, also die Frage, wieso es trotz des „guten Gottes“ Krieg, Hunger, Grausamkeiten, etc. geben kann. Will er so das Leid der Kriegsgeflüchteten erklären? Cem denkt in Rage laut darüber nach, inwiefern Europas Bedarf an billigen Arbeitskräften, von denen er  seinen Arbeitsplatz bedroht sieht, dazu geführt habe, dass europäische Staaten nicht in das Kriegsgeschehen in Syrien eingegriffen hätten. Will Uwe Mann so ausdrücken, Migration und Flucht seien politisch gewollt? Und warum wird am Ende eine Rede eines US-Ministers eingeblendet, der von der seit Reagan erfolgreichen Strategie der USA spricht, zwei sich gegenüberstehende Kriegsparteien zu unterstützen, um selbst nicht angegriffen zu werden?

Dazwischen sehen wir etliche, viel zu lange Einstellungen in Gesichter von Geflüchteten und Mitarbeiter*innen, die oft schon ganz nervös werden, ob der langen Zeit, die das Objektiv auf sie gerichtet ist. Bis auf einen Mann, mit dem sich aus einer beobachteten Situation heraus spontan ein kurzes Gespräch ergibt, kommt keine*r der Geflüchteten zu Wort. Die Mitarbeiter*innen auch nur spärlich. Informationen werden mittels Texteinblendungen eingestreut. Zum Beispiel, dass das Hotel seit April 2017 wieder leer steht, das Land aber noch bis Ende September 2018 mietet.

Uwe Manns vorheriger Film „Im Dreieck“ ist ein Portrait des DDR-Bauleiters Heiner Hichrichs, der sowohl große Teile Neustadts, als auch 1966 das damalige DDR-Interhotel am Riebeckplatz verantwortet. Es hätte daher nahe gelegen, dass er sich dem Haus über die Architektur nähert. Die Stellen an denen er das tut, gehören definitiv zu den stärkeren des Films. Die ruhigen Beobachtungen, wie das Interieur des Hotels sich verändert, wie Uhren aus Warenauslagen geräumt werden und Röhrenmonitore aus den Zimmern oder auch, wie der Buchstabe ‘M‘ des Schriftzugs ‚Maritim‘ mit einem Kran in die Höhe gehoben wird und dort in der Sonne glitzernd über den Dächern der Stadt schwingt, bis er sanft nach unten getragen wird, sind schön und poetisch und beschreiben sehr viel besser den Transformationsprozess, in dem das Maritim zu dem Zeitpunkt steckt. Sich ausschließlich darauf zu konzentrieren, hätte dem Film gut getan.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.