The End of Radio

Punk, Radio und keine Zukunft

von | veröffentlicht am 28.08 2018

Beitragsbild: Corax

"No future" galt nicht den Punks selbst, sondern war als Absage an eine Gesellschaft zu verstehen, die noch jede Zukunftsperspektive verbaut. Punk stand hingegen für die Flucht nach vorn. Trotz seiner radikalen Verweigerung des gesellschaftlichen Status quo war Punk nicht vor seiner Eingemeindung in den kulturindustriellen Kanon gefeit. Welche Rolle das Radio dabei spielt zeigt dieser Beitrag aus der aktuellen Programmzeitschrift von Radio Corax.




diesen Beitrag teilen

Radio is cleaning up the nation/They say you better listen to the voice of reason/But they don’t give you any choice/’cause they think that it’s treason“, singt Elvis Costello in seinem Song „Radio Radio“ von 1978. Der Song spielt auf die Verbannung der Sex-Pistols-Single „God Save the Queen“ aus dem kommerziellen britischen Radio an, die BBC weigerte sich, den Song im Jahr des Thronjubiläums der Queen zu spielen. „Don’t be told what you want/Don’t be told what you need/There’s no future/No future/No future for you“, heißt es im Refrain von „God Save the Queen“, das 1977 trotz Radio-Boykott an die Spitze der Charts stürmte. „No Future“ – im ersten Skandal von Punk steckte bereits das erste Missverständnis von Punk: trotz der nihilistischen Ausstrahlung meinte die Verweigerung einer Idee von Zukunft nicht die Punks selbst, sondern die Gesellschaft, deren Bankrott sie in ihrer Ästhetik zu spiegeln versuchten. Punk forderte die Gesellschaft mit einer Ästhetik der Verweigerung heraus, mit der Negation von Geschichte, „an die seitdem anzuknüpfen unmöglich wurde“, wie Martin Büsser schreibt. Die Überführung dieser Ästhetik der Verweigerung in den Mainstream, das Scheitern von Punk und sein wiederholtes Aufbäumen, aber auch die Geschichte der Missverständnisse um Punk, lässt sich anhand von Songs über jenes Medium nacherzählen, über das die ersten öffentlichen Auseinandersetzungen um die neue Subkultur ausgetragen wurden: das Radio.

Jonas Engelmann ist Autor und Verleger. Seit 2006 ist er Mitherausgeber der Zeitschrift “testcard – Beiträge zur Popgeschichte”. 2016 hat er das Buch “Damaged Goods – 150 Einträge in die Punkgeschichte” herausgegeben.

„Roadrunner“

„I’m in love with the radio on/It helps me from being alone late at night“ – der Prä-Punk Jonathan Richman formulierte Mitte der Siebziger in seinem Song „Roadrunner“, der später auch von den Sex Pistols gecovert wurde, zwei der Grundimpulse von Punk: „Roadrunner, roadrunner/Going faster miles an hour […]/Me in love with modern moonlight/Me in love with modern rock & roll/Modern girls and modern rock & roll“. Punk manifestiert seine Verweigerung in einer permanenten Fluchtbewegung, einer „nervösen Energie“, wie Steven Lee Beeber es umschreibt. Abzuhauen und sich allen Verantwortlichkeiten der früheren Identität zu entziehen, das Ich für eine neue Welt zurückzulassen, das sei sein liebstes Gefühl, schreibt auch Richard Hell in seiner Autobiographie „Blank Generation“. „You make me“ steht auf seiner Brust auf dem Coverfoto des Debüt-Albums seiner Band The Voidoids, und unterstreicht, warum die Flucht nach vorne sein Lebensantrieb ist: um den einengenden Identitätsvorstellungen zu entkommen, die von Außen, von den Betrachtern, Zuschauern, Fans und der Gesellschaft über ihn gestülpt werden; stattdessen meint „Blank Generation“ für ihn einen Raum, sich neu zu definieren, der ständig in der Schwebe, im Prozess ist.

Neben dieser Bewegung, dem Dasein als „Roadrunner“, stellt Richman in seinem Song auch heraus, die moderne Welt zu umarmen: „I’m in love with the modern world“. Auch hinter dieser Geste steht eine Form der Abgrenzung, von jener Protest-Generation nämlich, die Punk vorausgegangen war: den Hippies. In deren  Suche nach einem Ursprung, den sie beispielsweise in den Minderheiten zu finden glaubten, hing ihre ganze Generation einem essentialistischen Denken nach. Und gegen diesen Essentialismus trat Punk an, statt auf die Romantik der Natürlichkeit setzte er auf Reflexion und Künstlichkeit. Punk, so schreibt Martin Büsser, war „in aggressivster Art ‚echt‘ und doch auch distanziert – darauf bedacht, jegliche Form von unkritischer Identifikation seitens der Hörer von sich zu weisen.“ Der Titel eines Songs des Prä-Punk-Musikers Jonathan Richman fasst diese Ablehnung der Authentizität, des „Echten“ zusammen: „I’m Straight“. In dem Song von 1973 heißt es: „This phone call today concerns hippie Johnny./He’s always stoned, he’s never straight./I saw you today, you know, walk by with hippie Johnny/[…] I’m straight and I want to take his place.“ Richman ist stolz darauf, „straight“ zu sein, sich abzugrenzen von der Protestkultur seiner Generation.

Aus der aktuellen Prorgammzeitschrift von Radio Corax

 

„Do You Remember Rock’n’Roll Radio“

Diese Abgrenzung spiegelt sich auch in der Ästhetik von Punk, die Parallelen zu den klassischen Avantgardebewegungen aufweist. Punk wie Dada zeichnet die Zerstörung von Sinn und Form sowie der Versuch einer Überwindung des Gegensatzes von Kunst und Leben aus, Punk-Fanzines greifen auf Techniken der Collage und Demontage zurück. „Avantgarde“, schreibt Martin Büsser daher, „definiert sich so wenig wie die Frage nach Stimmigkeit von Inhalt, Form und Ausdruck über formale Kriterien des Handwerks, sondern alleine darüber, welche Umsetzung einer Idee inhaltlich wie formal dazu beschaffen ist, den jeweiligen gesellschaftlichen Status quo in Frage zu stellen, dessen Wertvorstellungen zu erschüttern. Das konnten zum Beispiel die Sex Pistols 1976 besser als Hans Werner Henze oder (um avantgardegeschichtliches Scheitern auch popintern festzumachen) die Toten Hosen im Jahr 2000.“

Doch Punk wurde trotz dieses theoretischen Bezugsrahmens zu einem Erfolgsrezept, denn in den Vordergrund drängte immer stärker der musikalische Ausdruck: Punkrock. Die Rockdemontage der Sex Pistols und anderer Frühpunkbands bedeutete gleichzeitig auch eine Rückkehr zu einem schlichten Rock’n’Roll und dessen Versprechen von Rebellion. Schon in den Siebzigern war Punk in erster Linie ein Retrophänomen, ein nostalgischer Blick in den Rückspiegel: No Future in einem anderen Sinne. „Do you remember Hullabaloo, Upbeat, Shinding and Ed Sullivan too?/Do you remember rock’n’roll radio?“, singen die Ramones in „Do You Remember Rock’n’Roll Radio“. Während Richman und Hell das Prozesshafte in den Mittelpunkt gestellt hatten und das Künstliche und nicht Authentische der modernen Welt besungen wurde, verstanden Punkbands in der Folge der Ramones Punkrock als Ausdruck einer frustrierten Jugend, als authentische Aktualisierung der Rock’n’Roll-Rebellion der Fünfziger.

Gegen diese ästhetische Verwässerung der einstigen gesellschaftskritischen Stoßrichtung von Punk setzten Bands wie Crass, die Dead Kennedys oder Clash auf eine Politisierung der Musik: „This is Radio Clash from pirate satellite/Orbiting your living room Cashing in the Bill of Rights“. Keineswegs jedoch wurde der Clash-Song „This Is Radio Clash“ nur über Piratensender ausgestrahlt, selbst die BBC sendete 1981 Punk in ihrem Programm. Punk hatte sich von der Offenlegung des Rock’n’Roll-Schwindels zu einem Teil der Kulturindustrie gewandelt, während im sogenannten Postpunk Bands wie This Heat, Gang of Four, Pere Ubu oder The Au-Pairs an unterschiedlichen Konzepten arbeiteten, ästhetische Strategien des Bruchs musikalisch umzusetzen – doch dies ist eine andere Geschichte.

„Please Play this Song on the Radio“

Ein letztes Aufbäumen, zumindest den politischen Anspruch von Punk ernst zu nehmen, erfolgte in den Neunzigern mit den Riot Grrrls (siehe den Beitrag von Lisa), deren Kritik auf jenen Aspekt abzielte, der mit der Kulturindustrialisierung von Punk einher gegangen war: die einst so verhassten gesellschaftlichen Strukturen hatten sich im Punk reproduziert, Rassismus, Sexismus und Heteronormativität wurden nicht nur toleriert, sondern waren struktureller Bestandteil der Szene. „It doesn’t matter ’cause this is new radio […]/Turn the static up/Come here baby, let me kiss you like a boy does“, sangen etwa Bikini Kill gegen diese Strukturen an. Die feministischen Riot Grrrl forderten eine Selbstreflexion der Punkszene ein, ein Aufruf, der kurzzeitig Gehör fand, aber lange Zeit keine strukturellen Veränderungen mit sich brachte – erst in den letzten Jahren hat sich eine neue aktive feministische Punkszene etabliert, während viele der Riot Grrrl der Neunziger sich frustriert von der Szene abwandten und in anderen musikalischen Feldern nach neuen Wegen suchten. Parallel wurde Punk in Neunzigern in Folge von Grunge zu einem kommerziellen Massenphänomen. Während NOFX noch 1992 ironisch sangen: „Please play this song on the radio/Almost every line is sung in time/Almost every verse ends in a rhyme“, wurde der Song nur wenige Jahre später Realität: NOFX liefen zusammen mit Green Day, The Offspring und vielen anderen heute vergessenen Bands im Mainstream-Radio. Während sich Punk am Anfang dem  Mainstreamradio verweigert hatte, indem es dem Publikum seine neue Musik zumutete, steht die Gegenwart für die Eingemeindung des harmlos gewordenen Punkrock. Das letzte Wort sollen die Punk-Verweigerer Shellac erhalten, die es geschafft haben, konsequent unterhalb des Radars der kommerziellen Verwertbarkeit zu segeln: „Welcome to my top ten/I’d like to thank our sponsor/We haven’t got a sponsor/Not if you were the last man on earth/And she was prepared to prove it/This one goes out to a special girl/There is no special girl/It’s the end of the radio“ („The End of Radio“).

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.