Schlammschlacht und groteskes Theater in Halle

Es geht um mehr als rückläufige Zuschauerzahlen

von | veröffentlicht am 04.04 2019

Beitragsbild: Transit

Noch immer schwelt der Konflikt rund um den Opernintendanten Florian Lutz. Vor über einem Monat setzte der Aufsichtsrat den vorerst letzten Akkord einer Schlammschlacht gegen den künstlerischen Leiter des Musiktheaters. Der Beitrag schaut auf Hintergründe und Abgründe der Diskussionen um die Intendanz des Teams um Florian Lutz.




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Vor gut einem Monat wurde bekannt, dass der Aufsichtsrat der Bühnen Halle den Vertrag mit Opernintendant Florian Lutz nicht verlängert hat. Diese Entscheidung hat starke Kritik hervorgerufen. Obwohl es einen Rückgang der Zuschauerzahl um knapp neun Prozent in den ersten zwei Spielzeiten gab, wurden die Inszenierungen gelobt und fanden überregionale Beachtung. Das zeigt zum Beispiel ein offener Brief von über 30 Intendanten, die sich für eine Vertragsverlängerung von Florian Lutz aussprachen [LINK]. Gleichzeitig wurde die Arbeit der Intendanz um Lutz mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Warum also entschied der Aufsichtsrat gegen Florian Lutz?

Die Stadträtin Katja Müller (Die Linke) betont, dass die künstlerische Ausrichtung nicht der entscheidende Punkt bei der Frage nach einer Vertragsverlängerung sei: „Es muss auch ökonomisch funktionieren. Das ist sicherlich auch nicht die Priorität, auf die wir als erstes gehen, also Zahlen dürfen für unsere Begriffe auch nicht im Vordergrund stehen, aber sie können natürlich auch nicht außer Acht gelassen werden.“ Ähnlich sieht es Detlef Wend (SPD). Er verteidigt die Arbeit des Aufsichtsrats, dem er selbst angehört: „Wenn man verantwortungsvoll einen Intendantenposten besetzt, geht es doch auch nicht nur darum, wie dieser eine Intendant jetzt diese eine oder andere Inszenierung gemacht hat, sondern es geht um seine Gesamtrolle und -funktion, wie er hier eine Intendanz ausfüllt. Da haben wir Aufsichtsräte schon mehr Informationen und größere Einblicke und das nehmen wir dann alles mit.“ Vertreter der Kulturszene, die Lutz‘ Arbeit mit Preisen gewürdigt und den Brief zu seiner Unterstützung unterzeichnet haben, seien aufgrund persönlicher Verbindungen befangen: „Alle wissen, dass der Vater von Herrn Lutz eine große Nummer in der Kultur- und Feuilletonjournalistenszene ist. Das riecht schon auch ein bisschen nach ,ich agitiere mal meine Freunde‘.“

Beide Stadtratsmitglieder stören sich besonders an dem Vorwurf, der Aufsichtsrat wolle mit der Nicht-Verlängerung des Vertrages kurz vor der Kommunalwahl einer AfD-Wählerschaft entgegenkommen. Dieser war in einem Kommentar der Journalistin Regine Müller erhoben worden, der auch von Transit veröffentlicht wurde. Regine Müller hatte dort außerdem vermutet, dass es im Orchester, dessen Vorstand eine Entlassung von Florian Lutz gefordert hatte, viele AfD-Sympathisanten gebe. „Da wurde polarisiert nach dem Motto ,Wer für Lutz ist, ist für das Innovative, Schöne, Neue, Gute, und wer gegen Lutz ist, der ist für das tumbe, AfD-nahe, blödsinnige Dummkopf-Theater‘. Das irritiert mich hochgradig, da fehlt mir intellektuelle Redlichkeit“, ärgert sich Detlef Wendt. Doch tatsächlich ist zumindest ein prominentes Mitglied der Staatskapelle für rechte Positionen bekannt. Der Klarinettist Frank Hirschinger unterzeichnete die Erklärung 2018 [Link] und bekämpft seit Jahren Stadtpolitik links von der CDU. Seine Präsenz in sozialen Medien legt durchaus eine gewisse Nähe zu AfD-Positionen nahe. Größere Gruppen im Orchester haben Hirschinger immer wieder in Positionen wie den Orchesterbetriebsrat oder -aufsichtsrat gewählt. Er bezieht seit Monaten immer wieder öffentlich Stellung gegen die Intendanz.

Wer die Debatte verfolgt, kann den Eindruck bekommen, dass es unterschwellig um eine größere Frage geht: Ist die Oper dazu da, zu entspannen und den Alltag hinter sich zu lassen oder hat sie einen politischen und gesellschaftskritischen Anspruch? Florian Lutz stellt hier durchaus Seh- und Hörgewohnheiten des halleschen Publikums infrage. Den Geschmack von SPD-Mann Wend trifft er damit jedoch bisher nicht: „Dieser gesellschaftlich-politische Anspruch hat mich nicht überzeugt. Ich gehöre zu den Menschen, die eigentlich schon eher politisch sind und auch gut finden, wenn man dezidiert Position bezieht. Aber ich muss ganz ehrlich sagen: Das war überwiegend mit dem Holzhammer. Ich fand es nicht intelligent.“ Katja Müller von der Linken betont, wie wichtig es sei, „dass natürlich Kunst und Kultur gerade in der momentanen Zeit, die wir haben, wo ein konservativ-rechter Zeitgeist auch auf dem Vormarsch ist“ politisch Stellung beziehen. Bei der Diskussion um die Intendanz sei dies aber nicht der alleinig ausschlaggebende Punkt.

Interessant ist auch die Zusammensetzung des Aufsichtsrats zu betrachten. Dieser besteht unter anderem aus ehrenamtlichen Mitgliedern der Stadtratsfraktionen. Für die Linke ist das Rudenz Schramm, der Chef des Steintor-Varietés. Hat dieser als Vertreter einer anderen kulturellen Institution möglicherweise ein Interesse an einer geringen Publikumswirksamkeit der Oper? Stadträtin Katja Müller streitet das ab. Sie gibt aber zu, dass es für Ehrenamtliche eine Herausforderung darstellen kann, sich in kurzer Zeit in die komplexen Themen und Auseinandersetzung im Aufsichtsrat einzuarbeiten. Oberbürgermeister Bernd Wiegand hat daher kürzlich einen Vorschlag in den Stadtrat eingebracht, der die Rechte und Pflichten von Aufsichtsrat, Geschäftsführung und künstlerischer Leitung neu definieren soll.

Denn auch zwischen Geschäftsführung und künstlerischer Leitung gibt es seit längerem Auseinandersetzungen. Die Rede ist von Mobbing durch den Geschäftsführer Stefan Rosinski. Diesem wurde bereits an vorherigen Stationen in Rostock und an der Volksbühne Berlin vorgeworfen, eigene Ambitionen als Opernregisseur zu haben. Nachdem er seine Position an der Volksbühne verloren hatte, bezeichnete Intendant Frank Castorf seinen Weggang als „große Befreiung“. Für Detlef Wend entbehren die heftigen Vorwürfe in Halle jeglicher Grundlage. Er fordert dazu auf, den Konflikt nicht weiter in der Öffentlichkeit auszutragen.

Doch dazu wird es wohl nicht kommen: Erst vergangene Woche hat der Intendant vom neuen theater, Matthias Brenner, angekündigt, zurückzutreten, sollte der Aufsichtsrat aus seinen Vorwürfen gegen Rosinski nicht endlich Konsequenzen ziehen. der Geschäftsführer habe ein Klima der Angst geschaffen, das Brenner eine weitere Zusammenarbeit unmöglich mache. Am 12. April läuft das Ultimatum aus, das Brenner dem Aufsichtsrat gestellt hat. Der Streit um die Bühnen geht also weiter. Dass dies auch weiter in der Öffentlichkeit geschieht, ist angesichts der Bedeutung des Hauses für die Stadt und der beachtlichen Höhe des öffentlich finanzierten Zuschusses absolut angemessen.

Stadträt*innen im Gespräch bei Radio Corax

Die Zitate im Beitrag stammen aus zwei Gesprächen, die Radio Corax mit dem Stadtrat und Aufsichtsratsmitglied Detlef Wend (SPD) und der Stadträtin Katja Müller (DIE LINKE) geführt hat.

Der Beitrag selbst erschien ursprünglich als Audio-Version bei Radio Corax und kann hier nachgehört werden.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.

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