„Raus aus diesem Elfenbeinturm“

Zusammenfassung einer Podiumsdiskussion über die Auswirkungen des gesellschaftlichen Rechtsrucks auf das universitäre Leben in Halle

von | veröffentlicht am 01.07 2018

Beitragsbild: FSR PhilFak I MLU

Radio CORAX sprach anlässlich des Antirassistischen Sommerfests auf dem Steintor-Campus der Uni Halle am 23. Juni mit Markus Leber, dem Kanzler der Uni Halle, Lukas Wanke, dem Sprecher des Studierendenrates (StuRa),David Begrich von Miteinander e.V. und Robert Schnepf, Professor am Seminar für Philosophie über die Auswirkungen des gesellschaftlichen Rechtsrucks auf das universitäre Leben.




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Ausgangspunkt des Gespräches (den kompletten Mitschnitt gibt es bei Corax) war die gemeinsame Stellungnahme der Universität und des Studierendenrates zum Hausprojekt der Identitären Bewegung (IB) in unmittelbarer Nachbarschaft zum geisteswissenschaftlichen Steintor-Campus. Darin heißt es unter anderem: „Wir verstehen es als Affront, dass eine politische Gruppierung durch den Bezug eines Hauses unmittelbar gegenüber dem Steintor-Campus einen nationalistischen Brückenkopf gegenüber akademischer Internationalität und Freiheit errichtet hat und ein potentielles Bedrohungsszenario aufbaut.“

Kanzler Leber sieht diese Bedrohung vor allem in der ständigen Präsenz des Hauses und der IB direkt am Campus. Dazu gehöre die installierte Video-Überwachung, die mindestens in der Anfangszeit auch den Eingangsbereich zum Campus überwacht und damit die Universität direkt attackiert habe. Darüber hinaus stelle das Haus eine geistige und emotionale Herausforderung dar.

Lukas Wanke ergänzt, dass das Gewaltpotenzial der IB bereits bei vereinzelten Vorfällen im unmittelbaren Umfeld der Universität spürbar gewesen sei, bspw. bei einem Vorfall an der Harz-Mensa sowie bei einer Attacke auf Polizeiangehörige auf dem Steintor-Campus. Und mit der Verschiebung dessen, was sagbar ist, nach Rechts, würden auch sexistische und rassistische Äußerungen auf dem Campus Einzug halten, zum Beispiel in Gestalt von Flyern mit menschenverachtendem Inhalt oder rechte Propaganda, mit der gerade eben die Toiletten des Sommerfestes beklebt werden würden. Nicht zuletzt habe es auch erstmals eine Beteiligung an den Hochschulwahlen gegeben mit einem intoleranten und diffamierenden Auftreten und dem Verschreien all jener als linksextremistisch, die für Toleranz eintreten.

Die Wahlen hatten schließlich auch ein Mitglied der sogenannten Campus-Alternative (die Hochschulgruppe der AfD-Jugend) zu einem Sitz im StuRa der Universität verholfen, dem Beziehungen zur IB nachgesagt werden. Das sei, so Wanke, sehr problematisch, allerdings kein Gradmesser für die allgemeine Stimmung auf dem Campus, da es relativ leicht sei, auch mit sehr wenigen Stimmen und ohne große Unterstützung einen Platz im StuRa zu erreichen. Im Idealfall werde diese eine Mitgliedschaft auch verpuffen, wenn alle anderen am antifaschistischen Konsens festhielten.

„Die Kirche im Dorf lassen“

Das IB-Haus am Steintor-Campus ist vor allem ein Ort der Vernetzung, ein wichtiger Baustein im „Kulturkampf“ der AfD. David Begrich führt dazu aus, dass die IB den Kern einer neuen rechtsextremistischen Bewegung darstellen würde. Dabei sei gar nicht die Masse entscheidend, sondern die Strategie der Kommunikation. Die Netzwerkstrukturen seien sehr gut aufgestellt, all das, was im rechten Raum getan wird, nach außen zu kommunizieren – bspw. eine Kaffeetasse zu fotografieren, das Foto ins Netz zu stellen und es als heroische Tat des Tages zu verkaufen. Über diese bewusste Inszenierung und Selbstästhetisierung wollen man vor allem mehr Anhänger gewinnen, die letztlich auch die künftige akademische Elite des Landes darstellen sollen – so zumindest das Selbstbild. Die Mehrzahl der bekannten Kader komme allerdings aus Burschenschaften, der völkischen Jugendbewegungen sowie früheren neonazistischen Organisierungen.

Die Werbung von neuen Mitgliedern an der Uni funktioniere nicht wirklich, ergänzt Lukas Wanke. Es gebe zwar öffentliche Aktionen, die medial ausgeschlachtet würden, bei denen aber selbst viel mehr nicht passiere (Transit berichtete). Der Zuwachs finde eher über Zuwanderung aus anderen Teilen von Deutschland statt und zwar von Menschen, die bereits aus diesem Kontext stammen und angesichts des IB-Hauses gezielt nach Halle kämen.

Kanzler Leber befürchtet zwar, dass die Uni in „patriotischen Kreisen“ den Ruf erhalte, die „Hauptstadt der Bewegung“ zu werden aufgrund des IB-Hausprojektes. Darüber hinaus solle man aber „die Kirche im Dorf lassen“. Das selbstgegebene Image der IB wirke nicht über diese Kreise hinaus und auch nicht in die Gesellschaft – da fühle er sich beispielsweise von Kollegen an anderen Hochschulen bestätigt, die ihn fragen würden, was denn die IB sei.

Was die Beeinträchtigung des universitären Alltags angehe habe es laut Robert Schnepf am Anfang zwar eine gewisse Verunsicherung unter den Kollegen an der Uni gegeben. Mittlerweile zähle es allerdings zu den Erfahrungen, dass der Seminarbetrieb eigentlich funktioniert, auch dann, wenn IB-Mitglieder im Seminar sitzen. Als Lehrende habe man zu gewährleisten, dass das Seminar als Ort der fachlichen und offenen Auseinandersetzung und Reflexion ungestört ablaufen kann, weil das das Zentrum der Lehre sei und bleiben müsse. Und dabei seien alle eingebunden, die an einem Seminar teilnehmen, solange sie sich an gewisse Spielregeln halten. Gerade in einer offenen und freien Seminardiskussion lägen der zentrale Ort der Universität und auch das Gegenmodell, das es zu verteidigen gelte.

Spagat zwischen freier Diskussion und Grenzsetzung

An der Stelle, wie der Spagat zwischen einer offenen und freien Diskussion und einer notwendigen Grenzsetzung gelingen solle, blieb die Diskussion eher vage: Leber hielt einen Ausschluss bzw. eine Ausgrenzung von nicht mehrheitsfähigen Meinungen für kontraproduktiv. Wanke forderte eine Grenzziehung auf Basis demokratischer und menschenrechtskonformer Standards gegenüber rassistischen, sexistischen, diskriminierenden Haltungen. Und Schnepf plädierte dafür, den Seminarleitenden und Seminarteilnehmenden im Einzelfall als letzten Instanzen das notwendige Fingerspitzengefühl zuzutrauen, denn allgemeine Regeln bzw. Grenzsetzungen würden den Rahmen eines Seminargespräches so einschränken, wie man es eigentlich selbst gar nicht wolle. Begrich sieht hier einen Ansatzpunkt bei einer eigentlich erfolgreichen Strategie der Rechten: dem Pendeln zwischen Provokation und Tabubruch. Die Herausforderung bestehe, auch an der Uni, einen Tabubruch von einer Provokation zu unterscheiden. Einen Tabubruch gelte es zu sanktionieren.

Begrich beobachtet insgesamt eine „Entgrenzung der Niedertracht“ im öffentlichen Diskurs. Das Klima und die Tonlage würden rauer, es gebe persönliche, beleidigende Angriffe. Die einzig sinnvolle Reaktion darauf sei eine stetig ruhige und sachliche Antwort, statt sich zum Opfer der eigenen moralischen Überzeugung zu machen. Leber ergänzt, dass parallel dazu eine gesellschaftliche Akzeptanz für antirationale und antiwissenschaftliche Positionen entstanden sei. Es sei heute wieder schick geworden, Dinge zu behaupten, anstatt sie zu begründen. Hier seien Universität und Wissenschaft als System insgesamt herausgefordert, auch was die eigene Position innerhalb der Gesellschaft angeht. Sachliche Argumente seien die Grundlage für alle Erkenntnisse und für jeden Fortschritt. Dem antiwissenschaftlichen Trend gelte es aktiv entgegenzutreten: „Wir müssen raus aus diesem Elfenbeinturm.“

Wie das gelingen soll, versucht Schnepf zu beantworten: Zum Beispiel durch eine Teilnahme an solchen Diskussionen wie auf dem Sommerfest. Universitäten hätten zudem eine Multiplikatoren-Funktion, bspw. in der Lehramtsausbildung. Hier müsse universitäre Ausbildung sich fragen: Wie bilden wir Lehrkräfte so aus, dass sie an den Schulen mit solchen Situationen umgehen können. Dazu gehöre es, dass angehende Lehrkräfte sich schon in den Seminaren die Souveränität, Ruhe und Sachlichkeit erarbeiten, die später von ihnen erwartet wird. Es gebe damit also auch eine indirekte Wirkung der Universität, die nicht vernachlässigt werden dürfe.

Und Begrich ergänzt mit Blick auf die verbreiteten rechten Schriften, dass gerade die Universität ein Ort sein könnte, an dem sich offensiv mit rechten Autoren, bspw. der Konservativen Revolution, auseinandergesetzt wird, um deren Mythos der Selbstinszenierung als Gegenelite zu dekonstruieren. Der beste Ort für eine intellektuelle Auseinandersetzung mit diesen Denktraditionen sei die Universität. Schnepf pflichtet dem bei und äußert, dass er dies, auch bereits getan habe. Allerdings scheue er sich auch davor, weil das hieße, auch einfach „grottenschlechte Texte“ im Seminar zu behandeln. Insgesamt sei es aber eine lohnende und unterstützenswerte Sache, wenn es gelänge solche Seminare gemeinsam mit Studierenden vorzubereiten.

Zum Nachhören

Radio CORAX sprach anlässlich des Antirassistischen Sommerfests auf dem Steintor-Campus der Uni Halle am Sonnabend, 23. Juni, mit Markus Leber, dem Kanzler der Uni Halle, Lukas Wanke, dem Sprecher des StuRa Uni Halle, mit David Begrich von Miteinander e.V. und mit Robert Schnepf, apl. Professor am Seminar für Philosophie der Universität Halle über die Auswirkungen des gesellschaftlichen Rechtsruck auf das universitäre Leben.

>> der komplette Mitschnitt

Zudem sprach Radio CORAX bereits im März mit dem Kanzler der Universität Halle, Markus Leber, und einem der Vorsitzenden Sprecher des Studierendenrates, Lukas Wanke, über den Offenen Brief des Rektorats und des Studierendenrats der Martin-Luther Universität Halle-Wittenberg zum rechten Hausprojekt der Identitären.

>> der Gesprächsmitschnitt

Der Beitrag wurde auf Basis eines Mitschnittes von Radio Corax geschrieben.