Kein Mensch ist illegal!

Das Netzwerk-Bleiben-Halle sucht nach solidarischen Antworten auf Abschiebepraxis.

von | veröffentlicht am 24.02 2022

Beitragsbild: Netzwerk Bleiben Halle

Jeden Tag werden Menschen aus Deutschland abgeschoben. Viele leben mit der ständigen Gefahr, von den staatlichen Behörden mit Gewalt an andere Orte und in unsichere Lebensumstände gezwungen zu werden. Das Netzwerk-Bleiben will in Halle eine Unterstützungsstruktur ermöglichen, um der Abschiebepraxis konkrete solidarische Antworten vor Ort entgegenzustellen. Dafür sucht es Unterstützer*innen.




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Transit: Das Netzwerk-Bleiben-Halle will sich dafür einsetzen, Menschen zu unterstützen, denen akut eine Abschiebung droht. Warum braucht es einen solchen Zusammenschluss in Halle?

Netzwerk Bleiben: Abschiebungen sind brutaler Alltag und Teil des rassistischen Normalzustandes in Deutschland. Die davon betroffenen Menschen müssen in permanenter Unsicherheit leben und – meist auf sich allein gestellt – gegen die Asylbehörden ankämpfen. Darum versuchen viele illegalisierte Menschen auch hier in Halle Unterstützungsmöglichkeiten zu finden und unterzutauchen, um nicht vom deutschen Staat verhaftet und verschleppt zu werden. Für den Großteil der Gesellschaft bleibt die schwierige und prekäre Lebenssituation der Betroffenen meist jedoch unsichtbar, ebenso wie die behördliche Planung und Durchführung der Abschiebepraxis, die auch von den Behörden in Halle organisiert wird. Regelmäßig finden dabei auch Abschiebungen vom Flughafen Leipzig-Halle statt. Menschen werden von hier aus an Orte gezwungen, die sie verlassen haben, um für sie unerträglichen Lebensbedingungen zu entgehen oder auch einfach nur, um eine bessere Zukunft zu finden. Dabei ist bekannt, dass es bei Abschiebungen immer wieder zu Rechtsbrüchen seitens der ausführenden Behörden kommt. Unter anderem werden Familien getrennt und betroffene Menschen misshandelt. Zu dieser Behördenwillkür zählt auch die Inhaftierung der Betroffenen, für die das Land Sachsen-Anhalt die Abschiebegefängnisse anderer Bundesländer benutzt, ebenso wie die lange Unterbringung eingewanderter Menschen in großen Sammellagern, um sie von sozialer und informeller Unterstützung zu isolieren und dadurch Kontrolle und Abschiebungen leichter und ungestört durchführen zu können. Diese Wirklichkeit tritt meist jedoch in den Hintergrund angesichts einer menschenverachtenden Migrationspolitik, die getragen wird durch den Rassismus im Alltag, in den Medien, Parteien und von rechter Hetze zur Entmenschlichung und Entrechtung migrierter und geflüchteter Menschen. Es braucht deshalb eine solidarische Antwort und Praxis, welche die Situation der Betroffenen in den Mittelpunkt stellt und Menschen zusammenbringt statt voneinander trennt.

Das Netzwerk Bleiben Halle

Das Netzwerk-Bleiben will in Halle eine Unterstützungsstruktur ermöglichen, um der Abschiebepraxis konkrete solidarische Antworten vor Ort entgegenzustellen.

Mehr infos unter: netzwerkbleibenhalle.blackblogs.org

Als Zwangsmaßnahme sind Abschiebungen nach geltendem Asylrecht möglich und werden als solche – selbst in Zeiten einer globalen Pandemie – durchgeführt. Warum haltet ihr die Abschiebepraxis für falsch und was entgegnet ihr Menschen, die Abschiebungen mit juristischen Argumenten rechtfertigen?

Unabhängig von den Folgen und asylpolitischen, sowie juristischen Debatten und Entscheidungen um die ,,richtigen Voraussetzungen und Bedingungen“ der Abschiebepraxis, widersprechen Abschiebungen grundlegend der Gleichbehandlung aller Menschen aufgrund rassistischer Kategorisierungen (wie Herkunft, Aussehen, Sprache, Nationalität und anderen zufälligen Merkmalen), sowie dem daraus resultierenden Selbstbestimmungsrecht jedes Menschen über den Aufenthaltsort und die eigenen Lebensbedingungen selbst zu entscheiden. Im Gegenteil dazu wird das Asyl-und Rechtssystem bewusst dazu missbraucht, um eingewanderten Menschen die gesellschaftliche Teilhabe zu erschweren oder sie ganz davon auszuschließen. Die Erklärung von ,,gerechten Asylentscheidungen“ dient den Regierungen und Behörden lediglich als Vorwand, um jede Gewalt und Rechtsübertretung bei Abschiebungen als ordnungsgemäße Maßnahme zu rechtfertigen. Ob ein Mensch Asyl erhält oder nicht, hängt jedoch maßgeblich davon ab, ob zuständige weiße Sachbearbeiter*innen und Richter*innen Fluchtbegründungen als glaubwürdig und genügend erachten oder nicht. Betroffenen wird von Behörden oft willkürlich unterstellt, keine nötigen und beweisbaren Fluchtgründe zu haben. In sehr vielen Fällen werden Asylanträge von den deutschen Behörden nicht einmal bearbeitet, weil andere EU Staaten für sie verantwortlich gemacht werden. Mit diesen ungerechten, willkürlichen und vor allem rassistischen Asylurteilen über Menschenleben muss Schluss sein.

Wie müsste das Asylsystem eurer Meinung nach aussehen, um staatlicher Willkür vorzubeugen?

Es braucht kein Asylsystem, sondern die Abschaffung von Grenzen und stattdessen sichere Reisewege. Es braucht eine solidarische Alternative zu staatlicher Verfolgung, Nationalismus und Kapitalismus. Millionen von Steuergeldern werden jährlich in Abschiebeflüge, sowie den Ausbau und Betrieb von Sammellagern, Abschiebegefängnissen, Securities und Behörden investiert statt in die Förderung von schnellen Ankunftshilfen und Teilhabemöglichkeiten. Bereits seit Jahrzehnten gibt es jedoch Alternativen zu einem solchen System. Die sogenannten „Sanctuary Cities“ in den USA etwa, die illegalisierten Menschen legale Aufenthaltsmöglichkeiten bieten und gleichberechtigten Zugang zu sozialer und wirtschaftlicher Teilhabe, können u.a. als realistisches Beispiel dienen, wie Städte und Gesellschaften sich auf sozialer und politischer Ebene der Abschiebepraxis staatlicher Behörden widersetzen und emanzipatorische Alternativen aufbauen können, durch die eingewanderte Menschen schnell zu eigenständigen Nachbar*innen und Kooperationspartner*innen werden,um an der Gesellschaft von Beginn an konstruktiv mitzuwirken.

Die Spielräume, mit lokalen Strukturen das rassistische Asyl- und Rechtssystem der BRD zu überwinden, fehlen in Halle jedoch bislang. Auch wenn die Stadt Halle sich im Jahr 2018 als ,,sicherer Hafen“ bekannt hat, mit dem Versprechen, Menschen die in Seenot geraten sind aufzunehmen und ihnen Sicherheit zu bieten, blieb es bis jetzt bei diesen bloßen Lippenbekenntnissen. Die systembedingte Untätigkeit institutioneller Strukturen bis zum jetzigen Zeitpunkt macht die Notwendigkeit von zivilgesellschaftlicher Unterstützung auch auf lokaler Ebene weiter deutlich.

Das Ziel einer solidarischen Gesellschaft, in der alle Menschen gleichberechtigt zusammenleben und gemeinsam entscheiden können, wie sie leben wollen, ist die einzige Zukunft, die menschlich und lebenswert ist. Damit verbunden ist die Alternative für alle Menschen, sich aus einem System zu lösen, das durch Hierarchien, Ausgrenzung und Ausbeutung definiert ist. Bis dahin ist es leider noch ein langer Weg, für den es Strukturen wie das Netzwerk-Bleiben.Halle braucht.

Welche solidarischen Antworten können der Abschiebepraxis konkret – auch hier in Halle – entgegengesetzt werden?

Schon immer stehen Migrant*innen-Communities zusammen und kämpfen gemeinsam gegen Abschiebungen, indem sie sich gegenseitig sichere Schlafplätze zur Verfügung stellen. An diesen Widerstand anschließend haben sich in ganz Deutschland mehrere sogenannte ,,Bürger*innen-Asyl’’-Initiativen gegründet. Auch wir als ,Netzwerk-Bleiben’ knüpfen daran an. Das Netzwerk hat sich 2019 aus einer Gruppe von postmigrantischen und weißen Menschen gegründet, um Menschen zu unterstützen, die von Abschiebung bedroht sind und Hilfe suchen. Die Idee ist dieselbe: Sichere Unterkünfte durch Privatpersonen zu vermitteln. Mit den untergebrachten Menschen suchen wir dann nach Möglichkeiten, wie sie ein langfristiges Bleiberecht erlangen können.

Dabei ist von zentraler Bedeutung, dass die Stimmen und Perspektiven der unterstützten Menschen im Vordergrund stehen und ihre selbstbestimmten Entscheidungen und Kämpfe gestärkt werden.

Das Netzwerk-Bleiben verfolgt als vorrangiges Ziel den Ausbau von Unterstützungsmöglichkeiten in und um Halle (Beratung, Vermittlung, direkte Hilfe) in Kooperation mit unterstützungsbereiten Menschen. Langfristig besteht die Aufgabe darin, bestimmenden Einfluss auf die Politik und den öffentlichen Diskurs zu nehmen, der über Asyl und Abschiebung geführt wird. Damit soll der stetig wachsenden Verschärfung und Anonymisierung des Abschiebesystems und der europäischen Abschottungspolitik insgesamt entgegengewirkt werden. Nur wenn viele Menschen sich zu solidarischem Handeln bereit erklären, kann gemeinsam eine breite Bewegung und politische Kraft erzeugt und mitgetragen werden, die die öffentliche Rechtfertigung für Abschiebungen und deren Durchführung unmöglich machen.

Welche Rolle nehmt ihr als Netzwerk in der Unterstützung ein?

In der Praxis wirken wir als Vermittlungs- und Begleitstelle für von Abschiebungen bedrohten und aufnahmebereite Menschen und ermöglichen weitergehende Hilfen. Dafür müssen einige Voraussetzungen erfüllt werden, für die wir auf eine breitere Unterstützung angewiesen sind. So suchen wir zum Beispiel Menschen, die ein freies Zimmer zur Verfügung stellen können, oder auch solidarische Unterstützung im Alltag der Betroffenen anbieten. Dabei sind wir als Netzwerk auf finanzielle Unterstützung angewiesen, um Kosten für Lebensmittel, Anwält*innen oder Miete decken zu können. Und letztlich lebt ein solches Netzwerk davon, dass die Ideen weiter verbreitet werden, um mehr Menschen einbinden zu können und um auf die öffentliche Debatte zum Thema Abschiebungen und Asyl Einfluss zu nehmen. Grundsätzlich gilt: je mehr Menschen dabei unterstützen wollen, desto mehr und weitreichender kann den betroffenen Menschen geholfen werden!

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.