Mietsteigerungen sind kein Naturgesetz

Halle braucht Strategien zur Wohnraumversorgung jenseits von Verwertungsinteressen

von | veröffentlicht am 25.05 2019

Beitragsbild: Transit

Das Thema ist gesetzt. Kaum eine Zeitung die in den letzten Wochen nicht über die horrenden Summen geschrieben hat, die Mieter_innen in Großstädten monatlich auf die Konten von Immobilienunternehmen überweisen müssen. Steigende Mietpreise werden zunehmend als soziales Problem begriffen. Das ist zwar schon lange so, jüngere Entwicklungen wie der zunehmende Fluss von Kapital in sogenanntes „Betongold“ infolge der Finanzkrise 2007/8 haben die Situation jedoch weiter verschärft. Nicht zuletzt ist es einer erstarkten Mieter_innenbewegung gelungen, auf diese Probleme aufmerksam zu machen und Forderungen nach umfassenden Veränderungen in die Öffentlichkeit zu tragen.




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Auch in Halle sind die Mieten in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Dabei war die Stadt lange Zeit für einen relativ „entspannten“ Wohnungsmarkt und erschwingliche Mieten bekannt. Das hat sich mittlerweile drastisch geändert. Nachdem bereits die meisten Leerstände beseitigt worden sind, sollen nun auch die letzten Quartiere aufgewertet werden. Nachdem jahrelang kommunale Wohnungsbestände dezimiert wurden, wird heute wieder fleißig gebaut, in den meisten Fällen durch private Unternehmen. Die Stadt versucht mithilfe von Grundstücks- und Hausprivatisierungen Löcher im Haushalt zu stopfen, die aufgrund der chronischen Unterfinanzierung der Kommunen entstehen. Gleichzeitig bemüht sich die Stadt um ein junges und kreatives Image und unterstützt selbstorganisierte Orte und “Freiräume”, in denen potentielles kulturelles Kapital gesehen wird. “Arm, aber sexy”, scheint die Devise zu sein.

Dabei sind die Probleme der Stadt bekannt. Infolge der rasanten Mietpreisentwicklung, die sich auf bestimmte Stadtteile konzentriert, verschärft sich zunehmend die soziale Segregation. Die Stadt gibt vor, dem entgegenwirken zu wollen und will dafür ihre städtischen Wohnungsgesellschaften in die Pflicht nehmen. Der hohe Anteil städtischer Gesellschaften und Genossenschaften am Wohnungsmarkt ist eine Besonderheit ostdeutscher Städte. In Halle beträgt er noch etwa 40%. Darin liegt eigentlich ein Potential, Strategien zur Wohnraumversorgung jenseits von Verwertungsinteressen zu entwickeln. Dass dies aber nicht passiert, sondern eher das Gegenteil der Fall ist, zeigt, dass es nicht reicht, eine Rekommunalisierung von Wohnraum zu fordern ohne gleichzeitig eine Demokratisierung von Entscheidungsstrukturen voranzutreiben.

Denn in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass städtische Wohnungsunternehmen wie die HWG selbst Teil des Problems sind. Im Paulusviertel, einem Stadtteil, in dem die Mieten ohnehin bereits weit über dem städtischen Durchschnitt liegen, bietet das Unternehmen „exklusives Wohnen“ für 11,5€/m² (Kaltmiete) an. Der Wohnpark ist als Private-Public-Partnership mit dem Bauunternehmen Papenburg entstanden. Ein Verkauf an ein österreichisches Investmentunternehmen kurz nach Fertigstellung der Wohnungen konnte nur durch das Eingreifen des HWG-Aufsichtsrats verhindert werden.¹ Das zeigt nicht nur, wie ernst es das städtische Unternehmen mit seiner „sozialen Verantwortung“ meint, sondern auch, inwiefern die Stadt das Problem sozialer Segregation angeht. Wenn die WG Freiheit ankündigt, ab 2022 auf der Silberhöhe, in Heide-Nord oder in der Südstadt genossenschaftliche Neubauwohnungen für einen Quadratmeterpreis unter 9€ anbieten zu wollen, in Vierteln also, in denen der durchschnittliche Mietpreis derzeit bei unter 5€/m² liegt, wird deutlich, was hier unter „sozialer Durchmischung“ verstanden wird. Langfristig wird der Zuzug von Besserverdienenden, die sich eine solche Miete leisten können, zu Verdrängungsprozessen führen, die Menschen dazu zwingen werden, auf das Umland auszuweichen oder sie gar in die Wohnungslosigkeit treiben. Um der Segregation entgegen zu wirken, braucht es keine preisliche „Aufwertung“ von günstigen Stadtteilen, sondern eine „Abwertung“ teurerer Wohngegenden in Innenstadtnähe.

In letzter Zeit wird in Halle immer wieder die Forderung nach einem sogenannten „qualifizierten“ Mietspiegel laut, dessen Anfertigung durch ein Privatunternehmen aus Kostengründen immer wieder verschoben wurde. Der Mietspiegel wird dabei von Parteien wie der SPD als Wundermittel gegen steigende Mieten verkauft und für den Wahlkampf verwendet – wohl deshalb, weil der Fraktion angesichts ihres anmaßenden Wahlspruchs „Bezahlbar Wohnen ist die halbe Miete“ kein besseres Mittel einfällt, das nicht den Interessen von Haus- und Grundbesitzer_innen zuwider läuft. Gerade in Städten mit geringeren Ausgangsmieten können Mietspiegel aber genau das Gegenteil bewirken. Denn für gewöhnlich wird die Berechnung sogenannter „ortsüblicher Vergleichsmieten“ auf der Grundlage von Neuvermietungen und Mieterhöhungen erstellt. Wenn überhaupt, bedarf es eines alternativen Mietspiegels und keines Mieterhöhungsspiegels, um die kontinuierlich steigenden Mieten in den Griff zu bekommen. In jedem Fall sollte sich die Miete nicht an der Marktentwicklung orientieren, sondern an den finanziellen Möglichkeiten der Mieter_innen.

Es sollte endlich klar werden, dass Mietsteigerungen kein Naturgesetz sind. Vermieter_innen und Immobilienunternehmen erhöhen häufig die Mieten, ohne auch nur einen Cent in die Instandhaltung oder Modernisierung der Bausubstanz zu stecken – ganz einfach, weil es möglich ist. So geschehen in Halle-Neustadt, wo das Wohnungsunternehmen „Grand City“ mit Mieterhöhungen von bis zu 20% aufwartete. Nach dem öffentlichen Bekanntwerden der übertriebenen Mietforderungen nahm das Wohnungsunternehmen diese bis auf weiteres zurück. Eine Informationsveranstaltung mit den Freien Wähler² hatte zuvor für öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt, der sich das Unternehmen möglichst schnell wieder entziehen wollte. Das Beispiel zeigt, dass Mietsteigerungen abwendbar sind, wenn sich Mieter_innen zusammenschließen, um ihre Interessen zu verteidigen. Gleichzeitig zeugt der Fall von einer vollständigen Abwesenheit progressiver Akteur_innen in sozialen Auseinandersetzungen, die derzeit in Halle stattfinden. Und während die SPD sich darauf beschränkt die Wohnungsfrage zum Gegenstand von nichtssagenden Wahlsprüchen zu machen, wird das Feld Akteuren wie den Freien Wähler („Asylrecht mit klaren Grenzen“) überlassen, die die Auseinandersetzungen in Neustadt nicht nur für ihren Wahlkampf instrumentalisieren, sondern darüber hinaus Ressentiments gegenüber Migrant_innen befeuern.³

Die Debatte um die Enteignung der „Deutsche Wohnen“ zeigt, dass gemeinsames und kontinuierliches Engagement erfolgreich sein kann. Dank der Berliner Aktivist_innen könnten erstmalig in Deutschland Enteignungen möglich werden, die nicht Energieunternehmen oder dem Straßenbau dienen. Es scheint, als hätten die sozialen Bewegungen endlich einen Hebel gefunden, um Gentrifizierungsprozesse und immer teurer werdende Städte zu verhindern. Neben den Mieten, die in nahezu jeder Großstadt steigen, ist das möglicherweise einer der Gründe wieso momentan so viel Euphorie und Kraft in den Recht-auf-Stadt-Bewegungen steckt. Wir möchten die soziale Frage wieder von links stellen – und das so entschlossen, dass wir die Themen setzen und nicht die AfD&Co.

Am Montag, den 27.5.19, findet um 19 Uhr in der Grünen Villa das Gründungstreffen eines neuen Recht-auf-Stadt-Bündnisses statt. Das Treffen ist offen und richtet sich an alle Interessierte, Recht-auf-Stadt-Aktive und solche, die es noch werden wollen.

 

¹ Zuletzt hat die WG Freiheit ein Kaufinteresse geäußert.

² Ein Vorschlag der Freien Wähler war, Mieter_innenräte einzurichten, absurderweise nach dem Vorbild der bestehenden Mieterräte der Katharinen-Wohnanlagen in Neustadt, derenUnternehmenschef Ulrich Marseille ein ehemaliger Politiker der Schill-Partei ist und an der Planung eines „Trump-Towers“ in Deutschland beteiligt war. Vor dem Verkauf an Grand City gehörten die Wohnungsblocks in Neustadt ebenfalls Marseilles Unternehmen.

³ So in einer Pressemitteilung der Freien Wähler vom 25.4.2019: „Die in den Mieterhöhungsschreiben genannten Vergleichswohnungen, für die angeblich eine Kaltmiete von bis zu 7,68 EUR je Quadratmeter bezahlt wird, die in der Richard-Paulick-Straße liegen, sind ausweislich der Klingelschilder vermutlich von Personen angemietet worden, die Transferleistungen nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II), SGB XII (Sozialhilfe) oder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten.“

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.