Ein asymmetrischer (Bürger-)Krieg

Vor 100 Jahren: Der Kapp-Putsch in Halle (Saale)

von | veröffentlicht am 15.02 2020

Beitragsbild: Corax

Ein Beitrag aus der Radio-Corax-Programmzeitung über den Kapp-Putsch in Halle und die Anfänge der Radikalisierung des halleschen Bürgertums nach rechts.




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Über einer Garageneinfahrt an der Ecke Steiler Berg/Burgstraße erinnert eine Tafel an den Tod von Willi Zschammer am 18. März 1920. Der erst 23jährige wurde hier erschossen, als er zusammen mit anderen Widerstand gegen den „Kapp-Putsch“ leistete. Auch an weiteren Stellen in Halle und seinem Umland markieren bis heute Gedenktafeln Orte der damaligen Kämpfe, die hier etwa 400 Menschen das Leben kosteten.

Am 13. März 1920 hatten in Berlin Soldaten, die aufgrund der im Versailler Vertrag festgeschriebenen Abrüstung arbeitslos zu werden drohten, gegen die von der SPD geführte Regierung geputscht und den rechten Politiker Wolfgang Kapp zum Kanzler erklärt. Noch am selben Tag schloss sich die hallesche Garnison den Putschisten an, besetzte Punkte wie den Bahnhof, die Hauptpost, die Moritzburg, den Marktplatz und die Franckeschen Stiftungen. Auf den Straßen, so eine bürgerliche Lokalzeitung, stellten die Putschisten ihr Gewaltpotential, das bis zu Panzerautos und Kanonen reichte, „provozierend“ zur Schau.

Wie in ganz Deutschland bildete sich in Halle eine breite Front gegen den Putsch, die von den Liberalen der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) bis zu den Kommunisten reichte. Am 15. März begann ein Generalstreik; der Stadtrat protestierte am selben Tag gegen das „Gewaltregiment“ der Putschisten. Auf der anderen Seite schlossen Rektor und Senat die Universität, damit sich die Studenten in „Zeitfreiwilligenverbänden“ dem Putsch anschließen konnten. Diese taten sich dadurch hervor, dass sie schon auf Anrempeleien mit exzessiver Gewalt, etwa dem Werfen von Handgranaten, reagierten. Das Militär verhaftete liberale und linke Politiker und stellte die Lokalzeitungen unter Zensur. So formierten sich einander bekämpfende Lager, ohne dass die Einzelnen allzu genau gewusst hätten, was um sie herum hervorging.

In den Industriedörfern des Umlands bildeten sich Arbeitermilizen, die sich aus lokalen Waffenlagern ausrüsteten und nach Halle zogen, um dort gegen die Putschisten zu kämpfen. Die massenhafte Selbstmobilisierung der Arbeiter war möglich, weil ihr Milieu mit der zwischen SPD und KPD angesiedelten Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) über ein starkes organisatorisches Netzwerk verfügte. Über 40 Prozent der Wähler*innen im südlichen Sachsen-Anhalt hatten bei den Wahlen des Jahres 1919 für die USPD gestimmt. Die KPD dagegen war noch sehr klein, auch wenn ihre Rolle später in der Erinnerungspolitik der DDR überhöht werden sollte. Viele Arbeiter waren während des Ersten Weltkrieges Soldaten gewesen – sie besaßen sowohl militärische Kenntnisse als auch einen tiefen Hass gegen das alte, von den Putschisten repräsentierte Militär. Ab dem 15. März sammelten sich am Stadtrand tausende bewaffnete Arbeiter, später stießen sie von dort aus nach Trotha, Kröllwitz, Glaucha und am Galgenberg vor. Ab dem 19. März wurde auch in der Innenstadt gekämpft. Da die Garnison hier schwere Waffen wie Minenwerfer einsetzte, kamen auch Unbeteiligte ums Leben. Dass das Militär insgesamt nur 27 Tote erlitt, die Gegenseite aber über 300, zeigt die Asymmetrie dieses Bürgerkrieges.

In Berlin hatten die Putschisten schon am 17. März aufgegeben, die Offiziere der halleschen Garnison behaupteten daraufhin zwar, sie seien gegenüber der SPD-Regierung loyal, weigerten sich aber, die Absetzung ihres Kommandanten, Oberst Heinrich von Czettritz, zu akzeptieren und die Zeitfreiwilligen nach Hause zu schicken. Die Arbeiter hatten wenig Grund, an einen Gesinnungswandel der Militärs zu glauben; vielen bürgerlichen Hallenser*innen wiederum erschien das Weiterkämpfen der Arbeitermilizen als Versuch einer kommunistischen Machtergreifung. Die Kämpfe endeten erst am 23. März, nachdem der DDP-Politiker Walther Schreiber einen Waffenstillstand ausgehandelt hatte. Die Arbeitermilizen lösten sich auf, die Zeitfreiwilligen wurden zurück ins Studium entlassen.

In der Arbeiterschaft führte die Erfahrung, unter großen Opfern wenig Greifbares erreicht zu haben, zu zwei gegenläufige Tendenzen. Einerseits wurde nun die KPD zur vorherrschenden Kraft der Linken. Andererseits resignierten viele Arbeiter: In den „Märzkämpfen“ des Jahres 1921 ließ sich nur noch eine Minderheit erneut mobilisieren. Dem Bürgertum galten die Liberalen um Schreiber als zu kompromissbereit gegenüber der Linken. Bei der Reichstagswahl im Juni 1920 stürzte die DDP in Halle auf nur noch zwölf Prozent ab (im Januar 1919 noch 29 Prozent). Gewinner waren die republikfeindlichen bürgerlichen Parteien; damit begann die Radikalisierung des halleschen Bürgertums nach rechts.

Autoreninfo

Patrick Wagner ist Inhaber des Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Zuletzt erschien von ihm gemeinsam mit Manfred Hettling Revolutionäre Zeiten zwischen Saale und Elbe. Das heutige Sachsen-Anhalt in den Anfangsjahren der Weimarer Republik, Halle 2019. 

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.

Die gesamte Coraxprogramm-Zeitung ist hier zu finden: Link.

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