Bewaffneter Generalstreik gegen die ersten Hakenkreuzler

1920: Kapp-Putsch – Abwehrkämpfe – Rote Ruhrarmee

von | veröffentlicht am 15.02 2020

Beitragsbild: Karl Walter | gemeinfrei

März 2020: 100 Jahre Kapp-Putsch. Ein verdrängtes Kapitel deutscher Geschichte, das jedoch mindestens genauso wichtig ist wie die Novemberrevolution 1918. Ein Beitrag aus der Radio-Corax-Programmzeitschrift.




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Da war die Führungsmannschaft der SPD unverhofft an die Macht gekommen, Kriegsgegner hatte man 1916 schon aus der Partei geworfen, die hatten eine eigene gegründet, genannt USPD. Sie regierte im Winter 1918 kurz mit, zog sich jedoch im Zuge der nachfolgenden Konflikte wieder aus der Regierung zurück.

Statt das Erfurter Programm der SPD von 1891 umzusetzen, das neben freien und gleichen Wahlen auch die Sozialisierung der Großindustrie und eine basisdemokratische Milizarmee versprach, verbündete sich die SPD-Oligarchie, Friedrich Ebert, Gustav Noske und Gustav Bauer, mit den alten kaiserlichen Generälen. Die hatten gleich nach dem Waffenstillstand zusammen mit der SPD-Führung versucht, das Deutsche Reich zu remilitarisieren: Freikorps, Zeitfreiwilligenverbände, Einwohnerwehren und die Sicherheitspolizei (Sipo) summierten sich bald zu einer Armee von über einer Million Stahlbehelmten. Freikorps hatten auch im Auftrag der Reichsregierung die Arbeiteraufstände 1919 blutig niedergeschlagen.

Der Versailler Vertrag, der das imperialistische Deutschland, das den Ersten Weltkrieg (1914-1918) wesentlich zu verantworten hatte, in die Schranken wies, verlangte die Reduzierung des deutschen Heeres auf 100.000 Mann. Nicht nur das. Mit Inkrafttreten des Vertrages 1920 mussten all die oben genannten (para-)militärischen Verbände vom Reichspräsidenten Ebert und der Regierung, der Weimarer Koalition (aus SPD, DDP, Zentrum), in der die SPD den Kanzler Bauer und den Wehrminister Noske stellte, schweren Herzens aufgelöst werden.

Doch die präfaschistischen Freikorps Ehrhardt und Loewenfeld, die schon das Hakenkreuz auf dem Stahlhelm und ihren Waffen (MGs, Minenwerfer, Artillerie, Flugzeuge, Panzerwagen, Flammenwerfer) trugen, weigerten sich und putschten am 13. März 1920.

Hauptakteure dieses Putschs waren General Walther von Lüttwitz und das Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank, Wolfgang Kapp. Drahtzieher im Hintergrund: Hauptmann Waldemar Pabst, der mit dem Einverständnis Noskes Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht hatte umbringen lassen, sowie Oberst Bauer, Adlatus des Massenmörders Erich Ludendorff, der Dr. Mabuse des Putsches. Ludendorff hatte als Chef der Obersten Heeresleitung im Weltkrieg unmittelbar Millionen junge deutsche und mittelbar Millionen französische, englische und US-amerikanische Männer in den Tod geschickt.

General Seeckt, Chef des Truppenamtes (dem getarnten Generalstab), weigerte sich, Ebert und Co. gegen die Putschisten zu schützen, und ging in den Urlaub. Zahlreiche Kommandeure der Reichswehr sympathisierten mit den Putschisten. Die SPD-Führung spielte im Folgenden ein doppeltes Spiel: Für ihre Basis bezog sie Stellung gegen den Putschversuch – paktierte jedoch weiter mit Truppen, die am Putsch beteiligt waren. Diese wurden später sogar wieder gegen die Arbeiter ins Feld geschickt, die sich gegen den Putsch bewaffneten. So ergriff die Reichsregierung das Hasenpanier. Kurz vorher hatten der Parteivorsitzende der SPD Otto Wels im Namen von Ebert, Bauer und Noske aber noch einen Aufruf zum Generalstreik losgelassen. Der größte Streik, den Deutschland je gesehen hat, folgte: 12 Millionen Arbeiter und Angestellte legten die Arbeit nieder. Die Regierung floh erst nach Dresden, wo General Georg Maercker sich weigerte, sie zu schützen. Er nahm ihnen die Pkws ab, ließ sie aber laufen, nachdem Noske, den er nicht mehr mit „Herr Minister“ sondern mit „Herr Noske“ ansprach, und die anderen SPD-Größen die Unterschriften unter den Generalstreikaufruf abgestritten hatten. Die Entmachteten landeten schließlich in Stuttgart, leugneten erneut den Aufruf und wurden so von den Militärs in Ruhe gelassen. Mittlerweile waren in den Industriegebieten Mitteldeutschlands, in Sachsen, Thüringen und am radikalsten im Ruhrgebiet die Arbeiter, teils auch Bürgerliche dazu übergegangen, sich zu bewaffnen und gegen die putschistischen Freikorps vorzugehen. Sogar Landarbeiter in Mecklenburg griffen zu den Waffen.

Meist wurden Einwohnerwehren, Polizeieinheiten, aber schließlich auch geschlagene Reichswehrtruppen Gewehre, MGs und teils auch schwere Waffen abgenommen. Denn die Reichswehr und ihre führenden Generäle schlossen sich dem Putsch an, sympathisierten mit ihm, warteten ab oder zogen die „Sicherheits- und Ordnungs-Karte“, ohne nach außen Partei greifen zu müssen. Die Wenigsten bekannten sich zur geflohenen Regierung. Gemein war allen Truppen, dass sie den Generalstreik sofort und massiv bekämpften und faktisch immer in demonstrierende Massen schossen.

Während der Streik seine volle Wirkung entfaltete, die Reichswehr, die Freikorps und die Sipo, die oft nicht zu unterscheiden waren, vielerorts, auch im Osten, geschlagen wurden, gelang es, das Ruhrgebiet vollständig von marschierenden Freikorps-Banden zu befreien. Überall wo die Arbeiter Erfolge verzeichneten, wurden diese jedoch dadurch getrübt, dass niedere SPD- oder auch USPD-Chargen in deren Namen Verhandlungen mit den Militärs führten, Kompromisse schlossen, die großteils zur Waffenabgabe der Arbeiter und nicht der Militärs und Präfaschisten führten. Aber gefangene Offiziere nicht nur einzusperren, sondern vor Revolutionsgerichten abzuurteilen, kam den Arbeitern nicht in den Sinn. Meist ließ man die Obristen laufen.

So konnten sich die konterrevolutionären Truppen erneut sammeln und ins Ruhrgebiet transportiert werden. Organisator dieses Manövers, Staatskommissar und rechter Sozialdemokrat Carl Severing, arbeitete  mit dem Putschsympathisanten General Oskar von Watter auf Gedeih und Verderb zusammen. Während der seine Truppen zusammenkarrte, nahmen die Arbeiter das Ruhrgebiet für zwei Wochen in ihre Hand. Spontan hatte sich eine Rote Ruhrarmee (die erst später so genannt wurde) aus Arbeitern, aus der Basis der SPD, USPD, KPD, der DDP und des Zentrums, sowie unter reger Anteilnahme von anarchistischen Syndikalisten gebildet, die Freikorps gewaltsam vertrieben, die Verwaltung kontrolliert und Betriebsräte eingesetzt. Man wollte mehr als die Rückkehr der alten Regierung, verlangte die Auflösung der Reichswehr, stattdessen eine Volkswehr, die Bestrafung der Putschisten und Sozialisierung. Nachdem in Mittel- und Ostdeutschland sich die Arbeiter zur Waffenabgabe hatten übertölpeln lassen, es dort an ihnen schon zu Massakern gekommen war, sammelten Severing und Watter alles, was sie an Militär noch aufzubieten hatten und das waren zu 80 bis 90 % diejenigen Truppen, die geputscht hatten, viele davon, so die Freikorps Loewenfeld, Epp, Oberland und Roßbach, trugen Hakenkreuze auf ihren Stahlhelmen und schweren Waffen. Sie sollten jetzt die Rote Ruhrarmee vernichten.

Zupass kamen Severing und seinem militärischen Arm, dass die Putschisten in Berlin aufgrund des Generalstreikes nach fünf Tagen aufgeben mussten. Die Regierung kehrte in die Hauptstadt zurück. Gewerkschaften und USPD versagten dort. Forderungen nach einer Arbeiterregierung, ein 9-Punkte-Programm der Gewerkschaften (Auflösung der Putschtruppen, Sozialisierung, strenge Bestrafung der Obristen, Arbeiterwehren) wurde teils angenommen, dann aber von Ebert und der SPD-Führung, wie der von DDP und Zentrum ins Leere laufen gelassen. Der Generalstreik wurde schließlich beendet. Jetzt waren die Kämpfer und Räte im Ruhrgebiet allein.

Severing ging äußerst geschickt vor und bot den Aufständischen Verhandlungen an, in der klaren Absicht, sie zu spalten. Man schloss das Bielefelder Abkommen, das einige soziale und militärische Zugeständnisse machte, aber Severing hatte die Finger hinter dem Rücken gekreuzt. Die Reichwehr, d.h. 80 bis 90% Putschisten und ihr General Watter, hielten sich trotz Severings Bitten nicht daran. Teile der Roten Ruhrarmee hatten das Abkommen nicht unterzeichnet. Und Reichspräsident Ebert wie Reichskanzler Bauer wollten sowieso keine Verhandlungsergebnisse akzeptieren. So fielen die, die geputscht hatten, mit schweren Waffen ins Ruhrgebiet ein und massakrierten alle Kämpfer, deren sie habhaft werden konnten und nicht nur die.

3.000 Menschen kostete der Kapp-Putsch das Leben, die meisten starben nach den Kämpfen durch illegale Standgerichte oder einfach durch An-die-Wand-Stellen. Teils mussten die Opfer ihre Gräber selbst ausheben. Geschäfte von Juden wurden mit Hakenkreuzen beschmiert, Juden verhaftet und drangsaliert. Wer nur in Verdacht kam, sympathisiert zu haben, wurde umgebracht, sogar Krankenschwestern gefoltert und ermordet.

Der Kapp-Putsch war ein Meilenstein auf dem Weg zum Faschismus. Er traumatisierte die Arbeiterbewegung und vertiefte ihre Spaltung. Die Führungen der SPD, der DDP und des Zentrums waren sich nicht zu schade, Hakenkreuzlern, die gegen sie geputscht hatten, zum Kampf gegen ihre Retter aufzubieten, sie ermorden und demütigen zu lassen. Es war eines der bis dahin „größten Verbrechen der jüngeren deutschen Geschichte“ (Gleising/Pfromm). Zeit an dieses Verbrechen und diesen Kampf zu erinnern.

Autoreninfo

Klaus Gietinger bereitet derzeit die Veröffentlichung des Buches “Der Kapp-Putsch. 1920 – Abwehrkämpfe – Rote Ruhrarmee” im Verlag Schmetterling vor – Ein Interview von Radio CORAX mit Klaus Gietinger über den Stand der Revolution am Jahreswechsel 1919/20 findet sich hier: https://www.freie-radios.net/99100.

Der Beitrag gibt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder.

 

Die gesamte Coraxprogramm-Zeitung ist hier zu finden: Link.

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